CONTENTS OF PART FIRST
PAGE
Preface
I.

The Lay of Hildebrand

3
II.

The Merseburg Charms

5
III.

The Wessobrunn Prayer

6
IV.

The Muspilli

7
V.

The Heliand

8
VI.

The Old Saxon Genesis

13
VII.

Otfried’s Book of the Gospels

15
VIII.

The Lay of Ludwig

22
IX.

Waltharius Manu Fortis

24
X.

Rudlieb

32
XI.

Ezzo’s Lay of the Miracles of Christ

35
XII.

Heinrich von Melk

36
XIII.

The Arnstein Hymn to the Virgin

38
XIV.

Lamprecht’s Lay of Alexander

41
XV.

Konrad’s Lay of Roland

45
XVI.

King Rother

50
XVII.

Duke Ernst

54
XVIII.

The Lay of the Nibelungs

58
XIX.

Gudrun

73
XX.

The Earlier Minnesingers

83
XXI.

Walter von der Vogelweide

88
XXII.

Heinrich von Veldeke’s Eneid

96
XXIII.

Hartmann von Aue

100
XXIV.

Wolfram von Eschenbach

110
XXV.

Gottfried von Strassburg

119
XXVI.

Konrad von Würzburg

128
XXVII.

Later Minnesingers

132
XXVIII.

Poems of the Dietrich-Saga

139
XXIX.

Meyer Helmbrecht

148
XXX.

Thomasin of Zirclaere

154
XXXI.

Der Stricker

157
XXXII.

Freidank

160
XXXIII.

Play of the Ten Virgins

162
XXXIV.

Easter Plays

164
XXXV.

Reynard the Fox

171
XXXVI.

Peter Suchenwirt

177
XXXVII.

Brant’s Ship of Fools

179
XXXVIII.

Folk-songs of the Fifteenth Century

182
XXXIX.

Late Medieval Religious Prose

189
Part Second
1

PART I

FROM THE EARLIEST TIMES
TO THE SIXTEENTH CENTURY
IN MODERN GERMAN TRANSLATIONS
3

I. THE LAY OF HILDEBRAND

The only surviving remnant, in the German language, of the ancient heroic poetry cultivated by the Germanic tribes prior to their Christianization. The precious fragment consists of 69 alliterating verses, which are preserved in a Kassel manuscript of the 8th or 9th century. The language shows a mixture of Low and High German, there are gaps in the text, the meaning of several words is doubtful, and the versification is here and there defective. All this, which some account for by supposing that the manuscript was copied from a version which had been written down from memory and not perfectly recalled, makes translation difficult and uncertain. The poetic version here given is that found in Bötticher and Kinzel’s Denkmäler der älteren deutschen Literatur, 9th edition, 1905, which in the main follows Müllenhoff’s text and theories with regard to gaps, transpositions, etc. For a careful prose version by a very competent scholar see Kögel’s Geschichte der deutschen Literatur, I, I, 212.

Das hört’ ich sagen . . .

Dass zwei Kämpfer allein     sich kamen entgegen,

Hildebrand und Hadubrand,     zwischen zwei Heeren.

Sohn und Vater     besorgten ihre Rüstung,

5

Bereiteten ihr Schlachtkleid,     die Schwerter fest sie gürteten,

Die Recken über die Ringe;1     dann ritten sie zum Kampfe.

Hildebrand erhob das Wort;     er war der hehrere2 Mann,

In der Welt erfahrener.     Zu fragen begann er

Mit wenigen Worten,     wer sein Vater wäre

10

Von den Helden im Volke . . .

. . . “oder welcher Herkunft bist du?

So du mir einen nennst,     die andern weiss ich mir,

Kind, im Königreiche:     kund sind mir alle Geschlechter.”

Hadubrand erhob das Wort,     Hildebrands Sohn:

15

“Das sagten längst mir     unsere Leute,

Alte und weise,     die früher waren,

Dass Hildebrand hiess mein Vater;     ich heisse Hadubrand . . .3

4

Vorlängst zog er ostwärts,     Otakers Zorn floh er,

Hin mit Dietrich     und seiner Degen vielen.

20

Er liess elend     im Lande sitzen

Das Weib in der Wohnung,     unerwachsen den Knaben,

Des Erbes beraubt,     da ostwärts er hinritt.

Dem mächtigen Otaker     war er masslos erzürnt,

Der beste der Degen     war er bei Dietrich;

25

Seitdem entbehrte     Dietrich den Beistand

—Er war so freundlos4—     meines Vaters:

Der war dem Volke voran stets;     fechten war immer ihm lieb.

Kund war er manchen     kühnen Mannen.

Nicht wähne ich mehr,     dass er wandelt auf Erden.”

30

Hildebrand erhob das Wort,     Heribrands Sohn:

“Das wisse Allvater     oben im Himmel,

Dass nimmer du Worte     bis heute gewechselt

Mit so nah gesipptem Mann.” . . .

Da wand er vom Arme     gewundene Ringe,

35

Aus Kaisermünzen5 gemacht,     wie der König sie ihm gab,

Der Herrscher der Hunnen:     “Dass ich um Huld dir’s gebe!”

Hadubrand erhob das Wort,     Hildebrands Sohn:

“Mit dem Ger soll man     Gabe empfahen,6

Spitze wider Spitze.     Ein Späher bist du,

40

Alter Hunne,     (heimlich)7 lockst du mich

Mit deinen Worten,     willst mit dem Speer mich werfen,

Bist worden so alt     nur immer Trug sinnend.

Das sagten mir Leute,     die zur See gefahren

Westwärts über den Wendelsee:8     Hinweg nahm der Krieg ihn,

45

Tot ist Hildebrand,     Heribrands Sohn.”

Hildebrand erhob das Wort,     Heribrands Sohn: . . .9

“Wohl hör’ ich’s und seh’ es     an deinem Harnisch,

5

Dass du daheim hast     einen Herrn so gut,

Dass unter diesem Fürsten     du flüchtig nie wurdest.” . . .

50

“Weh nun, waltender Gott,     Wehgeschick erfüllt sich!

Ich wallte der Sommer     und Winter sechzig,

Da stets man mich scharte     zu der Schiessenden Volk:

Vor keiner der Städte     zu sterben doch kam ich;

Nun soll mit dem Schwerte     mich schlagen mein Kind,

55

Mich strecken mit der Mordaxt,     oder ich zum Mörder ihm werden!

Magst du nun leichtlich,     wenn langt dir die Kraft,

An so altem Recken     die Rüstung gewinnen,

Den Raub erbeuten,     wenn du Recht dazu hast!

Der wäre der ärgste     aller Ostleute,10

60

Der den Kampf dir weigerte,     nun dich so wohl lüstet

Handgemeiner Schlacht!     Es entscheide das Treffen,

Wer heute sich dürfe     der Harnische rühmen

Oder der Brünnen     beider walten!”

Da sprengten zuerst     mit den Speeren sie an

65

In scharfen Schauern;     dem wehrten die Schilde.

Dann schritten zusammen sie     (zum bittern Schwertkampf),11

Hieben harmlich     die hellen Schilde,

Bis leicht ihnen     wurde das Lindenholz,

Zermalmt mit den Waffen . . . .

1. ‘The rings’ of their corselets.

2. Instead of ältere, for the sake of the alliteration.

3. The translator here assumes (unnecessarily) that there is a gap in the text, with loss of a speech by Hildebrand.

4. ‘Friendless,’ i.e. separated from his kin. Hadubrand is giving reasons for thinking that his father is dead.

5. ‘Imperial gold’ from Constantinople.

6. Hadubrand suspects treachery and poises his spear.

7. Inserted by the translator for the alliteration’s sake.

8. The earth-encircling sea—oceanus; here the Mediterranean.

9. The supposition is that Hildebrand’s speech is missing, and that lines 47-50 form part of a reply by Hadubrand, ending with a taunt so bitter that the old warrior could not brook it even from his own son. He sees that he must fight.

10. East Goths.

11. A guess of the translator; the meaning of the original being quite uncertain.

II. THE MERSEBURG CHARMS

Two incantations that date back to pagan times, albeit the manuscript, discovered at Merseburg in 1841, is of the 10th century. The dialect is Frankish. No. 1 is for loosening a prisoner’s fetters, the other for curing the sprained leg of a horse. The translation is Bötticher’s.

1

Einst sassen Idise,1     sassen nieder hier und dort.

Die hefteten Hafte,     die hemmten das Heer,

6

Die klaubten     an den Kniefesseln:2

Entspring den Banden,     entfleuch den Feinden!

2

Phol3 und Wodan     ritten zu Walde.

Da ward Balders Pferd     der Fuss verrenket.

Da besprach ihn Sinthgunt,     (dann) Sonne, ihre Schwester;

Da besprach ihn Frija,     (dann) Volla, ihre Schwester;

Da besprach ihn Wodan,     wie er es wohl konnte,

Sei’s Beinverrenkung,     sei’s Blutverrenkung,
Sei’s Gliedverrenkung:

Bein zu Beine,     Blut zu Blute,

Gelenk zu Gelenken,     als ob geleimt sie seien!

1. ‘Idise’ means ‘women’; here battle-maids similar in character to the Northern valkyries.

2. ‘Knee-fetters’ for the sake of the alliteration; the original means simply ‘fetters.’

3. Phol is probably the same as Balder.

III. THE WESSOBRUNN PRAYER

A Christian prayer in prose, preceded by nine defective verses which probably preserve old epic turns of expression. The dialect is Bavarian, the theme that of Psalm XC, 2. The manuscript dates from the year 814. Wessobrunn was the seat of a Bavarian monastery.

Das erfuhr ich unter dem Volke     als das vornehmste Wunder,

Dass Erde nicht war,     noch Überhimmel,

Noch Baum (noch Stein?) noch Gebirge war;

Dass (Stern?) gar keiner     noch Sonne schien,

Noch der Mond leuchtete,     noch das Meer so herrlich.

Und als da nichts war     von Enden noch Wenden,

Da war der eine     allmächtige Gott,

Der Männer mildester,     und manche waren mit ihm

Glorreiche Geister.     Und Gott der heilige . . . .

Allmächtiger Gott, der du Himmel und Erde geschaffen, und der du den Menschen so vieles Gute verliehen hast, gib mir in deiner Gnade rechten Glauben und guten Willen, Weisheit und Klugheit und Kraft, den Teufeln zu widerstehen und Böses zu vermeiden und deinen Willen zu wirken.

7

IV. THE MUSPILLI

A fragment of 103 alliterating verses written in the Bavarian dialect and dating from the 9th century. The beginning and end of the poem are lost. The extant verses describe the fate of the soul after death and the terrors of the final judgment. The title, which means ‘destruction of the earth,’ was given to the fragment by Schmeller, its first editor (1832). The translation is Bötticher’s.

Lines 31-56: The battle of Elias and Antichrist and the ensuing world-fire.

So hört’ ich künden     Kund’ge des Weltrechts,

Dass der Antichrist wird     mit Elias streiten.1

Der Würger ist gewaffnet,     Streit wird erhoben:

Die Streiter so gewaltig,     so wichtig die Sache.

35

Elias streitet     um das ewige Leben,

Will den Rechtliebenden     das Reich stärken;

Dabei wird ihm helfen,     der des Himmels waltet.

Der Antichrist steht     bei dem Altfeinde,

Steht beim Satan;     er2 wird ihn2 versenken:

40

Auf der Walstatt     wird er wund hinsinken

Und in dem Streite     sieglos werden.

Doch glauben viele     Gottesgelehrte,

Dass Elias auf der Walstatt     Wunden erwerbe.

Wenn Elias’ Blut     auf die Erde dann träufelt,

45

So entbrennen die Berge,     kein Baum mehr stehet,

Nicht einer auf Erden,     all Wasser vertrocknet,

Meer verschlingt sich,     es schwelt in Lohe der Himmel,

Mond fällt,     Mittelgart3 brennt,

Kein Stein mehr steht.     Fährt Straftag ins Land,

50

Fährt mit Feuer,     die Frevler zu richten:

Da kann kein Verwandter     vor dem Weltbrand4 helfen.

Wenn der Erdflur Breite     ganz nun verbrennt,

Und Feuer und Luft     ganz leer gefegt sind,

Wo ist die Mark, wo der Mann     stritt mit den Magen?

8 55

Die Stätte ist verbrannt,     die Seele steht bedrängt,

Nicht weiss sie, wie büssen:     so wandert sie zur Pein.

Lines 73-84: The summons to the last judgment.

Wenn laut erhallet     das himmlische Horn,

Und sich der Richter     anschickt zur Reise,

75

Dann erhebt sich mit ihm     gewaltige Heerschar,

Da ist alles so kampflich,     kein Mann kann ihm trotzen.

So fährt er zur Richtstatt,     wo errichtet der Markstein,

Da ergeht das Gericht,     das dorthin man berufen,

Dann fahren die Engel     hin über die Marken,

80

Wecket die Toten,     weisen zum Thinge.

Dann wird erstehen     vom Staube männiglich,

Sich lösen von Grabes Last;     dann wird das Leben ihm kommen,

Dass all seine Sache     er sagen müsse,

Und nach seinen Werken     ihm werde das Urteil.

1. The idea that the last judgment would be preceded by a great battle between Elijah and Antichrist rests upon extra-biblical tradition; but see Mal. iv, 5.

2. Der des Himmels waltet, wird den Satan zum Falle bringen.

3. The earth; Norse midgard.

4. The original has muspille; whence the title.

V. THE HELIAND

An Old Saxon Messiad written in the first half of the 9th century (between 814 and 840) for the purpose of familiarizing the lately converted Saxons with the life of Christ. Nothing is known of the author except that he was a learned cleric who had some skill in handling the old alliterative verse, which had now nearly run its course. A few verses are lacking at the end of the poem, which breaks off, with the story nearly all told, at line 5983. The name ‘Heliand,’ Old Saxon for ‘Savior,’ was given to the poem by Schmeller, who edited it in 1830. The selections are from Edmund Behringer’s Heleand, 1898.

Lines 1189-1202: The calling of Matthew to discipleship.

Da wanderte des Waltenden Sohn

1190

Mit den vieren vorwärts;     sich den fünften dann erkor

Kristus an einer Kaufstätte,     eines Königes Jünger,

Einen mutigen, klugen Mann,     Mattheus geheissen,

Er war beamteter     edler Männer.

Er sollte zu Händen     seines Herrn hier annehmen

1195

Zins und Zoll.     Treue zeichnete ihn aus,

Den angesehenen Adeligen;     alles zusammen verliess er,

Gold und Geld,     die Gaben in Menge,

9

Hochwerte Schätze,     und er ward unseres Herrn Dienstmann.

Es erkor sich des Königs Degen     Kristus als Herrn,

1200

Der milderen Gemütes gab,     als der, dessen Mann er war,

Ihn, der waltet über diese Welt;     wonnigere Gaben gewährt dieser,

Lange währende Lebensfreude.

Lines 2006-2048: The turning of water into wine at Cana.

Voll Lust waren beisammen     die Landessöhne,

Die Helden heiteren Herzens,     hin und her eilten Diener,

Schenken mit Schalen     trugen schimmernden Wein

In Krügen und Kannen.     Gross war der Kühnen Jubel,

2010

Beseliget in dem Saale.     Da dort unter sich auf seinen Sitzen

Am fröhlichsten das Volk     sein Freudengetön erhob;

Als der Wonne voll sie waren,     da gebrach es ihnen an Wein,

Den Landeskindern an Lautertrank,1     nichts war übrig gelassen

Irgendwo in dem Hause,     was vor die Heerschar fürder

2015

Die Schenken trügen,     sondern die Schäffer2 waren

Des Lautertrankes leer.     Da war es nicht lange hernach,

Dass dieses sofort erfuhr     der Frauen schönste,

Kristi Mutter;     sie kam, mit ihrem Kinde zu sprechen,

Mit ihrem Sohne selbst,     sie sagte ihm sogleich,

2020

Dass da die Wehrhaften     nicht mehr des Weines hätten

Für die Gäste beim Gastmahle;     bittend begehrte sie,

Dass hiefür der heilige Krist     Hilfe schüfe

Den Wehrhaften zu Willen.     Da hatte hinwieder sein Wort bereit

Der mächtige Gottessohn,     und zu seiner Mutter sprach er:

2025

“Was liegt dir und mir     an dieser Mannen Trank,

An dieses Festvolkes Wein?     Warum sprichst du, Frau, hierüber so viel,

Mahnst mich vor dieser Menge?     Noch sind meine

Zeiten nicht gekommen!”

Dann hegte doch sicheres Zutraun

In ihres Herzens Tiefe     die heilige Jungfrau,

2030

Dass nach diesen Worten     des Waltenden Sohn,

10

Der Heilande bester,     helfen wollte.

Es trug da auf den Amtleuten     der Edelfrauen schönste,

Den Schenken und Schöpfwarten,     die dort den Scharen aufwarten sollten,

Nicht von Wort noch Werk     irgendwas zu unterlassen,

2035

Was sie der heilige Krist     heissen würde

Zu leisten vor den Landessöhnen.     Leer standen dort

Der Steinfässer sechse;     da gebot so stille

Der mächtige Gottessohn,     so es der Männer viele

In Wahrheit nicht wussten,     wie er es mit seinen Worten gesprochen;

2040

Er hiess die Schenken da     mit schimmerndem Wasser

Füllen die Gefässe     und hat dies da mit seinen Fingern dort

Selber gesegnet;     mit seinen Händen

Verwandelt’ er Wasser in Wein.     Er liess aus den weiten Gefässen

Schöpfen mit einer Schale;     und zu den Schenken sprach er da,

2045

Hiess sie von den Gästen,     die bei dem Gastmahle waren,

Dem Hehrsten     in die Hand geben

Ein volles Gefäss, dem,     der über das Volk dort

Dem Wirte zunächst gewaltet.

Lines 2235-2264: The stilling of the storm on the sea of Galilee.
2235

Da hiess er die anderen Wehrmänner

Weiter wandern;     und mit wenigen nur bestieg

Einen Kahn     Kristus, der Heiland,

Schlummermüde zu schlafen.     Die Segel liessen schwellen

Die wetterweisen Wehrmänner,     leiteten den Wind hinein,

2240

Trieben auf dem Meerstrom,     bis in die Mitte kam

Der Waltende mit seinen Wehrhaften.     Da begann des Wetters Gewalt,

Stürme stiegen auf,     die Stromfluten wuchsen,

Her schwang sich Wolkengeschwirr,     es schäumte der See,

Es wütete Wind und Wogen;     die Wehrmänner bangten,

2245

Das Meer war wildmutig,     nicht wähnte der Männer einer

Länger zu leben.     Da eilten sie, den Landeswart

Zu wecken mit ihren Worten     und wiesen ihm des Wetters Wut,

11

Baten, dass ihnen hilfreich     würde Kristus, der Heiland,

Wider die Wasser,     oder “wir werden hier in Weh und Angst

2250

Versinken in diesem See.”     Selbst erhob sich

Der gute Gottessohn,     gnädig sprach er zu seinen Getreuen,

Forderte sie auf bei der Wellen Aufruhr     die Angst zu besiegen:

“Warum seid ihr so in Furcht?     Noch nicht ist gefestigt euer Herz,

Euer Glaube zu gering;     vergehen wird kurze Zeit,

2255

Und stille wird werden     die Sturmflut,

Wonnesam der Lüfte Wehen.”     Da sprach zu dem Winde er

Und zu dem See ebenso     und hiess sie sanfter sich

Beide gebaren.     Seinem Gebote gehorchten sie,

Dem Worte des Waltenden;     die Wellen wurden stille,

2260

Friedlich die Flut.     Da fing das Volk unter sich an,

Die Wehrhaften, sich zu wundern;     manche fragten mit Worten,

Was das für ein so mächtiger     unter den Männern wäre,

Dass ihm so der Wind und die Woge     auf sein Wort gehorchten,

Beide seinem Gebote.

Lines 4858-4931: The smiting of Malchus by Simon Peter.

Die weisen Männer standen

In tiefem Kummer,     Kristi Jünger,

4860

Vor dem Frevel der Frechheit     und zu ihrem Fürsten riefen sie:

“Wäre es dein Wille,” sagten sie,     “waltender Herr,

Dass durch des Speeres Spitze     wir sterben sollten,

Wund durch die Waffen,     dann wäre für uns nichts so wertvoll,

Als dass wir hier für unsern Herrn     hinsinken müssten,

4865

Erbleicht im Kampfbegier.”     Erbost wurde da

Der schnelle Schwertdegen,     Simon Petrus,

Mächtig wallte ihm innen sein Mut,     dass er nicht vermochte ein Wort zu sprechen;

So harmvoll war ihm um das Herz,     dass man seinen Herrn da

Binden wollte.     Erbost schritt er dahin,

4870

Der treugemute Degen,     zu treten vor seinen Fürsten,

Hart vor seinen Herrn;     nicht war sein Herz in Zweifel,

Nicht blöde in seiner Brust,     sondern sein Beil zog er,

12

Das scharfe, an seiner Seite,     schlug es entgegen

Dem vordersten der Feinde     mit der Fäuste Kraft.

4875

Da ward Malchus     durch des Beiles Macht

An der rechten Seite     gerötet durch die Waffe,

Das Gehör ward ihm verhauen,     an dem Haupte wurde er wund,

Dass die Todeswunde     traf Kinn und Ohr,

Das Bein zerbarst.     Blut sprang nach,

4880

Wallend aus der Wunde.     Da war schartig an seinen Wangen

Der vorderste der Feinde;     da schaffte das Volk Raum,

Des Beiles Biss fürchtend.     Da sprach aber der Gottgeborene,

Selber zu Simon Petrus,     hiess sein Schwert ihn stecken,

Das scharfe, in die Scheide:     “Wenn ich gegen diese Schar,” sprach er,

4885

“Gegen dieser Männer Ansturm     Kampfweise wollte üben,

Dann mahnte ich den erlauchten,     mächtigen Gott,

Den heiligen Vater     im Himmelreiche,

Dass er mir zahlreiche Engel     von oben sendete,

Kampfeskundige;     ihrer Waffen Kraft würden nimmer

4890

Diese Männer ertragen.     Keine Macht stünde je, selbstgeeint,

So fest unter den Völkern,     dass ihm das Leben gefristet

Werden möchte;     aber es hat der waltende Gott,

Der allmächtige Vater,     es anders geordnet,

Dass wir mit Milde ertragen alles,     was uns diese Männerschar

4895

Bitteres bringet.     Nimmer sollen erbost

Wir uns wehren wider den Angriff,     weil jeder, der Waffenhass,

Grimmen Gerkampf,     gerne üben will,

Oft hinschwindet     durch des Schwertes Schärfe,

Blutigen Todes stirbt;     durch unsere Taten

Soll nichts verwüstet werden.”

4900

Hinschritt er da zu dem wunden Manne,

Fügte mit Vorsicht     das Fleisch zusammen,

Die Wunde am Haupte,     dass sofort geheilet ward

Des Beiles Biss,     und es sprach der Gottgeborene

Zu der wütenden Wehrschar:     “Wunder dünket mich mächtig,” sprach er,

4905

“Wenn ihr meinem Leben     was Leides wolltet tun,

Warum ihr mich nicht fasstet,     da ich unter eurem Volke stand,

13

In dem Weihtume innen     und Worte so zahlreich,

Wahrhaftige, sagte.     Da war Sonnenschein,

Trauliches Tageslicht,     da wolltet ihr mir nichts tun

4910

Leides in diesem Lichte,     und nun leitet ihr mir eure Leute zu

In düsterer Nacht,     so man Dieben tuet,

Wenn man sie fahen will,     die Frevler, die da haben

Verwirket ihr Leben.”

Das Wehrtum der Juden

Ergriff nun den Gottessohn,     das grimme Volk,

4915

Der Hassenden Haufe,     die Heerschar umdrängte ihn

Der übermütigen Männer,     nicht achteten sie die Missetat,

Hefteten mit eisenharten Banden     seine Hände zusammen,

Seine Arme mit Fesseln.     Nicht war ihm so furchtbare Pein

Zu ertragen Not,     Todesqual

4920

Zu erdulden, solche Marter;     aber für die Menschheit tat er es,

Weil die Erdgeborenen     er wollte erlösen,

Heil entnehmen der Hölle     für das Himmelreich,

Für die weite Welt des Wohlseins;     deshalb widersprach er auch nicht

Dem, was mit trotzigem Willen     sie ihm wollten antun.

4925

Da wurde darüber frech     das übermütige Volk der Juden,

Die Heerschar wurde hochmütig,     weil sie Kristus den Heiligen,

In leidigen Banden     hinleiten konnte,

Führen in Fesseln.     Die Feinde schritten wieder

Von dem Berge zu der Burg,     es ging der Gottgeborene

4930

Unter dem Haufen,     an den Händen gebunden,

Trauernd zu Tale.

1. M.H.G. lûtertranc, a sort of spiced claret.

2. The ‘vessels’ from which wine was poured into the cups.

VI. THE OLD SAXON GENESIS

A fragment, or rather several fragments, of a poetic version of Genesis, contemporary with the Heliand and possibly by the same author. They were discovered at the Vatican Library in 1894 and comprise in all 337 lines. The translation is by Vetter, Die neuentdeckte deutsche Bibeldichtung, 1895.

Lines 27-79; The punishment of Cain.

Er wandelte zur Wohnung,     gewirkt war die Sünde,

Die bittre am Bruder;     er liess ihn am Boden liegen

14

In einem tiefen Tale     betäubt im Blute,

30

Des Lebens ledig;     zur Lagerstatt hatte

Den Sand der Geselle.     Da sprach Gott selbst jenen an,

Der Waltende, mit seinen Worten—     ihm wallte sein Herz

Unmilde dem Mörder—     er fragte ihn, wo er den Mann hätte,

Den blutjungen Bruder.     Der Böse drauf sprach—

35

Er hatte mit seinen Händen     grosse Harmtat

Frevelnd gewirkt;     die Welt war so sehr

Mit Sünden besudelt:—     “Zu sorgen nicht brauch’ ich,

Zu wachen, wohin er wandle,     noch wies mich Gott an,

Dass ich sein hätte     irgend zu hüten,

40

Zu warten in der Welt.”     Er wähnte fürwahr,

Dass er verhehlen könne     seinem Herren

Die Untat und bergen.     Ihm gab Antwort unser Herr:

“Ein Werk vollführtest du,     des fürder dein Herz

Mag trauern dein Lebtag,     das du tatst mit deinen Händen;

45

Des Bruders Mörder bist du;     nun liegt er blutig da,

Von Wunden weggerafft,     der doch kein einig Werk dir,

Kein schlechtes, beschloss;     aber erschlagen hast du ihn,

Hast getan ihm den Tod;     zur Erde trieft sein Blut;

Die Säfte entsickern ihm,     die Seele entwandelt,

50

Der Geist, wehklagend,     nach Gottes Willen.

Es schreit das Blut zum Schöpfer     und sagt, wer die Schandtat getan,

Das Meinwerk in diesem Mittelkreis;     nicht mag ein Mann freveln,

Mehr unter den Menschen     in der Männerwelt

Mit bittren Bosheitswerken,     als du an deinem Bruder hast

55

Untat geübt.”     Da ängstete sich

Kain nach des Herrn Worten;     er bekannte wohl zu wissen,

Nie möge vor dem Allmächtigen     ein Mann, solang die Welt steht,

Eine Tat vertuschen:     “So muss ich darob nun betrübten Sinn

Bergen in meiner Brust,     dass ich meinen Bruder schlug

60

Durch meiner Hände Kraft.     Nun weiss ich, dass ich muss unter deinem Hasse leben

Fürder, unter deiner Feindschaft,     da ich diesen Frevel getan.

Nun mich meine Schandtat     schwerer dünkt,

15

Die Missetat mächtiger     als die Milde deines Herzens:

So bin ich des nicht würdig,     allwaltender Gott,

65

Dass du die schreckliche     Schuld mir vergebest,

Von dem Frevel mich befreiest.     Der Frommheit und Treue

Vergass mein Herz gegen deine Heiligkeit;     nun weiss ich, dass ich keinen Tag mehr leben kann;

Erschlagen wird mich,     wer auf meinem Weg mich findet,

Austilgen ob meiner Untat.”     Da gab ihm Antwort selber

70

Des Himmels Herrscher:     “Hier sollst du fürder

Noch leben in diesem Lande.     So leid du allen bist,

So befleckt mit Freveln,     doch will ich dir Frieden schaffen,

Ein Zeichen an dir setzen,     dass du sicher magst

Weilen in dieser Welt,     ob du des auch nicht würdig seist:

75

Flüchtig doch sollst du friedlos     für und für

Leben in diesem Lande,     solang du dieses Licht schaust;

Verfluchen sollen dich die Frommen,     du sollst nicht fürder vor deines Herrn Antlitz treten,

Noch Worte mit ihm wechseln;     wallend wird

Die Strafe für den Bruder     dich brennen in der Hölle.”

VII. OTFRIED’S BOOK OF THE GOSPELS

A Messiad written in the dialect of the southern Rhenish Franks and comprising some 15,000 lines in five books. It was completed after years of toil about 870. Its author, a monk of Weissenburg in Alsatia, is the earliest German author whose name is known and the first to employ rime or assonance in place of alliteration. The selections are from the translation in Bötticher and Kinzel’s Denkmäler, II, 3, in which the crude assonances of the pioneer are replaced by regular modern rimes.

Book I, section 1, lines 1-34: Otfried tells why he wrote in German.

Es hat viel Leute schon gegeben,     die waren stark in dem Bestreben,

Durch Bücherschreiben zu bereiten     sich gut Gerücht für alle Zeiten;

Und darauf auch gerichtet war     ihr starkes Sehnen immerdar,

Dass man in Büchern es erzählte,     wie ihnen Tatenlust nicht fehlte.

5

Dazu verlangte ihre Ehre,     dass auch ihr Scharfsinn sichtbar wäre,

So wie der Anmut schöne Feinheit     in ihres Dichtens klarer Reinheit.

16

Sie haben alles, wie’s sich schickt,     sorgsam und kunstvoll ausgedrückt,

Und haben’s gut herausgefunden—     zwar dunkel scheint’s, doch wohl verbunden—

Wodurch es dann auch dazu kam,     dass jedermann sie gern vernahm,

10

Und wer daran Gefallen fand,     des Witz sich übte und Verstand.

Wie leicht wohl könnte man dafür     gar vieler Leute Namen hier

Aufzählen und besonders nennen,     von denen wir die Bücher kennen.

Griechen und Römer, hochberühmt,     die machen’s, wie es sich geziemt,

Und haben’s also hergestellt,     wie es dir immer wohlgefällt.

15

Sie machen’s nach dem rechten Mass     und schlecht und recht ohn’ Unterlass;

So muss es denn ein Ganzes sein,     grad’ so, als wär’s aus Elfenbein.

Wenn man die Taten so erzählt,     die Lust zum Leben keinem fehlt.

Und willst du dich zur Dichtung kehren,     so wirst du deine Einsicht mehren.

So wohl der Prosa schlichtes Wesen     wirst mit Genuss du immer lesen,

20

Als auch des Metrums feine Zier     ist eine reine Freude dir.

Sie machen es mit vieler Süsse     und messen gut der Verse Füsse,

Ob kurz, ob lang sie müssen sein,     auf dass es würde glatt und fein.

Auch darauf stets ihr Trachten geht,     dass jede Silbe sicher steht,

Und dass ein jeder Vers so klingt,     wie jeder Versfuss es bedingt.

25

Sie zählen mit Genauigkeit     die Läng’ und Kürze jeder Zeit,

Und sichre Grenzen sind gezogen,     wonach das Silbenmass gewogen.

Auch säubern sie’s mit rechter Reinheit     und auch mit ausgesuchter Feinheit,

So wie ein Mann mit Fleiss und Treu’     die Körner sondert von der Spreu.

Ja, selbst den heil’gen Büchern geben     sie eine Versform rein und eben,

30

Kein Fehler findet sich darin,     so liest du es mit frohem Sinn.—

Nun, da so viele es betreiben,     dass sie in eigner Zunge schreiben,

Und da sie eifrig danach streben,     sich selber rühmend zu erheben,

Wie sollten da die Franken zagen,     auch selber den Versuch zu wagen,

17

Dass sie’s mit Eifer dahin bringen,     auf Fränkisch Gottes Lob zu singen?

35

Zwar ist der Sprache nicht bekannt     der Regeln festgefügtes Band,

Doch fehlt der grade Ausdruck nicht,     noch auch die Einfalt schön und schlicht.

I, 1, lines 59-90: The same theme continued; Otfried praises the Franks.

Sie sind genau so unverzagt,     wie man es von den Römern sagt.

60

Auch darf man nicht zu sagen wagen,     dass kühnern Mut die Griechen tragen.

Ganz ebenso ist es bewandt     mit ihrem Wissen und Verstand.

Sie sind voll Mut und Tapferkeit     an jedem Ort, zu jeder Zeit,

Viel Macht und Ansehn haben sie,     und Kühnheit fehlet ihnen nie.

Zum Schwerte greifen sie verwegen,     das ist die Art der wackern Degen.

65

Vollauf versehn und wohl im Stande,     so wohnen sie in reichem Lande.

Von alters her ihr Gut sich mehrt,     derhalben sind sie hochgeehrt.

Gar schön und fruchtbar ist ihr Land;     wem wäre dies nicht wohlbekannt?

Es gibt dort vielerlei Gewinnst—     es ist nicht eigenes Verdienst—

Dort kann man Erz und Kupfer haben,     das zum Gebrauche wird gegraben.

70

Und denket nur, wie wunderbar!     Eissteine1 gibt es dort sogar.

Und von Metallen man noch füge     dazu das Silber zur Genüge;

Auch lesen sie daselbst im Land     Gold, das sie finden in dem Sand.

Es ist ihr Sinnen fest und stet,     das immer nur aufs Gute geht,

Und ist zum Nutzen hingewandt,     so wie sie’s lehret ihr Verstand.

75

Sie sind zu jeder Zeit bereit,     zu schützen sich vor Feindes Neid;

Der mag nichts gegen diese wagen,     zu Boden wird er stets geschlagen.

Kein Volk gibt’s, das ihr Land berührt,     das ihre Gegenwart nicht spürt;

Sie dienen ihnen notgedrungen,     von ihrer Tüchtigkeit bezwungen.

Sie haben alles Volk besiegt,     wo nicht die See dazwischen liegt.

18 80

Nach Gottes Willen und Gedanken     hat jedermann Furcht vor den Franken,

Da nirgendwo ein Volk wohl lebt,     das da nach Kampf mit jenen strebt.

Den Feinden haben sie mit Waffen     Beweise oft genug geschaffen

Und haben gründlich sie belehrt     nicht mit dem Wort, nein, mit dem Schwert,

Mit Speeren scharf und spitz geschliffen,     deshalb hat alle Furcht ergriffen.

85

Kein Volk gibt’s, das nicht deutlich wüsste:     trägt es nach Frankenkrieg Gelüste,

Dann sinken sie dahin geschwind,     wenn’s Meder auch und Perser sind!

Ich las dereinst in einem Buch     und weiss es drum genau genug:

Ganz eng verwandt sind mit einander     das Frankenvolk und Alexander,

Der aller Welt ein Schrecknis war,     die er besiegte ganz und gar,

90

Die er darnieder zwang und band     mit seiner allgewalt’gen Hand.

I, 17, lines 9-62: The Magi and the star of Bethlehem.

Da kamen Leute in das Land     von Osten, denen war bekannt

10

Der Sonne und der Sterne Lauf;     denn all ihr Sinnen ging darauf.

Nun fragten diese nach dem Kind     bei der Gelegenheit geschwind

Und kündeten zugleich die Märe,     dass dieses Kind der König wäre,

Und forschten eifrig immerfort     nach dieses Knaben Heimatort

Mit stetem Bitten und mit Fragen,     man möcht’ es ihnen doch ja sagen

15

Und auch die Wegfahrt zeigen an,     auf der zum Kind man kommen kann.

Nun sprachen sie auch von dem Zeichen,     das seltsam war und ohnegleichen,

Dass hier von einer Jungfrau zart     jemals ein Mensch geboren ward,

Und dass ein Zeichen schön und klar     im Himmelsraum erschienen war.

Sie sagten, dass sie hoch und fern     plötzlich erblickten einen Stern,

20

Und machten ruchbar laut und frei,     dass dies der Stern des Herren sei:

19

“Sein Stern sich uns gezeiget hat,     wenn wir auch irrten2 in der Stadt,

Wir sind gekommen anzubeten,     dass seine Gnade wir anflehten.

So ist uns denn im Osten fern     daheim erschienen dieser Stern.

Lebt nun wohl einer hier im Land,     dem davon etwas ist bekannt?

25

So viel wir Sterne auch gezählt,     der hat bis jetzt uns stets gefehlt;

Derhalben glauben alle wir,     ein neuer König zeigt sich hier.

Das haben Greise uns gelehrt     zu Hause, klug und hochgeehrt;

Nun bitten wir euch vorzutragen,     was eure Bücher davon sagen.”

Als nun zum König selbst sofort     die Kunde drang von diesem Wort,

30

Ward durch die Nachricht er sogleich     von Angst erfüllt und schreckensbleich,

Und auch so mancher andre Mann     daraus viel Traurigkeit gewann.

Die hörten ungern und mit Schmerzen,     was uns mit Freude füllt die Herzen.

Die weisen Schriftgelehrten dort     versammelten sich dann sofort

Und forschten, wo auf dieser Erde     wohl Christ der Herr geboren werde,

35

Und wandten sich in diesen Tagen     auch an die Priester mit den Fragen.

Doch mocht’ er arm sein oder reich,     stets lautete die Antwort gleich.

Sie nannten ihm sogleich die Stadt,     wie’s früher schon bezeuget hat

Vom alten Bunde manch Prophet,     so wie es aufgeschrieben steht.

Als es ihm so ward offenbar,     wo Christ der Herr geboren war,

40

Ersann er schnell und fürchterlich     nun eine grosse Bosheit sich.

Er liess die Weisen zu sich kommen     von denen ihr durch mich vernommen,

Die fing er heimlich an zu fragen     und ohne andern es zu sagen

Und forschte dann mit Emsigkeit     nach dieses Sternes Ankunftszeit

Und bat sie selber zu ergründen,     wo wohl das Kindlein sei zu finden:

45

“Vergesst nicht, mir zu offenbaren     den Weg, den dieser Stern wird fahren,

Und reiset dann an jenen Ort     und fraget nach dem Kindlein dort.

Wenn ihr dort angekommen seid,     dann forscht nach ihm mit Emsigkeit

20

Und tut es schleunig mir zu wissen,     der Arbeit seid nur recht beflissen;

Ich bete ihn dann selber an,     dazu riet mir gar mancher Mann,

50

Auf dass ich selber danach strebe,     dass ich dem Kind Geschenke gebe.”

Wie kläglich jener Mann da log     und gegen Recht und Wahrheit trog!

Er wünschte, dass der Heiland stürbe,     dass unser Segen so verdürbe!

Als sie gehört des Königs Wort     und nach dem Ziele eilten fort,

Da zeigte ihnen sich von fern     sogleich der wunderbare Stern!

55

Wie waren sie da hochentzückt,     als sie ihn alsobald erblickt!

Erfreut versäumten sie es nicht,     ihn zu behalten im Gesicht,

Er führte sie auch dorthin klar,     wo Gottes Kind zu finden war.

Und da, wo ging des Sternes Bogen,     sind sie ihm willig nachgezogen;

Da haben sie das Haus gesehn     und nicht gezögert hinzugehn.

60

Da fanden sie denn auch geschwind     die Mutter mit dem guten Kind

Und fielen eilig vor ihm nieder,     die guten Männer, treu und bieder;

Sie beteten das Kindlein an     und baten es um Gnade dann.

I, 18, lines 1-34: Symbolical meaning of the return of the Magi.

Daran ermahnt uns diese Reise,     dass auch wir selbst in gleicher Weise

Mit Eifer dafür Sorge tragen,     das Land der Heimat zu erfragen.

Doch ist dies, glaub’ ich, nicht bekannt:     das Paradies wird es genannt.

Hoch rühmen ich es kann und muss,     doch fehlet mir der Rede Fluss.

5

Und wenn auch jedes meiner Glieder     Rede und Sprache gäbe wieder,

So hätt’ ich’s niemals unternommen,     mit seinem Lob zu End’ zu kommen.

Doch siehst du’s nicht mit eignen Augen,     was können meine Worte taugen?

Und selbst dann wird sehr viel dran fehlen,     dass du es könntest her erzählen.

Dort gibt es Leben ohne Tod,     Licht ohne Finsternis und Not,

21 10

Dazu der Engel schöne Schar     und sel’ge Minne immerdar.

Das haben selbst wir aufgegeben,     des müssen wir in Trauer leben,

Und innen muss uns heimatwärts     sich klagend sehnen unser Herz.

Sind wir doch selbst herausgegangen,     in unserm Übermut befangen,

Denn uns verlockte leis’ und stille     des Herzens eigner böser Wille.

15

Wir haben Schuld auf uns geladen,     das ist jetzt klar zu unserm Schaden.

Nun weinen wir im fremden Land,     von Gott verstossen und verbannt.

Ja, unbenutzt liegt und verloren     das Erbgut, das für uns erkoren.

Nichts nützt uns dieses grosse Gut,     das macht nur unser Übermut.

So wird denn, ach! von uns entbehrt     das Schöne, das uns war beschert,

20

Wir müssen bittre Zeiten dulden     von nun an nur durch unsre Schulden.

Viel Leid ist uns und Not bekannt     mit Schmerzen hier in diesem Land,

Voll Wunden sind wir und voll Pein     um unsre Missetat allein,

Viel Elend und Mühseligkeit,     das ist hier stets für uns bereit.

Zur Heimat können wir nicht reisen,     wir jammervollen, armen Waisen.

25

O weh, du fremdes Schreckensland,     wie hab’ ich dich als hart erkannt!

Ach, wie so schwer ertrag’ ich dich,     das sage ich dir sicherlich!

Nur Müh’ und Not wird dem gegeben,     der nicht kann in der Heimat leben.

Ich hab’s erfahren ja an mir,     nichts Liebes fand ich je an dir.

Ich fand an dir kein ander Gut     als Jammer und betrübten Mut,

30

Ein tief verwundet, wehes Herz     und mannigfaches Leid und Schmerz!

Doch kommt uns einmal in den Sinn,     dass uns verlangt zur Heimat hin,

Und hat sich unser Herz gewandt     voll Sehnsucht nach dem Vaterland,

Dann fahren wir, wie jene Mannen,     auf andrer Strasse gleich von dannen,

Auf dem Weg, welcher führt allein     in unser Vaterland hinein.

1. ‘Crystals,’ or perhaps ‘iron ore.’

2. They had assumed that the promised king would be born in Jerusalem instead of Bethlehem.

22

VIII. THE LAY OF LUDWIG

A riming (assonating) song in the dialect of the Rhenish Franks, composed in glorification of a victory won by Ludwig III over the Normans at Saucourt (between Abbeville and Eu). The battle was fought Aug. 3, 881, and the song must have originated soon afterwards; for it speaks of the king as living, and he died in 882. The translation is a literal line-for-line version, the rimes and assonances being disregarded.

Einen König weiss ich,     er heisst Herr Ludwig,

Er dient Gott gerne;     ich weiss, er lohnt es ihm.

Als Kind ward er vaterlos;     dafür ward ihm bald Ersatz:

Der Herr berief ihn,     sein Erzieher ward er.

5

Er gab ihm Tüchtigkeit,     herrliche Degenschaft,

Den Thron hier in Franken;     so brauch’ er ihn lange!

Das teilte er dann     sofort mit Karlmann,

Seinem Bruder,     die Fülle der Wonnen.

Als das alles geendet ward,     wollte Gott ihn prüfen,

10

Ob er Mühsal     so jung dulden könnte.

Er liess heidnische Männer     über See kommen,

Das Volk der Franken     ihrer Sünden zu mahnen.

Einige würden bald verloren,     einige erkoren.

Züchtigung duldete,     wer früher misgelebet.

15

Wer dann ein Dieb war,     und von dannen sich rettete,

Nahm seine Fasten;     danach ward er ein guter Mann.

Mancher war Lügner,     mancher Raubmörder,

Mancher voll Zuchtlosigkeit,     und er befreite sich davon.

Der König war entfernt,     das Reich ganz zerrüttet,

20

Christus war erzürnt:     leider, des entgalt es.1

Doch Gott erbarmte sich dessen,     er wusste all die Not.

Er hiess Ludwig     sofort dahin reiten:

“Ludwig, mein König,     hilf meinen Leuten!

Die Normannen haben sie     hart bedrängt.”

25

Da sprach Ludwig:     “Herr, so tue ich,

Wenn mich der Tod nicht hindert,     alles, was du gebietest.”

Da nahm er Gottes Urlaub,     er hob die Kriegsfahne auf,

23

Er ritt dahin in Frankreich     gegen die Normannen.

Gott sagten Dank,     die seiner harrten,

30

Sie sagten alle: “Mein Herr,     wie lange harren wir dein!”

Da sprach laut     Ludwig der gute:

“Tröstet euch, Gesellen,     meine Notgefährten,

Her sandte mich Gott     und mir selber gebot,

Ob es euch Rat dünkte,     dass ich hier föchte,

35

Mich selber nicht schonte,     bis ich euch rettete.

Nun will ich, dass mir folgen     alle Gottes Holden.

Beschert ist das Hiersein,     so lange Christus will.

Will er unsere Hinfahrt,     deren hat er Gewalt.

Wer hier mit Kraft     Gottes Willen tut,

40

Kommt er gesund davon,     ich lohne es ihm;

Bleibt er darin,     seinem Geschlechte.”

Da nahm er Schild und Speer,     kraftvoll ritt er,

Er wollte die Wahrheit darlegen     seinen Widersachern;

Da war es nicht sehr lang,     er fand die Normannen,

45

Gott sagte er Lob,     er sieht, dessen er begehrte.

Der König ritt kühn,     sang ein heilig Lied,

Und alle sangen zusammen:     “Kyrie eleison!”2

Der Sang war gesungen,     der Kampf war begonnen.

Blut schien auf den Wangen,     froh kämpften da die Franken,

50

Da focht der Degen jeglicher,     keiner so wie Ludwig,

Hurtig und kühn;     das war ihm angeboren.

Manchen durchschlug er,     manchen durchstach er.

Er schenkte zu Handen     seinen Feinden

Bitteres Trankes;     so weh ihnen stets des Lebens!

55

Gelobt sei Gottes Kraft!     Ludwig ward sieghaft.

Und allen Heiligen Dank!     Sein ward der Siegkampf.

Heil aber Ludwig,     König kampfselig!

So bereit wie er stets war,     wo irgend des Not war,

Erhalte ihn der Herr     bei seiner Herrlichkeit!

1. ‘It’ (the kingdom) atoned for ‘that’ (the wrath of Christ).

2. Κύριε ἔλεισον, Lord have mercy.

24

IX. WALTHARIUS MANU FORTIS

A Latin poem in Vergilian hexameters, composed about 930 by Ekkehard, a pupil in the monastic school at St. Gall, and afterwards revised by another monk of the same name. It is based on a lost German poem and preserves, with but little admixture of Christian and Latin elements, a highly interesting saga of the Hunnish-Burgundian cycle. The selections are from the translation by H. Althof, in the Sammlung Göschen.

Lines 215-286: Walter and Hildegund plot to escape from Etzel’s court.
215

Siehe, da eilte herab von der Burg des Palastes Gesinde,

Freute sich sehr, ihn wiederzusehn, und hielt ihm das Streitross,

Bis der preisliche Held dem hohen Sattel entstiegen,

Richtet die Frage an ihn,1 ob günstig die Sache verlaufen.

Wenig erzählte er nur, denn müde war er, und trat dann

220

Ein in die Burg und eilte darauf zum Gemache des Königs.

Aber er fand auf dem Wege die einsam sitzende Hildgund

Und er sagte zu ihr nach süssem Kuss und Umarmung:

“Bringe mir schnell zu trinken, denn müde bin ich und durstig.”

Eilig füllte mit Wein sie drauf den köstlichen Becher,

225

Reichte dem Helden ihn dar, der fromm ihn bekreuzte und annahm

Und mit der Hand darauf die Rechte der Jungfrau umfasste.

Schweigend stand sie dabei und sah dem Manne ins Antlitz.

Und es reichte ihr Walter sodann das geleerte Gefäss hin;

Wohl war beiden bekannt, dass einst sie verlobt mit einander.

230

Und er sprach zu der teueren Maid mit folgenden Worten:

“Lange erdulden zusammen wir schon das Los der Verbannung

Und sind dessen bewusst, was einstmals unsere Eltern

Über unser zukünft’ges Geschick mit einander bestimmten.

Was verhehlen wir dies so lange mit schweigendem Munde?”

235

Aber die Maid, die wähnte, es rede im Scherz der Verlobte,

Schwieg ein Weilchen und sagte darauf als Erwiderung dieses:

“Warum heuchelt die Zunge, was tief in der Brust du verdammest,

25

Und überredet der Mund zu dem, was im Herzen du abweist?

Gleich als wäre es Schmach, dir solche Verlobte zu freien!”

240

Drauf antwortete ihr der verständige Jüngling und sagte:

“Fern sei, was du geredet! O wolle nicht falsch mich verstehen!

Kund ist dir, dass ich nie mit verstelltem Herzen gesprochen;

Glaube mir nur, es steckt nicht Trug noch Falsches dahinter.

Niemand ist in der Näh’, wir sind hier beide alleine.

245

Wenn ich wüsste, du wärst mir geneigt mit ergebenem Herzen,

Und du würdest verschweigen die klug ersonnenen Pläne,

Wollte ich dir entdecken ein jedes Geheimnis des Herzens.”

Da nun begann das Mädchen, die Kniee des Jünglings umfassend:

“Alles, wozu du mich rufst, will ich gern, mein Gebieter, erfüllen

250

Und will nichts in der Welt vorziehn den wilkommnen Befehlen.”

Jener darauf: “Mit Verdruss ertrage ich unsre Verbannung

Und gedenke gar oft der verlassenen Marken der Heimat.

Drum begehre ich, bald zu heimlicher Flucht mich zu rüsten.

Lange zuvor schon wäre dazu ich imstande gewesen,

255

Doch es schmerzte mich tief, dass allein Hildgunde zurückblieb.”

Also redete drauf aus innerstem Herzen das Mägdlein:

“Was du begehrst, will ich, das ist mein einzig Verlangen.

Drum befiehl nur, o Herr; ob Glück uns werde, ob Unglück,

Gerne bin ich bereit, es dir zu Liebe zu tragen.”

260

Walter raunte der Maid in das Ohr nun folgende Worte:

“Siehe, es trug der Herrscher dir auf, der Schätze zu hüten;

Drum behalte es wohl und merke es dir, was ich sage:

Nimm vor allem den Helm und das Eisengewand des Gebieters,

Aus drei Drähten gewirkt, mit dem Zeichen der Schmiede versehen,

265

Wähle auch zwei von den Schreinen dir aus von mässigem Umfang,

Fülle in diese sodann so viel der pannonischen2 Spangen,

Dass du einen zur Not bis zum Busen zu heben vermögest.

Dann verfertige mir noch vier Paar Schuhe, wie bräuchlich,

Dir die nämliche Zahl und lege sie auch in die Truhen,

270

Und so werden dieselben vielleicht bis zum Rande gefüllt sein.

Heimlich bestelle dir auch bei Schmieden gebogene Angeln:

Fische müssen uns Zehrung sein auf dem Wege und Vögel;

26

Vogelsteller und Fischer zu sein, bin ich selber genötigt.

Alles dieses besorge du klug im Verlaufe der Woche.

275

Nunmehr hast du gehört, was uns auf der Reise vonnöten.

Jetzt verkünde ich dir, wie die Flucht wir mögen bereiten:

Wenn zum siebenten Mal den Kreislauf Phöbus vollendet,

Werd’ ich dem König, der Königin auch und den Fürsten und Dienern

Rüsten ein fröhliches Mal mit aussergewöhnlichem Aufwand

280

Und mich mit Eifer bemühn, durch Getränk sie in Schlaf zu versenken,

Bis nicht einer imstande zu merken, was ferner noch vorgeht.

Du magst aber indes nur mässig des Weines geniessen,

Und nur eben bei Tische den Durst zu vertreiben bestrebt sein.

Stehen die anderen auf,3 so eile zum Werk, dem bewussten.

285

Aber sobald des Trankes Gewalt dann alle bezwungen,

Eilen wir beide zugleich, die westlichen Lande zu suchen.”

Lines 315-357: The escape.
315

Glühender Rausch führt bald in der ganzen Halle die Herrschaft,

Und es stammelt das breite Geschwätz mit triefendem Munde;

Stämmige Recken konnte man schaun auf wankenden Füssen.

Also verlängert bis spät in die Nacht das Opfer des Bacchus

Walter und zieht zurück, die nach Hause zu gehen begehren,

320

Bis, von der Macht des Trankes besiegt und vom Schlafe bezwungen,

In den Gängen zerstreut, sie alle zu Boden gesunken.

Hätte er preisgegeben das Haus den verzehrenden Flammen,

Wäre nicht einer den Brand zu entdecken imstande gewesen.

Endlich rief er das Mädchen herbei, das teure, und hiess es,

325

Eilig herbeizutragen die längst bereiteten Sachen,

Selber zog aus dem Stall er hervor das beste der Rosse,

Welches er “Löwe” genannt um seiner Vorzüglichkeit willen;

Stampfend stand es und nagte voll Mut an den schäumenden Zügeln.

Als er darauf mit dem Schmuck es umhüllt in üblicher Weise,

330

Hängt er die Schreine, mit Schätzen gefüllt, dem Ross an die Seiten,

Fügt auch Speisen hinzu, nicht viel für die Länge des Weges.

Und die wallenden Zügel vertraut er der Rechten der Jungfrau,

27

Selber jedoch, von dem Panzer umhüllt nach der Weise der Recken,

Setzt er den Helm sich aufs Haupt, den rot umwallte der Helmbusch,

335

Schnallt die goldenen Schienen sich drauf um die mächtigen Waden,

Gürtet sodann an die Linke das Schwert mit der doppelten Schneide,

An die Rechte ein zweites dazu nach pannonischer Sitte,

Welches mit einer der Seiten allein die Wunden verursacht,

Rafft sodann mit der Rechten den Speer, mit der Linken den Schildrand,

340

Und entflieht dem verhassten Land, von Sorge befangen.

Aber es führte das Ross, beladen mit Schätzen, die Jungfrau,

Die in den Händen zugleich die haselne Gerte dahertrug,

Der sich der Fischer bedient, die Angel ins Wasser zu tauchen,

Dass der Fisch voll Gier nach dem Köder den Haken verschlinge;

345

Denn der gewaltige Held war selbst mit gewichtigen Waffen

Rings beschwert und zu jeglicher Zeit des Kampfes gewärtig.

Alle Nächte verfolgten den Weg sie in Eile; doch zeigte

Frühe den Ländern das Licht der rötlich erstrahlende Phöbus,

Suchten sie sich zu verbergen im Wald und erstrebten das Dunkel,

350

Und es jagte sie Furcht sogar durch die sicheren Orte.

Und es pochte die Angst so sehr in dem Busen der Jungfrau,

Dass sie bei jedem Gesäusel der Luft und des Windes erbebte,

Dass sie vor Vögeln erschrak und dem Knarren bewegten Gezweiges.

Hass der Verbannung erfüllte ihr Herz und Liebe zur Heimat.

355

Dörfern wichen sie aus und mieden das weite Gefilde;

Folgend auf dichtbewachs’nem Gebirg dem gewundenen Umweg,

Irren mit zagendem Fuss sie durch pfadelose Gebiete.

Lines 1285-1395: The great fight at the Wasgenstein.4
1285

Als sich massen die drei um die zweite5 Stunde des Tages,

Wandten sich gegen den einen zugleich die Waffen der beiden.

Hagen bricht den Frieden zuerst; er sammelt die Kräfte

Und versendet alsbald die verderbliche Lanze, doch diese,

28

Wie sie in sausendem Wirbel entsetzenerregend heranschwirrt,

1290

Lenkt jetzt Alphars6 Sprosse, der nimmer sie weiss zu ertragen,

Klug beiseit mit der Decke des seitwärts gehaltenen Schildes,

Denn wie den Schild sie berührt, da gleitet sie ab wie von glattem

Marmel, und schwer verletzt sie den Berg, denn bis zu den Nägeln

Bohrt sie sich ein in die Erde. Dann warf mit kühnlichem Herzen

1295

Aber mit mässiger Kraft die eschene Lanze der stolze

Gunter. Sie flog und sass in dem untersten Teile von Walters

Schilde, und wie er alsbald ihn schüttelt, da fiel aus des Holzes

Wunde zur Erde herab das Eisen, das wenig vermochte.

Ob des Zeichens betrübt, ergreifen das Schwert die bestürzten

1300

Franken; in Zorn verwandelt der Schmerz sich, sie stürmen voll Eifer,

Von den Schilden gedeckt, auf den aquitanischen Helden.

Dieser jedoch vertrieb sie entschlossen mit wuchtiger Lanze

Und erschreckte den stürmenden Feind durch Mienen und Waffen.

Gunter, der König, ersann deswegen ein törichtes Wagnis:

1305

Seinen Speer, der vergebens versandt und zur Erde gefallen—

Denn er lag, aus dem Schilde geschüttelt, zu Füssen des Helden,—

Leise heran sich schleichend, in heimlicher Weise zu holen,

Da ja die Kämpfer, versehn mit kürzeren Waffen, mit Schwertern,

Nicht bis nah an den Feind heranzugelangen vermochten;

1310

Denn der schwang zum Stosse die vorgehaltene Lanze.

Darum hiess er durch Augenwink den Vasallen vorangehn,

Dass er, von ihm verteidigt, das Werk zu vollbringen vermöge.

Ohne Verzug geht Hagen voran, den Gegner zu reizen,

Während der Fürst in der Scheide das edelsteinblitzende Schwert birgt

1315

Und die Rechte befreit, um sicher den Streich zu vollführen.

Doch was weiter? Er langte gebückt mit der Hand nach der Lanze

Und schon fasste er sie und zerrte sie heimlich und mählich,

Allzuviel verlangend vom Glück. Doch der herrliche Recke,

Wie er ja stets in dem Kampf der Vorsicht weise gedachte

1320

Und behutsam verfuhr (ein Augenblickchen versah er!),

Wurde gewahr, wie jener sich bückt, und merkte das Treiben.

Aber er duldet es nicht, denn schnell vertreibt er den Hagen,

29

Welcher zurück sich zieht vor der hoch erhobenen Waffe,

Springt dann hinzu und presst mit dem Fuss die entrissene Lanze,

1325

Und dem König, ertappt bei dem Raub, schreit so er entgegen,

Dass dem wanken die Kniee, als wär’ er durchbohrt von dem Speere.

Und er hätte ihn flugs zum hungrigen Orkus gesendet,

Wäre nicht schnell zur Hilfe geeilt der waffengewalt’ge

Hagen, den Herrn mit dem Schild beschützend und wider des Gegners

1330

Haupt die entblösste Schärfe des schrecklichen Schwertes erhebend.

Während Walter dem Hieb ausweicht, erhebt sich der andre;

Kaum entronnen dem Tod, steht dort er betroffen und zitternd.

Doch nicht Rast noch Verzug; es erneut sich die bittere Fehde.

Bald bestürmen den Mann sie vereinzelt, bald in Gemeinschaft,

1335

Und indes er voll Eifer zum einen sich wendet, der anstürmt,

Springt der andere ihm in die Quere, die Streiche vereitelnd.

So steht, wenn man ihn hetzt, der numidische Bär, von den Hunden

Rings im Kreise umstellt, mit drohend erhobenen Pranken,

Duckt mit Gebrumme das Haupt und zwingt die umbrische Meute,

1340

Wenn sie sich naht, zu klagen und winseln in seiner Umarmung;

Dann umbellen ihn rings aus der Nähe die wilden Molosser,7

Und es schreckt sie die Furcht, zu nahen dem grausigen Untier.

Also wogte der Kampf bis zur neunten Stunde des Tages.

Dreifach war die Not, die sie alle zusammen erlitten:

1345

Furcht vor dem Tode, Beschwerde des Kampfs und glühende Sonne.

Aber indessen beschlich ein Gedanke die Seele des Helden,

Welcher im schweigenden Busen jedoch die Worte zurückhielt:

Zeigt nicht andere Wege das Glück, so werden die Gegner

Mich, den Ermüdeten, noch durch eitele Listen berücken.

1350

Also sprach er daher mit erhobener Stimme zu Hagen:

“Hagedorn,8 grün zwar stehst du im Laub und vermöchtest zu stechen,

Doch du versuchst mich zu täuschen voll List mit possierlichen Sprüngen.

Aber ich gebe dir Raum, dass du näher zu kommen nicht zauderst,

Und dann zeig’ die gewaltige Kraft, die so wohl mir bekannt ist;

30 1355

Mich verdriesst’s, so gewalt’ge Beschwer vergeblich zu tragen.”

Sprach’s und im Sprunge sich hebend, entsandt’ er auf jenen die Lanze,

Welche den Schild durchschlägt, ein wenig vom Panzer mit fortreisst,

Doch den gewaltigen Leib des Gegners nur mässig verwundet,

1360

Denn er strahlte, bewehrt mit auserlesenen Waffen.

Doch als Walter, der Held, die Lanze versendet, da stürmt er

Mit dem gezogenen Schwerte in ungestümerem Andrang

Los auf den König, und als er den Schild ihm zur Seite gedrängt hat,

Trifft er also gewaltig und staunenerregend den Gegner,

Dass er das ganze Bein mit dem Knie bis zum Schenkel ihm abschlägt;

1365

Über den Schildrand stürzt er alsbald zu den Füssen ihm nieder.

Da erblasst der entsetzte Vasall bei dem Fall des Gebieters.

Alphars Sprosse erhebt nun aufs neue die blutige Klinge

Und begehrt, dem Gefall’nen die tödliche Wunde zu spenden.

Hagen, der Recke, jedoch, des eignen Schmerzes vergessend,

1370

Beugt schnell nieder das Haupt und hält es dem Hiebe entgegen,

Und es vermag der Held die geschwungene Faust nicht zu hemmen.

Aber der Helm, geschmiedet mit Fleiss und trefflich bereitet,

Trotzt dem Hieb, und es sprühen alsbald in die Höhe die Funken.

Über die Härte betroffen, zerspringt, o Jammer! die Klinge,

1375

Und in der Luft und im Grase erglänzen die klirrenden Teile.

Aber sobald der Krieger die Stücke des Schwertes erblickte,

Zürnte er sehr und tobte in allzugewaltigem Zorne,

Schleudert, seiner nicht Herr, das Heft, dem entfallen die Klinge,

War es auch ausgezeichnet durch Gold und künstliche Arbeit,

1380

Weit in die Ferne sogleich, die traurigen Trümmer verachtend.

Doch indes er gerade die Hand so weit in die Luft streckt,

Schlägt sie Hagen vom Arm, des gelegenen Hiebes sich freuend.

Mitten im Wurf fiel jetzt zu Boden die tapfere Rechte,

Welche dereinst gefürchtet von vielen Völkern und Fürsten

1385

Und vordem erglänzte durch ungezählte Trophäen.

Aber der herrliche Held, der Weichen im Unglück nicht kannte,

Wusste mit starkem Mute die Schmerzen des Fleisches zu tragen

Und verzweifelte nicht, und keine Miene verzog er,

Schob den verstümmelten Arm sogleich hinein in den Schildrand,

31 1390

Griff mit dem unverletzten sodann alsbald zu dem Halbschwert,

Das er, wie ich erwähnt, sich rechts an die Seite gegürtet,

Bittere Rache sogleich an dem grimmigen Feinde zu üben.

Hagens rechtes Auge zerstört sein Hieb, und die Schläfe

Schneidet er auf und zugleich die beiden Lippen zerspaltend,

1395

Schmettert er zweimal drei der Zähne dem Feind aus dem Munde.

Lines 1421-1456: Having perforce made peace and had their wounds dressed by Hildegund, Walter and Hagen banter each other.

Hagen, der dornige, drauf und der aquitanische Recke,

Unbesieglich an Mut, doch am ganzen Leibe ermattet,

Scherzten nach manchem Getöse des Kampfs und entsetzlichen Schlägen

Mit einander in lustigem Streit bei dem Becher. Der Franke

1425

Sagte zuerst: “Mein Freund, fortan wirst Hirsche du jagen,

Handschuh’ dir aus den Fellen in grosser Zahl zu gewinnen.

Fülle, das rate ich dir, den rechten mit feinem Gewölle,

Dass mit dem Bilde der Hand du Fremde zu täuschen vermögest.

Weh, was sagst du dazu, dass die Sitte des Volks du verletzest,

1430

Dass man sieht, wie das Schwert du rechts an der Hüfte befestigst,

Und dein Ehegespons, wird einstens der Wunsch dich beschleichen,

Mit der Linken, wie nett! umfängst in verkehrter Umarmung?

Doch was rede ich mehr? Was immer du künftig auch tun musst,

Wird die Linke verrichten.” Darauf entgegnete Walter:

1435

“Dass du so vorlaut bist, das wundert mich, scheeler Sigambrer!9

Jage ich Hirsche, so musst den Eberbraten du meiden,

Blinzelnd wirst du hinfort auf deine Bedienten herabschaun

Und mit querem Blicke die Schar der Helden begrüssen.

Aber der alten Treue gedenk, will dies ich dir raten:

1440

Wenn nach Hause du kommst, und dem heimischen Herde genaht bist,

Mache dir Brei aus Mehl und Milch und vergiss auch den Speck nicht;

Das vermag dir zugleich zur Nahrung und Heilung zu dienen.”

Also sprachen sie. Drauf erneuten sie wieder das Bündnis,

32

Hoben beide zugleich den König, den Schmerzen verzehrten,

1445

Auf sein Ross; dann trennten sie sich: es zogen die Franken

Wieder gen Worms, und es eilte der Aquitaner zur Heimat.

Freudig ward er allda mit grossen Ehren empfangen,

Feierte, wie es der Brauch, mit Hildgund festliche Hochzeit

Und regierte, nachdem sein Erzeuger von hinnen geschieden,

1450

Allen teuer, das Volk noch dreissig glückliche Jahre.

Welche Kriege er ferner geführt und Triumphe gefeiert,

Das kann nimmer der Griffel, der stumpf mir geworden, beschreiben.

Der du dies liest, verzeihe der zirpenden Grille, erwäge

Nicht, wie rauh die Stimme noch ist, bedenke das Alter,

1455

Da sie, noch nicht entflogen dem Nest, das Hohe erstrebte.

Dies ist das Walterslied.— Euch möge der Heiland behüten!

1. Walter of Aquitaine, who is returning from a battle in which he has put down a rebellion for King Etzel. Walter and Hildegund have lived since childhood as hostages at Etzel’s court.

2. Ekkehard conceives the Huns as a tribe of Pannonia.

3. The ‘rising’ of the men would be the signal for the women to retire that the drinking-bout might begin.

4. A rocky pass in the Vosges Mountains. On his westward flight Walter is attacked by the Burgundians, whom Ekkehard identifies with the Franks. He slays eleven famous champions in succession and then fights King Gunter and Hagen together.

5. 8 A.M.

6. Walter is the son of Alp-har (from Alp, elf, and hari, army).

7. The medieval canis molossus was a mastiff or bull-dog.

8. A pun on Hagen’s name, which means ‘thorn-bush.’

9. ‘Sigambrian’ or ‘Sicambrian’ was a name applied by the learned to the Franks.

X. RUDLIEB

A Latin poem in leonine hexameters, composed about 1030 at Tegernsee, Bavaria. It is imperfectly preserved, but more than 2000 verses are extant, and these give interesting pictures of contemporary German life. It is a metrical novel with a knight for hero. The selection is from M. Heyne’s Rudlieb, 1897,—a translation in iambic pentameter.

From the 14th fragment: The wedding of Rudlieb’s nephew.

Am Tag der Hochzeit

Erscheint das Fräulein, ihre Anverwandten

Umgeben sie. Nun nahen auch die andern,

Bald ist der Hof von Gästen ganz gefüllt,

5

Begrüsst von Rudlieb mit dem Wilkommskuss.

Ein Mahl erwartet sie; als es geendet,

Begeben sich zunächst in ihre Zimmer

Die Damen mit dem Fräulein; ein’ge Ritter

Begleiten sie und tragen ihnen Kissen.

10

Zum Dank wird ihnen Wein gereicht. Der erste

Ergreift den Becher, trinkt und gibt ihn weiter,

Und so die Reihe um, bis dass ihn leer

Der Schenk zurückempfängt. Sie grüssen neigend

33

Und gehn zurück zu Rudlieb und den Herren.

15

Nun spricht der Ritter: “Weil euch Gott allhier

Versammelt hat, so hört mich an und helft,

Dass unter schon Verlobten eine Ehe

Geschlossen werde. Das soll heut geschehen,

Ihr aber seid bei dieser Handlung Zeugen.

20

Es hat sich so gefügt, dass dieser Jüngling,

Mein Neffe, und das Fräulein gegenseitig

In Liebe kamen, als sie Würfel spielten;1

Sie wollen nun das Ehebündnis schliessen.”

Die Herren sagen: “Alle müssen wir

25

Dazu verhelfen, dass der junge Mann,

Der so vortrefflich sonst, nicht Schande leide

Und ganz der Buhlerin1 entrissen werde,

Die da verdient, den Feuertod zu leiden,

Und preisen Gott, dass in der Welt doch Eine

30

Sich fand, die jener Hexe Macht zerbrach.”

Da steht der Jüngling auf, sagt allen Dank

Für ihre Güte und bekennt in Reue,

Wie sehr sein früh’res Leben ihn geschändet:

“Ihr seht, wie nötig eine Frau mir ist;

35

Und hätten wir auch eine hier gefunden,

So will ich dennoch mich mit diesem Fräulein,

Verloben und verbinden; meine Bitte

Ergeht an euch, uns Zeugen jetzt zu sein,

Wenn wir, wie es der Brauch ist, Ehgeschenke,

40

Uns geben.” “Alle tun hierin dir Beistand,”

Erwidern jene. Und nun sendet Rudlieb

Nach den drei Frauen, die alsbald erscheinen;

Das Fräulein geht voran, gesenkten Hauptes;

Von seinem Sitz erhebt sich jeder höflich.

34 45

Nach kurzer Zeit, als alle Platz genommen,

Steht Rudlieb auf und bittet sich Gehör:

Den Freunden und den Stammgenossen kündet

Er das geschloss’ne Bündnis und die Liebe,

Die eins zum andern hat und fragt den Jüngling,

50

Ob er zur Frau sie wolle. Der bejaht.

Nun fragt man sie, ob sie zum Mann ihn wolle.

Sie lächelt: “Soll ich den zum Manne nehmen,

Den ich im Spiel als Sklaven mir gewann,

Den mir der Würfel brachte, der versprach

55

Allein mir zu gehören, ob er siege,

Ob er verliere? Mög’ er treu mir dienen

Zu jeder Zeit, in jedem Augenblick!

Je treuer, desto lieber ist er mir.”

Da lachen alle zu des Fräuleins Worten,

60

Die so behutsam sind und doch so freundlich.

Und da sie sehen, dass auch die Mutter nicht

Zuwider ist, und dass sich beider Gut

Die Wage hält, so kommt man überein,

Als Gattin ihm das Fräulein zu gewähren.

65

Der Bräutigam zieht Schwert und wischt’s am Hute

Steckt an das Heft den goldnen Ehering

Und beut ihn so zur Braut, indem er spricht:

“Wie dieser Ring den Finger rund umschliesst,

Verpflicht’ ich dich zu ewig fester Treue,

70

Die du mir hältst bei Strafe deines Lebens.”

Doch sie versetzt sehr klug und angemessen:

“Ein gleiches Recht für beide. Warum soll ich

Dir bessre Treue wahren als du mir?

Sag’, hätte es wohl Adam zugestanden,

75

Der Eva ungetreu zu sein, da Gott doch

Aus seiner Rippe Eine Eva schuf

Und Adam das verkündete? Liest man,

Dass ihm zwei Even sind erlaubt gewesen?

Du wolltest buhlen und verbeutst das mir?

80

Nein, es fällt mir nicht bei, auf solchen Pakt

35

Mich zu verpflichten, geh mir immer hin

Und buhl’, um wen du willst, doch ohne mich.

Es gibt noch manchen, den ich freien kann.”

So sprechend weist sie Schwert und Ring zurück.

85

Der Jüngling spricht: “Geliebte, wie du willst,

Geschehe es. Vergehe ich mich jemals,

Will ich das, was ich in die Ehe bringe,

An dich verlieren, und du darfst mich töten.”

Sie lächelt hold, sich wieder zu ihm wendend:

90

“Auf das hin schliessen wir die Eh’ in Treuen.”

Dann küsst er sie, indem er “Amen” ruft.

1. As Rudlieb is returning to his mother after a long absence he falls in with a nephew who has gone wrong and been ‘bewitched’ by a lewd woman. Rudlieb rescues him and the two seek shelter for the night at the house of a rich widow with an only daughter. The young man and the girl play dice together and fall in love with each other. The subsequent wedding takes place at the house of Rudlieb’s mother.

XI. EZZO’S LAY OF THE MIRACLES OF CHRIST

A Leich (strophic poem with varying number of verses to the strophe), written, it would seem, in 1064. The dialect is Alemannic. Ezzo was dean of the Bamberg cathedral. The introduction states that Bishop Gunter ordered his clergy to ‘make a good song’; that ‘Ezzo began to write, will found the way (i.e. the meter), and when it was done, all hastened to become monks.’ The poem consists of 420 short lines in riming (assonating) couplets.

Lines 193-262: The life and death of Christ.

Antiquus dierum,

Er wuchs mit den Jahren:

195

Der je über der Zeit war,

Vermehrte täglich seinen Wuchs;

So gedieh das edle Kind,

Gottes Geist war in ihm.

Als er dreissig Jahr alt war,

200

Von dem all diese Welt genas,

Da kam er zum Jordan;

Getauft ward er da,

Er wusch ab unsre Schuld,

Er selbst hat keine.

205

Den alten Namen legten wir da ab;

Von der Taufe wurden wir Gottes Kinder.

Sodann nach der Taufe

Zeigte sich die Gottheit.

Dies war das erste Zeichen:

210

Aus dem Wasser macht’ er Wein.

Dreien Toten gab er das Leben,

Von dem Blute heilt’ er ein Weib,

Die Krummen und die Lahmen,

Die machte er gerade.

215

Den Blinden gab er das Licht,

Für keine Belohnung sorgte er.

Er erlöste manchen Besessenen,

Den Teufel hiess er von dannen fahren.

Mit fünf Broten speiste er

220

Fünftausend und mehr,

36

Dass sie alle genug hatten;

Zwölf Körbe trug man davon.

Zu Fuss ging er über den Fluss,

Zu den Winden rief er “ruhet.”

225

Die gebundenen Zungen,

Die löste er den Stummen.

Ein wahrer Gottes Born,

Die heissen Fieber löschte er.

Krankheit floh von ihm,

230

Den Siechen hiess er aufstehn.

Mit seinem Bette fortgehn.

Er war Mensch und Gott;

Also süss ist sein Gebot.

Er lehrt’ uns Demut und Sitte,

235

Treue und Wahrheit dazu,

Dass wir uns treu benähmen,

Unsre Not ihm klagten;

Das lehrt’ uns der Gottessohn

Mit Worten und mit Werken.

240

Mit uns wandelte er

Dreiunddreissig Jahr

Undeinhalb, unsrer Not wegen.

Sehr gross ist seine Gewalt.

Seine Worte waren uns das Leben;

245

Für uns starb er seitdem,

Er ward nach eignem Willen

An das Kreuz gehangen.

Da hielten seine Hände

Die harten Nagelbande,

250

Galle und Essig war sein Trank;

Also erlöst’ uns der Heiland.

Von seiner Seite floss das Blut,

Von dem wir alle geheiligt.

Zwischen zwei Verbrechern

255

Hingen sie den Sohn Gottes.

Von Holz1 entstand der Tod,

Von Holz fiel er, gottlob!

Der Teufel schnappte nach dem Fleisch,

Die Angel2 war die Gottheit;

260

Nun ist es wohl ergangen,

Daran ward er gefangen.

1. The tree of knowledge in the Garden of Eden.

2. Christ’s body is conceived as the ‘bait,’ his divinity as the ‘hook,’ by which the devil is caught.

XII. HEINRICH VON MELK

An Austrian nobleman of the 12th century who, after bitter experience of the world’s ways, retired to the monastery of Melk (a few miles west of Vienna), where he spent his closing years as lay brother. In his Erinnerung an den Tod, a satirical poem of 1042 short lines in riming (assonating) couplets, he inveighs against the worldly follies of the knights, and in his Priesterleben against the vices of the clergy. The poems date from about 1160.

From the ‘Remembrance of Death,’ lines 663-748: The rich youth at the grave of his father.

Reicher und edler Jüngling,

Gewahre deine ängstliche Lage

665

Und geh zu deines Vaters Grab;

Nimm den Deckstein davon ab

Und schaue seine Gebeine,

Seufze und weine.

Du magst wohl sagen, wenn du willst,—

37 670

Es kostet deiner Herrlichkeit nicht viel:—

“Lieber Vater und Herr,

Nun sage mir, was dich plagt.

Ich sehe dein Gebein verfaulen,

Das hat die Erde ganz zersetzt;

675

Es kriechet böser Würmer voll.

Diese stinkende Höhle

Erzeigt meinem Sinne

Einen furchtbaren Geruch darinne.

Auch ist mir schwer zu Mute,

680

Da du einst so schön warst,

Dass du so schnell verdorben.

Das ist eine jämmerliche Ordnung:

Was einst blühte wie die Lilie,

Das wird wie ein Kleid, das der Meltau

685

Benagt und zerfrisst.

Der ist unselig, der es vergisst.”

So hättest du wohl reden können,

Wenn der Jammer dich bewegt hätte

Aus Liebe zu deinem Vater.

690

Nun gedenke des Sinnes,

Wie er dir antworten würde,

Wenn es naturgemäss wäre,

Oder wenn Gott es erlaubte.

Ich will die Rede nicht lang machen;

695

Ich spreche für ihn und mit ihm,

Vernimm du es mit Aufmerksamkeit:

“Ich will dir das, lieber Sohn,

Wonach du fragtest, kund tun.

Meine Sachen stehen in Unordnung;

700

Von der Strafe Grimmigkeit,

Die ich täglich erleiden muss,

Kann ich mich nicht loswinden.

Ich habe Feuer und Finsternis

Zur Rechten und zur Linken,

705

Oben und auch unten.

Fände jemand meine Not beschrieben,

Er hätte immer davon zu reden.

Das, lieber Sohn, habe ich zu beklagen,

Doch was bedarfst du langer Rede?

710

Die Ketten der Rache Gottes

Halten mich fest gebunden;

Ich habe herben Lohn gefunden

Für alles, was ich beging

Und leider ungebüsst liess.

715

Alles Mass hatte ich vergessen

Im Trinken und im Essen,

Jetzt werde ich bezwungen

Von Durst und von Hunger.

Ehemals brannte mein Fleisch

720

Im Schweisse der Liederlichkeit;

Nun brennt mich der Fluch Gottes

In dem Feuer, das keiner löschen kann.

Ich leide Schmerz und Ungemach;

Weh, dass ich diese Welt je gesehen!

725

Begehrlichkeit und Hoffahrt,

Die beiden haben mir verschlossen

Die Tore der inneren Hölle;

Da sind die schwarzen Pechwellen

Mit den heissen Feuerflammen.

38 730

Ich höre da Zähneknirschen,

Weinen und Jammern,

Sehr klägliches Rufen

Derer, die keine Hoffnung haben,

Dass sie jemals erlöst werden

735

Aus dem Abgrunde.

Ach, dass ich je so handelte,

Dass ich ihr Genoss werden musste!

Gern möchte ich es ewig büssen,

Würde die Wohltat mir zu Teil,

740

Dass ich den Teufel nicht ansähe

Und sein Antlitz vermiede;

Wie sollte mich das erfreuen!

Jetzt mach’ ich meine Klage zu spät;

Doch rat’ ich dir, mein lieber Sohn,

745

Dass du an mir ein Beispiel nehmest

Und der Welt nicht so nachhangest,

Dass du meine Not vergessest;

Sonst muss es dir wie mir ergehen.”

XIII. THE ARNSTEIN HYMN TO THE VIRGIN

A Marienleich dating from the end of the 12th century, during which the type was much cultivated. The manuscript, from the convent of St. Mary at Arnstein on the Lahn, contains 325 short lines in couplets (beginning and end missing), of which lines 78-261 are given below.

Hätt’ ich tausend Munde,

Ich könnte nie berichten

80

In vollem Mass das Wunder,

Das von dir geschrieben ist.

Alle Zungen vermögen nicht

Zu sagen noch zu singen,

Fraue, deiner Ehren

85

Noch deines Lobes volles Mass.

Der ganze Himmelshof

Singet dein Lob:

Es preisen dich die Cherubim,

Es ehren dich die Seraphim.

90

All das grosse Heer

Der heiligen Engel,

Die vor Gottes Antlitz

Stehen seit dem Anfang,

Propheten und Apostel

95

Und alle Gottes Heilige

Freun sich immer dein,

Königliche Jungfrau.

Wohl müssen sie dich ehren:

Du bist die Mutter ihres Herrn,

100

Der da Himmel und Erde

Im Anfang werden hiess;

Der mit einem Worte

Die ganze Welt erschuf,

Dem alles ist untertan,

105

Dem nichts kann widerstehn,

Dem alle Kraft weichet,

Dem nichts gleichet,

Den ehret und fürchtet

All diese Welt.

39 110

Es wäre mir lang zu sagen,

Wie hehr du bist im Himmel:

Niemand hat davon Kunde

Als die Seligen, die da sind.

Des einen bin ich von dir gewiss:

115

Dass, Fraue, du so geehret bist

Wegen deiner grossen Güte,

Wegen deiner Demut

Wegen deiner Reinheit,

Wegen deiner grossen Milde.

120

Deshalb ruf’ ich dich an;

Fraue, nun erhöre mich;

Allerheiligstes Weib,

Vernimm mich sündiges Weib!

All mein Herze

125

Fleht zu dir ernstlich,

Mir gnädig zu sein,

Bei deinem Sohne zu helfen,

Dass er in seiner Güte

Meine Missetaten

130

Vergesse gänzlich

Und mir gnädig sei.

Leider, meine Schwachheit

Hat mich oft verleitet,

Dass ich durch meine Schuld

135

Verwirkte seine Huld.

Fraue, das macht mir bange;

Deswegen fürchte ich,

Dass er seine Gnade

Von mir kehren werde.

140

Deshalb fleh’ ich zu dir.

Nun muss es an dir liegen,

Mir, Jungfrau milde,

Zu seiner Huld zu helfen.

Hilf mir zu wahrer Reue,

145

Dass ich meine Sünden

Möge beweinen

Mit innigen Tränen.

Hilf mir kräftiglich,

Dass ich die Höllenstrafe

150

Nimmer erleide;

Dass ich auch vermeide

Hinfort alle Dinge,

Die wider Gottes Huld sind.

Und geruhe mich zu stärken

155

In allen guten Werken,

Dass ich verbringe mein Leben

Wie die heiligen Weiber,

Die uns aller Tugenden

Ein Vorbild gegeben:

160

Sara, die demütige,

Anna, die geduldige,

Esther, die milde,

Judith, die verständige,

Und die andern Frauen,

165

Die in der Furcht Gottes

Sich hier so betrugen,

Dass sie Gott wohl behagten.

Auch ich nach deiner Güte,

Nach deiner Demut,

170

Möchte mein Leben gestalten:

Dazu hilf mir, heiliges Weib!

In deine Hand begebe ich

Mich und all mein Leben.

Dir überlass’ ich all meine Not,

175

Dass du hilfsbereit seiest,

In was für Drangsalen

Ich dich immer anrufe.

Fraue, deinen Händen

Sei mein Ende befohlen!

180

Und geruhe mich zu weisen

Und mich zu erlösen

Aus der grossen Not,

Wenn der leide Tod

An mir soll scheiden

185

Den Leib von der Seele.

40

In jener grossen Angst

Komm du mir zum Troste!

Und hilf, dass meine Seele

Werde zu Teile

190

Des lieben Gottes Engeln,

Nicht den leiden Teufeln;

Dass sie mich dahin bringen,

Wo ich soll finden

Die ewige Freude,

195

Die im Himmel haben

Die hochseligen Gotteskinder,

Die dazu erwählt sind;

Dass ich dort schaue

Unsern lieben Herrn,

200

Unsern Schöpfer,

Unsern Heiland,

Der uns aus nichts erschuf,

Der uns auch kaufte

Mit seines Sohnes Blut

205

Von dem ewigen Tode.

Wer soll mir dazu helfen,

Wer soll mich so läutern,

Dass ich es würdig wäre?

Das sollst du, Jesus, mein Herr.

210

Gib mir, Herr, deinen Geist,

Da du selbst wohl weisst

All meine Krankheit

Und all meine Unwissenheit;

Auf dass ich schauen dürfe

215

Mit meinen Augen

Dein unverlöschlich Licht:

Das versage du mir nicht!

Es ist das ewige Leben,

Das ich, armes Weib,

220

Mit deiner Hilfe suche:

Das lass mich, Herre, finden!

Darum sei mein Bote zu dir

Deine eigne Mutter:

O, wie selig bin ich dann,

225

Nimmt sie sich meiner an!

Maria, Gottes Traute,

Maria, Trost der Armen,

Maria, stella maris,

Zuflucht des Sünders,

230

Burg des Himmels,

Born des Paradieses!

Der uns die Gnad’ entfloss,

Die uns Elenden erschloss

Das rechte Vaterland;

235

Nun gib uns, Fraue, deine Hand,

Weise uns den Ausweg

Aus jener grossen Tiefe:

Das ist des Teufels Gewalt.

Darein uns hat gebracht

240

Eva, unsere Mutter;

Jetzt fliehen wir alle zu dir.

Wir weinen und seufzen

Zu deinen lieben Füssen.

Lass dich nun erbarmen

245

Der Not, die wir Armen

In diesem engen Tale

Mannigfach erdulden!

Stella maris, bist du genannt

Nach dem Stern, der an das Land

250

Das müde Schiff geleitet,

Wo es die Ruh’ erwartet.

Geleite uns an Jesum,

Deinen guten Sohn,

Der uns begnaden soll.

255

In ihm sollen wir ruhen,

Er soll uns erlösen

Von allen unsern Nöten,

Von allen schweren Sünden:

Das sind des Meeres Wellen,

260

Die uns nun, ach, umschwellen.

Nun hilf uns, heilige Jungfrau!

41

XIV. LAMPRECHT’S LAY OF ALEXANDER

A free translation, made about 1130 by a priest living in the Middle Rhine country, of a French poem by Alberic de Besançon. It consists of 7302 verses in short couplets. Except 105 verses at the beginning the French original is lost. It was itself a versification of a highly fabulous old saga current in Latin prose. As the 105 French verses correspond to 192 verses in the German, it is evident that Lamprecht did not follow Alberic slavishly and that he drew in part upon some other source, perhaps the Latin original. The selections below are from a letter which Alexander writes, toward the end of his career, to his mother Olympias and his teacher Aristotle. In this letter he recounts at length (1670 verses) the wonderful things that he has seen.

Lines 4928-5037: Alexander’s army beset by terrible beasts.

Nachdem ich Darius besiegt

Und das ganze Land Persien

4930

Und auch das berühmte Indien

Mir untertan gemacht,

Hob ich mich bald von dannen

Mit meinen lieben Mannen

Nach Caspen Porten.1

4935

Leid und Furcht wähnte ich

Nicht mehr zu erdulden.

Wir kamen zu einem Wasser,

Da liess ich mein Heer ausruhen;

Wir dachten den Durst zu stillen.

4940

Als wir zu dem Wasser kamen

Und es in den Mund nahmen,

War es bitter wie Galle;

Unerquickt blieben wir alle.

Nun brachen wir vom Lager auf

4945

Und sahen über ein Feld hin,

Wo eine schöne Stadt war,

Die war geheissen Barbaras,

Eine Meile über das Wasser.

Meine Ritter all die Weile

4950

Wollten schwimmen in dem Flusse.

Da näherte sich der Schaden:

Krokodile kamen,

Die meiner Gesellen nahmen

Siebenundzwanzig,

4955

Die verloren das Leben;

Ich kann es wahrhaftig sagen,

Da ich es selbst ansah,

Wie sie sie hinunter frassen;

Ich musste sie fahren lassen.

4960

Da brach mein Heer auf

Nach reiflicher Überlegung

Und kam wieder zu dem Wasser,

Das früher bitter war;

Jetzt war es süss und gut,

4965

Des freute sich unser Mut.

Da schlugen wir unsre Zelte

Auf dem Felde beim Flusse

Und machten ein grosses Feuer.

Die Ruhe ward uns sauer,

4970

Denn aus dem Walde kamen

Manch fürchterliches Tier

42

Und schreckliches Gewürme.

Mit denen mussten wir kämpfen

Beinah die ganze Nacht;

4975

Durst hatte sie dahin gebracht,

Sie wollten sich im Wasser laben.

Skorpionen taten uns viel Schaden,

Die waren breit und lang

Und hatten fürchterlichen Gang,

4980

Teils rote, teils auch weisse;

Sie machten uns grosse Not,

Sie erbissen uns manchen Mann.

Da kamen auch Löwen,

Die waren gross und stark.

4985

Grössere Furcht war nie

Unter einem Heere;

Den Löwen mussten wir uns wehren.

Danach kam zu uns gelaufen

Manch furchtbarer Eber,

4990

Grösser noch als die Löwen.

Mit den Zähnen hieben sie

Alles, was vor ihnen stand;

Dass einer von uns am Leben blieb,

Dafür Gott habe Dank!

4995

Ihre Zähne waren lang,

Eine Klafter oder mehr;

Die taten uns viel weh.

Da kamen auch manche

Elefanten gegangen,

5000

Um vom Fluss zu trinken;

Wir litten Ungemach.

Auch wurden wir heimgesucht

Von masslos langen Schlangen

Mit aufgerichteter Brust;

5005

Wir litten grosse Unlust.

Es kamen auch Menschen,

Die gleich Teufeln waren:

Sie waren wie Affen

Unter den Augen geschaffen,

5010

Sie hatten sechs Hände,

Lang waren ihre Zähne;

Hart plagten sie mein Heer.

Den Leuten mussten wir uns wehren

Mit Speeren und Geschossen;

5015

Sie starben ungesättigt.

Unsre Not war mannigfach;

Da brannten wir den Wald.

Das ward deshalb getan,

Dass wir Frieden haben könnten

5020

Vor den schrecklichen Tieren.

Nicht lange danach

Sah ich das grausamste Tier,

Das früher oder später

Jemand geschaut hat.

5025

Das sah ich mit meinen Augen;

Schrecklicheres Tier gibt es nicht.

Es hatte Geweih wie der Hirsch,

Mit drei starken Stangen,

Die gross und lang waren.

5030

Wär’ ich nicht dabei gewesen,

Es hätte das Leben verloren

Ein grosser Teil meines Heers.

Es waren sechsunddreissig derer,

Die es mit den Hörnern erschlug;

5035

Es war fürchterlich genug.

Auch sag’ ich euch wahrhaftig,

Dass derer fünfzig waren,

Die es zertrat mit den Füssen.

43
Lines 5193-5358: The wonderful girl-flowers

Der edle herrliche Wald

War wunderbar schön;

5195

Das nahmen wir alles wahr.

Hoch waren die Bäume,

Die Zweige dicht und breit;

In Wahrheit sei es gesagt,

Das war eine grosse Wonne.

5200

Da konnte nie die Sonne

Bis auf die Erde scheinen.

Ich und die Meinen

Liessen unsre Rosse stehen

Und gingen stracks in den Wald,

5205

Nach dem wonniglichen Gesang;

Die Zeit deuchte uns sehr lang,

Bis wir dahin kamen,

Wo wir vernahmen,

Was das Wunder sein mochte.

5210

Manch schönes Mägdelein

Haben wir da gefunden,

Die da in diesen Stunden

Spielten auf dem grünen Klee.

Hunderttausend und mehr,

5215

Spielten sie und sprangen;

Ei, wie schön sie sangen!

So dass wir, klein und gross,

Wegen des süssen Getöses,

Das wir im Walde hörten,

5220

Ich und meine Helden kühn,

Vergassen unser Herzeleid

Und all die grosse Arbeit

Und all das Ungemach,

Und was uns Schweres geschehen war.

5225

Uns allen deuchte es,

Wie es wohl mochte,

Dass wir genug hätten

Für unser ganzes Leben

An Freude und Reichtum.

5230

Da vergass ich Angst und Leid,

Ich und mein Gesinde,

Und was uns von der Kindheit

Je Leides zu teil geworden

Bis auf diesen Tag.

5235

Mir deuchte sofort,

Ich könnte nie krank werden,

Und könnte ich immer da sein,

Würde ich ganz genesen

Von all der Angst und Not

5240

Und nicht mehr fürchten den Tod.

Wollt ihr nun recht verstehen,

Wie es war um die Frauen,

Woher sie kamen,

Und welch Ende sie nahmen,

5245

Das mag euch besonders

Zum grossen Wunder gereichen.

Als der Winter zu Ende war,

Und der Sommer anfing,

Und es begann zu grünen,

5250

Und die edlen Blumen

Im Walde begannen aufzugehn,

Da waren sie sehr lieblich.

Hell war ihr Blumenglanz,

In Rot und auch in Weiss

5255

Erglänzten sie weithin.

Blumen hat es nie gegeben,

Die schöner sein könnten.

Sie waren, wie uns deuchte,

Ganz rund wie ein Ball

5260

Und fest geschlossen überall.

Sie waren wunderbar gross;

Als die Blume sich oben erschloss,

Das merket in eurem Sinne,

So waren darinne

5265

Mägdelein ganz vollkommen;

44

Ich sag’ es, wie ich’s vernommen.

Sie gingen und lebten

Und hatten menschlichen Sinn

Und redeten und baten,

5270

Genau als hätten sie

Ein Alter von zwölf Jahren.

Sie waren, das ist wahr,

Schön geschaffen am Leibe;

Nie sah ich an einem Weibe

5275

Ein schöneres Antlitz

Noch Augen so liebsam.

Ihre Hände und ihre Arme

Waren glänzend wie Hermelin,

Auch ihre Füsse und Beine.

5280

Unter ihnen war keine,

Die nicht schöner Hübschheit pflag.

Sie waren züchtig heiter

Und lachten und waren froh

Und sangen auf solche Weise,

5285

Dass niemand früher oder später

Eine so süsse Stimme vernahm.

Wollt ihr es glauben,

So mussten diese Frauen

Immer im Schatten sein,

5290

Sonst könnten sie nicht gedeihn;

Welche die Sonne beschien,

Blieb nicht mehr am Leben.

Das Wunder war mannigfach:

Als der Wald tönend wurde,

5295

Von den süssen Stimmen,

Die darinne sangen,

Die Vögel und die Mägdelein,

Wie konnt’ es wonniglicher sein,

Früh oder spät?

5300

All ihre Leibeskleidung

War fest angewachsen

An der Haut und am Körper.

Ihre Farbe war dieselbe,

Die die Blumen hatte,

5305

Rot und auch weiss wie Schnee.

Als wir sie zu uns kommen sahen,

Zog uns der Leib zu ihnen.

Solch begehrenswerte Weiber

Sind der Welt unbekannt.

5310

Nach meinem Heere schickte ich sofort.

Als sie zu mir kamen

Und auch vernahmen

Die herrlichen Stimmen,

Da gingen sie verständnisvoll

5315

Und schlugen ihre Zelte

Im Walde, nicht auf dem Felde.

Da lagen wir nun im Schalle

Und freuten uns alle

Der seltsamen Bräute.

5320

Ich und meine Leute,

Wir wollten da bleiben.

Wir nahmen sie zu Frauen

Und hatten mehr Wonne

Als wir je gewonnen

5325

Seit unserer Geburt.

Weh, dass wir sobald verloren

Das grosse Vergnügen!

Dies Wunder sah ich alles

Selbst mit meinen Augen;

5330

Das möget ihr glauben.

Dies währte, wie ich euch sage,

Drei Monate und zwölf Tage,

Dass ich und meine Helden kühn

In dem grünen Walde waren

5335

Und auf den schönen Auen

Bei den lieben Frauen

Und Wonne mit ihnen hatten

Und mit Freude lebten.

Dann geschah uns grosses Leid,

45 5340

Das ich nicht genug beklagen kann.

Als die Zeit zu Ende ging,

Da war unsere Freude vorüber,

Die Blumen verwelkten

Und die schönen Frauen starben;

5345

Die Bäume verloren ihr Laub,

Die Brunnen flossen nicht mehr,

Die Vögel hörten auf zu singen.

Dann begann Unfreude

Mein Herz zu bedrücken

5350

Mit mannigfachem Schmerze.

Furchtbar war das Ungemach,

Das ich alle Tage sah

An den schönen Frauen.

O weh, wie bereute ich sie,

5355

Als ich sie sterben sah

Und die Blumen verblühen!

Da schied ich traurig von dannen

Mit allen meinen Mannen.

1. In Latin ad Portas Caspias, the Caspian Gates.

XV. KONRAD’S LAY OF ROLAND

A translation, made about 1130 in the dialect of the Rhenish Franks, of the famous Chanson de Roland. It consists of 9094 verses. The author, who calls himself ‘der Pfaffe Kuonrat,’ says that he translated first into Latin, then into German, adding nothing and omitting nothing; but a comparison with the French text as known to us shows many additions, many omissions and a somewhat different spirit. Kaiser Karl and his men fight for the cross, for the glory of Christian martyrdom, not for ‘sweet France.’ —The situation at the beginning of the poem is this: The Christians have conquered all Spain except Saragossa, whose king, Marsilie, sends envoys to make a treacherous proposal of surrender; the object being to induce the emperor to withdraw the greater part of his army.

Lines 675-708: Kaiser Karl.
675

Die Boten traten vor,

Sehr oft fielen sie nieder,

In seidenem Gewande,

Mit Palmen in der Hand.

Immer wieder aufs neue

680

Fielen sie zur Erde nieder.

Sie fanden den Kaiser fürwahr

Über dem Schachbrette.

Sein Antlitz war wonniglich.

Es gefiel den Boten sehr,

685

Dass sie ihn sehen durften.

Es glänzten ja seine Augen

Wie der Morgenstern.

Man erkannte ihn von weitem,

Niemand brauchte zu fragen,

690

Welcher der Kaiser wäre;

Keiner war ihm ähnlich.

Sein Antlitz war herrlich.

Mit ganz geöffneten Augen

Konnten sie ihn nicht ansehn:

695

Der Glanz blendete sie

Wie die Sonne zu Mittag.

Den Feinden war er schrecklich,

Den Armen war er vertraut,

46

Im Unglück war er gnädig,

700

Gott gegenüber war er treu.

Er war ein gerechter Richter,

Er lehrte uns die Gesetze,

Ein Engel schrieb sie ihm vor;

Er verstand alle Rechte,

705

Im Kampf ein guter Knecht,

In aller Tugend ausgezeichnet.

Freigebigerer Herr ward nie geboren.

Lines 2018-2110: The traitor Genelun delivers Karl’s message to Marsilie, the Saracen king.

Der Bote sprach zu Marsilie:

“Der König aller Himmel,

2020

Der uns von der Hölle erlöste

Und die Seinen tröstete,

Der gebe dir Gnade,

Dass du seinen Frieden habest,

Und rette dich vom ewigen Tode.

2025

Der König von Rom entbietet dir,

Dass du Gott ehrest,

Dich zum Christentum bekehrest,

Dich taufen lassest,

An Einen Gott glaubest;

2030

Davon will er Gewissheit haben.

Er lässt dir wahrlich sagen:

Empfängst du das Christengesetz,

Soll dein Land in Frieden bleiben.

Er belehnt dich mit halb Spanien,

2035

Den andern Teil soll Roland haben;

Und wirst du sein Mann,

So behältst du grosse Ehre.

Der Kaiser entbietet dir ferner:

Greifst du etwa zur Gegenwehr,

2040

Sucht er dich mit einem Heere auf;

Er zerstört alle deine Häuser

Und vertreibt dich daraus.

Weder auf Erden noch auf dem Meere

Magst du dich seiner erwehren.

2045

Er lässt dich fangen,

Auf einem Esel führen

Vor seinen Thron zu Achen;

Da nimmt er Rache an dir:

Er lässt dir das Haupt abschlagen.

2050

Das soll ich dir vom Kaiser sagen.”

Marsilie blickte umher,

Er wurde sehr bleich,

Er hatte ängstliche Gedanken,

Er konnte kaum sitzen auf der Bank,

2055

Es ward ihm kalt und heiss,

Hart plagte ihn der Schweiss,

Er schüttelte den Kopf,

Er sprang hin und her.

Seinen Stab ergriff er,

2060

Mit Zorn hob er ihn empor,

Nach Genelun schlug er.

Genelun mit List

Wich dem Schlage aus.

Er trat vor dem König zurück,

2065

Das Schwert ergriff er,

Er blickte auf ihn zurück,

Er sagte zu dem Könige:

47

“Du übst also Gewalt.”

Halb zog er das Schwert,

2070

Er sprach: “Karl, meinem Herrn,

Diente ich immer mit Ehren.

In harten Volkskämpfen

Erwirkte ich mit dem Schwert,

Dass ich nie beschimpft ward.

2075

Ich brachte dich mit Ehren hierher,

Ich habe dich lange geführt.

Noch niemals bin ich gefangen.

Und vollbringst du den Schlag,

So ist es dein letzter Tag;

2080

Oder aber ich sende zum Tode

Irgend welchen Heiden,

Dessen Verlust du nie verschmerzest.

Ich wähne, du tobst oder rasest.

Jetzt muss ich bereuen,

2085

Dass ich deinen Ungetreuen

Jemals folgte diesen Weg.

Man hat mich im Stich gelassen,

Ich stehe nun ganz allein.

Was ist aus den Eiden geworden,

2090

Die sie mir schworen,

Als wir fortkamen?”

Die Fürsten sprangen auf,

Sie drangen dazwischen,

Sie verwiesen es dem König.

2095

Sie sagten: “Herr, du tust übel,

Den Kaiser so zu beschimpfen.

Wenn du zu ihm sendest,

Wird deine Botschaft

Ruhmvoll zu Ende geführt.

2100

Sie sprechen uns Treue ab;

Nun müssen wir bereuen,

Dass Friede je gemacht ward.

Du liessest ja seine Mannen köpfen.

Nun gebiete deinem Zorn!

2105

Wir wollen gern vermitteln,

Und das noch mehr,

O Herr, wegen deiner Ehre

Als um seinetwillen.

Stille nun deinen Unmut!”

Lines 3394-3488: The preparations for the battle. (Deceived by Genelun, Kaiser Karl has returned to Germany, leaving Roland with a small force in Spain.)

Als die Helden vernahmen,

3395

Dass die Heiden sich sammelten,

Baten sie ihre Priester

Sich fertig zu machen;

Diese griffen ihr Amt an.

Den Leib Gottes empfingen sie,

3400

Sie fielen zum Gebet nieder,

Sie riefen zum Himmel

Viele Stunden hindurch.

Sie beschworen Gott bei den Wunden,

Wodurch er die Seinen erlöste,

3405

Dass er sie tröste,

Dass er ihnen ihre Sünden vergebe

Und selbst ihr Zeuge sei.

Mit Beichte machten sie sich fertig,

Zum Tode rüsteten sie sich,

3410

Und waren jedoch gute Knechte,

Zum Märtyrtum bereit

Um ihrer Seelen willen.

Sie waren Gottes Degen,

Nicht wollten sie entfliehen,

3415

Sie wollten wieder gewinnen

48

Unsere alte Erbschaft.

Danach strebten die Helden,

Ja führten die edlen Herren

Ein christliches Leben.

3420

Alle hatten Eine Gesinnung,

Ihre Herzen waren mit Gott.

Sie hatten Zucht und Scham,

Reinheit und Gehorsam,

Geduld und Minne;

3425

Sie brannten wahrlich im Innern

Nach der Süsse Gottes.

Sie sollen uns helfen,

Dieses arme Leben zu vergessen;

Denn jetzt besitzen sie Gottes Reich.

3430

Als die Degen Gottes

Mit Psalmen und Segen,

Mit Beichte und Glaube,

Mit tränenden Augen,

Mit grosser Demut,

3435

Mit mancherlei Gutem,

Sich zu Gott gewendet,

Ihre Seelen gelabt

Mit Himmelsbrote,

Mit dem Blute des Herrn,

3440

Zum ewigen Leben,

Da waffneten sie sich;

Gott lobten sie jetzt,

Sie waren allesamt froh,

Wie zu einem Brautlauf.

3445

Sie heissen alle Gottes Kinder,

Die Welt verschmähten sie,

Sie brachten das reine Opfer.

Mit dem Kreuze geschmückt

Eilten sie gern zum Tode;

3450

Sie kauften das Reich Gottes.

Sie waren einander treu;

Was dem einen deuchte gut,

Das war die Meinung aller.

David der Psalmist

3455

Hat von ihnen geschrieben,

Wie Gott, mein Herr, die belohnt,

Die brüderlich zusammenhalten.

Er gibt ihnen selbst seinen Segen;

Sie sollen immer fröhlich leben.

3460

Eine Zuversicht und Eine Minne,

Ein Glaube und Eine Hoffnung,

Eine Treue war in ihnen allen.

Keiner liess den andern im Stiche,

Für alle war Eine Wahrheit;

3465

Des freut sich die Christenheit.

Die verbrecherischen Heiden,

Die Gott nicht fürchteten,

Hoben ihre Abgötter empor,

Mit grosser Hochfahrt kamen sie,

3470

Sie fielen vor Mahmet nieder;

Es war ihr ganzes Gebet,

Dass er ihnen erlaube,

Roland zu enthaupten,

Und, wenn sie ihn erschlagen,

3475

Sein Haupt vor sich zu tragen.

Sie versprachen ihn zu ehren,

Sein Lob immer zu mehren

Mit Tanz und Saitenspiel;

Des Übermuts war da viel.

3480

Sie vertrauten ihrer Kraft,

Sie wussten nicht recht,

Dass wer gegen Gott strebt,

Der ohne Gott lebt.

Sie verschmähten ihren Schöpfer,

3485

Unsern wahren Heiland,

Den obersten Priester,

Der keinen ohne Trost lässt,

Wenn er mit Demut

Suchet das Gute.

49
Lines 6053-6113: Having fought a great fight and slain many heathen, Roland and his men are about to be overwhelmed by numbers; in desperate straits he blows his horn, and it is heard by the far-away emperor.

Roland fasste mit beiden Händen

Den guten Olivant

6055

Und setzte ihn an den Mund.

Er begann zu blasen;

Der Schall ward so gross,

Es lärmte so unter den Heiden,

Dass keiner den andern hören konnte.

6060

Sie verstopften selbst die Ohren.

Die Hirnschale barst ihm,

Dem guten Weigande;

Alles änderte sich an ihm,

Er konnte kaum noch sitzen,

6065

Sein Herz zerbrach innen.

Seine bekannte Stimme

Vernahmen sie allesamt,

Der Schall flog ins Land.

Bald kam zu Hof das Märe,

6070

Dass des Kaisers Bläser

Bliesen alle zugleich.

Dann wusste man wahrlich,

Dass die Helden in Not waren.

Da gab es ein grosses Jammern.

6075

Der Kaiser schwitzte vor Angst,

Er verlor zum Teil die Fassung,

Er ward sehr ungeduldig.

Das Haar riss er von der Haut;

Da machte starke Vorstellungen

6080

Genelun der Verräter;

Er sprach: “Dieses Ungestüm

Geziemt nicht einem König.

Du beträgst dich ungebührlich.

Was hast du dir vorzuwerfen?

6085

Den Roland, wie er im Grase schlief.

Hat wohl eine Bremse gebissen,

Oder er jagt wohl einen Hasen;

Dass das Blasen eines Hornes

Dich so ausser Fassung bringt!”

6090

Der Kaiser sprach zu ihm:

“Weh dass ich dich je gesehen,

Oder Kenntnis von dir gewonnen!

Das beklage ich immer vor Gott.

Von dir allein

6095

Muss Frankreich immer weinen.

Wegen des grossen Schatzes,

Den Marsilie dir gab,

Hast du den Mord vollbracht.

Ich räche ihn, wenn ich’s vermag.

6100

Was trieb dich dazu?”

Auf sprang der Herzog Naimes,

Er sprach: “Du Teufels Mann,

Du hast schlimmer als Judas getan,

Der unsern Herrn verriet.

6105

Nie verwindest du diesen Tag.

Dies hast du gebraut,

Du sollst es wahrlich trinken.”

Er hätte ihn gern erschlagen,

Der Kaiser hiess ihn abstehen;

6110

Er sprach: “Eine andre sei seine Strafe.

Ich will hernach über ihn richten;

Und wenn das Urteil ergeht,

Er stirbt wohl einen schlimmeren Tod.”

50

XVI. KING ROTHER

A poem of 5302 verses, written about 1150 in a mixture of Middle Frankish and Bavarian. It belongs to the order of Spielmannspoesie, or secular minstrelsy; but the author makes frequent reference to what ‘the books’ say, and evidently meant his work to be read. (The earlier gleemen, so far as known, could not read or write, got their material from oral tradition and composed their poems to be sung or recited to musical accompaniment.) Rother is a king of Italy who sends twelve envoys to Constantinople to win for him the hand of the emperor’s daughter. She favors her unknown suitor, but the irate Constantine throws the envoys into a dungeon. Rother takes the name of Dietrich and sails with many retainers to liberate them. By a waiting-maid he presents the princess with a gold and a silver shoe, both made for the same foot, and retains the mates. The princess, already interested in the distinguished stranger, sends for him to put on the impossible shoes.

Lines 2177-2315: Rother, called Dietrich, woos the willing princess.

Am Fenster stand die Prinzessin,

Bald kam der junge Held

Über den Hof gegangen.

2180

Da ward er wohl empfangen

Von zweien Rittern ehrlich.

Dann ging der Recke Dietrich,

Wo die Kemenate offen stand;

Darein ging der wohlgestalte Held.

2185

Den hiess die junge Prinzessin

Selber wilkommen sein

Und sagte, was er da bitte,

Das würde sie gerne tun

Nach ihrer beider Ehre.

2190

“Ich habe dich gern, o Herr,

Wegen deiner Tüchtigkeit gesehn;

Aus anderm Grund ist’s nicht geschehn.

Diese niedlichen Schuhe,

Die sollst du mir anziehen.”

2195

“Sehr gerne,” sprach Dietrich,

“Da du es von mir verlangst.”

Der Herr setzte sich ihr zu Füssen,

Sehr schön war sein Gebaren.

Auf sein Bein setzte sie den Fuss,

2200

Nie wurde Frau besser geschuht.

Da sprach der listige Mann:

“Nun sage mir, schöne Herrin,

Bescheid auf deine Treue,

Wie du eine Christin bist,—

2205

Es warb um dich mancher Mann,—

Hing’ es von deinem Willen ab,

Welcher unter ihnen allen

Hat dir am besten gefallen?”

“Das sag’ ich dir,” sprach die Dame,

2210

“In allem Ernst und in Treue,

O Herr, auf meiner Seele,

Wie ich getaufte Christin bin:

Kämen aus allen Landen

Die teuren Weigande

2215

Mit einander zusammen,

Da wäre kein Mann darunter,

51

Der dein Genoss sein könnte.

Das nehm’ ich auf meine Treue,

Dass nie eine Mutter gebar

2220

Ein Kind so liebenswürdig,

Dass es mit Fug, Dietrich,

Neben dir stehen könnte.

Du bist ein ausgezeichneter Mann.

Sollte ich aber die Wahl haben,

2225

Nähme ich den Helden gut und kühn,

Dessen Boten her ins Land kamen

Und jetzt wahrlich liegen

In meines Vaters Kerker.

Er heisst mit Namen Rother

2230

Und sitzt im Westen übers Meer.

Ich will immer Magd bleiben,

Bekomm’ ich nicht den Helden schön.”

Als Dietrich das vernahm,

Da sprach der listige Mann:

2235

“Willst du Rother minnen,

Den will ich dir bald bringen.

Es lebt keiner auf Erden,

Der mir mehr Gutes getan hätte;

Des soll er noch geniessen.

2240

Ehe ihn der Hochmut meisterte,

Half er mir oft in der Not;

Wir genossen fröhlich das Land

Und lebten glücklich zusammen.

Der gute Held war mir stets gnädig,

2245

Wie wohl er mich jetzt vertrieben.”

“In Treue,” sprach die Prinzessin,

“Ich verstehe deine Rede;

Ist der Rother dir so lieb,

Hat er dich nicht vertrieben.

2250

Von wannen du fährst, kühner Held,

Bist du als Bote her gesandt.

Dir sind des Königs Mannen lieb.

Nun verhehle es mit Worten nicht;

Was mir heute gesagt wird,

2255

Das wird immer wohl verschwiegen

Bis an den jüngsten Tag.”

Der Herr sprach zu der Dame:

“Jetzt überlass’ ich meine Sache

Der Gnade Gottes und der deinen;

2260

Es stehen ja deine Füsse

In König Rothers Schosse.”

Die Dame erschrak sehr;

Sie zog den Fuss weg

Und sprach zu Dietrich

2265

Sehr bescheidentlich:

“Nie ward ich so ungezogen;

Mein Übermut hat mich betrogen,

Dass ich meinen Fuss

Setzte auf deinen Schoss.

2270

Und bist du der grosse Rother,

Kannst du, König, nimmermehr

Einen besseren Ruhm gewinnen.

Der ausserordentlichen Dinge

Bist du ein listiger Meister.

2275

Welches Geschlechts du auch seist,

Mein Herz war unglücklich;

Und hätte dich Gott hergesandt,

Das wäre mir inniglich lieb.

Ich mag doch nicht glauben,

2280

Dass du mir Unwahres sprichst.

52

Und wär’s dann aller Welt leid,

Ich räumte sicherlich

Zusammen mit dir das Reich.

So bleibt es aber ungetan.

2285

Doch lebt kein Mann so schön,

Den ich vorziehen würde,

Wärest du der König Rother.”

Darauf sprach Dietrich

(Sein Sinn war sehr listig):

2290

“Nun hab’ ich keine Freunde

Als die armen Herren,

Die in dem Kerker sind.

Könnten mich diese sehen,

Hättest du an ihnen den Beweis,

2295

Dass ich dir Wahres gesprochen.”

“In Treue,” sprach die Prinzessin,

“Dir werd’ ich beim Vater mein

Irgendwie erwirken,

Dass ich sie herauskriege.

2300

Aber er wird sie keinem geben,

Er hafte denn mit seinem Leben,

Dass niemand entkomme,

Bis alle zurückgebracht

In den Kerker würden,

2305

Wo sie in der Not waren.”

Drauf antwortete Dietrich:

“Ich will es auf mich nehmen

Vor Constantin, dem reichen,

Und morgen sicherlich

2310

Werde ich zu Hofe gehn.”

Die Jungfrau so schön

Küsste den Herrn.

Da schied er mit Ehren

Aus der Kemenate.

Lines 2819-2942: Having become friendly with Constantine and won for him a great battle against the heathen invader Ymelot, Rother perpetrates a hoax.

Dietrich der Weigand

2820

Nahm Ymelot bei der Hand,

Führte ihn zu Constantin,

Und übergab ihn diesem.

Dann sprach der listige Mann:

“Wir sollten einen Boten haben,

2825

Der den Frauen sagte,

Was wir hier vollbracht.”

“In Treue,” sprach Constantin,

“Der Bote sollst du selbst sein

Um meiner Tochter willen;

2830

Und sage du der Königin

Und den Frauen allesamt,

Dass wir nach Hause reiten

Mit sehr fröhlichen Herzen.

Einen Teil deines Volkes

2835

Lass du mit mir bleiben.”

Da sprach der listige Mann,

Dass er gerne täte,

Was der König verlange.

Dietrich ging von dannen

2840

Mit seinen Heimatsmannen,

Die andern schickte er zum König;

Der bat sie grossen Dank haben.

Zu sich nahm er seine Leute,

Die übers Meer mitgefahren,

2845

Und erklärte den Kühnen,

Was er beabsichtige;

Die teuren Weigande

Wollten gern nach Hause.

Dietrich fuhr von dannen.

2850

Ein Märchen, das war herrlich,

Brachte er zu Constantinopel,

Der berühmten Burg:

Er sagte, er sei entflohen

53

Mit allen seinen Mannen.

2855

Da weinte die Frau Königin:

“Ach weh, wo ist Constantin

Und die Weigande

Aus manchem Lande?

Dietrich, lieber Herr,

2860

Sollen wir sie wiedersehen?”

“Nimmermehr, das weiss Gott!

Erschlagen hat sie Ymelot

Und reitet her mit Heereskraft;

Er will die Stadt zerstören,

2865

Ich kann mich ihm nicht wehren

Und muss fliehen übers Meer.

Die Weiber und die Kinder,

So viel ihrer in der Burg sind,

Denen wird zuteil der Tod:

2870

Es erschlägt sie Ymelot.”

Da nahm Constantins Weib

Ihre Tochter, die herrliche,

Und sie baten Dietrich

Beide sehr ernsthaft,

2875

Sie von den Heiden zu retten,

Die mit einem Heere kämen.

Da hiess der listige Mann

Die schönen Zelter

Der Königin fortziehen;

2880

Er führte sie zu den Schiffen.

Da gab es, könnt ihr glauben,

Von manchen schönen Frauen

Weinen und Händeringen;

Sie konnten sich nicht fassen.

2885

Es kam eine grosse Gesellschaft

Zu Dietrich aus der Stadt.

Sie wollten alle aufs Meer,

Um sich vor Ymelot zu retten.

Da tröstete sie der schlaue Mann;

2890

Er hatte es aus List getan.

Dietrich hiess seine Mannen

Sofort in die Schiffe gehen.

Asprian, der gute Held,

Trug den Kammerschatz darein,

2895

Sie eilten alle aufs Meer.

Da hiess König Rother

Die Mutter am Gestade bleiben,

Die Tochter in ein Schiff gehn.

Es gab ein grosses Weinen.

2900

Sie sprach: “Ach, Herr Dietrich,

Wem willst du, tugendhafter Mann,

Uns armen Weiber überlassen?”

So sprach die gute Königin:

“Nun nimm mich mit ins Schiff

2905

Zu meiner schönen Tochter.”

Da sprach der listige Mann:

“Ihr sollt Euch wohl gehaben;

Constantin ist nicht geschlagen,

Ymelot haben wir gefangen,

2910

Constantin ist’s wohl ergangen.

Er reitet hierher ins Land

Mit guten Nachrichten;

Er kommt über drei Tage.

Ihr könnt ihm wahrlich sagen,

2915

Seine Tochter sei mit Rother

Westwärts gefahren übers Meer.

Nun befehlt mir, herrliche Frau;

Ich heisse ja nicht Dietrich.”

“Wohl mir,” sprach die Königin,

2920

“Dass ich je ins Leben trat.

Nun lasse Gott, der gute,

In seiner grossen Gnade,

Dich meine Tochter schön

Recht lang in Freude haben!

2925

Es ist wahr, teurer Degen,

54

Sie wäre dir leichter gegeben,

Als du sie gewonnen hast,

Hätte es in meinem Willen gestanden.

Wie Constantin das Leben

2930

Des jungen Weibes quälte,

Das ist mir das mindeste,

Da du nun Rother bist.

Nun fahre, teurer Degen,

Und Sankt Gilge segne dich!”

2935

Da sprach das schöne Mägdlein:

“Gehabt Euch wohl, Mutter mein!”

Die Frauen so liebsam

Gingen lachend von dannen

Zu Constantins Saal

2940

Und gönnten es dem Rother wohl,

Dass Gott ihn bringe

Mit Ehren ins Heimatland.

XVII. DUKE ERNST

Another example of the secular minstrelsy brought into vogue by the crusading spirit. The poem originated in the 12th century, but the only complete versions known to us are of the 13th. It contains 6022 verses in the dialect of the Middle or Lower Rhine. The saga is of unusual psychological interest. Ernst is a brave and upright Bavarian whom a base calumny deprives of the favor of the emperor Otto. For a while he maintains himself in a bitter feud with the empire, but finally gives up the hopeless fight and sets out, with a few loyal followers, for Jerusalem. In the Orient he has many wonderful adventures, one of which is related below, and so deports himself that on his return the emperor receives him back into favor.

Lines 3915-4199: The magnetic rock in the Curdled Sea.
3915

Die Helden weilten da nicht mehr,

Sie fuhren auf der wilden See

Mit fröhlichem Gemüte.

Jetzt meinten die guten Helden,

Es müsse ihnen wohl gehen.

3920

Da stieg nun ein Schiffsmann

Zu oberst auf den Mastbaum;

Die Meeresströmung trieb sie

Schnell nach jenem Hafen zu.

Und nun erschrak er sehr darüber,

3925

Als er den Berg erkannte;

Es ward ihm leid und bange.

Hinunter in das Schiff

Rief er also zu den Recken:

“Ihr Helden so schmuck,

3930

Nun wendet euch geschwind

Hin zu dem ewigen Wesen!

Es kostet uns das Leben,

Bleiben wir hier stecken.

Der Berg, den wir gesehen,

3935

Der liegt auf dem Lebermeer!1

Es sei denn, dass Gott uns rettet,

55

Wir sterben hier allzusammen.

Wir fahren gegen den Stein zu,

Von dem ihr mich reden hörtet.

3940

Jetzt sollt ihr euch hinkehren

Zu Gott in wahrer Reue

Und aus dem Herzen tilgen,

Was ihr wider ihn getan.

Ich will euch, Helden, wissen lassen

3945

Von der Kraft des Felsen

Und von der Herrschaft,

Die er in seiner Art hat:

Treibt ein Schiff ihm entgegen

Innerhalb dreissig Meilen,

3950

So hat er in kurzer Zeit

Es an sich gezogen;

Das ist wahr und nicht erlogen.

Haben sie irgendwelches Eisen,

Das darf niemand weisen;

3955

Sie müssen gegen ihren Willen dran.

Wo ihr die Schiffe liegen seht,

Vor dem dunkeln Berge dort

Gleich an des Steines Kante,

Da müssen wir auch sterben

3960

Und vor Hunger verenden—

Es ist nicht abzuwenden,—

Wie alle anderen getan haben,

Die hierher segelten.

Nun bittet Gott, dass er

3965

Uns helfe und gnädig sei.

Wir sind nahe dem Felsen.”

Als der Herzog das vernahm,

Sprach der Fürst lobesam

Zu den Herren sonderlich:

3970

“Jetzt sollt ihr inniglich,

Meine lieben Notgesellen,

Zu unserm Herrn flehen,

Dass er uns gnädiglich

In sein Reich empfange

3975

Wir gehn an diesem Stein zugrunde.

Nun lobt ihn allzusammen

Mit Herzen und mit Zungen.

Es ist uns wohl gelungen,

Sterben wir auf dieser wilden See:

3980

Wir sind geborgen auf immerdar

Bei Gott in seinem Reich.

Nun freut euch allzugleich,

Dass wir ihm so nah gekommen.”

Als sie das vernahmen,

3985

Behielten sie es im Herzen.

Nun taten die guten Helden,

Wie der Fürst ihnen geraten:

Ordneten ihre Sachen schnell,

Gaben alles Gott anheim,

3990

Und beherzigten sein Gebot

Mit Beichte und mit Busse

Mit sehr grossem Eifer,

Wie man Gott gegenüber sollte.

Also machten sie sich bereit.

3995

Als die unglücklichen Männer

Ihre Gebete verrichteten

Und ihre Sachen ordneten,

Gab es ein jämmerlich Rufen,

Das sie zu Gott erhoben.

4000

Ihren Schöpfer sie baten,

Dass er ihre Seelen bewahre.

Jetzt waren die Helden gefahren

So nahe dem Felsen,

Dass sie deutlich sehen konnten

4005

Die Schiffe mit hohen Masten.

Der Fels zog die Helden

So geschwinde zu sich,

56

Seine Kraft brachte das Schiff

So kräftiglich heran,

4010

Dass die andern Schiffe

Diesem entweichen mussten.

Es kam so gewaltsam

Dem Steine zugefahren,

Dass die Schiffe allesamt

4015

Auf einander stiessen.

Auch gaben die Mastbäume

Sich manchen harten Stoss.

Die Stösse waren so stark,

Dass manches Schiff zerbrach.

4020

So ward mancher Gast empfangen,

Der seitdem verendete

Und niemals wiederkehrte.

Es ist auch wirklich ein Wunder,

Dass diese nicht erschlagen wurden

4025

Durch die hohen Mastbäume,

Die, alt und morsch geworden,

Von andern Schiffen fielen

Auf ihr Schiff mit Gewalt.

Als diese herabstürzten,

4030

Konnte nichts mehr bestehn,

Was um das Schiff lag.

Dass das Schiff sich erhielt,

War ein grosses Wunder;

Es musste alles und jedes

4035

Fallen in das Meer.

Der Herzog und seine Männer

Mussten unerhörte Not leiden,

Da sie einen schrecklichen Tod

Öfters vor sich sahen.

4040

Doch kamen die kühnen Männer

Mit dem Leben davon;

Gottes Hilfe erschien ihnen.

Als das Schiff stehen blieb,

Taten sie, wie Leute noch tun,

4045

Die lange in einer Stätte gelegen

Und etwas Neues sehen mögen:

Die zieren Helden sprangen

Schnell aus dem Schiffe

Und gingen allesamt,

4050

Um das mannigfache Wunder

In den Schiffen zu besehen.

Sie standen dicht wie ein Wald

Um den Berg auf dem Meer.

Weder früher noch später

4055

Sah jemand so grossen Reichtum,

Als die mutigen Helden

In den Schiffen fanden,

So dass sie in langen Stunden

Ihn nicht überschauen konnten.

4060

Sie sahen den grössten Schatz,

Den jemand haben könnte.

Nie hat der weise Mann gelebt

Der ihn je in Acht nehmen

Oder vollauf beschreiben könnte.

4065

Silber, Gold und Edelsteine,

Purpur, Sammet, glänzende Seide,

Lag dort so mannigfaltig,

Dass niemand es beachten könnte.

Als sie das Wunder beschaut,

4070

Begannen sie weiter zu gehen.

Der Herzog und seine Männer

Stiegen auf den Felsen,

Ob sie irgendwo Land sähen.

Kein Auge konnte erspähen,

4075

Dass sie zu Lande kämen;

Das war den Recken leid.

Der Berg lag im weiten Meer;

Da mussten die Helden hilflos

Höchst jämmerlich ersterben

57 4080

Und am Hunger zugrunde gehen;

Den Recken war schwer zu Mute.

Da mussten die Helden

Vor dem Steine Angst erleiden.

Sie sagten allesamt,

4085

Sie würden es gütlich erdulden,

Da ihnen der mächtige Gott

Das harte Geschick verhängt,

Wie auch den andern allen,

Die vor ihnen gekommen waren

4090

Und das Leben verloren hatten.

Da sie die Not nicht meiden wollten,

Würden sie gerne den Tod

Um seine Huld erleiden,

Und würden die grosse Not

4095

Als Sündenbusse betrachten.

Der Herzog und seine Männer

Hatten Trost beim Kinde der Maid.

Nun schwebte das Gesinde

So lange Zeit auf dem Meer,

4100

Dass früher oder später im Leben

Sie nie solches Weh ertrugen,

Da es ihnen an Speise gebrach

Und an der guten Nahrung,

Die sie mitgebracht hatten

4105

Von dem Lande Grippia,

Woselbst die Weigande

Dieselbe tapfer erworben.

Am Hunger starben sie,

Die auf dem Schiffe waren,

4110

So dass keiner am Leben blieb

Von der ganzen Mannschaft

Ausser dem Herzog allein

Und sieben Mann mit ihm.

Die andern trug ein Greif fort,

4115

Wie sie nacheinander starben.

Die Lebenden handelten so:

Wen jeweilig der Tod nahm,

Den trugen die Helden lobesam

Bald aus dem Schiffsraume;

4120

Ihn legten die zieren Degen

Oben aufs Verdeck.

Das habt ihr nun öfters

Als Wahrheit sagen hören:

Die Greife kamen geflogen

4125

Und trugen sie ins Nest.

Auf diese Weise ward zuletzt

Dem Herzog und seinen Männern

Von den Greifen geholfen;

Also retteten sie sich.

4130

Die andern wurden zu Aase

Den Greifen und ihren Jungen.

Diesen war es schon gelungen,

Menschen in grosser Anzahl

Von dannen in ihre Neste

4135

Nach Gewohnheit zu tragen;

Davon die mutigen Helden,

Der Herzog und seine Mannen,

Wieder ans Land kamen.

Der Fürst litt Ungemach,

4140

Als er seine Gefährten sah

Vor Hunger verbleichen

Und so jämmerlich sterben,

Und er ihnen nicht helfen konnte.

Darum musst’ er manche Stunde

4145

Erleiden Jammersnot,

Indem sie der Tod

Vor seinen Augen hinwegnahm,

Bis der Recke lobesam

Nur sieben Mann übrig hatte.

4150

Auch diese behielten das Leben

Kaum vor Hungersnot:

58

Sie hatten nur ein halbes Brot,

Das teilten die Helden unter sich.

Es war jämmerlich genug,

4155

Da sie nichts mehr hatten.

Da ergaben sie sich dem Herrn,

Mit Leib und Seele Gottes Händen;

Dann fielen die tapfern Helden

Zum Gebet nieder und baten

4160

Vor allem inniglich den Herrn,

Dass er ihnen gnädig sei

Und helfe aus der grossen Not;

Sie fürchteten sehr den Tod.

Als diese Unglücklichen

4165

Ihr Gebet verrichtet hatten,

Was später ihnen zu statten kam,

Sprach der Graf Wetzel also:

“Ich habe in diesen Stunden

Uns eine List erfunden,

4170

Wie sie nicht besser sein könnte.

Sollen wir je gerettet werden,

Muss es gewiss davon kommen,

Dass wir suchen und spähen

Und gar nicht aufhören.

4175

Bis wir in den Schiffen finden

Irgendwelche Art Häute;

Dann schlüpfen wir armen Leute

In unsre gute Rüstung.

Hat man uns dann eingenäht

4180

In die Häute,” sprach der Degen,

“So wollen wir uns legen

Oben auf das Schiffsverdeck.

So nehmen uns da die Greife

Und tragen uns von dannen.

4185

Sie können uns nichts anhaben,

Die Greife, wegen der Rüstung,

Die uns oft beschirmt hat;

Die mag uns noch einmal helfen.

Und haben wir uns versichert,

4190

Dass die alten auf Beute fort sind,

So schneiden wir uns aus

Und steigen zur Erde nieder.

Soll es aber anders werden,

Will es Gott, dass wir nicht entkommen,

4195

So mag es uns doch lieber sein,

Dass wir dort redlich tot liegen,

Als dass wir hier diese starke Not

So jämmerlich erleiden.”

1. The Liver Sea, called also das geronnene Meer, or the Curdled Sea; in Latin mare pigrum et concretum. For the literature of the curious saga see Bartsch, Herzog Ernst, Wien, 1869, p. cxlv.

XVIII. THE LAY OF THE NIBELUNGS

The most important poetic production of medieval Germany. It embodies legends that date back, in part, to the 5th century and were handed down from age to age by oral tradition. The different versions known to us point back to a lost original which probably took shape toward the end of the 12th century and was the work of an Austrian poet of whom nothing is known. The form is a four-line strophe, with masculine rimes paired in the order aa bb. Each line is divided into two parts by a cesura, which regularly falls after an unstressed syllable. The first seven half-lines usually have three accents each, the eighth four.

59

Reasoning from incongruities in the text, the famous scholar Lachmann concluded that the poem consists of twenty old songs, or ballads, pieced together with new matter in the shape of introductions, transitions, and amplifications. This theory gave rise to a great controversy which still divides scholarship to some extent, with opinion tending more and more to the confirmation of Lachmann’s general view, but to the rejection of his specific conclusions. That is to say: The poem is a working-over of old songs; but just how many of these there were, where the dividing lines come, and how much merit of originality may rightly be claimed for the nameless 12th century poet, cannot be definitely settled.

The most popular modernization is that of Simrock, 56th edition, 1902, from which the selections below are taken. It has its defects, but none of the many attempts to improve upon it has met with a generally recognized success.

From Adventure 1:1 Kriemhild and her dream.

Es wuchs in Burgunden     solch edel Mägdelein,

Dass in allen Landen     nichts Schön’res mochte sein.

Kriemhild war sie geheissen     und ward ein schönes Weib,

Um die viel Degen mussten     verlieren Leben und Leib.

5

Es pflegten sie drei Könige,     edel und reich,

Gunter und Gernot,     die Recken ohnegleich,

Und Geiselher der junge,     ein auserwählter Degen;

Sie war ihre Schwester,     die Fürsten hatten sie zu pflegen.

Die Herren waren milde,     dazu von hohem Stamm,

10

Unmassen kühn von Kräften,     die Recken lobesam.

Nach den Burgunden     war ihr Land genannt:

Sie schufen starke Wunder     noch seitdem in Etzels Land.

Zu Worms am Rheine wohnten     die Herren in ihrer Kraft.

Von ihren Landen diente     viel stolze Ritterschaft

15

Mit rühmlichen Ehren     all ihres Lebens Zeit,

Bis jämmerlich sie starben     durch zweier edeln Frauen Streit.

In ihren hohen Ehren     träumte Kriemhilden,

Sie zög’ einen Falken,     stark-, schön- und wilden,

60

Den griffen ihr zwei Aare,     dass sie es mochte sehn;

20

Ihr konnt’ auf dieser Erde     grösser Leid nicht geschehn.

Sie sagt’ ihrer Mutter     den Traum, Frau Uten;

Die wusst’ ihn nicht zu deuten     als so der guten:

“Der Falke, den du ziehest,     das ist ein edler Mann;

Ihn wolle Gott behüten,     sonst ist es bald um ihn getan.”

25

“Was sagt Ihr mir vom Manne,     vielliebe Mutter mein?

Ohne Reckenminne     will ich immer sein;

So schön will ich verbleiben     bis an meinen Tod,

Dass ich von Mannesminne     nie gewinnen möge Not.”

“Verred’ es nicht so völlig,”     die Mutter sprach da so,

30

“Sollst du je auf Erden     von Herzen werden froh,

Das geschieht von Mannesminne;     du wirst ein schönes Weib,

Will Gott dir noch vergönnen     eines guten Ritters Leib.”2

“Die Rede lasst bleiben,     vielliebe Mutter mein.

Es hat an manchen Weiben3     gelehrt der Augenschein,

35

Wie Liebe mit Leide     am Ende gerne lohnt;

Ich will sie meiden beide,     so bleib’ ich sicher verschont.”

Kriemhild in ihrem Mute     hielt sich von Minne frei.

So lief noch der guten     manch lieber Tag vorbei,

Dass sie niemand wusste,     der ihr gefiel zum Mann,

40

Bis sie doch mit Ehren     einen werten Recken gewann.

Das war derselbe Falke,     den jener Traum ihr bot,

Den ihr beschied die Mutter.     Ob seinem frühen Tod

Den nächsten Anverwandten     wie gab sie blut’gen Lohn!

Durch dieses Einen Sterben     starb noch mancher Mutter Sohn.

61
From Adventure 5: Having lived a whole year at Worms as the guest-friend of King Gunter, Siegfried at last sees the maid he came to woo.
45

Da liess der reiche König     mit seiner Schwester gehn

Hundert seiner Recken,     zu ihrem Dienst ersehn

Und dem ihrer Mutter,     die Schwerter in der Hand:

Das war das Hofgesinde     in der Burgunden Land.

Ute die reiche     sah man mit ihr kommen,

50

Die hatte schöner Frauen     sich zum Geleit genommen

Hundert oder drüber,     geschmückt mit reichem Kleid;

Auch folgte Kriemhilden     manche waidliche4 Maid.

Aus einer Kemenate     sah man sie alle gehn.

Da musste heftig Drängen     von Helden bald geschehn,

55

Die alle harrend standen,     ob es möchte sein,

Dass sie da fröhlich sähen     dieses edle Mägdelein.

Da kam die Minnigliche,     wie das Morgenrot

Tritt aus trüben Wolken.     Da schied von mancher Not,

Der sie im Herzen hegte,     was lange war geschehn.

60

Er sah die Minnigliche     nun gar herrlich vor sich stehn.

Von ihrem Kleide leuchtete     gar mancher edle Stein,

Ihre rosenrote Farbe     gab minniglichen Schein.

Was jemand wünschen mochte,     er musste doch gestehn,

Dass er hier auf Erden     noch nichts so Schönes gesehn.

65

Wie der lichte Vollmond     vor den Sternen schwebt,

Des Schein so hell und lauter     sich aus den Wolken hebt,

So glänzte sie in Wahrheit     vor andern Frauen gut;

Das mochte wohl erhöhen     den zieren Helden den Mut.

Die reichen Kämmerlinge     schritten vor ihr her,

70

Die hochgemuten Degen     liessen es nicht mehr:

62

Sie drängten, dass sie sähen     die minnigliche Maid;

Siegfried dem Degen     war es lieb und wieder leid.

Er sann in seinem Sinne:     “Wie dacht’ ich je daran,

Dass ich dich minnen sollte?     das ist ein eitler Wahn.

75

Soll ich dich aber meiden,     so wär’ ich sanfter5 tot.”

Er ward von Gedanken     oft bleich und oft wieder rot.

Da sah man den Sieglindensohn     so minniglich da stehn,

Als wär’ er entworfen     auf einem Pergamen

Von guten Meisters Händen;     gern man ihm zugestand,

80

Dass man nie im Leben     so schönen Helden noch fand.

Die mit Kriemhilden gingen,     die hiessen aus den Wegen

Allenthalben weichen;     dem folgte mancher Degen.

Die hochgetrag’nen Herzen     freute man sich zu schaun;

Man sah in hohen Züchten     viel der herrlichen Fraun.

85

Da sprach von Burgunden     der König Gernot:

“Dem Helden, der so gütlich     Euch seine Dienste bot,

Gunter, lieber Bruder,     dem bietet hier den Lohn

Vor allen diesen Recken.     Des Rates spricht man mir nicht Hohn.

Heisset Siegfrieden     zu meiner Schwester kommen,

90

Dass ihn das Mägdlein grüsse;     das bringt uns immer Frommen.

Die niemals Recken grüsste,     soll sein mit Grüssen pflegen,

Dass wir uns so gewinnen     diesen zierlichen Degen.”

Des Wirtes Freunde gingen,     dahin wo man ihn fand;

Sie sprachen zu dem Recken     aus dem Niederland:

95

“Der König will erlauben,     Ihr sollt zu Hofe gehn.

Seine Schwester soll Euch grüssen;     die Ehre soll Euch geschehn.”

Der Rede ward der Degen     in seinem Mut erfreut;

Er trug in seinem Herzen     Freude sonder Leid,

63

Dass er der schönen Ute     Tochter sollte sehn.

100

In minniglichen Züchten     empfing sie Siegfrieden schön.

Als sie den Hochgemuten     vor sich stehen sah,

Ihre Farbe ward entzündet.     Die Schöne sagte da:

“Willkommen, Herr Siegfried,     ein edler Ritter gut.”

Da ward ihm von dem Grusse     gar wohl erhoben der Mut.

105

Er neigte sich ihr minniglich,     als er den Dank ihr bot;

Da zwang sie zu einander     sehnender Minne Not.

Mit liebem Blick der Augen     sahn einander an

Der Held und auch das Mägdlein;     das ward verstohlen getan.

Ward da mit sanftem Drucke     geliebkost weisse Hand

110

In herzlicher Minne,     das ist mir unbekannt.

Doch kann ich auch nicht glauben,     sie hätten’s nicht getan.

Liebebedürft’ge Herzen     täten Unrecht daran.

From Adventure 7: The strenuous games at Isenstein6; Brunhild is fraudulently vanquished for Gunter by the invisible Siegfried.

Brunhildens Stärke     zeigte sich nicht klein,

Man trug ihr zu dem Kreise     einen schweren Stein,

115

Gross und ungefüge,     rund dabei und breit;

Ihn trugen kaum zwölfe     dieser Degen kühn im Streit.

Den warf sie allerwegen,     wie sie den Speer verschoss;

Darüber war die Sorge     der Burgunden gross.

“Wen will der König werben?”     sprach da Hagen laut;

120

“Wär’ sie in der Hölle     doch des übeln Teufels Braut!”

An ihre weissen Arme     sie die Ärmel wand,

Sie schickte sich und fasste     den Schild an die Hand;

Sie schwang den Spiess zur Höhe:     das war des Kampfs Beginn.

Gunter und Siegfried bangten     vor Brunhildens grimmem Sinn.

64 125

Und wär’ ihm da Siegfried     zu Hilfe nicht gekommen,

So hätte sie dem König     das Leben wohl benommen.

Er trat hinzu verstohlen7     und rührte seine Hand;

Gunter seine Künste     mit grossen Sorgen befand.

“Wer war’s, der mich berührte?”     dachte der kühne Mann,

130

Und wie er um sich blickte,     da traf er niemand an.

Er sprach: “Ich bin es, Siegfried,     der Geselle dein;

Du sollst gar ohne Sorge     vor der Königin sein.”

Er sprach: “Gib aus den Händen     den Schild, lass mich ihn tragen

Und behalt’ im Sinne,     was du mich hörest sagen:

135

Du habe die Gebärde,     ich will das Werk begehn.”

Als er ihn erkannte,     da war ihm Liebes geschehn.

“Verhehl’ auch meine Künste,     das ist uns beiden gut;

So mag die Königstochter     den hohen Übermut

Nicht an dir vollbringen,     wie sie gesonnen ist.

140

Nun sieh doch, welcher Kühnheit     sie wider dich sich vermisst.”

Da schoss mit ganzen Kräften     die herrliche Maid

Den Speer nach einem Schilde,     mächtig und breit,

Den trug an der Linken     Sieglindens Kind;

Das Feuer sprang vom Stahle,     als ob es wehte der Wind.

145

Des starken Spiesses Schneide     den Schild ganz durchdrang,

Dass das Feuer lohend     aus den Ringen sprang.

Von dem Schusse fielen     die kraftvollen Degen;

War nicht die Tarnkappe,     sie wären beide da erlegen.

Siegfried dem kühnen     vom Munde brach das Blut.

150

Bald sprang er auf die Füsse,     da nahm der Degen gut

Den Speer, den sie geschossen     ihm hatte durch den Rand;

Den warf ihr jetzt zurücke     Siegfried mit kraftvoller Hand.

65

Er dacht’: “Ich will nicht schiessen     das Mägdlein wonniglich.”

Des Spiesses Schneide kehrt’ er     hinter den Rücken sich;

155

Mit der Speerstange     schoss er auf ihr Gewand,

Dass es laut erhallte     von seiner kraftreichen Hand.

Das Feuer stob vom Panzer,     als trieb’ es der Wind,

Es hatte wohl geschossen     der Sieglinde Kind.

Sie vermochte mit den Kräften     dem Schusse nicht zu stehn;

160

Das wär’ von König Guntern     in Wahrheit nimmer geschehn.

Brunhild die schöne     bald auf die Füsse sprang:

“Gunter, edler Ritter,     des Schusses habe Dank!”

Sie wähnt’, er hätt’ es selber     mit seiner Kraft getan;

Nein, zu Boden warf sie     ein viel stärkerer Mann.

165

Da ging sie hin geschwinde,     zornig war ihr Mut,

Den Stein hoch erhub sie,     die edle Jungfrau gut;

Sie schwang ihn mit Kräften     weithin von der Hand,

Dann sprang sie nach dem Wurfe,     dass laut erklang ihr Gewand.

Der Stein fiel zu Boden     von ihr zwölf Klafter weit,

170

Den Wurf überholte     im Sprung die edle Maid.

Hin ging der schnelle Siegfried,     wo der Stein nun lag;

Gunter musst’ ihn wägen,     des Wurfs der Verhohl’ne pflag.

Siegfried war kräftig,     kühn und auch lang,

Den Stein warf er ferner,     dazu er weiter sprang;

175

Ein grosses Wunder war es,     und künstlich genug,

Dass er in dem Sprunge     den König Gunter noch trug.

Der Sprung war ergangen,     am Boden lag der Stein,

Gunter war’s, der Degen,     den man sah allein;

Brunhild die schöne     ward vor Zorne rot,

180

Gewendet hatte Siegfried     dem König Gunter den Tod.

66

Zu ihrem Ingesinde     sprach die Königin da,

Als sie gesund den Helden     an des Kreises Ende sah:

“Ihr, meine Freund’ und Mannen,     tretet gleich heran;

Ihr sollt dem König Gunter     alle werden untertan.”

From Adventure 16: Siegfried is treacherously slain by Hagen.8
185

Die höf’sche Zucht erwies da     Siegfried daran:

Den Schild legt’ er nieder,     wo der Brunnen rann;

Wie sehr ihn auch dürstete,     der Held nicht eher trank,

Bis der König getrunken;     dafür gewann er übeln Dank.

Der Brunnen war lauter,     kühl und auch gut,

190

Da neigte sich Gunter     hernieder zu der Flut.

Als er getrunken hatte,     erhob er sich hindann;

Also hätt’ auch gerne     der kühne Siegfried getan.

Da entgalt er seiner höf’schen Zucht;     den Bogen und das Schwert

Trug beiseite Hagen     von dem Degen wert,

195

Dann sprang er zurücke,     wo er den Wurfspiess fand,

Und sah nach einem Zeichen     an des Kühnen Gewand.

Als der edle Siegfried     aus dem Brunnen trank,

Er schoss ihm durch das Kreuze,9     dass aus der Wunde sprang

Das Blut von seinem Herzen     hoch an Hagens Gewand;

200

Kein Held begeht wohl wieder     solche Untat nach der Hand.

Den Gerschaft im Herzen     liess er ihm stecken tief.

Wie im Fliehen Hagen     da so grimmig lief,

So lief er wohl auf Erden     nie vor einem Mann!

Als da Siegfried Kunde     der schweren Wunde gewann,

67 205

Der Degen mit Toben     von dem Brunnen sprang;

Ihm ragte von der Achsel     eine Gerstange lang.

Nun wähnt’ er da zu finden     Bogen oder Schwert,

Gewiss, so hätt’ er Hagnen     den verdienten Lohn gewährt.

Als der Todwunde     da sein Schwert nicht fand,

210

Da blieb ihm nichts weiter     als der Schildesrand,

Den rafft’ er von dem Brunnen     und rannte Hagen an;

Da konnt’ ihm nicht entrinnen     König Gunters Untertan.

Wie wund er war zum Tode,     so kräftig doch er schlug,

Dass von dem Schilde nieder     wirbelte genug

215

Des edeln Gesteines;     der Schild zerbrach auch fast,

So gern gerochen hätte     sich der herrliche Gast.

Da musste Hagen fallen     von seiner Hand zu Tal,

Der Anger von den Schlägen     erscholl im Wiederhall.

Hätt’ er sein Schwert in Händen,     so wär’ es Hagens Tod.

220

Sehr zürnte der Wunde,     es zwang ihn wahrhafte Not.

Seine Farbe war erblichen,     er konnte nicht mehr stehn,

Seines Leibes Stärke     musste ganz zergehn,

Da er des Todes Zeichen     in lichter Farbe trug;

Er ward hernach betrauert     von schönen Frauen genug.

225

Da fiel in die Blumen     der Kriemhilde Mann,

Das Blut von seiner Wunde     stromweis nieder rann;

Da begann er die zu schelten,     ihn zwang die grosse Not,

Die da geraten hatten     mit Untreue seinen Tod.

Da sprach der Todwunde:     “Weh, ihr bösen Zagen,

230

Was helfen meine Dienste,     da ihr mich habt erschlagen?

Ich war euch stets gewogen,     und sterbe nun daran;

Ihr habt an euren Freunden     leider übel getan.

68

Die sind davon bescholten,     so viele noch geborn

Werden nach diesem Tage.     Ihr habt euern Zorn

235

Allzusehr gerochen     an dem Leben mein;

Mit Schanden geschieden     sollt ihr von guten Recken sein.”

Hinliefen all die Ritter,     wo er erschlagen lag,

Es war ihrer vielen     ein freudeloser Tag.

Wer Treue kannt’ und Ehre,     der hat ihn beklagt;

240

Das verdient’ auch wohl um alle     dieser Degen unverzagt.

Der König der Burgunden     klagt’ auch seinen Tod.

Da sprach der Todwunde:     “Das tut nimmer Not,

Dass der um Schaden weine,     von dem man ihn gewann;

Er verdient gross Schelten,     er hätt’ es besser nicht getan.”

245

Da sprach der grimme Hagen:     “Ich weiss nicht, was euch reut;

Nun hat doch gar ein Ende,     was uns je gedräut.

Es gibt nun nicht manchen,     der uns darf bestehn;

Wohl mir, dass seiner Herrschaft     durch mich ein End’ ist geschehn.”

“Ihr mögt Euch leichtlich rühmen,”     sprach der von Niederland;

250

“Hätt’ ich die mörderische     Weis’ an Euch erkannt,

Vor Euch behütet hätt’ ich     Leben wohl und Leib.

Mich dauert nichts auf Erden     als Frau Kriemhild, mein Weib.

Nun mög’ es Gott erbarmen,     dass ich gewann den Sohn,

Der jetzt auf alle Zeiten     den Vorwurf hat davon,

255

Dass seine Freunde jemand     meuchlerisch erschlagen;

Hätt’ ich Zeit und Weile,     das müsst’ ich billig beklagen.”

“Wohl nimmer hat begangen     so grossen Mord ein Mann,”

Sprach er zu dem König,     “als Ihr an mir getan;

Ich erhielt Euch unbescholten     in grosser Angst und Not;

260

Ihr habt mir schlimm vergolten,     dass ich so wohl es Euch bot.”

69

Da sprach in Jammer weiter     der todwunde Held:

“Wollt ihr, edler König,     noch auf dieser Welt

An jemand Treue pflegen,     so lasst befohlen sein

Doch auf Eure Gnade     Euch die liebe Traute mein.

265

Es komm’ ihr zu Gute,     dass sie Eure Schwester ist;

Bei aller Fürsten Tugend     helft ihr zu jeder Frist.

Mein mögen lange harren     mein Vater und mein Lehn;

Nie ist an liebem Freunde     einem Weib so leid geschehn.”

Er krümmte sich in Schmerzen,     wie ihm die Not gebot,

270

Und sprach aus jammerndem Herzen:     “Mein mordlicher Tod

Mag euch noch gereuen     in der Zukunft Tagen;

Glaubt mir in rechten Treuen,     ihr euch selber habt erschlagen.”

Die Blumen allenthalben     waren vom Blute nass.

Da rang er mit dem Tode,     nicht lange tat er das,

275

Denn des Todes Waffe     schnitt ihn allzusehr.

Da konnte nicht mehr reden     dieser Degen kühn und hehr.

From Adventure 39: The end of the Nibelungs.10

Den Schild liess er fallen,     seine Stärke, die war gross;

Hagnen von Tronje     mit den Armen er umschloss.

So ward von ihm bezwungen     dieser kühne Mann;

280

Gunter der edle     darob zu trauern begann.

Hagnen band da Dietrich     und führt’ ihn, wo er fand

Kriemhild die edle,     und gab in ihre Hand

Den allerkühnsten Recken,     der je Gewaffen trug;

Nach ihrem starken Leide     ward sie da fröhlich genug.

70 285

Da neigte sich dem Degen     vor Freuden Etzels Weib:

“Nun sei dir immer selig     das Herz und auch der Leib;

Du hast mich wohl entschädigt     aller meiner Not,

Ich will dir’s immer danken,     es verwehr’ es denn der Tod.”

Da sprach der edle Dietrich:     “Nun lasst ihn am Leben,

290

Edle Königstochter;     es mag sich wohl begeben,

Dass Euch sein Dienst vergütet     das Leid, das er Euch tat.

Er soll es nicht entgelten,     dass Ihr ihn gebunden saht.”

Da liess sie Hagnen führen     in ein Haftgemach,

Wo niemand ihn erschaute,     und er verschlossen lag.

295

Gunter der edle     hub da zu rufen an:

“Wo blieb der Held von Berne?     Er hat mir Leides getan.”

Da ging ihm hin entgegen     von Bern Herr Dieterich.

Gunters Kräfte waren     stark und ritterlich;

Da säumt’ er sich nicht länger,     er rannte vor den Saal.

300

Von ihrer beider Schwertern     erhob sich mächtiger Schall.

So grossen Ruhm erstritten     Dietrich seit alter Zeit,

In seinem Zorne tobte     Gunter so im Streit,

Er war nach seinem Leide     von Herzen feind dem Mann;

Ein Wunder musst’ es heissen,     dass da Herr Dietrich entrann.

305

Sie waren alle beide     so stark und mutesvoll,

Dass von ihren Schlägen     Palast und Turm erscholl,

Als sie mit Schwertern hieben     auf die Helme gut.

Da zeigte König Gunter     einen herrlichen Mut.

Doch zwang ihn der von Berne,     wie Hagnen war geschehn,

310

Man mochte durch den Panzer     das Blut ihm fliessen sehn

Von einem scharfen Schwerte,     das trug Herr Dieterich;

Doch hatte sich Herr Gunter     gewehrt, der müde, ritterlich.

71

Der König ward gebunden     von Dietrichens Hand,

Wie nimmer Kön’ge sollten     leiden solch ein Band.

315

Er dachte, liess er ledig     Guntern und seinen Mann,

Wem sie begegnen möchten,     die müssten all den Tod empfahn.

Dietrich von Berne     nahm ihn bei der Hand,

Er führt’ ihn hin gebunden,     wo er Kriemhilden fand.

Ihr war mit seinem Leide     des Kummers viel benommen.

320

Sie sprach: “König Gunter,     nun seid mir höchlich willkommen.”

Er sprach: “Ich müsst’ Euch danken,     vieledle Schwester mein,

Wenn Euer Gruss in Gnaden     geschehen könnte sein;

Ich weiss Euch aber, Königin,     so zornig von Mut,

Dass Ihr mir und Hagen     solchen Gruss im Spotte tut.”

325

Da sprach der Held von Berne:     “Königstochter hehr,

So gute Helden sah man     als Geisel nimmermehr,

Als ich, edle Königin,     bracht’ in Eure Hut;

Nun komme meine Freundschaft     den Heimatlosen zu Gut.”

Sie sprach, sie tät’ es gerne.     Da ging Herr Dieterich

330

Mit weinenden Augen     von den Helden tugendlich.

Da rächte sich entsetzlich     König Etzels Weib:

Den auserwählten Degen     nahm sie Leben und Leib.

Sie liess sie gesondert     in Gefängnis legen,

Dass sich nie im Leben     wiedersahn die Degen,

335

Bis sie ihres Bruders Haupt     hin vor Hagen trug.

Kriemhildens Rache     ward an beiden grimm genug.

Hin ging die Königstochter,     wo sie Hagen sah.

Wie feindselig sprach sie     zu dem Recken da:

“Wollt Ihr mir wiedergeben     was Ihr mir habt genommen,

340

So mögt Ihr wohl noch lebend     heim zu den Burgunden kommen.”

72

Da sprach der grimme Hagen:     “Die Red’ ist gar verloren,

Vieledle Königstochter.     Den Eid hab’ ich geschworen,

Dass ich den Hort nicht zeige;     so lange noch am Leben

Blieb’ einer meiner Herren,     wird er niemand gegeben.”

345

“Ich bring’ es zu Ende,”     sprach das edle Weib.

Dem Bruder nehmen liess sie     Leben da und Leib.

Man schlug das Haupt ihm nieder,     bei den Haaren sie es trug

Vor den Held von Tronje;     da gewann er Leids genug.

Als der Unmutvolle     seines Herrn Haupt ersah,

350

Wider Kriemhilden     sprach der Recke da:

“Du hast’s nach deinem Willen     zu Ende nun gebracht,

Es ist auch so ergangen,     wie ich mir hatte gedacht.

Nun ist von Burgunden     der edle König tot,

Geiselher der junge,     dazu Herr Gernot.

355

Den Hort weiss nun niemand     als Gott und ich allein;

Der soll dir Teufelsweibe     immer wohl verhohlen sein.”

Sie sprach: “So habt Ihr üble     Vergeltung mir gewährt;

So will ich doch behalten     Siegfriedens Schwert.

Das trug mein holder Friedel,     als ich zuletzt ihn sah,

360

An dem mir Herzensjammer     vor allem Leide geschah.”

Sie zog es aus der Scheide,     er konnt’ es nicht wehren,

Da dachte sie dem Recken,     das Leben zu versehren.

Sie schwang es mit den Händen,     das Haupt schlug sie ihm ab;

Das sah der König Etzel,     dem es grossen Kummer gab.

365

“Weh!” rief der König:     “wie ist hier gefällt

Von eines Weibes Händen     der allerbeste Held,

Der je im Kampf gefochten     und seinen Schildrand trug!

So feind ich ihm gewesen bin,     mir ist leid um ihn genug.”

73

Da sprach Meister Hildebrand:     “Es kommt ihr nicht zu Gut,

370

Dass sie ihn schlagen durfte;     was man halt mir tut,

Ob er mich selber brachte     in Angst und grosse Not,

Jedennoch will ich rächen     dieses kühnen Tronjers Tod.”

Hildebrand im Zorne     zu Kriemhilden sprang,

Er schlug der Königstochter     einen Schwertesschwang.

375

Wohl schmerzten solche Dienste     von dem Degen sie;

Was konnt’ es aber helfen,     dass sie so ängstlich schrie?

Die da sterben sollten,     die lagen all umher,

Zu Stücken lag verhauen     die Königstochter hehr.

Dietrich und Etzel     huben zu weinen an

380

Und jämmerlich zu klagen     manchen Freund und Untertan.

Da war der Helden Herrlichkeit     hingelegt im Tod;

Die Leute hatten alle     Jammer und Not.

Mit Leid war beendet     des Königs Lustbarkeit,

Wie immer Leid die Freude     am letzten Ende verleiht.

385

Ich kann euch nicht bescheiden,     was seither geschah,

Als dass man immer weinen     Christen und Heiden sah,

Die Ritter und die Frauen     und manche schöne Maid;

Sie hatten um die Freunde     das allergrösseste Leid.

Ich sag’ euch nicht weiter     von der grossen Not.

390

Die da erschlagen waren,     die lasst liegen tot.

Wie es auch im Heunland     hernach dem Volk geriet,

Hier hat die Mär’ ein Ende.     Das ist das Nibelungenlied.

1. Some of the manuscripts divide the poem into sections, each one of which is called an aventiure, or ‘adventure.’

2. M.H.G. lîp, modern Leib, meant ‘body,’ ‘person,’ ‘self.’ With a genitive it is often pleonastic and untranslatable. Eines guten Ritters Leib = einen guten Ritter.

3. Archaic for Weibern for the sake of the medial rime with bleiben. Now and then a stanza has medial as well as final rimes.

4. M.H.G. wætlîch, ‘beautiful.’

5. ‘Better.’

6. The home of Brunhild, far out over the North Sea. She is an athletic maid who kills her suitors unless they vanquish her in certain sports. Gunter has come to woo her, Siegfried promising to help him. Siegfried’s reward is to be the hand of Kriemhild.

7. Siegfried has put on his Tarnkappe, or hiding-cloak, which makes him invisible.

8. The two queens have quarreled, and Hagen, as the faithful liegeman of Brunhild, seeks the life of Siegfried, who is invulnerable except in one spot on his back. At the end of a day’s hunt in the Odenwald (across the Rhine from Worms) the thirsty Siegfried races with Gunter and Hagen to a spring.

9. The silken cross which the unsuspecting Kriemhild has sewn upon her husband’s corselet, in order that Hagen may protect him from the spears of the enemy.

10. The widowed Kriemhild has married Etzel and lived several years at the Hunnish court, always nursing plans of vengeance against Hagen, who has not only killed her husband but robbed her of her Nibelungen hoard. At last she invites her brothers to visit her. In the fierce fights that take place at Kriemhild’s instigation all the Burgundians have fallen except Gunter and Hagen. The death of his liegemen at the hands of the Burgundians constrains the mighty Dietrich of Bern to interfere.

XIX. GUDRUN

A ballad epic of the Lowlands, in which ancient viking tales of bride-stealing and sea-fighting have been worked over under the influence of Christianity and chivalry. Although the only extant manuscript dates from the early years of the 16th century, the poem was probably composed about 1200,—not long 74 after the Nibelungenlied, the style of which it to some extent imitates. There are in all 1705 four-line strophes. The strophe is like that of the Nibelungenlied save that the rimes bb are feminine, and the final half-line has five accents. This last feature gives to the verse a dragging effect which is unpleasant to the modern ear.

The locus of the poem is the coast of the North Sea from Jutland to Normandy. The story consists of a Hilde-saga and a Gudrun-saga, the whole being preceded by an introductory account of Hilde’s lineage. She is the daughter of ‘wild Hagen,’ King of Ireland, and is abducted, not much against her will, by envoys of Hetel, King of the Hegelings. Gudrun is the daughter of Hetel and Hilde. She betroths herself to Herwig of Seeland, but is violently abducted, during the absence of her father’s fighting men, by Hartmut of Normandy. The Hegelings pursue, and a great fight takes place on the Wülpensand (near the mouth of the Scheldt). King Hetel and many of his men are killed, and the Normans sneak away in the night with the captured women. For fourteen years (while a new generation of Hegelings is growing up) Gudrun lives as exile in Normandy, faithful to her absent lover Herwig, and cruelly treated by the fiendish mother of Hartmut because she refuses to take the Norman for a husband. Then come rescue and revenge.

There are several translations, the most popular being, again, that of Simrock. To illustrate the meter the first of the selections below is given in Simrock’s rendering; the others are in the smoother translation of Löschhorn, who ruthlessly amputates the two extra feet in the last half-line.

From Adventure 6: Horand the Dane, one of Hetel’s envoys, does some wonderful singing, which captivates the princess Hilde.

Als die Nacht ein Ende nahm     und es begann zu tagen,

Horand hub an zu singen,     dass ringsum in den Hagen

Alle Vögel schwiegen     vor seinem süssen Sange.

Die Leute, die da schliefen,     lagen in den Betten nicht mehr lange.

5

Sein Lied erklang ihm schöner     und lauter immerdar,

Herr Hagen hört’ es selber,     der bei Frau Hilde war.

Aus der Kemenate     mussten sie zur Zinne,

Der Gast war wohl beraten;     die junge Königin ward des Sanges inne.

Des wilden Hagen Tochter     und ihre Mägdelein

10

Sassen da und lauschten,     wie selbst die Vögelein

Auf dem Königshofe     vergassen ihr Getöne;

Wohl hörten auch die Helden,     wie der von Dänenlanden sang so schöne.

75

Als er schon das dritte     Lied zu Ende sang,

Allen, die es hörten,     währt’ es nicht zu lang.

15

Es däuchte sie in Wahrheit     nur spannenlange Weile,

Wenn er immer sänge,     während einer ritte tausend Meilen.

Als er gesungen hatte     und von der Stelle ging,

Die Königstochter morgens     wohl nie so froh empfing,

Die ihr die Kleider brachten,     die sie sollte tragen.

20

Das edle Mägdlein schickte     sie alsbald nach ihrem Vater Hagen.

Der König ging zur Stelle,     wo er die Tochter fand.

In traulicher Weise     war da des Mägdleins Hand

An ihres Vaters Kinne;     sie wusst’ in ihn zu dringen.

Sie sprach: “Liebes Väterlein,     heiss ihn uns noch neue Lieder singen.”

25

Er sprach: “Liebe Tochter,     wenn er zur Abendstund’

Dir immer singen wollte,     ich gäb’ ihm tausend Pfund.

Doch sind so hochfährtig     des fremden Landes Söhne,

Dass uns hier am Hofe     nicht so leicht erklingen seine Töne.”

Was sie bitten mochte,     der König blieb nicht mehr.

30

Nun fliss sich wieder Horand,     dass er nie vorher

So wundersam gesungen;     die Siechen und Gesunden

Konnten nicht vom Platze,     wo sie da wie angewurzelt stunden.

Die Tier’ im Walde liessen     ihre Weide stehn;

Die Würme, die da sollten     in dem Grase gehn,

35

Die Fische, die da sollten     in dem Wasser fliessen,

Verliessen ihre Fährte;     wohl durft’ ihn seiner Künste nicht verdriessen.

Was er da singen mochte,     das däuchte niemand lang,

Verleidet in den Chören     war aller Pfaffen Sang.

Auch die Glocken klangen     nicht mehr so wohl als eh’;

40

Allen, die ihn hörten,     war nach Horanden weh.

76

Da liess ihn zu sich bringen     das schöne Mägdelein;

Ohn’ ihres Vaters Wissen,     gar heimlich sollt’ es sein.

So blieb es ihrer Mutter,     Frau Hilden, auch verhohlen,

Dass der Held so heimlich     sich zu ihrem Kämmerlein gestohlen.

From Adventure 15: The abduction of Gudrun by the Normans.
45

Ludwig und Hartmut drangen     in das hohe Tor,

Viel todeswunde Streiter     liessen sie davor.

Eine edle Jungfrau     zu weinen drob begann;

Viel Schaden ward von Feinden     in Hetels Burg getan.

Von Ormanie der König     gewann da frohen Mut.

50

Seine Zeichen trugen     er und die Helden gut

Bis an den Saal der Feste.     Da liess man von den Zinnen

Die lichten Fahnen flattern;     Weh traf die Königinnen.

Hartmut, der schnelle Degen,     zur schönen Kudrun geht.

Er spricht: “Edle Jungfrau,     Ihr habt mich stets verschmäht;

55

Drum werden wir’s verschmähen,     ich und die Freunde mein,

Dass wir Gefangene machen.     Man hängt sie, gross und klein.”

Nichts mehr gab sie zur Antwort     als: “Wehe, Vater mein!

Könntest du es wissen,     dass man die Tochter dein

Gewaltsam wagt zu führen     hinweg aus deinem Lande,

60

Du spartest der Verlass’nen     den Schaden und die Schande.”

Gern wüsst’ ich, was wäre     den Fremden wohl geschehn,

Wenn der grimme Wate     hätte zugesehn,

Wie Hartmut der kühne     durch den Saal geschritten kam,

Und mit ihm König Ludwig     Kudrun gefangen nahm.

65

Wate und auch Hetel     hätten es ihm verwehrt

Und manchen Helm zerhauen     mit ihrem guten Schwert,

Wär’s ihnen nur verraten!     Man sähe nimmermehr

Geführt die schöne Kudrun     gefangen übers Meer.

77

Es standen alle Leute     in trübem Sinn und Mut;

70

Nicht anders wär’ es heute.     Man nahm da Hab’ und Gut

Mit Raub den armen Bürgern     und trug es fort zugleich.

Glaubt mir, es wurde jeder     von Hartmuts Recken reich.

Als sie genommen hatten     Schätze und Gewand,

Führte man Frau Hilde     hinaus an ihrer Hand.

75

Gern hätte auf die Zinnen     man roten Brand gesetzt;

Dass einst die Rache folgte,     wer dachte daran jetzt?

Hartmut befahl, es bleibe     die Feste unversehrt.

Schnell das Land zu räumen     hat der Fürst begehrt,

Eh’ man die üble Kunde     hätt’ Hetel überbracht,

80

Der noch in Waleis kämpfte     mit stolzer Heeresmacht.

“Auch sollt ihr Raub nicht nehmen,”     sprach der Held Hartmut,

“Sind wir daheim, so zahl’ ich     mit meines Vaters Gut.

Auch fahren wir um so leichter     über die weite See.”

Ludwigs grimmes Wüten     tat Kudruns Herzen weh.

85

Die Burg, die war gebrochen;     die Stadt, die war verbrannt.

Da hatte man gefangen     die besten, die man fand;

Zweiundzwanzig Frauen,     minnigliche Maide,

Führten sie von dannen     zu Hildes Herzeleide.

Wie traurig stand im Saale     die edle Königin!

90

Sie schritt betrübten Herzens     zu einem Fenster hin,

Zu grüssen die Gefangenen     mit einem letzten Blick;

Es blieb manch edle Fraue     klagend bei ihr zurück.

From Adventure 17: The battle on the Wülpensand.

Es war ein breiter Werder,     der Wülpensand genannt,

Da hatten Ludwigs Recken     aus Normannenland

95

Für sich und ihre Rosse     geschafft willkommne Rast.

Wie bald bedrängt’ die Frohen     der grimmen Sorge Last!

78

Man führte aus den Schiffen     auf den öden Strand

Die minniglichen Mädchen     aus Hegelingenland.

Wie sie das Herz es lehrte,     so klagten da die Frauen

100

Und liessen ihre Tränen     die Feinde reichlich schauen.

Da sah der Schiffer einer     auf den Wogen nahn

Ein Schiff mit vollen Segeln;     dem König sagt’ er’s an.

Und als sie es erblickten,     rief Hartmut und die Seinen:

“Pilger sind es. Sehet     das Kreuz im Segel scheinen!”

105

Bald erschaute jeder     drei Kiele fest und gut,

Dabei neun volle Kocken;     die führten durch die Flut

Manchen, der noch nimmer     zu Gottes Ruhm und Ehr’

Ein Kreuz getragen hatte!1     Der Normann griff zur Wehr.

Bald waren sie so nahe,     dass man die Helme sah

110

Auf dem Verdecke glänzen.     Viel Not erhob sich da

Und mancher arge Schaden     für Ludwig und sein Heer.

“Auf!” rief Hartmut, “uns suchen     die Feinde über Meer.”

Nicht träge waren die Fremden,     nah kamen sie dem Land,

Dass man schon knarren hörte     die Ruder an dem Strand.

115

Dort standen zum Empfange     in hellem Waffenkleid

Die Alten und die Jungen     am Ufer schon bereit.

Laut rief der König Ludwig,     den Seinen zugewandt:

“Ein Kinderspiel nur war es,     was je im Kampf ich fand!

Heut gilt’s zum ersten Male     mit guten Helden Streit.

120

Wer meiner Fahne folget,     dem lohn’ ich’s alle Zeit.”

Hartmuts Feldzeichen     trug man auf den Sand.

So nah schon waren die Schiffe,     dass man mit der Hand

Die Speere konnte stossen     zum Bord vom Ufer wild;

Nur wenig Musse gönnte     Herr Wate seinem Schild.

79 125

So grimmig ward verteidigt     niemals zuvor ein Land.

Die Hegelingenrecken     drangen an den Strand,

Sie schwangen ohn’ Ermüden     die Speere und das Schwert,

Sie tauschten scharfe Hiebe,—     die keiner doch begehrt.

Da galt es Speere werfen!     Es dauerte gar lang,

130

Bis sie das Land gewannen.     Der alte Wate sprang

Voll Ingrimm auf die Feinde     und griff sie hurtig an;

Was er im Sinne hatte,     bald ward es kund getan.

Es drang der König Ludwig     auf Waten ein voll Wut.

Mit einem scharfen Speere     traf er den Recken gut,

135

So dass die Stücke sprangen     hoch auf in alle Winde.

Stark war der König Ludwig.     Da kam das Ingesinde.

Auf den Helm des Königs     das Schwert Herr Wate schwang,

Dass die scharfe Schneide     bis auf das Haupt ihm drang.

Trüg’ er nicht unter der Brünne     ein dichtes Hemd, geschnitten

140

Aus Abalier Seide,     den Tod hätt’ er erlitten.

Wider den Degen Irolt     der kühne Hartmut sprang.

Ihrer beider Waffe     auf dem Helm erklang,

Es hallte das Schwertgetöse     weit über die Schar dahin.

Wacker hielt sich Irolt,     Hartmut war stark und kühn.

145

Herwig von Sewen,     ein Held berühmt und gut,

Verfehlt’ im Sprung’ das Ufer;     so sprang er in die Flut,

Dass er bis an die Achsel     tief in dem Wasser stand,

Ein harter Dienst um Minne     ward Herwig da bekannt.

Den edlen Recken wollten     ertränken in der Flut

150

Seine grimmen Feinde.     Viele Schäfte gut

Mussten an ihm splittern,     er eilte auf den Sand

Entgegen seinen Feinden;     nicht ruhte seine Hand.

80

Grössere Kampfesmühe     ward niemals Helden kund.

Nie hat man so viel Recken     gedrängt zum tiefen Grund.

155

Die ohne Wunden starben,     versenkt ins wilde Meer,

Ihrer war von beiden Seiten     ein ganzes Kriegesheer.

Als sie den Strand gewannen,     sah man die Wasserflut

Aus tiefen Todeswunden     gefärbt ringsum wie Blut.

Aus Freunden und aus Feinden     ein purpurroter Fluss,

160

So breit—sein End’ erreichte     nicht eines Speeres Schuss.

From Adventure 21: The hard fate of Gudrun in Normandy.

Da bot man Hetels Tochter     Burgen an und Land.

Weil keines sie begehrte,     musste sie Gewand

Alle Tage waschen     vom Morgen bis zur Nacht.

Drum sah man später Ludwig     sieglos vor Herwigs Macht.

165

Es ging der Degen Hartmut,     wo er die Seinen fand,

Er befahl in ihre Obhut     die Leute und das Land,

Dann zog er in die Ferne.     Er dacht’ in Sorgen schwer:

“Mich drängen viele Feinde;     drum setz’ ich mich zur Wehr.”

Da sprach mit Wolfessinne     die böse Frau Gerlind:

170

“Nun will ich, dass mir diene     der stolzen Hilde Kind.

Weil sie in ihrer Bosheit     sich dünkt so gut und treu,

Soll sie als Magd mir dienen;     leicht wär’ vom Schmach sie frei.”

Darauf die edle Jungfrau:     “Was ich leisten kann,

Das sei mit diesen Händen     früh und spät getan;

175

Mit Fleiss und gutem Willen     tu’ ich es immerdar,

Da mich mein herbes Schicksal     schuf aller Freude bar.”

Da sprach die böse Gerlind:     “Du sollst mein Gewand

Jeden Morgen tragen     nieder an den Strand;

Du sollst die Kleider waschen     mir und dem Ingesinde.

180

Und hüte dich, du Stolze,     dass man dich müssig finde.”

81

Darauf die edle Jungfrau:     “Fraue, hört mich an!

Nun lasst mich unterweisen,     dass ich lernen kann,

Wie ich die Kleider wasche     unten an dem Meer.

Ich mag nicht Freude haben,     ja, quält mich nur noch mehr!”

185

Da hiess sie eine Wäscherin     nieder an den Strand,

Dass sie es Kudrun lehrte,     tragen das Gewand.

Die Fürstentochter diente     in harter Pein und Not;

Niemand konnt’ es wehren;     es war Gerlinds Gebot.

From Adventure 28: The Hegelings take revenge; King Ludwig’s end.

Laut rief der edle Herwig:     “Wer ist der Alte da?

190

Von seinen starken Händen     schon vieles Leid geschah.

Er schlägt so tiefe Wunden     mit seiner grossen Kraft,

Dass er daheim den Frauen     viel Not und Wehe schafft.”

Das hörte König Ludwig,     der Held von Normandie.

“Wer ist’s, der im Getümmel     dort so gewaltig schrie?

195

Ich heisse König Ludwig     und Normandie mein Reich.

Wer mich zum Kampfe fordert,     dem achte ich mich gleich.”

Er sprach: “Ich heisse Herwig,     und du stahlst mir mein Weib.

Das sollst du wieder geben,     oder tot liegt hier ein Leib—

Der meine oder deine—     und dazu mancher Held.”

200

Herr Ludwig drauf: “Mit Drohen     hast du dich mir gestellt.

Doch sprachst du deine Beichte     wahrhaftig ohne Not.

Ich schlug schon manchem andern     die Anverwandten tot

Und nahm ihm seine Habe.     Du, prahle nicht so sehr;

Die Gattin, die du forderst,     küssest du nimmermehr.”

205

Kaum war das Wort gesprochen,     da sprengten sie heran,

Beide aneinander.     Mancher kühne Mann

Sprang an des Herren Seite     aus des Getümmels Drang;

Es musste heiss sich mühen,     wer da den Sieg errang.

82

Wohl war Herr Herwig wacker     und seiner Stärke froh,

210

Doch schlug Herrn Hartmuts Vater     den jungen König so,

Dass er begann zu sinken     vor Ludwigs rauher Hand;

Gern hätt’ er ihn auf ewig     getrennt vom Vaterland.

Wäre nicht so nah gewesen     Herrn Herwigs gutes Heer,

Das vor dem Feind ihn schützte,     er wäre nimmermehr

215

Von Ludwig geschieden     anders als im Tod;

Den jungen Herren brachte     der Held in grosse Not.

Sie halfen, dass das Fechten     kein böses Ende nahm.

Als er von seinem Falle     nun wieder zu sich kam,

Da hat nach einer Zinne2     er schnell emporgeschaut,

220

Ob er darin erblickte     wohl seines Herzens Traut.

Er dacht’ in seinem Herzen:     “Ach, wie ist mir geschehn!

Wenn meine Herrin Kudrun     hat meinen Fall gesehn,

Und wenn ich einst zum Weibe     die Königin gewinne,

So wird sie mich drum schelten     und weigern mir die Minne.

225

Dass mich der greise Recke     hier hat zu Fall gebracht,

Muss billig mich beschämen.”     Da hiess zu neuer Schlacht

Er seine Zeichen tragen     dahin, wo Ludwig stand;

Nach drängten seine Helden     mit Speer und Schildesrand.

In Ludwigs Rücken tobte     der Hegelinge Heer;

230

Er kehrte sich zum Feinde     und setzte sich zur Wehr.

Da rasselten die Hiebe,     da krachte mancher Schaft;

Die in der Nähe standen,     erprobten Ludwigs Kraft.

Es traf Kudruns Geliebter     unterm Helm und überm Rand

Den alten König Ludwig     mit heldenstarker Hand.

235

Er schlug ihm eine Wunde,     dass man nicht länger stritt;

Da war’s, wo König Ludwig     den grimmen Tod erlitt.

83
From Adventure 29: The fate of Queen Gerlinde.

Da trat dahin auch eilend     die böse Frau Gerlind;

Demütig fiel zu Füssen     sie Hildes schönem Kind.

“Nun schütze uns, o Herrin,     vor Wate,” war ihr Flehn;

240

“Denn du nur kannst es wenden,     sonst ist’s um uns geschehn.”

“Dass Ihr um Gnade bittet,     erhabene Königin,

Das höre ich nicht ungern;     doch steht nicht so mein Sinn.

Wann durfte ich Euch bitten?     Wann winktet Ihr Gewähr?

Ihr waret mir nie gnädig.     Drum trifft mein Zorn Euch schwer.”

245

Als nun der alte Wate     Herrn Ludwigs Königin sah,

Wie knirscht’ er mit den Zähnen!     Näher trat er da,

Ihm funkelten die Augen,     sein Bart war ellenbreit,

Vor dem von Stürmen bebte     im Saale Mann und Maid.

Er fasste ihre Hände     und zog zur Tür sie hin,

250

Da hub sie an zu jammern,     die arge Königin.

Er sprach in blindem Zorne:     “Fürstin stolz und hehr!

Für Euch wäscht meine Herrin     die Kleider nimmermehr.”

Als er hinaus die Fürstin     zog aus dem Gemach,

Da schaute manches Auge     ihm voller Neugier nach.

255

Er fasste ihre Haare,     wer hatt’ ihm das erlaubt?

Sein Zürnen war gewaltig,     er schlug ihr ab das Haupt.

1. Hetel and his men have taken possession of some ships belonging to a party of pilgrims. A Kocke was a wide, blunt-pointed convoy.

2. The fight takes place before the Norman castle.

XX. THE EARLIER MINNESINGERS

‘Early’ means, roughly, from 1150 to 1190. The lyric poets of this period were for the most part Austrian and Bavarian knights who lived remote from the French border and were little influenced by the now well-developed art of the troubadours and trouvères. They got their impulse rather from the simple love-messages and dance-songs which had long been current in Latin, probably also in artless German verses. These trifles were now translated, so to speak, into the terms of chivalrous sentiment. The art of the minnesingers culminated in the fascinating songs of Walter von der Vogelweide, and then, as their numbers increased, it gradually degenerated toward conventional inanity.

84

Of the selections below, the first five are by unknown authors. No. 1 is preserved in a girl’s Latin letter to her lover; see Des Minnesangs Frühling, by Lachmann and Haupt, page 221. No. 2 is found at the end of a Latin poem; see Vogt and Koch’s Geschichte der deutschen Literatur, 2nd edition, page 87. The translations of Nos. 6, 8, and 9 are also from Vogt and Koch; the others are those of Kinzel as found in Bötticher and Kinzel’s Denkmäler.

1
Mein.

Du bist mein, ich bin dein:

Des sollst du gewiss sein.

Du bist beschlossen

In meinem Herzen.

5

Verloren ist das Schlüsselein,

Du sollst immer drinnen sein.

2
Tanzlust des Mädchens.

Alles Trauern werf’ ich hin,

Auf die Heide steht mein Sinn;

Kommt, ihr Trautgespielen mein,

Dort zu sehn der Blumen Schein.

5

Ich sage dir, ich sage dir,

Meine Freundin, komm mit mir.

Minne süss, Minne rein,

Mache mir ein Kränzelein:

Tragen soll’s ein stolzer Mann,

10

Der wohl Frauen dienen kann.

Ich sage dir, ich sage dir,

Meine Freundin, komm mit mir.

3
Frühlingswonne.

Noch keinen Sommer sah ich je,

Der so lieblich deuchte mich.

Mit wie viel schönen Blumen hat

Die Heide heut gezieret sich!

5

Der Wald ist eitel Sanges voll,

Die Zeit, die tut den kleinen Vögeln wohl.

4
Gruss.

Der aller Welten Meister ist,

Der geb’ der Lieben guten Tag,

Von der ich wohl getröstet bin.

Sie hat mir all mein Ungemach

5

Durch ihre Freundlichkeit genommen,

Hat mich vor Untreu wohl bewahrt:

In ihre Gunst bin ich gekommen.

5
Zum Reihen!

Lasst springen den Reihen

Uns, Fraue mein,

Uns freuen des Maien,

Uns kommet sein Schein.

5

Der vordem der Heide

Bracht’ schmerzliche Not,

Der Schnee ist zergangen,

Und sie ist umfangen

Von Blumen so rot.

85
6
Herr von Kürenberg: Der Falke.

Ich zog mir einen Falken     länger denn ein Jahr.

Da er nach meinem Wunsche     nun gezähmet war,

Und ich ihm sein Gefieder     mit Golde schön umwand,

Hoch stieg er in die Lüfte     und flog dahin in fremdes Land.

5

Und nun hab’ ich ihn wieder     in stolzem Flug erblickt,

Es hält die seidne Fessel     ihm noch den Fuss umstrickt,

Ganz rot ihm das Gefieder     vom goldnen Schmucke scheint:

Gott sende die zusammen,     die in Liebe wären gern vereint!

7
Dietmar von Eist: Erinnerung.

Oben auf der Linde

Ein kleiner Vogel lieblich sang,

Vor dem Wald es hell erklang.

Da flog mein Herz geschwinde

5

An einen wohlbekannten Ort;

Viel Rosenblumen sah ich stehn.

Die mahnen die Gedanken mein

Dass sie zu einer Jungfrau gehn.

8
Dietmar von Eist: Der Falke.

Es stand eine Frau alleine

Und blickte über die Heide,

Blickt’ aus nach ihrem Lieben.

Einen Falken sah sie fliegen:

5

“Wie glücklich, Falke, du doch bist!

Du fliegst, wohin dir’s lieb ist.

Du erwählest in dem Walde

Einen Baum dir nach Gefallen.

Also hab’ auch ich getan:

10

Ich selbst erwählte mir den Mann,

Der wohlgefiel den Augen;

Das neiden andre Frauen.

Ach, liessen sie mir doch mein Lieb,

Da mich zu ihren Trauten nie Verlangen trieb!”

9
Dietmar von Eist: Tagelied.

“Schläfst du, holder Liebling du?

Man weckt uns, ach, nach kurzer Ruh’:

Schon hört’ ich, wie mit schönem Sang

Ein Vöglein auf der Linde Zweig sich schwang.”

5

“Von Schlafes Hülle sanft bedeckt,

Werd’ ich durch dein ‘Wach auf!’ geschreckt:

So folgt auf Liebes stets das Leid;

Doch, was du auch befiehlst, ich bin bereit.”

86

Aus ihrem Äug’ die Träne rann:

10

“Du gehst, verlassen bin ich dann.

Wann kehrst du wieder her zu mir?

Ach, meine Freude führst du fort mit dir.”

10
Heinrich von Veldeke: Vogelsang.

So in den Aprillen

Die Blumen entspringen,

Sich lauben die Linden

Und grünen die Buchen,

5

So mögen nach Willen

Die Vögelein singen.

Denn Minne sie finden,

Allda sie sie suchen,

Bei ihrem Genoss. Ihr Frohsinn ist gross;

10

Des nie mich verdross.

Denn sie schwiegen all den Winter stille.

Da sie an dem Reise

Die Blumen sahn prangen

Und Blätter entspringen,

15

Da hörte man schöne

Oft wechselnde Weise,

Wie vordem sie sangen.

Sie hoben ihr Singen

Mit lautem Getöne

20

Niedrig und hoch. Mein Sinn steht also:

Bin heiter und froh.

Recht ist’s, dass ich laut mein Glück preise.

11
Reinmar der Alte: Glücksverkündigung.

Froh bin ich der Märe,

Die ich hab’ vernommen,

Dass des Winters Schwere

Will zu Ende kommen.

5

Kaum erwart’ ich noch die Zeit,

Denn ich hatte nichts als Leid,

Seit die Welt rings war verschneit.

Hassen wird mich keiner,

Wenn ich fröhlich bin;

10

Weiss Gott! tät’ es einer,

Wär’s verkehrter Sinn.

Niemand ich ja schaden kann.

Wenn sie Gutes mir tut an,

Was geht’s einen andern an?

15

Sollt’ ich meine Liebe

Bergen und verhehln,

Müsst’ ich ja zum Diebe

Werden und gar stehln.

Nein, das kommt mir nicht zu Sinn,

20

Weil ich gar zu fröhlich bin,

Geh’ ich hier, geh’ dort ich hin.

Spielt sie mit dem Balle,

In der Mägdlein Chor:

Dass sie nur nicht falle,

25

Da sei Gott davor!

Mädchen, lasst eu’r Drängen sein!

Stosset ihr mein Mägdelein,

Halb dann ist der Schade mein.

87
12
Friedrich von Hausen: Zwiespalt.

Es will mein Herze und mein Leib sich scheiden;

So lange waren innig sie gesellt!

Mein Leib will einzig kämpfen mit den Heiden,

Doch hat mein Herz ein andres sich erwählt

5

Vor aller Welt. Wie quält es mich so sehr,

Dass Herz und Leib sich nicht mehr folgen beide!

Viel taten meine Augen mir zu Leide.

Entscheiden kann den Streit allein der Herr.

Von solchen Nöten glaubt’ ich mich errettet,

10

Da ich das Kreuz annahm zur Ehr’ des Herrn,

Mein Herze enger nur mit mir verkettet;

Doch bleibt beständig es in weiter Fern.

Welch reiches Leben sollte mir erstehn,

Liess fahren nur mein Herz sein töricht Streben.

15

Doch fragt es, merk’ ich, nichts nach meinem Leben,

Und wie es mir am Ende soll ergehn.

Doch, da ich, Herz, es nimmermehr kann wenden,

Dass du mich traurig lässt und einsam hier,

So bitt’ ich Gott, dass er dich wolle senden,

20

Dahin, wo man sich freundlich neiget dir.

O weh! Wie wird sich enden doch dein Wahn!

Wie durftest du entfliehen meinen Händen?

Wer soll dir deinen Kummer helfen enden

So treulich, wie ich sonst es hab’ getan?

13
Spervogel: Weibes Tugend.

Ob auch ein reines Weib nicht reiche Kleidung trägt,

Doch kleidet ihre Tugend sie, wer’s recht erwägt,

Dass sie so schön geblümet geht,

So wie die lichte Sonne steht

5

An einem Tag mit vollem Glanz,

88

Erstrahlend hell und reine.—

So viel die Falsche sich mit Kleidern schmückt,

Ihre Ehre bleibt doch kleine.

14
Spervogel: Priamel.1

Wer einen Freund will suchen,

Wo er niemand traut,

Und spürt des Wildes Fährte,

Wenn der Schnee schon taut,

5

Kauft ungesehn der Ware viel,

Und hält noch aufgegebenes Spiel,

Und dient nur bei geringem Mann,

Wo ohne Lohn er bleibet:

Den wird es einmal noch gereun,

10

Wenn er’s zu lange treibet.

1. From Latin praeambulum; a gleeman’s ‘prelude.’

XXI. WALTER VON DER VOGELWEIDE

The greatest of medieval lyrists. He was an Austrian, of knightly rank but poor, and was born about 1170. He led a wandering life, visiting many courts, taking a deep interest in public affairs and distinguishing himself by his matchless songs and Sprüche. In 1215 Emperor Friedrich II gave him a small estate near Würzburg. He died about 1230.

There are many translations of Walter, the best being by Simrock (1832), Panier (1878), Kleber (1894), and Eigenbrodt (1898). The translations below are from the sumptuous work of J. Nickol, Düsseldorf, 1904, which is itself eclectic and aims to give, for each poem, the best translation that could be found. No. 1 is by Pfaff, No. 2 by Simrock, 3 by Eigenbrodt, 4, 5, 6, 10 by Nickol, 7, 9, 11 by Panier, 8, 12 by Kleber.

1
Maienlust.

Wollt ihr schauen, was dem Maien

Wunders ist beschert?

Seht die Pfaffen, seht die Laien,

Wie das alles fährt!

5

Gross ist sein’ Gewalt:

Hat er Zauber sich ersonnen?

Wo er kommt mit seinen Wonnen,

Da ist niemand alt.

89

Uns soll alles wohl gelingen,

10

Fröhlich woll’n wir sein.

Lasst uns tanzen, lachen, singen,

Doch in Züchten fein.

Weh! Wer wär’ nicht froh,

Seit die Vöglein also schöne

15

Singen ihre besten Töne?

Tun wir auch also!

Wohl dir, Maie, dass du leidest

Weder Hass noch Streit!

Wie du schön die Bäume kleidest

20

Und die Heide weit!

Die hat Farben viel.

“Du bist kurzer, ich bin langer:”

Also streiten auf dem Anger

Blumen sich im Spiel.

25

Roter Mund, sollst dich bezähmen,

Lass dein Lachen sein!

Ach, es kann dich nur beschämen,

So zu spotten mein.

Ist das wohl getan?

30

Wehe der verlornen Stunde,

Soll von minniglichem Munde

Unminn’ ich empfahn!

Was mir alle Freude störet,

Seid Ihr, Frau, allein.

35

Ihr nur habt mich ja betöret,

So erbarmt Euch mein.

Wie steht Euch der Mut?

Wollt Ihr mir zu allen Tagen

Eure Gnade ganz versagen,

40

So seid Ihr nicht gut.

Lasst die Sorgen von mir scheiden,

Macht mir lieb die Zeit!

Sonst muss ich die Freude meiden,

Dass Ihr selig seid.

45

Wollt Ihr um Euch sehn?

Alles freut sich im Vereine,

Lasst von Euch auch eine kleine

Freude mir geschehn!

2
Frühling und Frauen.

Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,

Gleich als lachten sie hinauf zur Sonne,

Des Morgens früh an einem Maientag,

Und die kleinen Vöglein lieblich singen

5

Ihre schönsten Weisen: welche Wonne

Hat wohl die Welt, die so erfreuen mag?

Man glaubt sich halb im Himmelreiche.

Wollt ihr hören, was sich dem vergleiche,

So sage ich, was wohler doch

90 10

Schon öfter an den Augen tat

und immer tut, erschau’ ich’s noch.

Denkt, ein edles, schönes Fräulein schreite

Wohlbekleidet, wohlbekränzt hernieder,

Sich unter Leuten fröhlich zu ergehn,

Hochgemut im fürstlichen Geleite,

15

Etwas um sich blickend hin und wieder,

Wie Sonne neben Sternen anzusehn:

Der Mai mit allen Wundergaben

Kann doch nichts so Wonnigliches haben

Als ihr viel minniglicher Leib;

20

Wir lassen alle Blumen stehn

und blicken nach dem werten Weib.

Nun wohlan, wollt ihr Beweise schauen:

Gehn wir zu des Maien Lustbereiche,

Der ist mit seinem ganzen Heere da.

Schauet ihn und schauet edle Frauen,

25

Was dem andern wohl an Schönheit weiche.

Ob ich mir nicht das bessre Teil ersah.

Ja, wenn mich einer wählen hiesse,

Dass ich eines für das andre liesse,

Ach, wie so bald entschied’ ich mich:

30

Herr Mai, ihr müsstet Jänner sein,

eh’ ich von meiner Herrin wich’.

3
Schönheit und Tugend.

Heil sei der Stunde, da sie mir erschienen,

Die mir den Leib und die Seele bezwungen!

Alle Gedanken ihr einziglich dienen;

Das ist mit Güte der Guten gelungen.

5

Dass ich nicht lassen und meiden sie kann,

Hat ihre Schönheit und Güte vollbracht

Und ihr roter Mund, der so wonniglich lacht.

91

Seele und Sinne, die hab’ ich gewendet

Auf die Vielreine, die Liebe, die Gute.

10

Werde uns beiden noch lieblich vollendet,

Was zu gewähren sie hold mir geruhte!

Was ich an Freude auf Erden gewann,

Hat ihre Schönheit und Güte vollbracht

Und ihr roter Mund, der so wonniglich lacht.

4
Das Tröstelein

In einem zweifelvollen Wahn

War ich gesessen und gedachte

Zu lassen ihren Dienst fortan,

Als mich ein Trost ihr wiederbrachte.

Trost mag es wohl nicht heissen, denn zur Stund’

Ist es ja kaum ein kleines Tröstelein,

So klein, wenn ich’s euch sag’, ihr spottet mein.

Doch Freude ist erlaubt auch aus geringem Grund.

Mich hat ein Halm gemachet froh,

Der sagt, ich solle Gnade finden.

Ich mass dasselbe kleine Stroh,

Wie ich zuvor es sah bei Kinden.

Nun höret denn und merket wohl, ob sie es tu’:

“Sie tut, tut’s nicht, sie tut, tut’s nicht, sie tut.”

Wie oft ich mass, so war noch je das Ende gut.

Das tröstet mich, doch da gehöret Glaube zu.

Wie lieb sie mir von Herzen sei,

So kann ich es gar wohl noch leiden,

Zählt sie mich nur den Besten bei;

Ich darf ihr Werben ihr nicht neiden.

Wie ich es kann erkennen, glaub’ ich nicht,

Dass sie ein andrer wankend machen möge;

Ich wollte, die Getäuschten sähn, dass Wahn sie tröge,

Denn allzulange schon hört sie auf jeden Wicht.

92
5
Wert der Minne.

Was soll ein Mann, der nicht begehrt

Zu werben um ein reines Weib?

Bleibt er von ihr auch unerhört,

Es hebt ihm Seele doch und Leib.

Er tu’ um Einer willen so,

Dass er den andern wohlbehagt,

Dann macht ihn wohl die Eine froh,

Wenn sich die Andre ihm versagt.

Des achte, wenn er liebt, der Mann,

Viel Glück und Ehre liegt daran.

Wer guten Weibes Minne hat,

Der schämt sich keiner Missetat.

6
Doppelzüngigkeit.1

Gott gibt zum König, wen er will;

Darüber wundr’ ich mich nicht viel:

Uns Laien wundert nur der Pfaffen Lehre,

Was sie gelehrt vor wenig Tagen,

Dass woll’n sie heut schon anders sagen.

Nun denn, bei Gott und eurer eignen Ehre,

So sagt uns denn in Treue,

Mit welcher Red’ ihr uns betrogen.

Erkläret uns die eine recht von Grunde,

Die alte oder neue.

Uns dünket, eines sei gelogen;

Zwei Zungen stehen schlecht in einem Munde.

93
7
Glückes Ungunst.

Frau Glück verteilet rings um mich

Und kehret mir den Rücken zu.

Sie will nicht mein erbarmen sich;

Ich weiss nicht, was ich dazu tu’.

Sie zeigt nicht gern ihr Antlitz mir,

Lauf ich um sie herum, bin ich doch hinter ihr

Denn ihr beliebt’s nicht mich zu sehn;

Ich möcht’, dass ihr die Augen an den Nacken ständen, dann müsst’s ohn’ ihren Wunsch geschehn.

8
Das Lehen.

Ich hab’ ein Lehen, alle Welt, ich hab’ ein Lehen!

Jetzt fürcht’ ich weder mehr den Hornung an den Zehen,

Noch will die bösen Herrn um ihre Gunst ich flehen.

Der edle Herr, der milde Herr hat mich beraten,

Dass ich im Sommer Luft, im Winter Wärme haben kann.

Die Nachbarn sehn mich jetzt mit andern Augen an,

Sie sehn nicht mehr den Butzemann in mir, wie sie es taten.

Zu lange war ich arm, das weiss ich keinem Dank;

Ich war so voll des Scheltens, dass mein Atem stank.

Den hat der König rein gemacht, dazu auch meinen Sang.

9
Morgengebet.

Mit Segen lass mich heut erstehn,

Herr Gott, in deiner Obhut gehn

Und reiten, wo hinaus mein Fuss sich kehre.

Herr Christ, lass sichtbar an mir sein

5

Die grosse Kraft der Güte dein

Und schütze mich um deiner Mutter Ehre.

Wie ihrer Gottes Engel pflag

Und dein, der in der Krippe lag,

94

Jung als Mensch und alt als Gott,

10

Demütig vor dem Esel und dem Rinde,

Und dennoch schon in fester Hut

Hielt Joseph sie und dich so gut

Wohl mit Treuen sonder Spott:

So schütz’ auch mich, dass man gehorsam finde

15

Mich deinem göttlichen Gebot.

10
Die drei Dinge.

Ich sass auf einem Steine

Und deckte Bein mit Beine.

Darauf setzt’ ich den Ellenbogen;

Ich hatt’ in meine Hand gezogen

5

Das Kinn und eine Wange.

Da dachte ich gar bange,

Wie man auf Erden sollte leben;

Doch keinen Rat konnt’ ich mir geben,

Wie man drei Ding’ erwürbe,

10

Dass keins davon verdürbe.

Die zwei sind Ehr’ und fahrend Gut,

Das oft einander Schaden tut;

Das dritt’ ist Gottes Segen,

Daran ist mehr gelegen.

15

Die wünscht’ ich gern in einen Schrein.

Ja, leider mag das nimmer sein,

Dass Gut und weltlich’ Ehre

Und Gottes Huld, die hehre,

Je wieder in Ein Herze kommen.

20

Ihnen ist Weg und Steg benommen:

Untreue liegt im Hinterhalt,

Und auf der Strasse fährt Gewalt;

Friede und Recht sind beide wund,

Die dreie finden kein Geleit, die zwei denn werden erst gesund.

95
11
Abschied von der Welt.

Frau Welt, Ihr sollt dem Wirte sagen,

Dass ich ihn ganz bezahlet habe;

All meine Schuld sei abgetragen,

Dass er mich aus dem Schuldbrief schabe.

5

Wer ihm was soll, der mag wohl sorgen;

Eh’ ich ihm lange schuldig blieb, eh’r wollt’ ich bei den Juden borgen.

Er schweiget bis auf einen Tag,

Dann aber nimmt er sich ein Pfand, wenn jener nicht bezahlen mag.

Elegie.

O weh, wohin entschwunden sind alle meine Jahr!

Ist mir mein Leben geträumet, oder ist es wahr?

Was ich je wirklich wähnte, war’s nur ein Traumgesicht?

So hab’ ich denn geschlafen, und ich weiss es nicht!

5

Jetzt bin ich erwacht, und ist mir unbekannt,

Was mir vordem war kundig, wie meine rechte Hand.

Leut’ und Land, da ich von Kindheit an erzogen,

Die sind mir fremd geworden, als ob es sei erlogen;

Die mir Gespielen waren, die sind träg’ und alt,

10

Geackert ist das Feld, gehauen ist der Wald.

Wenn nicht das Wasser flösse, wie es weiland floss,

Fürwahr, ich wähnte, mein Unglück es wär’ gross.

So kalt grüsst jetzt mich mancher, der einst mich wohl gekannt;

Voll Not und Trübsal ist die Welt in Stadt und Land.

15

So ich gedenk’ an manchen wonniglichen Tag,

Die sind mir entfallen, recht wie ins Meer ein Schlag.

Immermehr o weh!

O weh, wie jämmerlich doch junges Volk jetzt tut,

Dem ehmals nie verzagte in der Brust der Mut!

20

Die tragen sich mit Sorgen, weh, was tun sie so!

Wohin ich immer blicke, keinen seh’ ich froh.

Tanzen, Lachen, Singen, vergeht vor Sorgen gar;

96

Nie sah man unter Christen so jämmerliche Schar.

Seht nur der Frauen Schmuck, der einst so zierlich stand;

25

Die stolzen Ritter tragen bäurisches Gewand.

Uns sind ungnädige Briefe2 her von Rom gekommen;

Uns ist erlaubt zu trauern, und Freude gar benommen.

Das schmerzt mich tief im Herzen—wir lebten einst so wohl—

Dass ich nun für mein Lachen Weinen tauschen soll.

30

Die Vöglein in dem Walde betrübet unsre Klage,

Was Wunder, wenn auch ich darüber schier verzage?

Doch, ach, was sprech’ ich Tor in meinem sündigen Zorn?

Wer dieser Wonne folget, der hat jene dort verlorn.

Immermehr o weh!

35

O weh, wie ward uns Gift mit Süssigkeit gegeben!

Die Galle seh’ ich mitten in dem Honig schweben.

Die Welt ist aussen lieblich, weiss und grün und rot,

Doch innen schwarzer Farbe, finster wie der Tod.

Wen sie verleitet habe, der suche Trost bei Zeit;

40

Er wird mit leichter Busse von schwerer Schuld befreit.

Daran gedenket, Ritter, es ist euer Ding!

Ihr tragt die lichten Helme und manchen harten Ring,

Dazu die festen Schilde und das geweihte Schwert;

Wollte Gott, ich wäre für ihn zu streiten wert!

45

So wollt’ ich armer Mann verdienen reichen Sold;

Nicht mein’ ich Hufen Landes, noch der Herren Gold.

Ich möchte jene ewigliche Krone tragen,

Ein Söldner könnte sie wohl mit seinem Speer erjagen.

Könnt’ ich die teure Reise fahren über See,

50

So wollt’ ich wieder singen “wohl” und nimmermehr “o weh,”

Nimmermehr o weh!

1. Pope Innocent III was at first a partisan of Otto the Saxon and consecrated him as emperor. But when Otto invaded Italy in 1210 the Pope turned against him and excommunicated him.

2. The pope’s excommunication of Emperor Friedrich II, in September, 1228.

XXII. HEINRICH VON VELDEKE’S ENEID

A Low German poem of 13,528 verses, completed between 1184 and 1190. Its author was a Netherlander of knightly rank who finished his poem in Thuringia and was regarded by his successors as the father of the riming love-romance. 97 His chief source was an Old French Roman d’Enéas, but he dealt very freely with his French text, omitting much, adding much and making some use, possibly, of the Latin original.

Lines 1450-1534: The love-smitten Dido confides in her sister Anna.
1450

Sie ging in ihre Kemenate,

Wo ihre Frauen lagen.

Als die sie kommen sahen,

Waren sie all’ in Sorgen:

Es war doch früh am Morgen.

1455

Sie hatte grosses Ungemach;

Bedeutungsvoll sie sprach

Zu ihrer Schwester Annen;

Die führte sie von dannen

In ihre Kemenate wieder.

1460

Sie fiel am Bette nieder

Und klagte ihr ihr Ungemach,

Wie sie die ganze Nacht

Schlaflos geblieben war.

Sie seufzte tief fürwahr,

1465

Gar traurig war ihr Sinn,

Sie sprach: “Mein’ Ehr’ ist hin.”

“Fraue Schwester Dido,”

Sprach Anna, “wie denn so?

Sagt, was ist Eure Not?”

1470

“Schwester, ich bin fast tot.”

“Erkranktet Ihr? Zu welcher Stund’?”

“Schwester, ich bin ganz gesund,

Doch kann ich nicht genesen.”

“Schwester, wie mag das wesen?

1475

Ich meine, Frau, ‘s ist Minne.”

“Ja, Schwester, zum Wahnsinne.”

“Warum betragt Ihr Euch also,

Liebe Fraue Dido?

Was wollt Ihr so verderben?

1480

Ihr dürft nicht an Minne sterben.

Ihr mögt sehr wohl genesen

Und nachher glücklich wesen.

Es ist kein Mann auf Erden,

Der nicht Euer könnte werden,

1485

Der nicht froh wär’ Eurer Minnen;

Ihr sollt Euch bass besinnen.”

Da versetzte Frau Dido:

“Es steht mir nicht also.

Wahr ist es in der Tat,

1490

Ich sollte finden andern Rat;

Ich tät’ es, wär’s in meiner Wahl.

Ihr wisset, dass ich dem Gemahl

Sicheus gelobte und verhiess,

Der mir ein gross Gut hinterliess

1495

Und auch grosse Ehr’,

Dass ich nun nimmermehr

Einen Mann würde nehmen,

Was für Freier immer kämen.”

Da sprach aber Anna:

1500

“Ihr redet von dem Manne

Allzuviel und ohne Not.

Er ist seit vielen Tagen tot.

Wo steht denn Euer Sinn?

Wie hätte er Gewinn,

1505

Wenn Ihr jetzt verdürbet

Und törichterweise stürbet?

Ihr braucht nicht Euer Leben

Seinetwegen zu vergeben.

Er könnt’ es Euch nicht lohnen.

98 1510

Ihr sollt Euch selber schonen.

Die Rede, die Ihr tut,

Sie ist ja gar nicht gut.

Lasst solche Rede sein

Und folgt dem Rate mein;

1515

Das ist grössere Weisheit.

Sagt mir nur die Wahrheit:

Wer ist der selige Mann,

Dem Gott es gönnen kann,

Dass Ihr ihn wollt minnen?

1520

Das gebt mir zu besinnen.

Ich will Euch raten dann

So gut, wie ich es kann,

Weil ich Euch Gutes gönne.

Ob ich so raten könne,

1525

Dass Ihr damit gedienet seid?

Nun sagt es mir, es ist ja Zeit.”

Sie sprach: “Ich will’s nicht hehlen.

Ich will Euch jetzt befehlen

Ehre so wohl als Leben.

1530

Ihr sollt mir Rat drauf geben.

Es ist,” sprach sie, “ein Mann,

Dem keiner gleichen kann.

Ich muss verraten seinen Nam’

Trotz meiner grossen Scham;

1535

Das Nennen tut mir weh.

Er heisset,” sprach sie, “E”—

Und nach dem NE ward es gar lang,

So sehr die Minne sie bezwang,

Bevor sie deutlich sagte AS;—

1540

Dann wusste Anna, wer er was.

Lines 9735-9820: Pending the fight between Eneas and Turnus, Lavinia hears of Minne from her mother.
9735

Da nun zwischen beiden

Der Zweikampf sollt’ entscheiden,

Recht war es ihrer Tapferkeit.

Sie machten sich bereit

Mit mannlichem Sinn.

9740

Da ging die Königin

Eines Abends spat

In ihre Kemenat

Und rief die Tochter zu sich,

Eine Jungfrau minniglich.

9745

Zu reden sie begonnte,

Wie sie es wohl konnte,

Mit sehr klugem Sinn.

Es sprach die Königin:

“Lavine, schönes Mägdelein,

9750

Du liebe Tochter mein,

Vielleicht es nun so endet,

Dass der Vater dir entwendet

Grosses Gut und grosse Ehr’:

Turnus, der edle Herr,

9755

Der deine Minne stark begehrt,

Ist deiner durchaus wert;

Des hab’ ich sichere Kunde.

Und wärest du zur Stunde

Tausendmal so schön und gut,

9760

Du könntest billig deinen Mut

Dem tapfern Mann zukehren;

Ich gönne dir die Ehren.

Ich will, dass du ihn minnest,

Und dabei auch erkennest,

9765

Dass er ein edler Herr.

Drum lob’ ich dir so sehr

Den Helden wonnesam.

Sei doch Eneas gram,

Jenem Trojaner schlecht,

9770

Der ihn erschlagen möcht’,

Der dich im Herzen trägt

99

Dir ist’s ja auferlegt,

Ihm Ungunst zu erzeigen

Und stetiges Abneigen,

9775

Ihm keine Ehr’ zu zollen,

Ihm Gutes nicht zu wollen.

Du sollst ihm bleiben kalt,

Weil er dich mit Gewalt

Nun wähnet zu gewinnen.

9780

Er strebt nach deiner Minnen

Nur wegen deines Gutes:

Was er bestrebt, er tut es,

Damit er dich erwerbe

Und mit dir nun als Erbe

9785

Gewinne auch zugleich

Deines Vaters Reich.

Du tätest, wie ich wollt’,

Würdest du Turnus hold.”

“Womit soll ich ihn minnen?”

9790

“Mit Herzen und mit Sinnen.”

“Soll ihm mein Herze geben?

Wie könnte ich dann leben?”

“Unwissend bist du, wie man sieht.”

“Was, wenn es nicht geschieht?”

9795

“Was, wenn’s geschehen tut?”

“Wie kann ich meinen Mut

Einem Manne zukehren?”

“Die Minne wird’s dich lehren.”

“Um Gotteswillen, was ist Minne?”

9800

“Sie ist vom Urbeginne

Der Erde Herrscherin

Und bleibt’s auch fernerhin

Bis zu dem jüngsten Tag.

In keiner Weise mag

9805

Ein Mensch ihr widerstehen,

Denn sie kann niemand sehen

Noch betasten mit der Hand.”

“Die hab’ ich, Fraue, nie gekannt.”

“Du sollst sie kennen lernen noch.”

9810

“Wann erwartet Ihr es doch?”

“Ich erwart’ es, wie ich mag.

Vielleicht erleb’ ich noch den Tag,

Da du ungebeten minnest.

Und wenn du es beginnest,

9815

Wirst du empfinden Lust dazu.”

“Ich weiss, dass ich’s nicht tu’.”

“Es kommt, so sicher du auch bist.”

“Dann sagt mir, was die Minne ist.”

“Ich kann sie nicht beschreiben.”

9820

“Dann lasst es doch noch bleiben.”

Lines 10031-79: Lavinia’s first glimpse of Eneas.

Als der Held dahin kam,

Und die Jungfrau wonnesam

Ihre Augen kehrte dar

Und sein da unten ward gewahr

10035

Von ihrer hohen Zinne,

Durchschoss sie nun Frau Minne

Mit einem scharfen Pfeil;

Drum ward ihr Qual zuteil

Auf manche lange Stunde.

10040

Sie empfing eine Wunde,

In ihrem Herzen drinnen,

So dass sie musste minnen

Und konnte nichts dafür.

100

Gram ward die Mutter ihr,

10045

Deren Huld sie ganz verlor,

Denn sie brannte und sie fror

Fast in derselben Stunde.

Die Art und Weis’ der Wunde,

Das Übel war ihr unbekannt.

10050

Sehr bald sie nun verstand

Ihrer Mutter Geheiss.

Sie ward unmässig heiss

Und danach wieder kalt,

Sie kam in Ungewalt,

10055

Unangenehm sie lebte,

Sie schwitzte und sie bebte,

Wurde bleich und wurde rot;

Sehr gross war ihre Not

Und ihres Leibes Ungemach,

10060

Da fand sie Kraft und sprach.

Als das Herz ihr wiederkam,

Sprach die Jungfrau wonnesam

Jämmerlich sich selber zu:

“Ich weiss nicht leider, was ich tu’;

10065

Ich weiss nicht, was mich schiert,

Dass ich bin so verwirrt.

Nie ward mir solches kund;

Ich war bisher gesund

Und bin nun jetzt fast tot.

10070

Wer hat in kurzen Stunden

Das Herz mir festgebunden,

Das früher ledig war und frei?

Mir ahnt, es sei das Ungemach,

Von dem vorher die Mutter sprach.

10075

Zu früh hat’s mir passiert!

Wär’ ich doch ungeniert

Von—Minne, wie ich sie verstand,

Ja, Minne hat sie es genannt!”

XXIII. HARTMANN VON AUE

The first in order of the three great romancers who interpreted the French tales of chivalry for medieval Germany. They were adapters rather than translators, just as were the French poets themselves in relation to their Keltic sources. Hartmann was born in Swabia about 1165, took part in a crusade, probably that of 1197, and died before 1220. His chief works are the two Arthurian romances Erec and Iwein, and the two pious ‘legends’ Gregorius and Der arme Heinrich. The selection from Der arme Heinrich is given in Bötticher’s translation, as found in Bötticher and Kinzel’s Denkmäler, II, 2.

 I 
From ‘Iwein’, lines 2073-2338: The enterprising maid Lunete persuades her mistress to marry Iwein, who has just slain her husband.

Dass sie der Magd je Hartes sprach,

Davon litt sie solch Ungemach,

2075

Dass sie es sehr bereute.

Als sich der Tag erneute,

War jene noch einmal gekommen

Und wurde besser aufgenommen

Als sie entlassen ward vorher.

101 2080

Die Frau ermunterte sie sehr

Mit gütigem Empfange.

Es dauerte nicht lange,

Bevor sie nun also begann:

“Du lieber Gott, wer ist der Mann,

2085

Den du mir gestern lobtest?

Ich glaube nicht, du tobtest,

Denn der war nicht von Herzen matt,

Der meinen Herrn erschlagen hat.

Hat er Geburt und Jugend

2090

Und sonst etwa ‘ne Tugend,

So dass er mir zum Herren ziemt,

Und dass die Welt, wenn sie’s vernimmt,

Mir’s nicht zu sehr verdenken kann,

Dass ich genommen hab’ den Mann,

2095

Der mir den Herrn erschlagen?

Kannst du mir von ihm sagen,

Was mir in seiner Tugend Licht

Dem üblen Ruf die Spitze bricht?

Und rätst du mir sodann,

2100

Ich nähme ihn zum Mann?”

Sie sprach: “Es dünkt mich gut.

Mich freut, dass Ihr den Mut

So schnell habt umgekehret.

In ihm seid Ihr geehret;

2105

Zu fürchten wäre keine Scham.”

Sie sprach: “Was ist also sein Nam’?”

“Er nennt sich Herr Iwein.”

Gleich stimmten sie nun überein.

Sie sprach: “Der Nam’ ist mir doch kund

2110

Seit mancher langen Stund’.

Er ist gewiss vom hohen Stamm

Des Königs Vriën lobesam.

Nun ist die Sache klar zum Teil,

Und krieg’ ich ihn, so hab’ ich Heil.

2115

Aber, Gesellin, weisst du recht,

Ob er mich auch haben möcht’?”

“Es wär’ ihm lieb, wär’s schon geschehn.”

“Und sage mir, wie bald wird’s gehn?”

“In ungefähr vier Tagen.”

2120

“Ach Gott, was willst du sagen!

Zu lang machst du die Frist.

Bedenke dich, ob’s möglich ist,

Dass ich ihn morgen—heute—sehe.”

“Wie wollt Ihr, Frau, dass das geschähe?

2125

Zu denken wäre nicht daran:

Es lebt auf Erden nicht der Mann,

Er habe denn Gefieder,

Der käme hin und wieder

In solcher kurzen Frist;

2130

Ihr wisst, wie fern es ist.”

“So überlass es meinem Witz.

Mein Garçon läuft ja wie der Blitz;

Zwei Tag’ ein andrer reiten muss,

Er macht’s in einem Tag zu Fuss.

2135

Der Mondschein ihm auch helfen mag:

Er mache ja die Nacht zum Tag.

102

Auch sind die Tag’ unmässig lang;

Sag’ ihm, es lohnt sich hoch sein Gang,

Und dass es ihm recht lange frommt,

2140

Wenn er schon morgen wiederkommt.

Er rühre tüchtig nur die Bein’

Und mache die vier Tag’ zu zwein.

Er soll sich sputen sehr

Und ausruhen nachher,

2145

So lang er eben ruhen möcht’.

Nun, Trautgesellin, mach’s ihm recht!”

Sie sagte: “Frau, es soll geschehn;

Doch eines sei nicht übersehn:

Befragt doch Eure Leute

2150

Gleich morgen oder heute;

Denn paart Ihr Euch ohn’ ihren Rat,

Es wäre eine üble Tat.

Wer sich berät in diesen Dingen,

Dem kann es nimmermehr mislingen.

2155

Was man alleine tut,

Wird es nachher nicht gut,

Bringt böses Leid in Doppelmass:

Den Schaden und der Freunde Hass.”

Sie sprach: “O weh Gesellin traut,

2160

Wie mir vor diesem Schritte graut!

Man wird vielleicht dagegen sein.”

“Nur nichts vom Bangen, Fraue mein!

Es ist gewiss kein andrer Held,

Und sucht Ihr durch die ganze Welt,

2165

Der wahrte Euch wie er den Bronn;

So wird die Meinung sein davon.

Mit Freude, zweifelt nicht daran,

Wird jederman in Eurem Bann

Solch Landeshut begrüssen;

2170

Man wirft sich Euch zu Füssen

Und bittet Euch, hat man’s erfahren,

Geschwinde Euch mit ihm zu paaren.”

Sie sprach: “Nun lass den Garçon ziehn!

Indessen will ich mich bemühn,

2175

Botschaften auszusenden;

Wir wollen die Rede enden.”

Leicht hätte sie ihn fortgesandt,

Denn er befand sich gleich zur Hand.

Der Garçon auf den Wink der Maid

2180

Verbarg sich mit Geschwindigkeit;

Schnell fasste ja der flinke Knapp,

Was man ihm auszuführen gab.

Er konnt ihr helfen bei dem Lügen

Und ohne jede Bosheit trügen.

2185

Eh’ ihre Herrin hatte Zeit,

Zu träumen von der Möglichkeit,

103

Der Knabe sei schon auf dem Wege,

Nahm sie den Ritter in die Pflege,1

Wie Gott allein sie lohnen kann.

2190

Mit schönster Bitte ging sie dran.

Es lagen Kleider da bereit

In dreifacher Vortrefflichkeit,

Grau, hermelin und bunt;

Ging doch der Wirt zu jeder Stund’

2195

Gekleidet wie ein Hofgalan,

Der viel auf Leibespflege sann

Und nie am Prunk es fehlen liess.

Das schönste sie ihn wählen hiess

Und kleidete ihn damit an.

2200

Am nächsten Abend ging sie dann,

Wo sie die Frau alleine fand,

Und machte sie gleich vor der Hand

Von Freude bleich und rot.

Sie sprach: “Gebt mir das Botenbrot!

2205

Der Garçon ist gekommen.”

“Hast schon etwas vernommen?

Ist’s gute Märe? Sprich doch! Wie?

Also ist Herr Iwein hie?

Wie ist es ihm so früh geglückt?”

2210

“Die Liebe hat ihn hergeschickt.”

“Ach Gott! Doch sprich! Wer weiss davon?”

“Es weiss bisher kein Muttersohn

Als Euer Knab’ und wir.”

“Wann führst du ihn zu mir?

2215

Geh stracks zu ihm, ich bitte dich.”

Die flinke Magd entfernte sich

Und machte mit verstellter Mien’,

Als vor dem Ritter sie erschien,

Als ob mit böser Märe

2220

Sie ihm gesendet wäre.

Sie hing den Kopf und sah ihn an

Und trauriglich also begann:

“Ach, lieber Gott, mit mir ist’s aus!

Die Herrin weiss, dass Ihr im Haus.

2225

Für mich hat sie nun nichts als Zorn;

Ich habe ihre Huld verlorn,

Weil ich Euch barg im Schlosse hier.

Doch sagt sie, es beliebe ihr

Euch einmal näher anzusehen.”

2230

“Und sollte das nun nicht geschehen,

Ich liess ihr eher meinen Leib.”

“Sie sollt’ Euch töten? Sie, ein Weib?”

“Sie hat ja doch ein starkes Heer.”

“Oh, Ihr genest wohl ohne Wehr.

2235

Ich hab’s von ihr mit Sicherheit,

Dass Euch in keiner Weise leid

104

Von ihren Händen soll geschehen;

Sie wünscht Euch nur allein zu sehen.

Ihr müsst Euch nur gefangen geben;

2240

Es geht Euch anders nicht ans Leben.”

Er sagte: “Sie holdseliges Weib!

Ich will es gern, dass dieser Leib

Auf immer ihr Gefangener sei,

Und dass mein Herz sei auch dabei.”

2245

Jetzt stand er auf und ging dahin,

Ein seliger Mann mit frohem Sinn,

Und ward kühl aufgenommen.

Als er vor sie gekommen,

Begrüsst’ ihn weder Wort noch Neigen.

2250

Ihr langes, langes Stilleschweigen

Begann ihm endlich sauer zu werden;

Er wusste nicht sich zu gebärden.

Er blieb in weiter Fern’ zurück

Und sah sie an mit scheuem Blick.

2255

Da beide schwiegen, sprach die Magd:

“Herr Iwein, warum so verzagt?

Lebt Ihr und habt Ihr einen Mund?

Ihr redetet vor kurzer Stund’;

Jetzt werdet Ihr ganz stumm.

2260

In Gottes Namen, sagt warum

Ihr meidet ein so schönes Weib.

Weh dessen unglücksel’gem Leib,

Der ohne Dank je einen Mann,

Der doch geläufig sprechen kann,

2265

Zu einer schönen Frau geleitet,

Die er dann anzureden meidet!

Rückt ihr nur näher ohne Scheu!

Ich sage Euch bei meiner Treu,

Sie wird Euch doch nicht beissen! Traun!

2270

Fügt man dem andern solches Graun,

Wie ihr von Euch geschehen,

Und will man Gnade sich versehen,

Dazu gehört ein besserer Lohn.

Ihr habt den König Askalon,

2275

Den ihr so lieben Herrn erschlagen:

Könnt Ihr auf Gunst zu hoffen wagen?

Ihr steht in grosser Schuld;

Nun werbt um ihre Huld!

Wir wollen sie beide bitten,

2280

Dass sie, was sie erlitten,

Geruhe zu vergessen.”

Jetzt ward nicht mehr gesessen.

Er warf sich ihr zu Füssen

Und bat um holdes Grüssen

2285

Als schuldbelad’ner Mann.

Er sprach: “Ich mag und kann

Euch Besseres nicht bezeigen

An Ehr’ und treuem Neigen

Als wenn ich sage: Richtet mich!

2290

Was Ihr mögt wollen, das will ich.”

105

“Wollt Ihr denn alles, was ich will?”

“Ja wohl; es dünkt mich nicht zu viel.”

“So nehm’ ich Euch vielleicht den Leib.”

“Wie Ihr gebietet, holdes Weib.”

2295

“Nun ja, was soll ich reden lang?

Da Ihr Euch ohne jeden Zwang

In meine Macht ergeben,

Nähm’ ich nun Euch das Leben,

Es ziemte nicht dem Weibe.

2300

Glaubt aber nicht bei Leibe,

Dass es aus Wankelmut geschehe,

Wenn ich Euch jetzt, wie ich gestehe,

Nur allzu früh empfang’ in Gnade.

Von Euch entstand mir solcher Schade,

2305

Dass, stünd’ es mir um Ehr’ und Gut,

Wie es den meisten Frauen tut,

Ich sicherlich nicht wollte,

Wie ich es auch nicht sollte,

So jäh Euch Gnad’ erteilen.

2310

Nun gilt es aber eilen;

Denn da es zu erwarten steht,

Dass mir mein Land verloren geht

Gleich heute oder morgen,

Muss ich mich schnell versorgen

2315

Mit einem Mann zur Landeswehr.

Ihn find’ ich nicht in meinem Heer,

Seit mein Gemahl erschlagen ist;

Drum muss ich nun in kurzer Frist

Mir einen Mann erküren

2320

Oder mein Land verlieren.

Nun sollt Ihr mir aufrichtig sagen:

Da Ihr den Herrn mir habt erschlagen,

So seid Ihr wohl ein tüchtiger Mann;

Und wenn ich Euch gewinnen kann,

2325

Bin ich mit Euch doch wohl bewahrt

Vor fremdem Hochmut jeder Art.

Und glaubt, was ich Euch nun erkläre:

Eher als dass ich Euch entbehre,

Gält’ ich sogar als ungesittet;

2330

Obwohl das Weib den Mann nicht bittet,

Bitt’ ich zuerst und bitte sehr.

Bedrängen will ich Euch nicht mehr,

Ich will Euch gerne. Wollt Ihr mich?”

Er sagte: “Frau, verneinte ich,

2335

So wär’ es um mein Glück geschehen.

Der liebste Tag, den ich gesehen,

Der ist mir heute widerfahren,

Und möge Gott mein Heil bewahren!”

106
 II 
From ‘Der arme Heinrich’, lines 1004-1247: Poor Henry at Salerno with the maid who is eager to give her heart’s blood that he may be cured of his leprosy.

So fuhr denn nach der Stadt Salern

1005

Die treue Magd mit ihrem Herrn.

Es trübt des Herzens Fröhlichkeit

Nichts mehr, als dass der Weg so weit,

Dass ihr so lang das Licht noch schien.

Und als er sie gebracht dahin,

1010

Wo er den Meister wohlbekannt,

Wie er gedachte, wiederfand,

Ward’s dem gar fröhlich angesagt,

Gefunden wäre jetzt die Magd,

Die einst er ihn gewinnen hiess.

1015

Zugleich er ihn sie sehen liess.

Den däuchte das unglaublich schier.

Er sprach: “Mein Kind, und hast du dir

Solch Willen wohl auch klar gemacht?

Wie? Hat zu dem Entschluss gebracht

1020

Dich Wunsch und Drohung deines Herrn?”

Die Jungfrau sprach, sie tu’ es gern

Aus ihrem eignen Herzen sei

Der Wunsch gekommen, frank und frei.

Gross Wunder däucht’ ihn das, und fern

1025

Nahm er besonders sie vom Herrn

Und fragt’ sie auf die Seligkeit,

Ob nicht ihr Herr in seinem Leid

Solch Reden hätt’ ihr aufgedroht.

Dann sprach er: “Kind, es ist dir not,

1030

Dass du dich mehr noch kümmerst drum,

Was dir bevorsteht—hör’, warum.

Wenn du den Tod nun leiden musst

Und nicht von Herzen gern es tust,

So ist dein junges Leben hin

1035

Und bringt doch keinen Deut Gewinn.

Verschliess’ vor mir nicht deinen Mund.

Was dir geschieht, tu’ ich dir kund.

Ich muss dich ausziehn, nackt und bloss;

Da wird die Pein der Scham dir gross.

1040

Ich binde dich an Bein- und Armen;

Fülst du mit deinem Leib Erbarmen,

Bedenke, Mädchen, diese Schmerzen!

Ich schneide dich bis tief zum Herzen

107

Und reiss’ es lebend noch aus dir.

1045

Nun, Mädchen, sprich und sage mir,

Wie es mit deinem Mute steh’;

Geschah noch keinem Kind so weh,

Als dir von mir nun muss geschehen.

Dass ich es tun muss und es sehen,

1050

Das macht mir Angst und Not genug.

Bedenk’ nun selber bei dir klug:

Gereut dich’s auch nur um ein Haar,

So hab’ ich meine Arbeit gar

Und du den jungen Leib verloren.”

1055

So ward um alles sie beschworen,

Dass fern sie bleibe solcher Pflicht,

Wär’ felsenfest ihr Wille nicht.

Die Jungfrau aber lachend sprach,

Da sie erfuhr, dass an dem Tag

1060

Ihr helfen sollte noch der Tod

Aus aller Welt- und Erdennot:

“Gott lohn’ Euch, lieber Herr, dass Ihr

So ganz und gar und treulich mir

Die volle Wahrheit habt gesagt.

1065

Nun bin ich wahrlich doch verzagt:

Ein Zweifel mir das Herz erregt;

Euch sei’s geklagt, was mich bewegt.

Mir bangt jetzt, unser Unternehmen

Möcht’ Euer zager Mut noch lähmen,

1070

Dass es vielleicht gar unterbleibe!

Eu’r Reden ziemte einem Weibe.

Ihr seid des Hasen Spielgenoss,

Und Eure Angst ist viel zu gross

Um mich, dass ich nun sterben soll.

1075

Wahrhaftig, Herr, Ihr tut nicht wohl

Bei Eurer grossen Meisterschaft.

Ich bin ein Weib, doch hab’ ich Kraft.

Wagt Ihr nur mich zu schneiden,

Ich wag’ es wohl zu leiden.

1080

Die Angst und bittre Todesqual,

Davon Ihr mir erzählt zumal,

Die hab’ ich wohl von Euch vernommen;

Doch wär’ ich wahrlich nicht gekommen,

Wüsst’ ich so fest nicht meinen Mut,

1085

Dass ich vergiessen könnt’ mein Blut

Und alle Leiden gern erdulden.

Mir ist von Euren Hulden

Die bleiche Farbe ganz genommen

Und also fester Mut gekommen,

1090

Dass ich nicht ängstlicher hier steh’,

Als wenn ich froh zum Tanze geh’;

Die Not kann doch so gross nicht sein,

108

Die einen Tag nur währt; ich mein’,

Dass ich fürs ewige Leben

1095

Den einen Tag wohl könnte geben.

Euch kann an meinem festen Willen

Kein Zweifel mehr das Herz erfüllen.

Könnt’ Ihr dem Herrn Gesundheit geben

Und mir zugleich das ew’ge Leben,

1100

Um Gotteswillen, tut’s beizeit.

Lasst sehn, ob Ihr ein Meister seid.

Ihr sollt noch reizen mich dazu.

Ich weiss es wohl, um wen ich’s tu’.

In dessen Namen es geschieht,

1105

Der unsre guten Dienste sieht

Und lässt sie ungelohnet nicht.

Ich weiss wohl, dass er selber spricht,

Wer grosse Dienste leiste,

Des Lohn sei auch der meiste.

1110

Drum halt’ ich diesen grimmen Tod

Auch nur für eine süsse Not

Um solch gewissen Himmelslohn.

Liess’ ich die reiche Himmelskron’,

So wär’ zu töricht doch mein Sinn,

1115

Da ich so arm geboren bin.”

Nun sah er, dass unwandelbar

Und ohne Reu’ ihr Wille war.

Noch einmal führt’ er sie sodann

Hin zu dem armen, siechen Mann

1120

Und sprach zu ihrem Herren:

“Dem Zweifel lasst uns wehren,

Zum Werke sei die Magd nicht gut!

Nun habt Vertraun und guten Mut,

Ich mache bald Euch ganz gesund.”

1125

Hin führt’ der Meister sie zur Stund

In sein geheimes Arbeitszimmer,

Damit ihr Herr es sehe nimmer,

Verschloss vor ihm sogleich die Tür

Und warf noch einen Riegel für:

1130

Er wollte nicht, dass er es seh’,

Wie’s nun mit ihr zu Ende geh’.

In einer Kemenaten,

Die er gar wohl beraten

Mit Arzenein für jung und alt,

1135

Hiess er die Jungfrau alsobald

Vom Leibe ziehn der Kleider Zier.

Drob ward sie froh und fröhlich schier.

Sie riss die Näte gleich entzwei

Und war bald ihrer Kleider frei.

1140

Als sie der Meister nun ansah,

In seinem Herzen fühlt’ er da,

Wie sehr ihn dauerte die Maid,

Dass Herz und Mut vor Traurigkeit

Ihm beinah wären noch verzagt.

1145

Da sah die gute, reine Magd

109

Gar einen hohen Tisch da stehn,

Auf den hiess sie der Meister gehn.

Alsbald er fest darauf sie band

Und nahm ein Messer in die Hand,

1150

Das nahe lag, gar lang und scharf,

Des man für solches Werk bedarf.

So guten Stahl das Messer trug,

Dem Meister war’s nicht scharf genug.

Ihn jammerte die grosse Not,

1155

Er wollt’ ihr lindern noch den Tod.

Nun lag ein guter Wetzstein auch

Ganz nahe bei, wie noch der Brauch.

Auf dem hub jetzt zu streichen an

Gar langsam der bedrückte Mann.

1160

Das Wetzen aber hörte,

Der ihre Freude störte,

Der arme Heinrich vor der Tür.

Und als das Wetzen drang herfür,

Da klagt’ und trauert’ er gar sehr,

1165

Dass er das Mägdlein nimmermehr

Lebendig sollte sehen.

Er hub zu suchen an und spähen,

Bis endlich in der dünnen Wand

Sein Aug’ ein kleines Löchlein fand.

1170

Da sah er durch den schmalen Spalt

Sie auf dem Tisch gebunden bald.

Sie war so hold, so jung und schön,

Da musst’ er reuig sich ansehn,

Und anders ward ihm da zu Mut.

1175

Ihn deucht’, es sei wohl nimmer gut,

Wie ihm bisher das Herz gesinnt.

Und so verwandelt’ er geschwind

Den alten eigensücht’gen Sinn

Und gab sich neuem Fühlen hin.

1180

Er sprach: “Das war unklug Beginnen,

Dass wider den in trotz’gen Sinnen

Du leben wolltest einen Tag,

Dem niemand doch entrinnen mag.

Du weisst fürwahr nicht, was du tust,

1185

Da du doch einmal sterben musst,

Dass du dies jammervolle Leben,

Das Gott allein dir hat gegeben,

Nicht willig willst zu Ende tragen,

Zumal du sicher nicht kannst sagen,

1190

Ob dich erlöst des Kindes Tod.

Was dir beschert der liebe Gott,

Das lass dir alles auch geschehn.

Ich will des Kindes Tod nicht sehn.”

110

Sogleich war der Entschluss gefasst.

1195

Er pochte an die Wand mit Hast

Und bat: “Lasst mich sogleich hinein!”

Der Meister sprach: “Das kann nicht sein,

Mir fehlt die Musse jetzt dazu,

Dass ich Euch auf die Türe tu’.”

1200

“Nein, Meister, höret nur ein Wort!”

“Wie kann ich, wartet ruhig dort,

Bis es geschehn.” “Ach Meister, nein,

Hört mich, es muss vor dem noch sein!”

“Nun sagt mir’s denn durch diese Wand!”

1205

“Ach, nein, so ist es nicht bewandt”

Da öffnet endlich er die Tür.

Der arme Heinrich trat herfür,

Wo sein Gemahl2 gebunden lag.

Zum Meister alsobald er sprach:

1210

“Dies Mägdlein ist so wonniglich,

Wahrhaftig, nimmermehr kann ich

Ihr jämmerliches Ende sehn.

Des Ewigen Wille soll geschehn.

Heisst sie vom Tische sich erheben;

1215

Das Silber will ich gern Euch geben,

Das ich Euch bot für Eure Müh’.

Nur lasst, ich bitt’, am Leben sie!”

1. Iwein is in the castle, Lunete having saved him from the vassals of the slain Askalon by giving him a ring that made him invisible.

2. Heinrich had playfully called her his ‘wife.’ The girl is but eight years old when the story begins.

XXIV. WOLFRAM VON ESCHENBACH

The deepest of the three chief romancers and the most strongly marked in his individuality. His date is approximately 1170-1220. He was a Bavarian knight of humble estate, who spent some time at the court of Landgrave Hermann in Thuringia. He speaks of himself as ‘ignorant of what the books contain,’ which is usually taken to mean that he could not read or write. His great work is Parzival, a blend of Arthurian and Grail romance, which he says he got from a French poet Kyot. Nothing is known of any such poet, and some think him an invention. Certain it is, however, that Wolfram had some other source than Chrestien de Troyes’ Conte del Graal, though he was acquainted with that, and that he invented freely. Two other narrative poems, Titurel and Willehalm, were left unfinished. The selections from Parzival below are from the translation by W. Hertz, Stuttgart, 1898.

From ‘Parzival,’ Book 3, lines 293-5001: Parzival takes leave of his mother, who has tried in vain to prevent his hearing of knighthood; the young ‘fool’ follows her directions all too literally.
111

Heut mocht’ ein andrer birschen,

Sein Sinn stand nicht nach Hirschen.

295

Er rennt nach Haus zur Mutter wieder,

Erzählt—und sprachlos sinkt sie nieder.

Doch als sie wieder kam zu Sinn,

Sprach die entsetzte Königin:

“Wer sagte dir von Rittertum?

300

O sprich, mein Sohn! Du weisst darum?”

“Vier Männer sah ich, Mutter mein,

Gott selbst hat nicht so lichten Schein;

Die sagten mir von Ritterschaft.

Artus in seiner Königskraft

305

Verleiht die Rittersehren,

Soll sie auch mir gewähren.”

Da ging ein neuer Jammer an.

Sie wusste keinen Rat und sann:

Was sollte sie erdenken,

310

Sein Trachten abzulenken?

Das einzige, was er begehrt

Und immer wieder, ist ein Pferd.

Sie dacht’ in Herzensklagen:

Ich will’s ihm nicht versagen;

315

Doch soll es ein gar schlechtes sein,

Da doch die Menschen insgemein

Schnell bereit zum Spotte sind,

Und Narrenkleider soll mein Kind

An seinem lichten Leibe tragen.

320

Wird er gerauft dann und geschlagen,

So kehrt er mir wohl bald zurück.

Aus Sacktuch schnitt in einem Stück

Sie Hos’ und Hemd; das hüllt ihn ein

Bis mitten auf sein blankes Bein,

325

Mit einer Gugel obendran.

Zwei Bauernstiefel wurden dann

Aus rauher Kalbshaut ihm gemacht.

Sie bat ihn: “Bleib noch diese Nacht.

Du sollst dich nicht von hinnen kehren,

330

Eh’ du vernahmst der Mutter Lehren:

Ziehst pfadlos du durch Wald und Heiden,

Sollst du die dunkeln Furten meiden;

Sind sie aber seicht und rein.

So reite nur getrost hinein.

335

Du musst mit Anstand dich betragen

Und niemand deinen Gruss versagen.

Wenn dich ein grauer weiser Mann

Zucht will lehren, wie er’s kann,

So folg’ ihm allerwegen

340

Und murre nicht dagegen.

Eins achte ferner nicht gering:

Wo eines guten Weibes Ring

Du kannst erwerben und ihr Grüssen,

112

So nimm’s; es wird dir Leid versüssen.

345

Küsse keck das holde Weib

Und drück’ es fest an deinen Leib;

Denn das gibt Glück und hohen Mut,

Sofern sie züchtig ist und gut.

Und endlich, Sohn, sollst du noch wissen:

350

Zwei Lande wurden dir entrissen

Von Lähelins, des stolzen, Hand,

Der deine Fürsten überrannt.

Ein Fürst von ihm den Tod empfing,

Indes dein Volk er schlug und fing.”

355

“Das soll er wahrlich nicht geniessen;

Ich werd’ ihn mit dem Pfeile spiessen.”

Dann in der frühsten Morgenzeit

War schon der Knabe fahrtbereit,

Der mir vom König Artus sprach.

360

Sie küsst ihn noch und lief ihm nach.

O Welt von Leid, was da geschah!

Als’ ihren Sohn sie nicht mehr sah’—

Dort ritt er hin, wann kehrt er wieder?—

Fiel Herzeloyd zur Erde nieder.

365

Ihr schnitt ins Herz der Trennung Schlag,

Dass ihrem Jammer sie erlag.

Doch seht, ihr vielgetreuer Tod,

Er wehrt von ihr der Hölle Not.

O wohl ihr, dass sie Mutter ward!

370

Sie fuhr zum Lohn des Heiles Fahrt,

Sie, eine Wurzel aller Güte,

Ein Stamm, auf dem die Demut blühte.

Ach, dass die Welt uns nicht beschied

Ihr Blut auch nur zum elften Glied!

375

Drum ist so wenigen zu traun.

Doch sollen nun getreue Fraun

Mit Segenswünschen ihn geleiten,

Den wir dort sehn von dannen reiten.

Es wandte sich der junge Fant

380

Hin nach dem Wald von Breceliand.2

Er kam an einen Bach geritten,

Den hätt’ ein Hahn wohl überschritten,

Doch weil da Gras mit Blumen spross,

So dass der Bach im Schatten floss,

385

Gedacht’ er an der Mutter Wort

Und trabte diesseits an ihm fort

Unverdrossen bis zur Nacht;

113

Die ward, wie’s eben ging, verbracht.

Am Morgen traf er eine Stelle,

390

Da rann das Wasser seicht und helle;

Hier ritt er durch und sah ein Feld,

Das schmückt’ ein grosses Prachtgezelt

Aus reichem Samt dreifarbig bunt,

Und alle Näte in der Rund’

395

Deckt feiner Borten Stickerei.

Die Lederhülse hing dabei,

Die, wenn es regnen wollte,

Man drüber ziehen sollte.

Des stolzen Herzogs von Lalander

400

Minnige Gemahlin fand er

Im Zelte, Frau Jeschute,

Die noch im Schlafe ruhte,

Zum Ritterslieb erschaffen:

Sie trug der Minne Waffen,

405

Einen Mund durchleuchtig rot,

Sehnenden Ritters Herzensnot.

Wie wonnig sie entschlummert war!

Halb offen stand ihr Lippenpaar,

Das glüht von heissem Minnefeuer;

410

So lag das holde Abenteuer.

Schneeweiss erglänzt’ in dichten Reihn

Der kleinen Zähne Elfenbein.

Leicht lernt’ ich küssen solchen Mund,

Doch wurde mir das selten kund.

415

Auf weichem Lager hingestreckt

Hat sie den Zobel, der sie deckt,

Zurückgestreift bis an die Hüften,

Im schwülen Sommer sich zu lüften,

Seit einsam lag das schöne Weib.

420

Gott selbst hat an den süssen Leib

Seine Meisterkunst gewandt.

Lang war ihr Arm und blank die Hand.

Doch als der wilde Knabe da

An ihrer Hand ein Ringlein sah,

425

Sprang er ans Bett, den Reif zu holen,

Wie’s ihm die Mutter anbefohlen.

Das reine Weib in Scham erschrak,

Als ihr der Knab’ im Arme lag.

Sie, die man keusche Zucht gelehrt,

430

Sprach: “Wer hat mein Gemach entehrt?

Jungherr, Ihr waget allzuviel.

Geht, suchet Euch ein andres Ziel!”

Doch er, wie laut die Schöne klagt,

Ihn kümmert’s nicht, was sie auch sagt.

435

Er drückt’ an sich die Herzogin,

Zwang ihren Mund an seinen hin

114

Und nahm den Ring. Auch brach der Range

Von ihrem Hemd die goldne Spange.

Sie wehrt sich, doch mit Weibes Wehr;

440

Ihr war sein Arm ein ganzes Heer.

“Mich hungert,” klagt er, “gib mir Essen!”

Sie sprach: “Ihr wollt doch mich nicht fressen?

Wärt Ihr zu Nutzen weise,

Ihr nähmt Euch andre Speise.

445

Seht, dort beiseit steht Brot und Wein

Und zwei Rebhühnchen obendrein.

Das hat ein Mägdlein hergebracht,

Die’s Euch doch wenig zugedacht.” 

Er liess von ihr, indem er sass

450

Und einen guten Kropf sich ass,

Wonach er schwere Trünke schlang.

Ihr währt sein Wesen hier zu lang;

Sie deucht: dem Jungen fehlt’s im Hirne;

Der Angstschweiss stand ihr auf der Stirne.

455

Drum sprach sie: “Jungherr, lasset mir

Das Ringlein und die Spange hier

Und hebt Euch fort! Denn kommt mein Mann,

Und trifft Euch hier im Zelte an,

So müsst Ihr Zorn erleiden,

460

Den Ihr gern möchtet meiden.”

Er sprach mit trotzigem Gesicht:

“Er komme nur! Ich fürcht’ ihn nicht.

Doch schadet’s dir an Ehren,

Will ich von hinnen kehren.”

465

Aufs neu’ kam er ans Bett gegangen,

Die Schöne küssend zu umfangen;

Ungerne litt’s die Herzogin.

Dann ohne Abschied ritt er hin;

Doch sprach er noch: “Gott hüte dein!

470

So lehrte mich’s die Mutter mein.”

From Book 5, lines 345-490: Parzival in the castle of the Grail.3
345

Dann kam die Königin herein;

Ihr Antlitz gab so lichten Schein,

Sie meinten all’, es wolle tagen.

Als Kleid sah man die Jungfrau tragen

Arabiens schönste Weberei.

115 350

Auf einem grünen Achmardei4

Trug sie des Paradieses Preis,

Des Heiles Wurzel, Stamm und Reis.

Das war ein Ding, das hiess der Gral,

Ein Hort von Wundern ohne Zahl.

355

Repanse de Schoye sie hiess,

Durch die der Gral sich tragen liess.

Die hehre Art des Grales wollte,

Dass, die sein würdig pflegen sollte,

Die musste keuschen Herzens sein,

360

Vor aller Falschheit frei und rein.

Die Jungfraun tragen vor dem Gral

Sechs Glasgefässe lang und schmal,

Aus denen Balsamfeuer flammt.

Sie wandeln züchtig insgesamt

365

Mit abgemess’nem Schritte

Bis in des Saales Mitte.

Die Königin verneigte sich

Mit ihren Jungfraun feierlich

Und setzte vor den Herrn den Gral.

370

Gedankenvoll sass Parzival

Und blickte nach ihr unverwandt,

Die ihren Mantel ihm gesandt.

Drauf teilt sich all das Gralgeleite;

Zwölf Jungfraun stehn auf jeder Seite,

375

Und in der Mitte steht allein

Die Magd in ihrer Krone Schein.

Nun traten vor des Mahls Beginn

Die Kämm’rer zu den Rittern hin,

Ein jeder ihrer vier zu dienen

380

Mit lauem Wasser, das er ihnen

In schwerem goldnem Becken bot,

Dabei ein Jungherr wangenrot,

Das weisse Handtuch darzureichen.

Da sah man Reichtum ohnegleichen.

385

Der Tafeln mussten’s hundert sein,

Die man zur Türe trug herein,

Vor je vier Ritter eine;

Darauf von edlem Leine

Deckten sie mit Fleisse

390

Tischtücher blendend weisse.

Der Wirt in seiner stummen Qual

Nahm selber Wasser; Parzival

Wusch sich mit ihm zugleich die Hände.

Drauf bracht’ ein Grafensohn behende

395

Ein seidnes Handtuch farbenklar

Und bot es ihnen knieend dar.

Ein jeder Tisch, so viel da stehn,

Ist von vier Knappen zu versehn:

Die einen knien, um vorzuschneiden,

116 400

Aufwärter sind die andern beiden.

Nun rollen durch den Saal vier Wagen,

Die Goldgeschirr in Fülle tragen;

Das wird von Rittern unverweilt

An all die Tafeln ausgeteilt.

405

Man zog im Ring sie Schritt für Schritt,

Und jedem ging ein Schaffner mit,

Dem dieser Hort zur Hut befohlen,

Ihn nach dem Mahl zurückzuholen.

Hundert Knappen traten dann

410

Mit Tüchern auf der Hand heran;

Voll Ehrfurcht kamen sie gegangen,

Das Brot vom Grale zu empfangen.

Denn wie ich selber sie vernommen,

Soll auch zu euch die Märe kommen:

415

Was einer je vom Gral begehrt,

Das ward ihm in die Hand gewährt,

Speise warm und Speise kalt,

Ob sie frisch sei oder alt,

Ob sie wild sei oder zahm.

420

Wer meint, dass dies zu wundersam

Und ohne Beispiel wäre,

Der schelte nicht die Märe.

Dem Gral entquoll ein Strom von Segen,

Vom Glück der Welt ein vollster Regen.

425

Er galt fast all dem Höchsten gleich,

Wie man’s erzählt vom Himmelreich.

In kleinen goldnen Schalen kam,

Was man zu jeder Speise nahm:

Gewürze, Pfeffer, leckre Brühn.

430

Ass einer zaghaft oder kühn,

Sie fanden insgesamt genug,

Wie man’s mit Anstand vor sie trug.

Wein, Maulbeertrank, Siropel rot,

Wonach den Becher jeder bot,

435

Und welchen Trank er mochte nennen,

Den konnt’ er gleich darin erkennen,

Alles durch des Grales Kraft.

Die ganze werte Ritterschaft

War so zu Gaste bei dem Gral.

440

Wohl sah mit Staunen Parzival

Die Pracht der Wunder sich bezeigen;

Jedoch aus Anstand wollt’ er schweigen.

Er dachte: der getreue Mann,

Gurnemanz, befahl mir an,

445

Vieles Fragen zu vermeiden.

Drum will ich höflich mich bescheiden

Und warten, bis man ungefragt,

Von diesem Haus mir alles sagt,

Wie man bei Gurnemanz getan

117 450

Drauf sah er einen Knappen nahn

Mit einem Schwerte schön und stark;

Die Scheide galt wohl tausend Mark,

Der Griff ein einziger Rubin.

Das ward vom Wirt dem Gast verliehn:

455

“Ich hab’ es oft im Kampf getragen,

Bis Gott am Leibe mich geschlagen.

Herr, nehmt es als Ersatz entgegen,

Sollt’ man Euch hier nicht wohl verpflegen.”

Ach dass auch jetzt er nicht gefragt!

460

Um seinetwillen sei’s geklagt,

Da mit dem Schwert, das er empfing,

Die Mahnung doch an ihn erging.

Auch jammert mich sein Wirt zumal;

Denn von der ungenannten Qual

465

Würd’ er durch seine Frage frei.

Damit war nun das Mahl vorbei.

From Book 16, lines 332-458: Parzival, as purified king of the Grail and unswervingly faithful husband, is reunited to his wife Kondwiramur.

“Geheimnisreich ist Gottes Tat,”

Sprach er,5 “wer sass in seinem Rat?

Wer kennt die Grenzen seiner Macht?

335

Kein Engel hat sie ausgedacht,

Ja, Gott ist Mensch,” so fuhr er fort,

“Ist seines Vaters ew’ges Wort,

Ist Vater und ist Sohn zugleich,

Sein Geist an Hilfe gross und reich.

340

Ein Wunder seltsam rätselvoll

Ist hier geschehn; durch Euren Groll

Rangt Ihr ab dem höchsten Willen,

Eures Herzens Wunsch zu stillen.

Mir tat einst Eure Mühsal leid;

345

Denn unerhört zu aller Zeit

War’s, mit Gewalt der Waffen

Den Gral sich zu erraffen.

Ich hätt’ Euch gern den Wunsch benommen.

Doch anders ist’s mit Euch gekommen:

350

Euch ward der herrlichste Gewinn.

Nun kehrt an Demut Euren Sinn!”

Drauf Parzival: “Mein Weib ist nah.

Ich will sie sehn, die ich nicht sah

118

Nun seit fünf langen Jahren.

355

Da wir beisammen waren,

War sie mir lieb und ist es noch.

Drum lass mich ziehn! Dein Rat jedoch

Soll mir verbleiben bis zum Tod.

Du rietest mir in grosser Not.”

360

So schied er von dem heil’gen Mann,

Die Nacht durch ritt er fort im Tann;

Der Weg war seinen Degen kund.

Am Morgen fand er lieben Fund:

Manch Zelt geschlagen auf dem Plane,

365

Vom Lande Brobarz manche Fahne,

Der mancher Schild gefolgt von fern.

Da lagen seines Landes Herrn.

Er fragte nach der Fürstin Zelt;

Das stand für sich abseits im Feld,

370

Von kleinen Zelten rings umfangen.

Ihr Ohm, schon früh auf, kam gegangen;

Noch war der Blick des Tages grau.

Da sah er halten auf der Au

Ein Volk’ von Rittern und von Knappen,

375

Erkannte gleich des Grales Wappen

Und eilte Herrn und Degen

Mit Willkommsgruss entgegen,

Befahl auch, dass ein Jungherr lief

Und rasch der Herrin Marschall rief,

380

Die Gäste für den Morgen

Behaglich zu versorgen.

Den König führt’ er an der Hand

Hin, da die Kleiderkammer stand,

Ein klein Gezelt von Buckeram,

385

Wo man den Harnisch von ihm nahm.

Noch war der Herrin nichts bewusst.

Da fand er seiner Augen Lust:

Im weiten Zelte schlief die Schöne

Und bei ihr seine kleinen Söhne,

390

Loherangrin und Kardeis,

Und hier und dort umher im Kreis

Lagen lichter Fraun genug.

Der Oheim auf die Decke schlug

Und rief: “Willst du erwachen,

395

So wirst du fröhlich lachen!”

Aufblickend sah sie ihren Mann.

Ihr Hemd nur hat die Herrin an,

Die nun die Decke um sich schwang,

Vom Bette auf den Teppich sprang,

400

Und Parzival, er drückte

Ans Herz die Holdbeglückte.

Man sagte mir, sie küssten sich.

Sie sprach: “So hat das Glück mir dich

Gesendet, Herzensfreude mein!

119 405

Sollst Gott und mir willkommen sein!

Nun sollt’ ich zürnen, kann es nicht.

Heil sei dem Tag und seinem Licht,

Der dies Umfangen mir gebracht,

Das all mein Leid zunichte macht!

410

Des Herzens Wunsch, ich halt ihn hier,

Und Sorge hat kein Teil an mir.”

Nun wachten auch die Kinderlein.

Er beugt sich zärtlich zu den zwein

Und küsste sie, die nackend lagen.

415

Der Ohm hiess sie von dannen tragen,

Und auch die Frauen sandt’ er fort.

Die grüssten erst mit freud’gem Wort

Den Herren nach der langen Reise;

Dann führt sie aus dem Zelte leise

420

Der gute Ohm, der Parzival

Seinem holden Weib befahl.

Noch war es früh; drum liessen wieder

Die Kämm’rer rings die Zeltwand nieder.

Hat ihn einst Blut und Schnee6 verzückt,

425

Im Liebesweh sich selbst entrückt,

Dafür—es war auf dieser Flur—

Gab ihm Ersatz Kondwiramur,

Die rot wie Blut und weiss wie Schnee.

An keinem Ort sonst nahm er je

430

Minnetrost für Minnenot,

Den manches Weib ihm liebend bot.

1. The numbers refer to the original text, Bartsch’s edition; the translation is not a line-for-line version.

2. A famous wood in Bretagne—la forêt de Bréchéliant. Wolfram’s spelling is Prizljan, Hartmann’s Brezilian.

3. The blundering Parzival has now been instructed in the ways of knighthood by the gray-haired Prince Gurnemanz, who has told him to avoid asking questions about what he sees. With this caution in mind Parzival fails to inquire into the malady of the mysterious sick man in the Grail castle—a fateful error which involves him in long wanderings during which he despairs of God. The sick man is his uncle Anfortas, whom he is destined after a lapse of years, to heal by a simple question and to succeed as king of the Grail.

4. Green silk from Arabia.

5. The speaker is the wise old hermit Trevrizent, who has cleared up for Parzival the mystery of the Grail and led him to inward peace.

6. In Book 6 it is related that Parzival, riding away from the castle of the Grail, comes upon three drops of blood in the snow—the blood of a wild goose that had been attacked by a falcon. The red and white remind him of Kondwiramur and he sinks into a moody trance.

XXV. GOTTFRIED VON STRASSBURG

Pre-eminent as a graceful and cunning psychologist of sensual passion. His great work—all that we have from him except some lyric poems—is the love-intoxicated romance of Tristan and Isold, which he began early in the 13th century and did not live to complete. For this his principal source was the French trouvère, Thomas of Brittany, who composed his Tristan in England about 1180. Of this French poem only a few fragments are extant. The original Tristan-saga contained elements of revolting savagery, but in Gottfried’s poem, 120 as in the fragments of Thomas, it is transformed into a courtly romance of love—an illicit love that defies conscience and the world and remains faithful unto death. The selections are from the translation by W. Hertz, 4th edition, Stuttgart, 1904.

From ‘Tristan,’ Book I, lines 119-242: The goodness of love and love-stories.

Ich weiss es sicher wie den Tod

120

Und hab’s erkannt in eigner Not:

Wer minnt mit edlem Sinne,

Liebt Mären von der Minne.

Drum wer nach solchen trägt Begier,

Der hat nicht weiter als zu mir.

125

Ich künd’ ihm süsse Schmerzen

Von zweien edlen Herzen,

Die Liebe trugen echt und wahr,

Ein sehnend junges Menschenpaar,

Ein Mann, ein Weib, ein Weib, ein Mann,

130

Tristan Isold, Isold Tristan.

Treu, wie ich las die Kunde

Von ihrem Liebesbunde,

So leg’ ich sie mit willigem Sinn

Allen edlen Herzen hin,

135

Dass sie durch Kurzweil dran genesen;

Das ist sehr gut für sie zu lesen.

Gut? fraget ihr. Ja, innig gut,

Macht lieb die Liebe, rein den Mut,

Stählt die Treue, ziert das Leben;

140

Wohl kann’s dem Leben Zierden geben.

Denn wo man höret oder liest,

Wie Herz sich treu zum Herzen schliesst,

Da lernen die Getreuen

Sich recht der Treue freuen.

145

Liebe, Treue, steter Mut,

Ehre und manch andres Gut

Stehn nirgends so dem Herzen nah,

Sind nirgends ihm so lieb wie da,

Wo man von Herzeliebe sagt

150

Und Herzeleid von Liebe klagt.

Lieb’ ist selig allezeit,

Ein Ringen so voll Seligkeit,

Dass ohne ihre Lehre

Nicht Tugend ist noch Ehre.

155

Da Liebe so das Leben weiht,

Da so viel Tugend sie verleiht,

Ach, dass nicht alles, was da lebt,

Nach rechter Herzensliebe strebt;

Dass ich so wenig finde deren,

160

Die lautres herzliches Begehren

Um Freundes willen mögen leiden,

Nur um den armen Schmerz zu meiden,

Der bei der Lieb’ zu mancher Stund’

Verborgen liegt im Herzensgrund.

165

Wie litte nicht ein edler Mut

Ein Weh für tausendfaches Gut,

Für grosse Freude kleinen Gram?

121

Wem niemals Leid von Liebe kam,

Dem kam auch Lust von Liebe nie:

170

Lust und Leid, wann liessen die

Im Lieben je sich scheiden?

Man muss mit diesen beiden

Lob und Ehre sich erwerben

Oder ohne sie verderben.

175

Von denen diese Märe kündet,

Hätten sie nicht treu verbündet

Um Herzenswonne sehnend Klagen

In einem Herzen einst getragen,

Es war’ ihr Name im Gedicht

180

So manchem edlen Herzen nicht

Zum Heil und lieben Trost gekommen.

Nun wird noch heute gern vernommen

Und rührt noch immer süss aufs neue

Ihre innigliche Treue,

185

Ihr Glück und Jammer, Wonn’ und Not.

Und liegen sie auch lange tot,

Ihr süsser Name lebt uns doch;

Auch soll der Welt zu gute noch

Lang ihr Tod und ewig leben,

190

Den Treubegier’gen Treue geben,

Den Ehrbegier’gen Ehre.

Die ewig neue Märe

Von ihrer Treue Lauterkeit,

Von ihrer Herzen Lust und Leid,

195

Ist aller edlen Herzen Brot:

So lebt in uns ihr beider Tod.

Wer nun begehrt, dass man ihm sage

Ihr Leben, Sterben, Freud’ und Klage,

Der neige Herz und Ohren her:

200

Er findet alles sein Begehr.

From ‘Tristan,’ Book 16, lines 11711-11844: The fateful love-potion.1

Doch als die Jungfrau und der Mann,

Als nun Isolde und Tristan

Den Trank getrunken, was geschah?

Gleich war der Welt Unruhe da,

11715

Minne, die Herzensjägerin,

Und schlich zu ihren Herzen hin.

Sie liess, eh’ beide sich’s versehn,

Ihr Siegspanier darüber wehn

Und unterwarf sie mit Gewalt.

11720

Eins und einig wurden bald,

Die zwei gewesen und entzweit.

Nun hatten sie nach langem Streit

In raschem Frieden sich gefunden.

122

Der Hass2 Isoldens war entschwunden:

11725

Minne, die Versöhnerin,

Die hatte ihrer beider Sinn

Von Hasse so gereinigt,

In Liebe so vereinigt,

Dass eins dem andern hell und klar

11730

Und lauter wie ein Spiegel war.

Sie hatten nur ein einz’ges Herz:

Isoldens Leid war Tristans Schmerz,

Und Tristans Schmerz Isoldens Leid.

Sie einten sich für alle Zeit

11735

In Freude und in Leide

Und hehlten sich’s doch beide.

Das tat die Scham, dass sie nichts sagten,

Der Zweifel tat’s, dass sie verzagten,

Sie an ihm und er an ihr.

11740

Und riss auch ihre Herzensgier

Nach Einem Ziel sie blindlings fort,

Sie bangten vor dem ersten Wort.

Drum blieb in Scheu’ und Sorgen

Ihr Sehnen noch verborgen.

11745

Als Tristan fühlt der Minne Bann,

Da rief er Treu’ und Ehre an,

Und diese beiden mahnten ihn,

Vor ihrer Lockung zu entfliehn.

Nein, dacht’ er fort und fort bei sich,

11750

Sei standhaft, Tristan, hüte dich!

Lass ab und schlag dir’s aus dem Sinn.

Doch drängte stets sein Herz dahin.

Mit seinem Willen kämpft’ er schwer,

Begehrte wider sein Begehr:

11755

Es zog ihn ab, es zog ihn an.

So wand sich der gefang’ne Mann

Und suchte, aus den Schlingen

Sich mühsam loszuringen,

Und hielt sich tapfer lange Zeit.

11760

Es ging dabei ein zwiefach Leid

Seinem treuen Herzen nah:

Wenn er in ihre Augen sah,

Und ihm die süsse Minne

Verzehrte Herz und Sinne

11765

Mit ihrem holden Angesicht,

So dacht’ er an der Ehre Pflicht,

Und die entriss ihn ihrem Bann.

Gleich griff ihn Minne wieder an,

Seine Erbekönigin,

11770

Und trieb ihn wieder zu ihr hin.

Bedrängt ihn Ehr’ und Treue schwer,

Minne bedrängt ihn doch noch mehr;

Sie tat ihm mehr zu leide

Als Treu’ und Ehre beide.

11775

Schaute sein Herz sie lachend an,

So blickte weg der treue Mann;

123

Doch sollt’ er sie nicht sehen,

Wollt’ ihm das Herz vergehen.

Oft, wie Gefang’ne sinnen,

11780

Oft sann er zu entrinnen,

Und dachte: Sieh nach andern,

Lass dein Begehren wandern

Und liebe, was sich lieben lässt!

Da hielt ihn stets die Schlinge fest.

11785

Oft prüft’ er sorgsam Herz und Sinn,

Als spürt’ er eine Wandlung drin;

Doch fand er nur darinne

Isolden und die Minne.

Nicht anders war es mit Isot.

11790

Sie kämpfte mit derselben Not,

Auch ihr war angst und weh zu Mut.

Kaum fühlt sie in der weichen Flut

Der zauberischen Minne

Versinken ihre Sinne,

11795

Da—in jähem Schreck und Graus

Spähte sie nach Rettung aus

Und wollte schnell auf und davon;

Jedoch verloren war sie schon

Und haltlos sank sie nieder.

11800

Sie sträubte sich dawider,

Suchte nach allen Enden

Mit Füssen und mit Händen

Und wandte sich bald hin, bald her;

Doch so versenkte sie nur mehr

11805

Die Hände und die Füsse

Tief in die blinde Süsse

Des Mannes und der Minne.

Wie die gefang’nen Sinne

Sich mochten drehn und regen,

11810

Auf allen ihren Wegen,

Auf jedem Schritt, auf jedem Tritt,

Ging Minne, ihre Herrin mit,

Und alles, was sie dacht’ und sann,

War Minne nur und nur Tristan.

11815

Doch all das blieb verschwiegen;

Entzweit in stetem Kriegen

War hier das Herz, die Augen dort,

Scham trieb die Augen von ihm fort;

Doch Minne bracht’ ihr Herz ihm dar.

11820

Und diese widerspenst’ge Schar,

Scham und Minne, Mann und Magd,

Die war teils mutig, teils verzagt:

Die Magd begehrte nach dem Mann

Und sah ihn nicht mit Augen an;

11825

Die Scham, die wollte Minne,

Doch ward es niemand inne.

Was mocht’ es helfen? Scham und Magd

Kommt leicht zu Falle, wie man sagt;

Sie haben gar ein kurzes Leben

11830

Und können nicht lang widerstreben.

Isot auch unterwarf sich bald,

Und sieglos weichend der Gewalt

Ergab sie Leib und Sinne

Dem Manne und der Minne.

124
From ‘Tristan,’ Book 24, lines 15522-15748: The ordeal of God.3

Der König sprach: “Frau Königin,

Ich lass’ es dabei gern beruhn.

Wollt Ihr uns so Genüge tun,

15525

Wie’s Eure Rede zugestand,

So gebt uns sich’res Unterpfand:

Kommt her, gelobt mit Wort und Eid

Zum Gottesurteil Euch bereit

Mit dem glühenden Eisen,

15530

Wie wir’s Euch werden weisen.”

Die Herrin weigerte sich nicht;

Sie schwur, die Probe vor Gericht

Zu leisten nach sechs Wochen,

Wie’s ihr ward zugesprochen,

15535

In der Stadt zu Karliun.

Der Herr entliess die Fürsten nun;

Sie kehrten heimwärts insgemein.

Isolde aber blieb allein

Mit Ängsten und mit Leide,

15540

Und es bedrückten beide

Ihr Herz mit gleicher Schwere:

Angst um ihre Ehre

Und heimlich Leid, nicht minder schwer,

Dass ihre Lüge sie nunmehr

15545

Zur Wahrheit sollte bringen,

In diesem heissen Ringen

Wusste sie nicht aus noch ein,

Und darum beides, Angst und Pein,

Vertraute sie dem gnäd’gen Christ,

15550

Der hilfreich in den Nöten ist;

Der möchte sie entlasten.

Ihm mit Gebet und Fasten

Befahl sie all die Angst und Not,

Und eine List erfand Isot:

15555

Im stillen Herzen hoffte sie

Getrost auf Gottes Courtoisie

Und schrieb an Tristan einen Brief,

Der ihn nach Karliun berief,

Wie er’s auch möglich mache,

15560

Dass, wenn der Tag erwache,

An dem das Schiff dort lande,

Er frühe sei am Strande

Und da im Hafen ihrer warte.

Nun, so geschah’s: er kam und harrte

15565

Im Pilgermantel arm und schlicht;

Er hatte sich das Angesicht

Überschminkt und aufgeschwellt

Und Leib und Kleidung ganz entstellt.

Als dann Isot und Marke

15570

Anhielten mit der Barke,

Ersah ihn gleich die Herrin dort,

Und sie erkannt’ ihn auch sofort.

Und als das Schiff zu Strande stiess,

125

Isot den Waller bitten liess,

15575

Wenn er nicht fürchte zu erlahmen,

So möcht’ er doch in Gottes Namen

Sie tragen von des Schiffes Rand

Hinüber auf das trockne Land;

Sie wollte sich in diesen Tagen

15580

Von keinem Ritter lassen tragen.

Da riefen sie den Pilger an:

“He, kommet näher, guter Mann,

Und tragt die Herrin ans Gestad!”

Der Pilger tat, wie man ihn bat:

15585

Er ging zu seiner Herrin hin

Und trug Isot, die Königin,

Auf seinen Armen nach dem Port.

Sie raunt ihm zu mit raschem Wort,

Dass, was ihm auch draus würde,

15590

Er unter seiner Bürde

Mit ihr am nahen Ziele

Zur Erde niederfiele.

So tat er: kaum dass am Gestad

Der Waller aus dem Wasser trat

15595

Aufs trockne Land, so strauchelt’ er

Und fiel, als wär’s von ungefähr,

Und bracht’ im Fallen es dahin,

Dass er der schönen Königin

Im Arme lag an ihrer Seite.

15600

Da ward ein Aufruhr im Geleite:

Sie kamen gleich in Haufen

Mit Stecken hergelaufen,

Um ihm mit blauen Malen

Den Trägerlohn zu zahlen.

15605

“Nein, nein, lasst ab!” so rief Isot,

“Denn es geschah ihm nur aus Not.

Der Pilger ist so matt und krank,

Dass er vor Schwäche niedersank.”

Dafür erscholl ihr in der Runde

15610

Ehr’ und Dank aus jedem Munde.

Sie lobten’s im Gemüte,

Dass sie mit solcher Güte

Verteidigte den armen Wicht.

Sie sprach mit lächelndem Gesicht:

15615

“Welch Wunder wäre nun daran,

Wenn dieser fremde Pilgersmann

Mit mir zur Kurzweil wollte scherzen?”

So gewann sie alle Herzen,

Da sie so milde sich erwiesen,

15620

Und Frau Isolde ward gepriesen

Und hochgerühmt von manchem Mann.

Doch Marke sah das alles an

Und hörte schweigend jedes Wort.

Sie aber fuhr zu scherzen fort:

15625

“Nun weiss ich nicht, was draus entsteht,

Dass ich doch, wie ihr selber seht,

126

Von heut an nicht mehr schwören kann,

Dass ausser Marke nie ein Mann

Mir in den Arm gekommen,

15630

Noch einer je genommen

Sein Lager mir zur Seiten.”

So scherzten sie im Reiten,

Und war der arme Waller

Fortan im Munde aller,

15635

Bis sie zum Stadttor zogen ein.

Da waren Pfaffen viel und Lai’n,

Barone, Ritterschaft in Menge,

Gemeinen Volks ein gross Gedränge,

Bischöfe und Prälaten auch,

15640

Die hielten da nach heil’gem Brauch

Das Amt und weihten das Gericht.

Gewärtig ihrer strengen Pflicht

Harrten schon die Weisen;

Im Feuer lag das Eisen.

15645

Die gute Königin Isold,

Die hatt’ ihr Silber und ihr Gold

Und was vom Schmuck ihr war zuhanden,

Samt ihren Rossen und Gewanden

Dahingeschenkt um Gottes Huld,

15650

Dass Gott an ihre wahre Schuld

Zur Stunde nicht gedächte

Und, sie zu Ehren brächte.

So war zum Münster sie gekommen

Und hatte Messe da vernommen

15655

Mit inniglichem Mute.

Andächtig sah die Gute

Zu Gott auf, dem sie sich vertraut.

Sie hatte auf der blossen Haut

Ein rauhes härnes Hemd und dann

15660

Ein wollnes Röcklein drüber an,

Das ihr, wenn’s an ihr niederhing,

Nicht auf die zarten Knöchel ging.

Die Ärmel waren aufgezogen

Bis nahe an den Ellenbogen,

15665

Arm’ und Füsse waren bloss.

Da rührt ihr Anblick und ihr Los

Manch Herz und Auge mit Erbarmen;

Wie dürftig war das Kleid der Armen,

Wie bleich, wie trübe sah sie drein!

15670

Hiemit kam auch der Heiligenschrein,

Darauf den Schwur, sie sollte tun,

Und man gebot Isolden nun,

Ihre Schuld an diesen Sünden

Vor Gott und vor der Welt zu künden.

15675

Sie hatte Ehr’ und Leben

An Gottes Huld ergeben

Und bot ihr Herz und ihre Hand

Furchtsam, wie es um sie stand,

Dem Schreine und dem Eide.

15680

Hand und Herz im Leide

Befahl sie Gottes Segen

Zu hüten und zu pflegen.

127

Doch war auch mancher in der Schar,

Der hätte, alles Hochsinns bar,

15685

Der Königin den Eidschwur gern

Vorgesagt im Kreis der Herrn

Ihr zu Schaden und zu Falle.

Ihr alter Feind voll Gift und Galle,

Des Königs Truchsess Marjodo,

15690

Versuchte es bald so, bald so,

Und trug es ihr zum Schaden an.

Doch war auch wieder mancher Mann,

Der sich selbst an ihr ehrte

Und ihr’s zu Gute kehrte.

15695

So stritten sie sich her und hin

Um den Eid der Königin;

Der war ihr gut, der bös gesinnt,

Wie’s immer geht, wo Menschen sind.

“Herr König,” fiel die Herrin ein,

15700

“Was sie auch reden insgemein,

Der Eid muss doch vor allen

Euch und nur Euch gefallen;

Und darum seht nun selber zu,

Was ich hier spreche oder tu’.

15705

Ob ich den Eid Euch sage,

So dass er Euch behage.

Der wirre Hader schweige still;

Vernehmt, was ich Euch schwören will:

Dass ausser Euch kein andrer Mann

15710

Kunde meines Leibs gewann,

Und dass wahrhaftig, wenn nicht Ihr,

Kein Lebender auf Erden mir

Im Arm und an der Seite lag

Als der, den ich nicht leugnen mag—

15715

Was würd’ es mir auch taugen,

Da Ihr mit eignen Augen

Ihn saht in meinem Arme—

Der Pilgersmann, der arme:

So helfe mir denn, red’ ich wahr,

15720

Mein Gott und aller Heiligen Schar,

So dass ich ohne Wehe

Das Urteil hier bestehe.

Herr, wollt Ihr mehr, gebietet nur,

Und ich verbess’re Euch den Schwur

15725

In jeder Weise, wie Ihr wollt.”

“Nein,” sprach der König, “Frau Isold,

Soweit ich das erwägen kann,

Bedünkt es mich genug hieran.

Nun nehmt das Eisen auf die Hand,

15730

Und wie die Wahrheit Ihr bekannt,

So helf’ Euch Gott in dieser Not!”

“Amen,” sprach die Frau Isot.

Sie griff es an auf Gottes Gnaden—

Und trug das Eisen ohne Schaden.

15735

Da wurde deutlich wohl und klar

Vor aller Augen offenbar,

Dass unsern lieben Herrgott man

Wie einen Ärmel wenden kann:

128

Er schmiegt sich an und fügt sich glatt,

15740

Wie man es nur im Sinne hat,

So weich, so handsam und bequem,

Wie’s artig ist und angenehm,

Ist allen Herzen gleich bereit

Zum Trug wie zur Wahrhaftigkeit,

15745

Zum Ernste wie zur Spielerei,

Wie man’s begehrt, er ist dabei.

1. Tristan, a young embodiment of all knightly virtues, has been sent to Ireland to win the hand of the peerless Isold for his old uncle Marke, King of Cornwall. He succeeds in his mission. On the voyage to Cornwall, however, it befalls by accident that he partakes with Isold of a philter prepared by her mother and intended for her and King Marke.

2. Tristan had slain Morold, a kinsman of Isold’s, wherefore she had tried, with small success, to ‘hate’ him.

3. Having become justly suspicious of his wife’s fidelity, King Marke requires her to prove her innocence by the ordeal of the hot iron. She complies—in a way.

XXVI. KONRAD VON WÜRZBURG

The most gifted of the romancers after the famous trio. He was born at Würzburg about 1230, wrote some of his earliest poems there, lived afterwards at Basel, then at Strassburg, and died at Basel in 1287. He loved the good old times of knighthood and wrote of them in facile verse whose popularity is attested by several notices. His works are rather numerous. The most important of the longer romances is Engelhart; of the shorter tales, The World’s Reward, Otto with the Beard, Silvester, and the Story of a Heart. This last is given below in condensed form.

Story of a Heart.

Ein Ritter und ein gutes Weib,

Die hatten einmal Seel’ und Leib

So fest verwebt in Minneglut,

Dass beider Leben, beider Mut

5

War eins geworden ganz und gar.

Was je der Frau zuwider war,

Das war es auch dem Ritter.

Davon zuletzt ward bitter

Ihr Lebensende, leider.

10

Es war die Minne beider

Nun worden so gewaltig,

Dass sie sehr mannigfaltig

Die Herzen machte schmerzen.

Gross Schmerz ward ihren Herzen

15

Von süsser Minne kund.

Die hatte sie bis auf den Grund

Mit ihrer Flamm’ entzündet

Und dergestalt ergründet

In heisser Leidenschaft,

20

Dass Worte machtlos bleiben

Dieselbe zu beschreiben.

Doch konnten sie nun leider nicht

Zusammenkommen, um die Pflicht

Der Minne nach Begehr zu üben.

25

Denn jenes Weib, gemacht zum Lieben,

Hatt’ einen werten Ehgemal,

Der brachte beiden grosse Qual,

Weil dieser, immer auf der Hut,

Bewachte jenen Ritter gut,

30

So dass er niemals konnte stillen

129

An ihr des wunden Herzens Willen,

Das blutete im Busen sein.

Deswegen litt er eine Pein,

Die grausam war und fürchterlich.

35

Nach ihrem Leibe minniglich

Begann er sich gar sehr zu quälen

Und konnte seine Not verhehlen

Nicht mehr vor ihrem Mann.

Zur Frau begab er sich sodann

40

Bei günstiger Gelegenheit

Und klagte ihr sein Herzensleid.

Daraus entstand erst lang danach

Für ihn ein schweres Ungemach.

Der Gatte, in verdächt’gem Mut,

45

Bewachte sie mit strenger Hut

So lange, bis ihm leider klar

An ihrem Tun geworden war,

Dass süsse Minne beider Glück

Umwickelt hielt in ihrem Strick.

50

Das tat dem guten Herrn leid;

Er dachte bei sich sehr gescheit:

Lass ich mein Weib also gebaren,

Werd’ ich an ihr nun bald erfahren,

Was all mein Glück vergiftet,

55

Wenn sie mir Schaden stiftet

Mit diesem werten Mann.

Also, wenn ich es fügen kann,

Entrück’ ich sie seinem Begehr:

Über das grosse wilde Meer

60

Will ich nun mit ihr fahren

Und sie auf solche Art bewahren

Vor ihm, bis er dann ganz von ihr

Wegwendet seines Herzens Gier.

Und bald denkt sie an ihn nicht mehr:

65

Dem, hört’ ich sagen von je her,

Wird nach und nach sein Lieb zu Leid,

Der lebt beständig lange Zeit

Von ihm getrennt. So steht mein Sinn:

Ich fahre bald mit ihr dahin

70

Und bleibe in der heil’gen Stadt,

Bis meine Frau vergessen hat

Die Liebe, die sie überkam

Von diesem Ritter lobesam.

Als es dem ward bekannt,

75

Der nach der Dame war entbrannt,

Beschloss der Liebende bei sich,

Ihr nachzufolgen schleuniglich.

Die strenge Kraft der Minne

Bezwang so seine Sinne,

80

Dass er ja um das schöne Weib

Hätte willig seinen Leib

In den grimmen Tod gebracht.

Drum wollt’ er, wie er’s ausgedacht,

Nicht lang verziehen mit der Fahrt.

85

Als nun die Dame inne ward

Der Absicht, die er hegte,

Rief heimlich ihn, so wie sie pflegte,

Zu sich das kaiserliche Weib

Und sagte: “Freund und lieber Leib,

90

Mein Mann ist auf den Plan gekommen,

130

Wie du wohl selber hast vernommen,

Mich zu entfernen weit von dir.

Nun, Trautgesell, gehorche mir

In deiner hochholdseligen Art

95

Und mach’ zunichte diese Fahrt,

Die er ersann zu meinem Weh.

Fahr’ du alleine über See;

Und hat er dann davon vernommen,

Dass du vor ihm dahin gekommen,

100

So bleibt er hier wohl stehen,

Und jener Argwohn wird vergehen,

Den er auf mich gelenkt.

Wenn er nun bei sich denkt:

‘Wär’ etwas Wahres an der Sünde,

105

Der ich mein Weib für schuldig finde,

Hätte der Ritter solchermassen

Das Land gewiss niemals verlassen.’

So wird der Argwohn bald entkräftet,

Den er bisher auf mich geheftet;

110

Auch soll es dir kein Leid bereiten,

Dich aufzuhalten dort im weiten,

Bis das Geschwätz wird einmal stumm,

Das hier zu Lande läuft herum.

Und bringt der süsse reine Christ

115

Dich wieder heim nach kurzer Frist,

So hast du’s besser künftiglich

Mit deiner Minne, wie auch ich,

Denn das Geplapper von uns zwein

Wird, hoff’ ich, ausgestorben sein.

120

Gott sei’s geklagt, dass du allhier

Nicht immer bleiben kannst bei mir,

Und ich bei dir, wie ich begehr’.

Nun komm zu mir, mein lieber Herr,

Und steck’ dir dieses Ringlein an:

125

Dich soll’s erinnern dann und wann,

Wie ich hier weil’ mit schwerem Sinn,

Weil ich von dir geschieden bin.

Jetzt küsse mich nur noch einmal

Und tue, wie ich dir befahl.”

130

Der werte Ritter trennte sich

Von ihr und ging wehmütiglich

Ans Ufer, wo ein Schiff sich fand,

Und fuhr nach dem gelobten Land.

Doch schwerer wurde mit der Zeit

135

Des Liebekranken Weh und Leid,

Es drang bis auf der Seele Grund,

Er ward von tiefer Sorge wund

Und klagte öfters von der Pein,

Die wütete im Herzen sein.

140

So lebt’ er jammervolle Tage

Und trieb so lange seine Klage,

131

Bis er am Ende kam so weit

In seinem grenzenlosen Leid,

Dass er nicht mehr mochte leben.

145

Solch elend Los war ihm gegeben,

Dass auch sein Äussres deutlich sprach

Von seinem inneren Ungemach.

Und als der Ritter wusste,

Dass er bald sterben musste,

150

Sprach er also zu seinem Knecht:

“Mein Trautgesell, vernimm mich recht!

Ich sehe leider wohl,

Dass ich bald sterben soll,

Weil die, die ich so sehr geliebt,

155

Grausam zu Tode mich getrübt.

Das ist nun meine Lage,

Drum höre, was ich sage:

Wenn meine allerletzte Not

Vorbei ist, und ich liege tot

160

Durch das holdselige Weib,

So lass aufschneiden meinen Leib

Und nimm mein Herz heraus,

All blutig und von Farbe graus.

Sodann sollst du es salben

165

Mit Balsam allenthalben;

So bleibt es frisch auf Jahr und Tag.

Und höre, was ich weiter sag’.

Schaff’ dir ein goldnes Büchselein,

Verziert mit edelem Gestein;

170

Darein mein totes Herze tu’

Lege das Ringlein auch hinzu

Und bring’ es meiner Frauen,

Damit sie möge schauen,

Was ich von ihr erlitten,

175

Und wie mein Herz verschnitten

Um ihretwillen. Gott beglücke

Meine arme Seel’ und schicke,

Dass die weitentfernte Süsse

Glück und Lebensfreud’ geniesse,

180

Da ich hier nun liege tot.”

In solcher schweren Herzensnot

Verschied der Ritter. Mit dem Toten

Verfuhr der Knecht, wie ihm geboten:

Er kehrte heim mit heissem Schmerz

185

Und trug mit sich das tote Herz.

Doch als er durch die Gegend eilte,

Wo jene hohe Frau verweilte,

Kam ihm—es war sehr ungelegen—

Ihr werter Ehgemahl entgegen,

190

Bedrohte ihn mit scharfem Wort

Und nahm das Herze mit sich fort.

Dem Koche liess er’s überreichen,

Der eine Speise sondergleichen

Für seine Herrin machen sollte.

195

Der Koch tat, wie der Schlossherr wollte,

Und ganz unwissentlicher Weise

Genoss die Frau die ekle Speise.

Es deucht’ ihr gut, sie ass es gern

Und sprach also zu ihrem Herrn:

132 200

“Ist dieses Essen lobesam

Wild gewesen oder zahm?”

Der Herr erwiderte gemessen:

“Du hast des Ritters Herz gegessen,

Der mit so liebevollem Sinne

205

Stets trachtete nach deiner Minne.

Von sehnsuchtsvoller Herzensnot

Liegt er in weiter Ferne tot

Und hat sein Herz in dieses Land

Durch seinen Knecht zu dir gesandt.”

210

Entsetzen traf das holde Weib,

Das Herz erkaltet’ ihr im Leib,

Die Hände fielen ihr zum Schoss,

Das Blut ihr aus dem Munde goss;

Zuletzt sprach sie in tiefem Schmerz:

215

“Ass ich also des Freundes Herz,

Der stetig mich geliebt so sehr,

So sag’ ich Euch bei meiner Ehr’,

Dass keine andre Speise mir

Von diesem Tage für und für

220

Den Mund berührt. Ich folge nach

Dem Freunde, der nie Treue brach;

Ich weiss, ich komme bald ans Ende.”

Sie faltete die weissen Hände,

Es brach das Herz in ihrem Leib,

225

Sie sank dahin ein totes Weib.

XXVII. LATER MINNESINGERS

During the 13th century the making of amatory verses in honor of a liege lady became a part of the ordinary fashion of knighthood. In time the ‘nightingales’ could be counted by the hundred. Many of them were very clever metricians, but not many found anything to express that had not been better expressed before. A few of the more noteworthy among Walter’s successors are represented in the following selections, which are taken from Obermann’s Deutscher Minnesang. The most original is Neidhart von Reuental, who eschewed the conventional hohe Minne and sang lustily of the plebeian maid and the rustic dance.

1
Reinmar von Zweter: Gebot an den Unendlichen.

Gott, Ursprung aller guten Ding’,

Gott, alle Weit’ und Breite rings umschliessend wie ein Ring,

Gott, aller Höh’ Bedeckung, aller Tiefe endeloser Grund,

O sieh aus deiner Göttlichkeit

133

Herab auf deine teuer dir erkaufte Christenheit,

Um die dein eingeborener Sohn ward an dem heil’gen Kreuze wund.

Er hat sich uns vermählt mit seinem Blute:

Die Liebe komm’ uns auch von dir zugute

Um dessen will’n, durch den wir kamen

Von Hölle los und Teufelsmacht.

Ihm sei mit dir, Herr, Lob gebracht

Als Einem Gotte mit dreifachem Namen.

2
Reinmar von Zweter: Kurze Lust und langes Leid.

Du süsses Weib! Im Herzen mein

Sieh dich doch um, und find’st du dort noch wen als dich allein,

So lass mich nur vergehn und ohne Trost bis an mein Ende leben.

Doch herrschest du darin, o dann,

Vielsüsses Weib, so nimm in Huld dich meiner mehr auch an.

Mehr kann ich nicht: durch meine Augen bist du mir ins Herz gegeben.

Ganz bist du, Süsse, mir hineingegangen,

Ich hab’ dich oftmals heimlich drin empfangen.

Wenn ich so lieb dann an dich dachte,

Ein wenig wohler mir geschah;

Doch dann sass ich gar traurig da,

Und kurze Lust mir langes Leid stets brachte.

3
Reinmar von Zweter: Der tapfere Hahn.

Preis muss ich, Hahn, Euch zugestehn!

Ihr seid in Wahrheit tapfer, wie gar oft ich hab’ gesehn,

Denn Eure Meisterschaft ist gross bei Euern Fraun, sind’s noch so viel.

Nun ist nur Eine mir beschert,

Die doch mir alle Freude nimmt und meinen Sinn beschwert,

Sie trägt das grössre Messer, und sie zürnt, wenn froh ich werden will.

Hätt’ ich so zwei, dann wagt’ ich nie zu lachen,

Hätt’ ich so vier, könnt’ nichts mehr froh mich machen,

134

Hätt’ acht ich, würd’ ich nicht mehr leben können,

Sie brächten mir den Tod vor Leid.

O Hahn, dass Ihr so tüchtig seid,

Ist Euer Glück,—Ihr meistert selbst zwölf Hennen.

4
Ulrich von Lichtenstein: Glück der Hoffnung.

In dem Walde süsse Töne

Singen kleine Vögelein.

Auf der Heide blühen schöne

Blumen zu des Maien Schein.

5

Also blüht auch froh mein Mut,

Wenn er denkt an ihre Güte,

Die mir reich macht mein Gemüte,

Wie der Traum dem Armen tut.

Ja, zu ihrer Tugend hege

10

Diese Hoffnung ich,

Dass ich endlich sie bewege,

Und sie noch beglücket mich.

Dieser Hoffnung bin ich froh.

Gebe Gott, dass sich’s vollende,

15

Sie mir diesen Wahn nicht wende,

Der mich jetzt erfreut schon so.

Du viel Süsse, Wohlgetane,

Frei von Truge, treu und stet,

Lasse mich in liebem Wahne,

20

Wenn es jetzt nicht anders geht,

Dass die Freude lange währ’,

Ich vor Weinen nicht erwache,

Nein, dem Trost entgegenlache,

Der von ihrer Huld kommt her.

25

Lieber Wunsch und froh Gedenken

Ist die grösste Freude mein.

Nichts soll mir den Trost beschränken,

Lässt sie mich nur immer sein

Ihr mit beidem nahe bei

30

Und vergönnt mir, ihretwegen

Süsse Lust daran zu hegen,

Wie beglückend sie stets sei.

Süsser Mai, auch du alleine

Tröstest sonst die Welt fürwahr;

35

Doch du freust selbst im Vereine

Mit der Welt mich kaum ein Haar.

Brächtet ihr wohl Freude mir

Ausser der Viellieben, Guten?

Trost will ich von ihr vermuten;

40

Ich leb’ nur des Trosts von ihr.

5
Ulrich von Lichtenstein: Treue Liebe.

In dem duftigsüssen Maien,

Wenn erprangt des Waldes Trieb,

Sieht man lieblich auch zu zweien,

Was nur irgend hat ein Lieb.

5

Eins ist mit dem andern froh,

Und mit Recht, die Zeit will’s so.

135

Wo ein Lieb zum Lieb sich reihet,

Gibt die Liebe frohe Lust,

Und mit hohen Freuden maiet

10

Es fortan in jeder Brust.

Liebe will, dass Trauern flieht,

Wo man Lieb bei Liebe sieht.

Wo zwei Lieb’ einander meinen

Treulich sich von Herzensgrund,

15

Und sich beide so vereinen,

Dass nie schwankt ihr Liebesbund:

Für ein Leben wonniglich

Schenkte Gott die beiden sich.

Treue Liebe nennt man Minne:

20

Eins ist Lieb’ und Minne dann,

Dass ich sie in meinem Sinne

Nimmermehr drum scheiden kann.

Liebe muss im Herzen mein

Immer mir auch Minne sein.

25

Kann ein treues Herze finden

Treue Liebe, treuen Mut,

Muss ihm alle Trauer schwinden.

Treue Liebe ist so gut,

Dass sie stete Freude leiht

30

Treuem Herzen allezeit.

Möcht’ ich treue Liebe finden,

Wollt’ ich so getreu ihr sein,

Dass ich damit überwinden

Wollte alle Sorg’ und Pein.

35

Treue Liebe hab’ ich gern,

Ungetreue bleib’ mir fern.

6
Neidhart von Reuental: Die tanzlustige Junge.

“Der Mai, der ist so mächtig,

Drum führt er auch so prächtig

Den Wald an seinen Händen,

Der ist jetzt voll von neuem Laub, der Winter muss sich enden.

5

Ich freu’ mich an der Heide

Der hellen Augenweide,

Die uns jetzt aufgegangen;”

So sprach ein schmuckes Mägdelein, “die will ich schön empfangen.

Lasst, Mutter, ohne Weilen

10

Mich hin zum Felde eilen

Und dort im Reihen springen.

Ich hörte wahrlich lange nicht die Kinder Neues singen.”

“Ach nein doch, Tochter, nein doch!

Dich hab’ ich ganz allein doch

15

Genährt an meinen Brüsten;

Drum folg’ mir nur und lass dich ja nach Männern nicht gelüsten.”

“Den ich Euch will nennen,

Den werdet Ihr ja kennen.

Zu dem ich voll Verlangen

20

Jetzt will, ist der von Reuental, ihn will ich jetzt umfangen.

Es grünt ja an den Zweigen,

Dass berstend fast sich neigen

136

Die Bäume tief zur Erden.

Nun wisst nur, liebe Mutter mein, der Knabe muss mir werden!

25

Mutter, ach schon lange

Verlangt er nach mir bange;

Soll ich dafür nicht danken?

Er sagt, dass ich die schönste sei von Bayern bis nach Franken.”

7
Neidhart von Reuental: Die tanzlustige Alte.

Eine Alte fing zu springen

Munter wie ein Zicklein an, sie wollte Blumen bringen.

“Tochter, gib mir mein Gewand,

Ich muss an des Knappen Hand,

Er ist von Reuental genannt.”

Trara nuretum, trara nuri runtundeie!

“Mutter, bleibt doch nur bei Sinne!

Dieser Knappe denkt ja nicht je an treue Minne.”

“Tochter, lass mich ohne Not;

Ich weiss ja, was er mir entbot,

Nach seiner Minne bin ich tot.”

Trara nuretum, trara nuri runtundeie!

8
Neidhart von Reuental: Die zwei Gespielen.

Nun ist ganz vergangen

Der Winter kalt.

Mit Laube steht behangen

Der grüne Wald.

5

Wonniglich

Mit Stimmen, süss und freudiglich,

So singen jetzt die Vöglein Lob dem Maien.

Gehn auch wir zum Reihen!

Allen im Vereine

10

Kam froher Sinn.

Blumen in dem Haine

Hab’ nun weithin

Ich gesehn;

Aber ich kann nicht gestehn,

15

Dass mir mein langer Liebesgram verschwinde,

Er, mein treu Gesinde.

Zwei Gespielen fragten,

Wie’s jedem geh’.

Stille sie sich klagten

20

Ihr Herzensweh.

Eine sprach:

“Trauer, Leid und Ungemach,

Das zehret mir am Leib und allen Sinnen,

Freud’ ist nicht mehr drinnen.

25

Es lässt mich im Gemüte

Leid nicht in Ruh’.

Ein Freund voll hoher Güte

Zwingt mich dazu.

Bleibt der Mann

30

Fern doch, der mir’s angetan,

Dass langes Liebesleid sich bei mir mehret

Und mein Herz verzehret.”

137

“Sag’s nur frei von Herzen,

Was fehlt denn dir?

35

Macht dir die Liebe Schmerzen,

Dann folge mir:

Hab’ Geduld!

Ist ein lieber Mann dran schuld,

So trag es still im Herzen als dein eigen.

40

Ich will gern auch schweigen.”

“Nun, du wirst ihn kennen,

Denn manches Mal

Hört’st du wohl schon nennen

Den Reuental.

45

Sein Gesang

Mein Gemüte ganz bezwang.

Der da weiss den Himmel zu verwalten,

Mag ihn mir erhalten!”

9
Tannhäuser: Gute Aussicht.

Hört, lohnen will die Herrin mir,

Der ich gedienet ohne Wank!

Das ist gar schön getan von ihr,

Drum sagt ihr alle euern Dank!

5

Abwenden soll ich nur den Rhein,

Dass er nicht mehr bei Koblenz geh’,

Dann will sie mir willfährig sein.

Und bring’ ich Sand erst aus der See,

Da wo zur Ruh’ die Sonne geht,

10

Erhört sie mich; doch einen Stern,

Der grade in der Nähe steht,

Den wünscht sie auch von mir recht gern.

Doch denkt mein Mut: was sie mir tut,

Es soll mich alles dünken gut.

15

Sie nahm vor mir sich gute Hut, die Reine;

Ausser Gott alleine

Kennt niemand ja die Liebste, die ich meine.

Nähm’ ich der Elbe ihren Fall,

Sagt sie, so tu’ sie mir noch wohl,

20

Dazu der Donau ihren Schall.

Ei ja, sie ist gar tugendvoll!

Den Salamander muss ich ihr

Erst bringen aus dem Feuer her,

Dann lohnet auch die Liebste mir

25

Und tut dann ganz mir nach Begehr.

Kann ich den Regen und den Schnee

Wegwenden, das versprach sie mir,

Dazu den Sommer, samt dem Klee,

So wird auch wohl viel Liebes mir.

30

Doch denkt mein Mut: was sie mir tut,

Es soll mich alles dünken gut.

Sie nahm vor mir sich gute Hut, die Reine;

138

Ausser Gott alleine

Kennt niemand ja die Liebste, die ich meine.

10
Gottfried von Neifen: Die Flachsschwingerin.

Ei ja, uns jungen Männern mag

Bei Fraun es leicht mislingen.

Es war mal mitten um den Tag,

Da hört’ ich eine schwingen:

Sie schwang Flachs,

Sie schwang Flachs, ja Flachs, ja Flachs.

Guten Morgen bot ich ihr

Und sprach: “Gott mög’ Euch ehren!”

Die schöne Jungfer dankte mir,

Ich wollte ein schon kehren.

Sie schwang Flachs,

Sie schwang Flachs, ja Flachs, ja Flachs.

Da sprach sie: “Weiber gibt’s hier nicht,

Ihr seid wohl fehlgegangen.

Eh’ Euer Will’ an mir geschicht,

Säh’ ich Euch lieber hangen!”

Sie schwang Flachs,

Sie schwang Flachs, ja Flachs, ja Flachs.

11
Steinmar: Die hübsche Bäuerin.

Sommerzeit, wie froh ich bin,

Dass ich nun kann schauen

Eine hübsche Häuslerin,

Krone aller Frauen!

5

Denn ein Dirnlein, das nach Kraute

Geht, die ist es, die als Traute

Ich ersah.

Ihr zum Dienst nur bin ich da!

Schau’ rings um dich!

10

Wer verstohlen minnt, der hüte sich!

War vor mir sie winterlang

Leider eingeschlossen,

Geht zur Heide jetzt ihr Gang,

Wo die Blüten sprossen;

15

Wo sie Blumen sich zum Kranze

Pflücket, den sie bei dem Tanze

Trägt zur Zier.

Viel noch kos’ ich da mit ihr.

Ja, mich freut die Stunde schon,

20

Wenn sie geht zum Garten,

Und ihr ros’ger Mund zum Lohn

Mich heisst auf sie warten.

Fröhlich wird dann mein Gemüte;

Dass die Mutter sie nicht hüte

25

Fernerhin,

Vor der ich behutsam bin.

Da ich mich nun hüten muss

Vor der Mutter Tücke,

Liebchen, wag’ zum guten Schluss

30

Bald mit mir dein Glücke!

Brich den Trotz, der dich will hüten,

139

Denn ich will’s dir ja vergüten;

Allezeit

Sei dir Leib und Gut geweiht!

35

Steinmar, hab’ denn frohen Mut!

Wird dir noch die Hehre,

Die so hübsch ist und so gut,

Hast du an ihr Ehre.

Denn vom allerbesten Teile

40

Dessen, was zum Erdenheile

Dienen kann,

Wird dir reich beschert ja dann!

Schau’ rings um dich!

Wer verhohlen minnt, der hüte sich!

XXVIII. POEMS OF THE DIETRICH-SAGA

More than a dozen late-medieval epics, mostly anonymous and not precisely datable, have to do with the exploits of heroes who are the same as those that appear in the Nibelungen Lay or in some way related to them. Some of the poems are written in the Nibelungen meter, or a close approximation to it, others in short rimed couplets, still others in a peculiar stanza of twelve lines. The most of them relate to Dietrich of Bern, the doughtiest and most eminent of all the saga-heroes. Of the selections below No. 3 is given in Simrock’s translation, Das kleine Heldenbuch, 3rd edition, 1874.

1
From ‘Laurin’: Dietrich and his men encounter the dwarf-king.1

Sie ritten auf einander los

Und trafen sich mit hartem Stoss,

Der eine hoch, der andre klein,

Denn Laurin hatte kurze Bein’.

5

Fehl ging des Herrn Witeges Schuss,

Doch traf der Zwerg, ihm zum Verdruss,

Und stach ihn nieder in den Klee.

Kein Unglück tat ihm je so weh.

Laurin, der kühne,

10

Sprang nieder auf das Grüne;

Er wollte nehmen schweres Pfand,

Den rechten Fuss, die linke Hand,

Und wäre Dietrich nicht gekommen,

Er hätte solches Pfand genommen.

15

Erzürnt sprang Dieterich heran,

Und sprach, beschirmend seinen Mann:

“He da, du kleiner Wicht,

Behellige ihn nicht!

140

Er ist mir zugesellt,

20

Das wisse ja die Welt,

Und mit mir hergekommen.

Würd’ ihm solch Pfand genommen,

Des hätt’ ich immer Schande,

Wenn man es mir im Lande

25

Nachsagte, mir dem Berner; nicht

So leicht ertrüg’ ich solch Gerücht.”

Da sprach Laurin, der kleine Mann:

“Was geht mich wohl dein Name an?

Die Märe von dem Berner

30

Will ich nicht hören ferner;

Davon hab’ ich genug vernommen.

Mich freut, dass du hierher gekommen:

Du musst mir geben schweres Pfand,

Den rechten Fuss, die linke Hand.

35

Du sollst mich kennen lernen, traun!

Den Garten hast du mir verhaun,

Zertreten unter Füssen.

Das sollst du mir nun büssen.

Ich dünk’ euch wohl nicht gross,

40

Doch wäre euer Tross

Dreitausend stark und mehr,

Ich schlüg’ das ganze Heer.”

Herr Dietrich hatte gnug gehört;

Er sah sich um nach seinem Pferd,

45

Erreichte es in schnellem Lauf,

Sprang ohne Stegereif hinauf,

Ergriff den Ger mit starker Hand—

Da kam sein Meister Hildebrand,

Und dieser vielerfahrne Mann

50

Rief also seinen Herren an:

“Mein lieber Dieterich,

Sei klug und höre mich!

Verwirfst du meine Lehre,

Verlierst du wohl die Ehre.

55

Verkennst du doch den Wicht!

Dein Reiten taugt hier nicht.

Hättst du die ganze Welt im Bann,

Er sticht dich nieder auf den Plan;

So verlierst du deine Ehr’

60

Und darfst dann nimmermehr

Als Fürst mit Fürsten gehen.

Zu Fusse sollst du ihn bestehen,

Steig’ ab vom Rosse auf das Feld;

Das rat’ ich dir, du kühner Held.

65

Und höre einen weitern Rat:

Durch Schmiedewerk, wie er es hat,

Kommst du dem Zwerg, wie auch es sei,

Mit Schneidewaffen niemals bei.

Hau’ mit dem Knopf2 ihm um die Ohren

70

Und mache ihn also zum Toren.

So trägst du, dir und uns zum Lohn,

141

Mit Gottes Hilf’ den Sieg davon.”

Des Meisters Rat war nicht verlorn,

Er sprang von seinem Ross in Zorn:

75

“Laurin, ich widersage dir;

Nun, räche deinen Grimm an mir.”

“Ja wohl,” so sprach der Kleine,

“Das tu’ ich ganz alleine.”

Den Schild zu fassen er begann

80

Und lief den Berner hastig an.

Er schlug ihm einen grimmen Schlag,

So dass sein Schild auf Erden lag.

Des Berners Zorn war gross;

Er stürtzte auf das Männlein los

85

Und schlug auf seinen Schildesrand,

So dass er fiel ihm aus der Hand.

Herr Dieterich von Bern

Hätt’ ihn betäubet gern;

Er rannt’ ihn an und mit dem Knopf

90

Schlug er ihn grimmig auf den Kopf,

Dass weit und breit erklang der Ton

Des Helmes und der goldnen Kron’.

Es schwindelte dem Zwerg sogar,

Er wusste nicht, wie’s mit ihm war.

95

Er griff in seine Tasche klein

Und holte sich sein Tarnkäpplein,

Worin er gleich unsichtbar ward.

Jetzt ging’s dem Berner erst recht hart.

Der Kleine schlug ihm hier und dort

100

Furchtbare Wunden fort und fort,

So dass dem schwergeprüften Mann

Dass Blut nun durch die Brünne rann.

Da sprach der Held von Bern:

“Ich schlüge dich ja gern,

105

Doch weiss ich nicht zur Frist,

Wo du zu treffen bist.

Wohin bist du gekommen?

Wer hat dich mir entnommen?”

Der Berner holte aus und schlug

110

In grimmem Zorn ob dem Betrug;

Und ellenweit die Waffe sein

Biss in die Felsenwand hinein.

All unverletzt der kleine Mann

Lief abermals den Berner an,

115

Der, hart bedrängt, den Streichen

Nicht wusste zu entweichen.

Er kam in furchtbare Gefahr,

Wiewohl er stark und weise war

Und sich aufs Waffenwerk verstand.

Da sprach der weise Hildebrand:

120

“Wirst du von einem Zwerg erschlagen,

Kann ich dich nicht so sehr beklagen.

Dir könnt’ es bass gelingen,

Wollt’ er nur mit dir ringen.

142 125

Ergreif’ und halte fest den Butzen,

So ist sein Käpplein ohne Nutzen.”

Der Berner sprach: “Ja, käm’s zum Ringen,

Es könnte mir doch bass gelingen.”

Er trug dem Zwerge grimmig Hass.

130

Als dieser nun bemerkte, was

Der Held von ihm begehrte,

Wie bald er’s ihm gewährte!

Er schleuderte sein Schwert von sich

Und stürtzte auf Herrn Dieterich.

135

Kraftvoll ergriff der Kleine

Des Riesen starke Beine,

Und beide fielen in den Klee;

Die Schande tat dem Berner weh.

Da sprach—er war ja gleich zur Hand—

140

Der weise Meister Hildebrand:

“Dietrich, lieber Herre mein,

Zerreiss’ ihm doch das Gürtelein,

Davon er hat Zwölfmännerkraft;

So magst du werden siegehaft.”

145

Nun ging es an ein starkes Ringen,

Noch wollt’s dem Berner nicht gelingen.

Gross war Herrn Dieterichs Bemühn:

Man sah’s ihm aus dem Munde sprühn,

Wie Feuer aus der Esse tut;

150

Nicht mehr verträglich war sein Mut.

Zuletzt griff er ins Gürtlein zäh

Und hob das Zwerglein in die Höh’

Mit rasender Gebärde

Und schmiss es auf die Erde.

155

Ums Gürtlein war es jetzt getan,

Dem Laurin war es übel dran;

Denn als der Kleine fiel zu Hauf,

Griff Hildebrand das Gürtlein auf,

Das jenem Riesenkraft verlieh.

160

Jetzt kam der Zwerg in Not; er schrie

Und heulte, dass der Schall

Ertönte über Berg und Tal.

Demütig rief er Dietrich an:

“Warst du je ein guter Mann,

165

So friste mir das Leben.

Ich will mich dir ergeben,

Ich will dir werden untertan

Mit meinem Gut von heute an.”

2
From the ‘Lay of Ecke’: Ecke’s death and Dietrich’s remorse.3

Die Schwerter warfen sie von sich

Und rangen nun gewältiglich

Auf freier Stätt’ im Walde.

143

Einander taten sie so weh,

5

Dass Blut begoss den grünen Klee

Hinab die Bergeshalde.

Gen einen Baum der Berner zwang

Den riesenhaften Ecke;

Das Blut ihm aus den Wunden drang,

10

Betäubet ward der Recke.

Der Berner drückte ihn aufs Gras

Mit solcher fürchterlichen Kraft, dass er kaum noch genas.

Der mächt’ge Ecke war gefällt,

Und auf ihm lag der edle Held,

15

Herr Dieterich von Berne:

“Dein Leben steht in meiner Hand,

Gib mir sofort dein Schwert zum Pfand,

Du, der du kämpfst so gerne.

Tust du es nicht, musst du den Tod

20

Von meiner Hand erdulden.

Drum hilf dir selber aus der Not

Und komme mir zu Hulden.

Du wirst geführt an meiner Hand

Gefangen vor die Frauen drei; so werd ich dort bekannt.”

25

Der Riese sprach, ein Recke wert:

“Dir geb’ ich nicht mein gutes Schwert,

Du lobenswerter Degen.

Drei Königinnen wohlgestalt

Schickten mich her in diesen Wald,

30

Wo ich dir jetzt erlegen.

Doch eher als gefangen gehn

Mit dir nun nach Jochgrimme

Vor jene Königinnen schön,”

Rief er mit lauter Stimme,

35

“Und deren Spott in Angst und Not

Aushalten zu Jochgrimme dort, erkür’ ich hier den Tod.”

Der lobenswerte Held von Bern

Vernahm des Feigen4 Wort nicht gern,

Er sprach: “Es reut mich, Ecke.

40

Kann es also nicht anders sein,

Verlierst du bald das Leben dein,

Du ausgewählter Recke.

Also erweiche deinen Sinn

Im Namen aller Frauen;

45

Sonst hast du grossen Ungewinn,

Wie du sogleich wirst schauen.

Mit wildem Hass blickst du mich an,

Und stündst du einmal auf, müsst’ ich den Tod empfahn.”

Er riss den Helm ihm zornig ab,

144 50

Doch war der Schwertstich, den er gab,

Ein nutzloses Beginnen,

Denn zähes Gold schirmt’ ihm den Kopf.

Er schlug ihn grimmig mit dem Knopf,

Das Blut begann zu rinnen

55

Ihm allenthalben durch das Gold,

Es schwanden ihm die Sinne;

Der rechte Lohn war ihm gezollt.

Er öffnet’ ihm die Brünne,

Die herrliche von Golde rot,

60

Und stach ihn mit dem Schwerte durch; dazu zwang ihn die Not.

Als er den Sieg ihm abgewann,

Da stand er ob dem kühnen Mann

Und sprach die Trauerworte:

“Mein Sieg und auch dein junger Tod,

65

Sie machen mich nun reuerot;

Ich muss an jedem Orte

Erscheinen als der Ehre bar,

Das klag’ ich dir dem Feigen.

Wohin ich auch im Lande fahr’,

70

Wird jeder auf mich zeigen

Mit starker Abscheu im Gesicht

Und sagen: Seht den Berner da, der Könige ersticht.

Da diese Tat einmal getan,

Bleib’ ich nun ohne Lob fortan

75

Und ohne Fürstenehre.

Wohlan denn, Tod, nimm du mich hin,

Da ich der Ungetreue bin;

Wer gab mir diese Lehre?

Dass ich dich, junger Held, erstach,

80

Es muss mich ewig dauern.

Zu Gott klag’ ich mein Ungemach

Mit wehmutsvollem Trauern.

Ich kann’s verhehlen vor der Welt,

Doch denk’ ich selbst daran, ist all mein Glück vergällt.”

3
From the ‘Rose-garden,’ Adventure 11: The battle between Dietrich and Siegfried.5

Vermessentlich die Helden     zwei scharfe Schwerter zogen,

Dass spannenlange Scherben     von ihren Schilden flogen.

Um die Späne von den Schilden     weinte manches Weib:

“Sollen zwei Fürsten milde     verlieren Leben und Leib,”

145 5

Sprachen sie, “der Königin     zu lieb, das ist zu viel!”

“Lasst sie fechten,” sprach Kriemhild,     “es ist mir nur ein Spiel.”

Da fochten mit einander     die beiden kühnen Degen

Mit ungefügen Sprüngen,     dazu mit grossen Schlägen.

Der Küsse dachte Siegfried,     die er bei Kriemhild empfing;

10

Da kam zu neuen Kräften     der kühne Jüngling,

Man sah ihn mordlich fechten,     das will ich euch sagen.

Da begann er im Kreise     Dietrichen umzujagen.

Da sprach die schöne Kriemhild:     “Nun schaut, ihr Frauen mein,

Das ist der kühne Siegfried,     der Held vom Niederrhein.

15

Wie treibt er den Berner     umher auf grünem Feld!

Noch trägt mein lieber Siegfried     das Lob vor aller Welt.”

Siegfried der edle     war ein starker Mann,

Jetzt lief er gewaltig     Dietrichen an;

Er schlug ihm eine Wunde     durch seinen Eisenhut,

20

Dass man hernieder rinnen     ihm sah das rote Blut.

“Wie hält sich unser Herre?”     frug heimlich Hildebrand.

“Er ficht leider übel,”     sprach Wolfhart allzuhand;

“Eine tiefe Wunde hat er     durch seinen Eisenhelm,

Er ist mit Blut beronnen,     er ficht recht wie ein Schelm.”

25

“Er ist noch nicht im Zorne,”     sprach da Hildebrand.

“Nun ruf’ in den Garten,     du kühner Weigand,

Und sag’ ich sei gestorben,     er habe mich erschlagen;6

Wenn das ihn nicht erzürnet,     dann mögen wir wohl klagen.”

Wolfhart rief in den Garten,     dass weit die Luft erscholl:

30

“O weh mir meines Leides,     das ist so gross und voll!

146

Hildbrand ist erstorben,     wir müssen ihn begraben.

O weh, du Vogt von Berne,     was hast du ihn erschlagen!”

“Ist Hildebrand gestorben,”     rief der Held von Bern,

“So findet man an Treue     ihm keinen gleich von fern.

35

Nun hüte deines Lebens,     Siegfried, kühner Mann,

Es ist mein Scherz gewesen,     was ich noch stritt bis heran.

Wehr’ dich aus allen Kräften,     es tut dir wahrlich not.

Uns beide scheidet niemand     als des einen Tod.

Ich hab’ um deinetwillen     verloren einen Mann,

40

Den ich bis an mein Ende     nimmer verwinden kann.”

Wie ein Haus, das dampfet,     wenn man es zündet an,

So musste Dietrich rauchen,     der zornige Mann.

Eine rote Flamme sah man     gehen aus seinem Mund.

Siegfried’s Horn erweichte;     da ward ihm Dietrich erst kund.

45

Er brannte wie ein Drache,     Siegfrieden ward so heiss,

Dass ihm vom Leibe nieder     durch die Ringe floss der Schweiss.

Den edeln Vogt von Berne     ergriff sein grimmer Zorn:

Er schlug dem kühnen Siegfried     durch Harnisch und durch Horn,

Dass ihm das Blut, das rote,     herabsprang in den Sand;

50

Siegfried musste weichen,     wie kühn er eben stand.

Er hatt’ ihn hin getrieben,     jetzt trieb ihn Dietrich her;

Das sah die schöne Kriemhild,     die begann zu trauern sehr.

Der Berner schnitt die Ringe,     als wär’ es faules Stroh;

Zum erstenmal im Leben     sah man, dass Siegfried floh.

55

Da jagt’ ihn durch die Rosen     der Berner unverzagt;

Nun säumte sich nicht länger     die kaiserliche Magd.

Sie sprang von ihrem Sitze,     ein Kleid sie von sich schwang,

Kriemhild in grosser Eile     hin durch die Rosen drang.

147

Da rief mit lauter Stimme     die Königstochter hehr:

60

“Nun lasst von Eurem Streite,     Dietrich, ich fleh’ Euch sehr.

Steht ab um meinetwillen,     und lasst das Kämpfen sein;

Euch ist der Sieg geworden     zu Worms an dem Rhein.”

Da tat der Vogt von Berne,     als hätt’ er’s nicht gehört,

Er schlug mit seinem Schwerte,     schier hätt’ er ihn betört.

65

Er hörte nichts von allem,     was die Königstochter sprach,

Bis er dem kühnen Siegfried     vollends den Helm zerbrach.

Wie viel man der Stühle     zwischen die Streiter warf,

Die zerhieb der Berner     mit seinem Schwert so scharf.

Da warf sie ihren Schleier     über den kühnen Degen;

70

So dachte sie dem Gatten     zu fristen Leib und Leben.

Da sprach die Königstochter:     “Bist du ein Biedermann,

So lass ihn des geniessen,     dass er meine Huld gewann.”

Da sprach der Held von Berne:     “Die Rede lasset sein;

Wessen Ihr mich bittet,     zu allem sag’ ich nein.

75

Euch Ritter und euch Frauen,     ich bring’ euch all’ in Not;

Ihr müsst vor mir ersterben,     da Hildebrand ist tot.”

Alles, was im Garten war,     wollt’ er erschlagen,

Dietrich in seinem Zorne,     wie wir hören sagen.

Hildebrand der alte     tat als ein Biedermann,

80

Er sprang in den Garten     und rief seinen Herren an.

Er sprach: “Lieber Herre,     lasst ab von Eurem Zorn;

Ihr habt den Sieg gewonnen,     nun bin ich neu geborn.”

Dietrich der kühne     sah Hildebranden an,

Da erweicht’ ihm sein Gemüte,     da er stehen sah den Mann.

85

Der Berner liess sein Toben,     er küsst’ ihn auf den Mund;

“Gott will ich heute loben,     dass du noch bist gesund;

148

Sonst hätte nicht verfangen     ihr Flehen insgemein;

Um Siegfried war’s ergangen:     das schuf das Sterben dein.

Nun lass’ ich von dem Harme,     da Hildbrand ist gesund.”

90

Da schlug die Königstochter     sich selber auf den Mund.

Da sprach Frau Kriemhild:     “Ihr seid ein biedrer Mann,

Dem man seinesgleichen     in der Welt nicht finden kann.”

Auf setzte sie dem Berner     ein Rosenkränzelein,

Ein Halsen und ein Küssen     gab ihm das Mägdelein.

95

Sie sprachen einhellig:     “Das mag man Euch gestehn,

Es ward in allen Reichen     kein Mann wie Ihr gesehn.”

Siegfried dem kühnen     man zu Hilfe kam,

Sie führten ins Gestühle     den Degen lobesam.

Man zog ihm ab den Harnisch,     dem kühnen Weigand;

100

Da verbanden ihm die Wunden     die Frauen allzuhand.

1. The locus is the mountains of Tirol. Laurin, the diminutive dwarf-king, has a rose-garden the trespasser upon which must lose a hand and foot. The arrogant Witege, Dietrich’s man, wantonly tramples down the roses; whereupon Laurin assails him, in knightly fashion, on horseback.

2. The ‘pommel’ of his sword.

3. Ecke is a redoutable young giant whose conceit leads him to seek an encounter with Dietrich of Bern. Three queens promise him the choice among them if he brings the famous man to them, so that they can see him. At first Dietrich refuses to fight, but Ecke finally goads him to it with insults. After a fierce battle Ecke is killed.

4. In the archaic sense of ‘mortally wounded,’ ‘doomed to death.’

5. Kriemhild has at Worms a rose-garden which is guarded by twelve famous champions. She challenges Dietrich and his Amelungs to invade her garden if they dare, promising to each victor a kiss and a wreath. Eleven duels, in which Kriemhild’s man is either slain or barely holds his own, precede the encounter between the two invincibles.

6. In the preceding adventure we hear that Dietrich was at first unwilling to face Siegfried on account of his horny skin, his magic sword and his impenetrable armor. To provoke his master’s wrath—Dietrich can only fight when enraged—the faithful Hildebrand takes him aside and calls him a coward; whereat Dietrich knocks him down—to the old man’s private satisfaction.

XXIX. MEYER HELMBRECHT

A metrical novelette written about 1250 by a man who calls himself Wernher the Gardner. The locus of the story, which is interesting as a picture of the times, is the region about the junction of the Inn and the Salzach. Its hero is a depraved young peasant, who gets the idea that the life of a robber knight would be preferable to hard work upon his father’s farm. So he dresses himself in fine clothes to ape the gentry, becomes a robber and commits all manner of outrages until one day he is caught and hanged by a party of his victims. In the course of his career he revisits his former home and compares notes with his father. The selection is from Bötticher’s translation in Part II of Bötticher and Kinzel’s Denkmäler.

Lines 844-986: The old knighthood and the new.

Als sie in Freuden assen,

845

Da konnt’s nicht länger lassen

Der Vater, ihn zu fragen

Nach höfischem Betragen,

Wie er’s bei Hof gelernt jetzund.

“Mein Sohn, die Sitten tu mir kund,

850

So bin ich auch dazu bereit,

Zu sagen, wie vor langer Zeit

In meinen jungen Jahren

Die Leut’ ich sah gebaren.”

149

“Ach Vater, das erzähle jetzt,

855

Ich geb’ auch Antwort dir zuletzt

Auf alle deine Fragen

Nach höfischem Betragen.”

“Vor Zeiten, da ich Knecht noch war

Bei meinem Vater manches Jahr,

860

—Den du Grossvater hast genannt—

Hat der mich oft zu Hof gesandt

Mit Käse und mit Eiern,

Wie’s heut noch Brauch bei Meiern.

Da hab’ die Ritter ich betrachtet

865

Und alles ganz genau beachtet.

Sie waren edel, kühn und treu,

Von Trug und niederm Sinne frei,

Wie’s leider heut nicht oft zu schaun

Bei Rittern und bei Edelfraun.

870

Die Ritter wussten manches Spiel,

Das edlen Frauen wohlgefiel.

Eins wurde Buhurdier’n1 genannt,

Das tat ein Hofmann mir bekannt,

Als ich ihn nach dem Namen fragte

875

Des Spiels, das da so wohl behagte.

Sie rasten dort umher wie toll

—Drob war man ganz des Lobes voll,—

Die einen hin, die andern her.

Jetzt sprengte dieser an und der,

880

Als wollt’ er jenen niederstossen.

Bei meinen Dorfgenossen

Ist selten solcherlei geschehn,

Wie dort bei Hof ich’s hab’ gesehn.

Als sie vollendet nun das Reiten,

885

Da sah ich sie im Tanze schreiten

Mit hochgemutem Singen;

Das lässt Kurzweil gelingen;

Bald kam ein muntrer Spielmann auch,

Der hub zu geigen an, wie’s Brauch.

890

Da standen auf die Frauen,

Holdselig anzuschauen.

Die Ritter traten jetzt heran

Und fassten bei der Hand sie an;

Da war nun eitel Wonne gar

895

Bei Frauen und der Ritterschar

Ob süsser Augenweide.

Die Junker und die Maide,

Sie tanzten fröhlich allzugleich

Und fragten nicht, ob arm, ob reich.

900

Als auch der Tanz zu Ende war,

Trat einer aus der edlen Schar

Und las von einem, Ernst2 genannt;

150

Und was von Kurzweil allerhand

Am liebsten jeder mochte treiben,

905

Das fand er dort: Nach Scheiben

Mit Pfeil und Bogen schoss man viel;

Die andern trieben andres Spiel,

Sie freuten sich am Jagen.

O weh, in unsern Tagen

910

Wär’ nun der Beste, das ist wahr,

Wer dort der Allerschlecht’ste war.

Da wusst’ ich wohl, was Ehr’ erwarb,

Eh’ leid’ge Falschheit es verdarb.

Die falschen, losen Gesellen,

915

Die boshaft sich verstellen,

Nicht Recht und Sitte kennen,—

Niemand wollt’s ihnen gönnen,

Zu essen von des Hofes Speise.

Heut ist bei Hofe weise,

920

Wer schlemmen und betrügen kann;

Der ist bei Hof der rechte Mann

Und hat an Geld und Gut und Ehr’

Ach, leider immer noch viel mehr

Als einer, der rechtschaffen lebt

925

Und fromm sich Gottes Huld erstrebt.

So viel weiss ich von alter Sitte;

Nun, Sohn, tu mir die Ehr’, ich bitte,

Erzähle von der neuen nun.”

“Das, Vater, will ich treulich tun.

930

Jetzt heisst’s bei Hof nur: Immer drauf,

Trink, Bruder, trink, und sauf und sauf!

Trink dies, so sauf’ ich das: juchhe!

Wie könnt’ uns wohler werden je?

Nun höre, was ich sagen will:

935

Einst fand man edle Ritter viel

Bei schönen, werten Frauen.

Heut kann man sie nur schauen,

Wo unerschöpflich fliesst der Wein.

Und nichts macht ihnen Müh’ und Pein

940

Vom Abend bis zum Morgen,

Als nur das eine Sorgen,

Wenn nun der Wein zur Neige geht,

Ob sie der Wirt auch wohl berät

Und neuen schafft von gleicher Güte.

945

Da suchen Kraft sie dem Gemüte.

Ihr Minnesang heisst ungefähr:

Reich, Schenkin, schnell den Becher her!

Komm, süsses Mädchen, füll’ den Krug,

‘s gibt Narr’n und Affen noch genug.

950

Die, statt zu trinken, ihren Leib

Elend verhärmen um ein Weib.

Wer lügen kann, der ist ein Held,

Betrug ist, was bei Hof gefällt,

Und wer nur brav verleumden kann,

151 955

Der gilt als rechter höf’scher Mann.

Der Tüchtigste ist allerorten,

Wer schimpft mit den gemeinsten Worten.

Wer so altmodisch lebt wie ihr,

Der wird bei uns, das glaubet mir,

960

In Acht und schweren Bann getan.

Und jedes Weib und jeder Mann

Liebt ihn nicht mehr noch minder

Als Henkersknecht und Schinder.

Und Acht und Bann ist Kinderspott.”3

965

Der Alte sprach: “Erbarm’ sich Gott!

Ihm klag’ ich täglich neu das Leid,

Dass sich das Unrecht macht so breit.

Dahin ist der Turniere Pracht,

Dafür hat Neues man erdacht.

970

Einst rief man kampfesfreudig so:

Frisch auf, Herr Ritter, frisch und froh!

Jetzt aber schallt’s an allen Tagen:

Hussa, Herr Ritter, auf zum Jagen,

Stich hier und schlag’ zu Tode den,

975

Und blende, wer zu gut kann sehn.

Dem dort hau’ frisch nur ab das Bein,

Den lass der Hände ledig sein.

Lass den am nächsten Baume hangen,

Doch jenen Reichen nimm gefangen,

980

Er zahlt uns gerne hundert Pfund.”

“Mir sind die Sitten alle kund,

Mein Vater, und ich könnte eben

Von diesem neuen Brauch und Leben

Noch viel erzählen, doch heut nicht mehr;

985

Ich ritt den ganzen Tag umher,

Und mich verlangt nach Ruhe nun.”

Lines 1700-1790: Helmbrecht’s sad end.
1700

Wohin er kam bei seinem Wandern,

Da zeigt’ ein Bauer ihn dem andern

Und schrie ihn an und seinen Knecht:

“Haha! Du dieb’scher Schuft, Helmbrecht,

Wärst du ein Bauer noch wie ich,

1705

Man führte nicht als Blinden4 dich.”

152

Ein Jahr lang litt er solche Not,

Bis durch den Strang er fand den Tod.

Ich sag’ euch nun, wie das geschah.

Ein Bauer ihn von weitem sah,

1710

Als eines Tags er durch den Wald

Hinstrich um seinen Unterhalt.

Der Bauer spaltete mit andern

Sich Holz; da sah er Helmbrecht wandern,

Der eine Kuh ihm einst genommen,

1715

Die sieben Bänder5 schon bekommen.

Gleich sprach er zu den lieben Freunden,

Dass sie zur Rachetat sich einten.

“Wahrhaftig,” fiel gleich einer ein,

“In Stücke reiss’ ich ihn so klein,

1720

Wie Stäubchen in dem Sonnenlicht,

Nimmt ihn vorweg ein andrer nicht.

Denn mir und meinem Weibe

Zog er hinweg vom Leibe

Das letzte Kleid, das unser war;

1725

Drum ist er mein mit Haut und Haar.”

Ein dritter, der dabei stand sagte:

“Und wenn er aus sich drei auch machte,

Ich wollt’ ihn töten doch allein.

Der Schuft schlug Schloss und Türen ein

1730

Und nahm aus Küch’ und Keller frech

Mir auch den letzten Vorrat weg.”

Dem vierten, der das Holz zerhieb,

Vor Wut kaum noch die Sprache blieb:

“Ich reisse gleich den Kopf ihm ab

1735

Und denke, dass ich Ursach’ hab’.

Mein Kind in einen Sack er stiess,

Dieweil’s noch schlummerte so süss.

Mitsamt den Betten stopft’ er’s ein,

In dunkler Nacht blieb ich allein.

1740

Und als es schrie vor Schmerz und Weh,

Da schleudert’ er’s in kalten Schnee.

Da wär’ es elend umgekommen,

Hätt’ ich’s nicht schnell ins Haus genommen.”

Der fünfte sprach: “Ja, meiner Treu,’

1745

Wie ich mich seines Hierseins freu’!

Wie soll mein Herz sich heute weiden

An seinen Qualen, seinen Leiden!

Er tat Gewalt an meinem Kind;

Und wär’ er dreimal noch so blind,

153 1750

Ich hängt’ ihn an den nächsten Baum.

Ich selber rettete mich kaum

Aus seinen Händen, nackt und bloss.

Ja, wär’ er wie ein Haus so gross,

Es wird an ihm noch heut gerochen,

1755

Nun er sich hierher hat verkrochen

In diesen tiefen, dichten Wald.”

“Nur näher, kommt doch näher bald!”

So riefen sie, und bald ergoss

Sich auf Helmbrecht der ganze Tross.

1760

Indes die Schläge auf ihn sausten,

Hohnworte ihm im Ohre brausten:

“Helmbrecht, die Haube6 nimm in Acht!”

Was Henkershand noch nicht vollbracht

An diesem Werk voll Schmuck und Zier,

1765

Das war gar bald getan allhier.

Ein grauses Bild: auch nicht ein Stück,

Breit wie ein Pfennig, blieb zurück.

Die Sittiche und Lerchen schön,

Wie lebende fast anzusehn,

1770

Die Sperber und die Turteltauben,

Und was genäht sonst auf die Hauben,

Das lag zerstreut nun allerorten.

Hier trieben Lockenbüschel, dorten

Das Seidenzeug und blondes Haar.

1775

Wär’ sonst keins meiner Worte wahr,

Ihr könntet mir doch glauben,

Was ich erzähle von der Hauben.

Wie jämmerlich sie ward zerrissen!

Wollt ihr von einem Kahlkopf wissen?

1780

Kein kahlerer ward je gesehn.

Sein Lockenhaar, so blond und schön,

Das lag verachtet und zerstreut

Rings auf der Erde weit und breit.

Das kümmerte die Bauern nicht,

1785

Sie liessen noch den armen Wicht

Die Beichte sprechen; gleich zur Stund

Schob einer Helmbrecht in den Mund

Ein Bröckchen Erd’7 zu Schutz und Hut

Vor Höllenfeuers heisser Glut.

1790

Dann hängten sie ihn an den Baum.

1. A sham battle between two troops of mounted knights.

2. That is, Duke Ernst; see above, No. xvii.

3. That is: We pay no attention to the decrees of the courts.

4. Helmbrecht has had his eyes put out by a magistrate.

5. Of the ‘bands’ or ‘rings’ on the cow’s horns. She was seven years old.

6. At the beginning of the poem Helmbrecht’s elaborately embroidered hood is described at length.

7. This is not to be understood as a mockery of religion. A dying person might be shrived by a layman if no priest was at hand, a bit of earth or grass being substituted for the holy host.

154

XXX. THOMASIN OF ZIRCLAERE

A North-Italian cleric—Zirclaere was a village in the old duchy of Friuli—who wrote a rimed treatise on manners, morals, education, etc. He wrote first in Wälsch, i.e. Italian, or more probably French, and then in German. His German title, Der wälsche Gast, was a bid for the hospitable reception of the foreigner’s book in Germany. And it was well received, there being evidence that it was widely read for two centuries. The poem consists of 14,752 verses in ten books and was written in 1215. There is no poetry in it, but it is interesting as a specimen of medieval didacticism.

From the ‘French Guest,’ Book 3: Life’s compensations; riches and poverty.

Der Bauer möchte werden Knecht,

Dünkt ihm einmal das Leben schlecht;

Der Knecht, der wäre gern ein Bauer,

Dünkt ihm einmal das Leben sauer.

5

Der Pfaffe möchte Ritter wesen,

Langweilt es ihm, sein Buch zu lesen;

Sehr gern der Ritter Pfaffe wär’,

Wenn er den Sattel räumt dem Speer.

Der Kaufmann, kommt er in die Not,

10

Sagt: “Weh und ach, o wär’ ich tot!

Mir ist ein elend Los gegeben.

Der Werkmann hat ein gutes Leben;

Er bleibt zu Hause, sel’ger Mann,

Da ich, der ich nicht werken kann,

15

Muss fahren immer hin und her

Und leiden Mühsal hart und schwer.”

Der Werkmann sagt: “Wie wonniglich

Lebt doch der Kaufmann! Während ich

Mich nachts mit harter Arbeit plag’,

20

Schläft ja der Kaufmann, wenn er mag.”

Was diesem lieb, ist jenem leid;

Das macht die Unbeständigkeit.

Wollte ziehen der Hund am Wagen,

Und der Ochse Hasen jagen,

25

Es deuchte uns doch wunderlich.

Noch schlimmer aber reimt es sich,

Bei diesem oder jenem Leiden

Den Stand des andern zu beneiden,

Der Knecht den Bauer und umgekehrt;

30

Das ist ja beiderseits verkehrt.

Wird Pfaffe Ritter, Ritter Pfaffe,

So handelt jeder wie der Affe,

Der, sorglos ob es ihm sei recht,

Ein jedes Amt bekleiden möcht’.

155 35

Die Sach’ ist trüglich ganz und gar;

Ich sage euch, und es ist wahr:

Das seine würde keiner geben,

Kannt’ er nur des andern Leben.

Des Armen Mühen und des Reichen,

40

Die beiden sich vollständig gleichen.

Wer hat Verstand, der deutlich sieht,

Dass Armut nicht den kürzern zieht.

Dem Armen weh die Armut tut,

Der Reiche quält sich um sein Gut.

45

Ist man mir schuldig, tut’s mir leid,

Dass keine Barschaft steht bereit;

Bin ich der Schuldige, leid’ ich Qualen,

Weil ich nichts habe zu bezahlen.

Man sieht ja, zwischen arm und reich

50

Ist alles abgewogen gleich.

Der arme Mann sehnt sich nach Gut,

Der reiche Mann bedarf der Hut.

Gut wünschen ist des Armen Plage,

Und wer es hat, kommt in die Lage,

55

Dass er um Hilfe bitten muss;

Auf gleicher Stufe geht ihr Fuss.

Der Arme plagt sich nach dem Gute,

Dem Reichen ist es schlecht zu Mute,

Weil er noch ungesättigt bleibt;

60

Besitz die Sorgen nie vertreibt.

Wer hat genug und mehr noch will,

Dem hilft sein Gut genau so viel,

Als Rauch den Augen nützlich ist;

Das ist nun wahr zu jeder Frist.

65

Der ist sehr arm bei grossem Gut,

Der mehr begehrt in seinem Mut.

Der hat an kleinen Dingen viel,

Der hat genug und nichts mehr will.

Hat jemand einen reichen Mut,

70

Er ist nicht arm bei kleinem Gut.

Wem nicht genüget, was er hat,

Für dessen Armut ist kein Rat:

Des bösen Mannes kargem Mut

Genügt ja nicht das grösste Gut.

75

Der Geiz’ge hätte stets die Fülle,

Wäre nur nicht sein böser Wille.

Wer nicht mit wenigem kann leben,

Muss seinen Leib zu eigen geben.

Der brave Mann weiss stets Bescheid

80

In Reichtum und in Dürftigkeit.


Wir wenden mehr der Müh’ und List

An das, was uns nicht nötig ist,

Als an das Nötige sogar:

156

Ist doch die Art sehr wunderbar.

85

Man lässt zu Hause Kind und Weib

Und plagt mit Arbeit seinen Leib,

Und der Gewinn ist manchmal klein;

Es würd’ also viel besser sein,

Wenn man mit nur geringer Müh’

90

Nach Tugend würbe; so gedieh’

Uns Reichtum und ein grosses Gut

(Ich meine in dem reichen Mut).

Man gibt sehr oft den eignen Leib,

Freiheit, Seele, Kind und Weib

95

Um weniges, und wenn zur Stund’

Wir’s kaufen sollten für ein Pfund,

Wir liessen es ganz unberührt.

Der tör’chte Mensch zu Markte führt

Sein eignes Selbst und weiss nicht wie,

100

Um lauter Sorge, Reu’ und Müh’,

Mit seinem Selbst kauft er was ein,

Und meint, das Ding nun wäre sein;

Doch mit der Zeit wird er belehrt,

Dass er vielmehr dem Ding gehört.

105

Er wäre sein, wär’ nicht sein Gut;

Dermassen hat er seinen Mut,

Und seinen Sinn dem Gut gegeben

Und muss als ein Leibeigner leben.

Der, der verkauft den freien Mut,

110

Erhält niemals ein gleiches Gut.

Wem sein Reichtum läufet vor,

Der folget nach ihm wie ein Tor.

Wer mit dem Gute unrecht tut,

Der unterwirft ihm seinen Mut,

115

Und wer es nicht beherrschen kann,

Der ist des Pfennigs Dienstemann.

Jetzt von der Unbeständigkeit:

Von grosser Lieb’ kommt grosses Leid.

Was man erwirbt mit grosser Not,

120

Man lässt es doch zurück im Tod.

Der Reichtum macht niemand gesund,

Der ruft ihn in der Krankheit Stund’.

Wer da ihn liebt mit grossem Neid,

Verlässt ihn auch mit grossem Leid;

125

Und wie er sich mag wenden,

Es muss mit ihm doch enden.

Und Leid von Lieb’ entstehen mag,

Sogar auch vor dem Todestag:

Feind, Feuer, Spiel und Tod und Diebe,

157 130

Die können machen Leid aus Liebe.

Drum mein’ ich, dass der Reiche tut

Das beste, wenn er gibt sein Gut

Um ein viel besseres, das heisst,

Um Gottes Huld, die allermeist

135

Einträglich ist und ihm gewährt

Den Reichtum, der sich ewig mehrt,

Den kauft des Armen reiner Mut;

Drum haben sie ein gleiches Gut.

Der Arme kommt zu seinem Ziel

140

Geschwinder, wenn er es nur will.

Der Reiche fährt in seiner Würde,

Der Arme mit geringer Bürde

Und ohne Sorge, wie’s ihm passt;

Der Reiche mit des Reichtums Last,

145

Dazu mit Angst und argem Wahn.

Hört er nur etwas, hält er an.

Rührt sich irgendwo ’ne Maus,

Er meint, es wäre in sein Haus

Ein Dieb gekommen, und schreit “Diebe!”

150

Das macht doch nur des Geldes Liebe.

Indessen dringt der Arme vor

Dem Reichen zu des Herren Tor.

Wer stets behalten will sein Gut,

Der geb’ es in des Armen Hut;

155

Denn dieser bringt es an den Ort,

Wo es ihm bleibt als ew’ger Hort.

Wer seine Kammer hier will machen,

Er mag sie, wie er will, bewachen,

Verliert den Schatz, das Wort ist wahr,

160

So hier wie dort auf immerdar.

Der Karge bleibt ein Nimmersatt:

Solch Wesen auch die Hölle hat;

Drum sollten beide, meine ich

Zusammenhalten ewiglich.

165

Wer sich erweist der Hölle gleich,

Gehört nicht hin in Gottes Reich.

XXXI. DER STRICKER

The assumed name of a thirteenth century writer whose real name is unknown. Der Stricker probably means ‘the composer,’ ‘the poet.’ He wrote a long epic, Karl the Great, an Arthurian romance, Daniel of the Blooming Vale, and several short tales of which the best is Pfaffe Ameis. The hero is a peripatetic rogue and practical joker who plays tricks on people and makes much money. The selection is from the translation by Karl Pannier in the Reclam library.

158
From ‘Pfaffe Ameis’, lines 805 ff: Ameis as doctor.
805

Als nun Ameis durch diesen Schlich

Gar vieles Gut erworben sich

Dort an dem Hof zu Karolingen,1

Ritt er hin nach Lotharingen

Und fragete da unverwandt,

810

Bis er des Landes Herzog fand.

Dem meldete er eine Märe,

Dass nach dem Herrgott keiner wäre,

Der besser heilen könnt’ als er.

“So hat Euch Gott gesendet her,”

815

Hat da das Wort der Herzog nommen;

“So bin ich froh, dass Ihr gekommen.

Ich hab’ Verwandt’ und Dienstleut’ hier,

Von deren Leiden Kummer mir

Ersteht; siech ist ein grosser Teil

820

Verleiht Euch Gott ein solches Heil,

Dass Ihr sie machen könnt gesund,

Ihr werdet reich zur selb’gen Stund’.”

Ameis zu sprechen da begann:

“Ich bin ein Arzt, der solches kann.

825

Die von dem Aussatz sind befreit

Und nicht durch Wunden haben Leid,

Die haben Krankheit nicht so schwer—

Und wären’s tausend oder mehr,—

Dass ich sie nicht gesunden macht’,

830

Bevor der Tag entweicht der Nacht;

Geschieht dies nicht, nehmt mir das Leben.

Drum bitt’ ich Euch, mir nicht zu geben

Geschenke oder Lohn, bevor

Ihr nicht gehört mit eignem Ohr,

835

Dass sie gesagt, sie sei’n gesund.

Dann tut mir Eure Gnade kund.”

Des freute sich der Herzog sehr:

“Ihr redet wohl,” erwidert’ er

Und rief die Kranken unverweilt.

840

An zwanzig kamen da geeilt;

Die führt’ der Pfaff’ in ein Gemach.

“Bald hab’ ich,” er zu ihnen sprach

“Von eurer Krankheit euch befreit,

Wenn ihr mir schwöret einen Eid,

845

Erst nach Verlauf von sieben Tagen

159

Von meiner Red’ etwas zu sagen.

Nicht anders ich euch heilen kann.”

Als er mit solcher Red’ begann,

Da liessen sie sich bald besiegen.

850

Sie schworen, dass sie es verschwiegen,

Und er zu ihnen nun begann:

“Nun gehet ohne mich hindann

Und wollt besprechen euch dabei,

Wer unter euch der kränkste sei.

855

Ist er gefunden, tut’s mir kund—

Bald sollt ihr werden dann gesund.

Den kränksten will ich nämlich töten,

Um euch zu helfen aus den Nöten

Mit seinem Blute allsogleich.

860

Mein Leben sei zum Pfande euch.”

Darob erschraken alle Siechen,

Und wer da kaum vermocht’ zu kriechen

Vor seiner Krankheit grimmer Not,

Der fürchtete, es sei sein Tod,

865

Wenn seine Not gemerkt man hab’,

Und ging dahin gar ohne Stab,

Wo sie die Unterredung hatten.

Vernehmet jetzo, wie sie taten.

Es dachte da ein jeder Mann:

870

“Wie klein ich auch behaupten kann,

Dass meiner Krankheit Leiden sei,

So redet einer doch dabei,

Das seine sei noch kleiner;

Dann redet wieder einer,

875

Das seine sei zweimal so klein.

Dann sprechen alle insgemein,

Ich sei der allerkränkste hie.

So sterbe ich, geheilt sind sie.

Drum will ich mich behüten eh’r

880

Und sagen, dass gesund ich wär’.”

So dachte er bei sich allein,

So dachten alle insgemein.

Und alle gaben zu verstehn,

Dass ihnen Gnade wär’ geschehn;

885

Sie wären munter und gesund.

Das taten sie dem Meister kund.

Er sprach: “Ihr wollt betrügen mich.”

Da schwor ein jeder feierlich

Bei seiner Treu’, es wäre wahr,

890

Nichts tät’ ihm weh, auch nicht ein Haar.

Da ward der Meister hoch erfreut.

“Geht hin nun,” sprach er, “liebe Leut’,

Und saget es dem Herzog an.”

Das wurde unverweilt getan:

895

Sie gingen hin und sagten an,

Sobald sie ihren Herren sahn,

Es wär’ ein heil’ger Mann gekommen;

Der Krankheit wären sie benommen.

Darob zu staunen er begann

160 900

Und fragte alle Mann für Mann,

Ob sie durch Lug ihn täuschten nicht.

Da zwang sie ihres Eides Pflicht,

Den sie Ameis, dem Pfaffen, taten,

Dass keine andre Red’ sie hatten,

905

Als die: “sie wären ganz gesund.”

Da liess an Silber zu der Stund’

Dem Pfaffen hundert Mark er geben.

Und dieser kannt’ kein Widerstreben,

Liess ab sich schnell das Silber wägen

910

Und forderte den Reisesegen;

Dann eilt’ hinweg er unverwandt.

1. Paris.

XXXII. FREIDANK.

The assumed name of a popular gnomic poet who lived in the first half of the 13th century. His fame rests on his Bescheidenheit, which means the ‘wisdom’ or ‘sagacity’ that comes of experience. The book is a miscellaneous collection of proverbial and aphoristic sayings. The titles of those given below were supplied by the translator.

1
Geheimnis der Seele.

Wie die Seele geschaffen sei,

Des Wunders werd’ ich hier nicht frei.

Woher sie komme, wohin sie fahr’,

Die Strass’ ist mir verborgen gar.

Hier weiss ich selbst nicht, wer ich bin;

Gott gibt die Seel’, er nehme sie hin:

Gleichwie ein Hauch verlässt sie mich,

Und wie ein Aas da liege ich.

2
Unentbehrlichkeit der Toren.

Der Weisen und der Toren Streit

Hat schon gewähret lange Zeit

Und muss auch noch viel länger währen;

Man kann sie beide nicht entbehren.

3
Borniertheit der Toren.

Der Tor, wenn er ’ne Suppe hat,

Kümmert sich gar nicht um den Staat.

4
Nachahmungssucht der Toren.

Findet ein Tor eine neue Sitt’,

Dem folgen’ alle Toren mit.

5
Selbstgefälligkeit.

Uns selbst gefallen wir alle wohl;

Drum ist das Land der Toren voll.

161
6
Selbstüberschätzung.

Wer wähnt, dass er ein Weiser sei,

Dem wohnt ein Tor sehr nahe bei.

7
Alter und Jugend.

Haben alte Leute jungen Mut,

Und junge alten, das ist nicht gut;

Singen, springen soll die Jugend,

Die Alten wahren alte Tugend.

8
Grenzen der Fürstenmacht.

Und sollte es der Kaiser schwören,

Der Mücken kann er sich nicht wehren;

Was hilft ihm Herrschaft oder List,

Wenn doch ein Floh sein Meister ist.

9
Der unbedeutende Feind.

Dem Löwen wollt’ ich Friede geben,

Liessen mich die Flöhe leben.

10
Der kühnste Vogel.

Die Flieg’ ist, wird der Sommer heiss,

Der kühnste Vogel, den ich weiss.

11
Rom und der Papst.

Zu Rom ist manche falsche List,

Daran der Papst unschuldig ist.

12
Weisheit und Reichtum.

Ich nähme Eines Weisen Mut

Für zweier reicher Toren Gut.

13
Scheinheiligkeit.

Von manchem hört’ ich schon mit Neid,

Er pflege grosser Heiligkeit;

Und sah ich ihn, da dünkt’ es mich,

Er wäre nur ein Mensch wie ich.

14
Der freie Gedanke.

Deshalb sind Gedanken frei,

Dass die Welt unmüssig sei.

15
Lebensregel.

Man soll nach Gut und Ehre jagen

Und Gott dennoch im Herzen tragen.

16
Minneglück.

Wer minnet, was er minnen soll,

Dem ist mit Einem Weibe wohl;

Ist sie gut, so ist ihm gewährt,

Was man von allen Weibern gehrt.

162

XXXIII. PLAY OF THE TEN VIRGINS

One of the earliest attempts at dramatic composition in German. There is a tradition that it was played in 1322 before the Landgrave of Thüringen and that he was so overwhelmed by its picture of Christ as stern judge that he fell into a moody despair which endured five days and ended with an apoplectic stroke from which he died three years later.

Die erste Törichte spricht also:

Herr Vater, himmelischer Gott,

Tu’ es bei deinem bittern Tod,

Den du am Kreuze hast erduldet:

Verzeih’ uns armen Jungfraun, was wir verschuldet.

5

Verleitet hat uns leider unsre Torheit;

Lass uns geniessen deiner grossen Barmherzigkeit,

Und Mariens, der lieben Mutter dein,

Und lass uns zu dem Gastmahl hier herein.

Jesus spricht also:

Wer die Zeit der Reue versäumet hat

10

Und auch nicht büsste seine Missetat

Und kommt zu stehn vor meiner Tür,

Der findet keinen Eintritt hier.

Die zweite Törichte spricht:

Tu’ auf, o Herr, dein Tor!

Die gnadenlosen Jungfraun stehen davor

15

Lieber Herr, wir bitten dich sehr,

Dass deine Gnade sich uns zukehr’.

Jesus spricht also:

Ich weiss nicht, wer ihr seid.

Da ihr zu keiner Zeit

Mich selber habt erkannt

20

Noch die Taten meiner Hand,

So bleibt euch Gnadenlosen

Das Himmelstor verschlossen.

Die dritte Törichte spricht also:

Da Gott uns Heil versagt,

Beten wir zu der reinen Magd,

25

Mutter aller Barmherzigkeit,

Dass sie uns huld sei in unsrem grossen Herzeleid

Und zu ihrem Sohn flehe für uns Armen,

Dass er sich unser woll’ erbarmen.

Die vierte Törichte spricht:

Maria, Mutter und Magd,

30

Uns ward gar oft gesagt,

Du seiest aller Gnade voll;

Nun bedürfen wir der Gnade wohl.

163

Dies bitten wir dich sehr

Bei aller Jungfrauen Ehr’,

35

Dass du zu deinem Sohn flehest für uns Armen,

Er möge sich unser gnädig erbarmen.

Maria spricht also:

Tatet ihr je mir oder meinem Kinde etwas zu Frommen,

Es müsste euch jetzt zu statten kommen.

Das tatet ihr aber leider mit nichten,

40

Drum wird unser beider Bitte wenig ausrichten.

Doch will ich’s versuchen bei meinem Kinde,

Ob ich vielleicht Gnade finde.

Maria fällt auf die Kniee vor unsern Herrn und spricht:

Ach, liebes Kind mein,

Gedenke der armen Mutter dein,

45

Gedenke der mannigfaltigen Not,

Die ich erlitt durch deinen Tod.

Herr Sohn, da ich dein genas,

Hatt’ ich weder Haus noch Palas,

Ganz arm war ich;

50

Das hab’ ich erlitten für dich.

Ich hatte mit dir Mühe, es ist wahr,

Mehr als dreiunddreissig Jahr;

Sieh, liebes Kind, das lohne mir

Und erbarme dich dieser Armen hier.

Jesus spricht zu Maria:

55

Mutter, denkt an das Wort,

Das sie finden geschrieben dort:

Wolken und Erde sollen vergehn,

Meine Worte sollen immer stehn.

Du errettest den Sünder nimmermehr,

60

Weder du noch das ganze himmlische Heer.

Die erste Törichte spricht also:

Ach Herr, bei deiner Güte

Erweiche dein Gemüte

Und erzürne dich nicht so sehr.

Bei aller Jungfrauen Ehr’

65

Schau’ heute unser Elend an;

Es reut uns, was wir dir zu Leid je haben getan.

Nicht wieder wollen wir uns vergehen;

Erhöre deiner Mutter Flehen

Und lass uns arme Jungfrauen

70

Die Festlichkeit beschauen.

Maria, aller Sünder Trösterin,

Hilf uns zum Freudensaal darin!

Maria spricht also:

Eure Fürsprecherin will ich gerne sein.

Wäret ihr nur von Sünde frei,

75

Ihr kämet desto leichter herein.

Ich will aber für euch mein Kind Jesum bitten.

Liebes Kind, lass dich meiner Bitte nicht verdriessen!

Lass heute unsre Tränen vor deinen Augen fliessen,

Und denke an das Ungemach,

164 80

Das ich erlitt an deinem Todestag,

Da ein Schwert durch meine Seele ging.

Also für jene Pein, die ich um dich empfing,

Belohne mich zu gunsten dieser Armen

Und ihrer lass dich nun erbarmen.

85

Du bist ihr Vater, eine jede ist dein Kind;

Denke, wie lästig sie dir auch geworden sind

In manchem Ungemache,

Und in was für einer Sache

Der Sünder dich auch geplagt,

90

Er ist dennoch die Schöpfung deiner Macht.

Mein Sohn, du trauter, guter,

Erhöre deine Mutter.

Hab’ ich dir je einen Dienst getan,

So nimm dich dieser Armen an,

95

Damit die jammervolle Schar

Zu Himmel ohne Urteil fahr’.

Jesus spricht also:

Nun schweiget, Frau Mutter mein;

Solche Rede mag nicht sein.

Da sie auf der Erde waren,

100

Gute Werke sie nicht gebaren,

Ihnen gemäss war alle Schlechtigkeit;

Drum versag’ ich ihnen meine Barmherzigkeit,

Nach der sie dort nie suchten,

Und schicke sie zu den Verfluchten;

105

Ihre späte Reue soll nichts nützen.

Zu Gericht will ich jetzt sitzen:

Geht, ihr Verfluchten an Seel’ und Leibe,

Wie ich euch von mir jetzt vertreibe.

Geht in das Feuer unter die Hut

110

Des übeln Teufels und seiner Brut!

Sünder, geh von mir!

Trost und Gnade versag’ ich dir.

Kehre von den Augen mein,

Fern bleibe dir meines Antlitz’ Schein!

115

Scheide von meinem Reich,

Das du, dem Toren gleich

Durch deine Sünden verloren hast;

Trage mit dir der Sünden Last!

Gehe hin und schrei’ und heul’!

120

Keine Hilfe wird dir je zu teil.

XXXIV. EASTER PLAYS

The Easter plays grew out of a brief and solemn church function, which followed a Latin ritual. In time German superseded the Latin, but without replacing it entirely; the performances increased greatly in scope, took in elements of fun, buffoonery and diablerie, outgrew the churches and became great popular festivals, which were usually held in the market-place. The performance of an Easter 165 play together with a preceding passion play might occupy several hundred actors for a number of days. The texts as known to us are hardly ‘literature’ in the narrower sense. They were written by men of small poetic talent, who rimed carelessly, used the rough-and-ready language of the people, did not shrink from indecency and aimed at dramatic rather than poetic effects.

1
From the Redentin play: Christ’s descent into hell.1

Lucifer

Nun seht, ist das nicht ein wunderlich Getue,

Dass wir nicht mehr sollen leben in Ruhe?

Wir wohnen hier schon über fünftausend Jahr

Und wurden solches Unfugs noch nie gewahr,

5

Wie man ihn jetzt gegen uns will treiben;

Dennoch wollen wir hier verbleiben,

So lange wir stehen noch kampfbereit,

Ob es euch allen sei lieb oder leid.

Lucifer (ad David)

David, wer ist dieser König der Ehren?

David

10

Das kann ich dir wohl leicht erklären:

Er ist der starke Herr,

Mächtig im Kampf und in aller Ehr’;

Er ist’s, der alle Dinge hat erschaffen.

Lucifer

O weh, so sind unnütz all unsre Waffen

15

Und all unsre Wehr,

Kommt der gewaltige König hierher.

Jesus

Ich fordre, Riegel an dieser Hölle,

Dass du dich auftuest in der Schnelle.

Ich will zerbrechen das Höllentor

20

Und die Meinen führen hervor.

(et cantat: Ego sum Alpha et Omega, etc.)

Ich bin ein A und auch ein O;

Das sollt ihr wissen alle, so

Hier seid in dieser Höllenfeste.

Ich bin der Erste und auch der Letzte.

25

Der Schlüssel Davids bin ich gekommen,

Um zu erlösen meine Frommen.

166

Satanas

Wer ist dieser Mann mit dem roten Kleide,

Der uns so vieles tut zu Leide?

Eine Unanständigkeit ist das

30

Und beleidigt uns in hohem Mass.

Jesus

Schweig’, Satan, und sei bange!

Schweige, verdammte Schlange!

Spring auf, du Höllentor!

Die Seelen sollen hervor,

35

Die darin sind gefangen.

Ich habe am Galgen gehangen

Für die, die taten den Willen mein.

Ich habe gelitten grosse Pein

In meines Leibs fünf Wunden.

40

Damit soll Lucifer sein gebunden

Bis an den jüngsten Tag:

Ihm ewige Pein und ein grosser Schlag.

(Tunc cum vehemencia confringit infernum)

Weichet von hier geschwinde,

All ihr Höllengesinde!

(et arripit Luciferum)

45

Lucifer, du böser Gast,

Du trägst fortan dieser Ketten Last,

Nicht mehr treibst du dein schändlich Wesen;

Meine Lieben sollen vor dir genesen.

(Chorus cantat: Sanctorum populus —Anime cantant: Advenisti —Jesus cantat: Venite benedicti —cum ricmo:)

Kommt her, meine Benedeiten!

50

Not sollt ihr nicht mehr leiden.

In meines Vaters Reich begleitet ihr mich,

Um dort euch zu freuen ewiglich

Im lauteren Glanz der Seligkeit,

Die euch ohn’ Ende stehet bereit.

(et arripit Adam manu dextra)

55

Adam, gib mir deine rechte Hand!

Heil und Glück sei dir bekannt!

Ich vergebe dir,

Was du verbracht zu Leide mir.

Adam

Lob sei dir und Ehr’,

60

Du Weltgebieter hehr!

Ich und all mein Geschlecht

Waren verdammt mit Recht.

Doch wolltest du in deiner Barmherzigkeit

Uns erlösen aus solcher Jämmerlichkeit.

65

Eva! Eva!

Selig Weib, komm mal her ja!

(et cantat: Te nostra vocabant suspiria—)

Jesus

Du warst an deinen Sünden gestorben;

Nun hab’ ich sterbend dich wieder erworben

167

Und will dich führen zu des Vaters Thron.

Eva

70

O Herr Jesus, Gottes Sohn,

Ich habe gesündigt gegen dich,

Indem ich liess betrügen mich

Und Trotz bot deinem Worte.

Drum wohn’ ich hinter der Höllenpforte

75

Wohl fünftausend Jahr!

Nun bin ich erlöset offenbar.

2
From the Vienna play: The quacksalver scene.2

(Nun kommen die Personen und singen.)

Allmächtiger Gott, Vater der höchste,

Der Engel Trost, der aus der Not

Uns rettete und Trost uns bot—

Die zweite Person

Vater, allmächtiger Gott,

5

Dem die Engel stehn zu Gebot,

Was soll uns Armen nun geschehen,

Da wir dich nicht mehr sollen sehen?

Wir haben den verloren,

Der uns zum Troste ward geboren,

10

Jesus Christus,

Der reinen Jungfrau Sohn,

Der der Welt Hoffnung war.

O, wie gross ist unser Schmerz!

Wir haben verloren Jesus Christ,

15

Der aller Welt ein Tröster ist,

Mariens Sohn, den reinen;

Drum müssen wir beweinen

Bitterlich seinen Tod,

Da er uns half aus grosser Not.

Die dritte Person

20

Wir wollen dahin, wo er im Grabe liegt,

Und ihn betrauern, der den Tod besiegt

Für uns, und salben ihm die Wunden sein;

O weh, wie gross ist unsre Herzenspein!

Geliebte Schwestern beide,

25

Wie sollen wir leben in unserm Leide,

Wenn wir entbehren müssen

Jesus den süssen?

Drum gehen wir und kaufen Salben,

Damit wir ihm allenthalben

30

Bestreichen seine Wunden

In diesen frühen Stunden.

168

(Der Kaufmann ruft dem Knechte)

Rubein! Rubein! Rubein!

(Rubinus kommt gelaufen)

Was wollt Ihr denn, Herr Meister mein?

Mercator

Rubein, wo hast du so lange gesteckt?

35

Du tust deinen Dienst nicht recht.

Du solltest hier kaufen und verkaufen

Und die Leute schinden und täuschen.

Rubinus

Herr, ich besuchte jene alten Weiber;

Ich wollte auftreten als Harnsteinschneider.

Mercator

40

Rubein, es wird wohl nächstens tagen.

Ich hör’ ein jämmerlich Klagen

Von drei Frauen, die singen;

Uns mag jetzt wohl gelingen,

Ein gut Geschäft zu machen mit Ehr’;

45

Geh und rufe sie hierher.

Rubinus

Herr, welche meinest du?

Soll ich sie alle rufen herzu?

Mercator

Doch nicht! Rufe nur die allein,

Die am Wege klagen und schrein.

(Rubinus geht zu den Schwestern)

50

Gott grüss’ euch, Frauen, zu jeder Zeit.

Ich sehe wohl, dass ihr betrübet seid.

Was euch mag immer schmerzen,

Ihr seufzt mit schwerem Herzen.

Es tut mir leid, das glaubet mir,

55

Dass so betrübt ihr stehet hier.

Die Personen sagen:

Gut Kind, Gott lohn’ es dir!

Wir haben ein schwer Gemüt allhier.

Rubinus

Das bessere Gott in seiner Güte

Und euch vor allem Leid behüte!

60

Ausser Trost hättet ihr was gern,

So geht und fragt bei meinem Herrn.

Die zweite Person

Gott segne dich, du guter Knabe,

Und lass gedeihen deine Habe!

Unser Leid ist verborgen.

65

Wir wollen dir gerne folgen;

Nicht länger wollen wir hier stehn,

Wir wollen gerne mit dir gehn.

Mercator canit:

Ihr Frauen, seid mir höchst willkommen!

Ich hoffe zu fördern euer Frommen.

169 70

Ist etwas hier, was ihr begehrt,

Es wird euch gern von mir gewährt.

Ich habe die besten Salben,

Die da allenthalben

Im Lande werden zu finden sein,

75

In Ysmodia und in Neptaleim.

So wahr ich mir den Korb und Stab

Mitgebracht habe aus Arab;

So wahr mein schönes Weib Antonie

Mit mir kam von Babylonie,

80

So muss euch diese recht gedeihen,

Denn ich brachte sie von Alexandreien.

Die dritte Person

Guter Mann, ich hab’ in der Hand

Drei schöne Gulden von Byzant.

Gib uns dafür reichlichermassen,

85

Und möge Gott dich leben lassen!

Mercator

Da ihr beim Kauf nicht feilschen wollt,

Will ich verdienen euer Gold.

Nehmt also erstens diese Büchse,

Die besser ist als andre fünfe.

90

Und nehmet diese auch dabei,

Die besser ist als andre zwei.

Und diese Büchse nehmet, so

Noch besser ist als andre zwo.

Tertia Persona

Nun sage uns, du guter Mann,

95

Sollen wir mit dieser Salbe gahn?

Mercator

Ja, Frau, und wär’ ich rotes Gold,

Ihr sollt sie tragen, wohin ihr wollt.

Die Ärztin spricht zornig:

Ihr Frauen, lasst die Büchsen stehn!

Ihr sollt damit von hier nicht gehn,

100

Sie kosteten mir allzuteuer;

Die macht’ ich neulich überm Feuer.

Geht schnell von meinem Krame ab,

Sonst schlag’ ich euch mit einem Stab.

Der Krämer spricht zu ihr:

Wie doch, Ihr böse Haut!

105

Wie dürft Ihr immer werden laut?

Wollt Ihr tadeln mein Verkaufen,

Ich will Euch schlagen, will Euch raufen.

Mercatrix

Wie ist der Flachsbart doch so dreist!

Du bist ein rechter Plagegeist.

110

Der Geier soll dich schänden

Hier unter meinen Händen!

170

Mercator

Frau, lasst ab von Eurem Schwatzen,

Sonst fühlt Ihr nächstens meine Tatzen.

Mercatrix

Ich schweige nicht, das sag’ ich dir!

115

Wenn du kommst von deinem Bier,

Bist du betrunken wie ein Schwein.

Mög’ es dir nimmermehr gedeihn!

Mercator

Schweigt, Frau, sonst rollt Ihr bald zu Hauf.

Mercatrix

Da drüben geht der Vollmond auf.

Mercator

120

Schweigt, oder ich geb’ Euch einen Schlag.

Mercatrix

Klotz, da er hier besoffen lag!

Mercator

O du altes Redefass!

Ich trug dir doch niemals Hass.

Nun geb’ ich dir eins auf den Kopf,

125

Dass es summt dir unterm Schopf.

Und eins noch kriegst du auf den Rücken,

Das weh tun soll in allen Stücken.

Mercatrix

Ach, ach, ach und leider!

Sind das doch die neuen Kleider,

130

Die du zu Ostern mir gesandt.

Wärst du nur ins Feuer gerannt!

Gott gebe dir Geschwür’ im Magen,

Dass du krepierst in wenig Tagen!

Wärst du nicht zu Wien entgangen,

135

Man hätte dich schon längst gehangen.

Du hast auch einen roten Bart

Und bist ein Kobold schlimmster Art.

Mercator

Fraue, liebe Fraue mein,

Möget Ihr immer selig sein!

140

Vergib mir, dass ich dich geschlagen,

Aber du hast so viel zu sagen.

Die Klage machst du mannigfalt,

Und daran tust du mir Gewalt.

Du hast ein wunderlich Gebärde,

145

Und willst mich bringen unter die Erde.

Mercatrix

Ja, ich vergebe dir die Schläge

Am Tag, wo ich dich ins Grab hinlege.

171

Mercator (zu Rubin)

Hinweg mit den Pulvern!

Hier kann ich nicht mehr bleiben.

150

Hebe auf Korb und Stab,

Und laufen wir nach Arab

Weithin von diesem Lande:

Sonst kämen wir vielleicht zu Schande.

Rubinus (dicit)

Herr, ich packe ein recht gerne

155

Und laufe mit in weite Ferne.

1. The original, in the Middle Low German of Mecklenburg (Redentin is a village near Wismar) is printed in Kürschner’s Deutsche Nationalliteratur, Vol. 14. —Upon coming to life in the tomb and escaping the guards stationed by Pilate, Christ descends into hell to release the ‘fathers.’ Lucifer’s first speech—he is the over-lord of hell and Satan his first lieutenant—is addressed to the devils in view of the rumored approach of the King of Glory.

2. The original is printed in the Fundgruben of Hoffmann von Fallersleben, 1837. The ‘Personen’ are the three Marys, who go at break of day to anoint the body of the buried Christ. On the way they are taken in by a peripatetic quacksalver who has a cantankerous wife and a scapegrace clerk named Rubin.

XXXV. REYNARD THE FOX

A humorous poem, with incidental satire, which enjoyed the favor of all medieval Europe. The earliest German attempt to weave a continuous narrative out of the animal-stories that had previously been current in Latin, and to some extent in French, was that of an Alsatian poet, Heinrich der Glichezare, who wrote about 1180 and drew upon French sources. With the exception of a badly preserved fragment this poem is lost. It was called Isengrines Not and described the pranks played by the cunning fox on the stupid wolf. Half a century later it was worked over by an unknown rimester who changed the title to Reinhart Fuchs. This is the High German version from which the first of the selections below is translated. More important in a literary way is the Low German version, of which the earliest print dates from 1498. A specimen of this is given in Simrock’s translation.

1
From the High German ‘Reinhart Fuchs,’ lines 663 ff: Reynard initiates the wolf as a monk and teaches him to catch fish.

“Gevatter,” sprach Herr Isengrin,

“Gedenkst du stets als Mönch hierin

665

Zu wohnen bis zu deinem Tod?”

“Ja wohl,” sprach er, “es tut mir not:

Du wolltest ohne meine Schuld

Mir versagen deine Huld

Und nehmen wolltest du mein Leben.”

670

Sprach Isengrin: “Ich will’s vergeben,

Hast du mir je ein Leid getan,

Wenn ich nun mit dir wohnen kann.”

“Vergeben? Mir?” sprach da Reinhart,

“Mein Leben sei nicht mehr bewahrt,

675

Tat ich je was zu Leide dir.

Wüsstest du mir Dank dafür,

Ich gäbe dir zwei Stücke Aal,

Den Rest von meinem letzten Mahl.”

Herr Isengrin war hoch erfreut.

680

Er öffnete das Maul sehr weit.

172

Und Reinhart warf sie ihm in Mund.

“Ich bliebe immermehr gesund,”

Sprach Isengrin mit blödem Sinne,

“Wär’ ich nur einmal Koch da drinne.”

685

Reinhart sprach: “Ist bald getan.

Willst du hier Brüderschaft empfahn,

So wirst du Meister über die Braten.”

Dem war es recht, wie ihm geraten.

“Das tu’ ich,” sagte Isengrein.

690

“Also steck deinen Kopf herein,”

Sprach Reinhart. Jener war bereit,

Und eilig nahte sich sein Leid.

Er tat hinein die Schnauze gross,

Und Bruder Reinhart ihn begoss

695

Mit heissem Wasser, das ist wahr,

Und brachte ihn um Haut und Haar.

Isengrin sprach: “Weh tut das mir.”

Reinhart sagte: “Wähnet Ihr

Den Himmel mühlos zu gewinnen?

700

Ihr seid doch nicht so ganz von Sinnen?

Gern mögt Ihr leiden diese Not,

Gevatter, wenn Ihr läget tot:

Die Brüderschaft habt Ihr empfahn,

Und alle Tage von nun an

705

Habt Ihr an tausend Messen teil,

Was sicherlich Euch bringt zum Heil.”

Isengrin meint’, es wäre wahr;

Er klagte nicht um Haut und Haar,

Die er nun nicht mehr nannte sein.

710

Er sprach: “Jetzt, Bruder, sind gemein

Die Äle, die noch drinne sind,

Da ich wie du ein Gotteskind.

Wer mir ein Stück davon versagt,

Wird vor dem Abte angeklagt.” 

715

Reinhart sprach: “Nie tät’ es not;

Euch steht das Unsrige zu Gebot

In brüderlicher Minn’ und Ehr’,

Doch hier sind keine Fische mehr.

Ich will Euch aber führen gleich

720

Zu unserm klösterlichen Teich,

In dem so viele Fische gehen,

Dass niemand mag sie übersehen.

Die Brüder taten sie hinein.”

“Lasst uns nur hin,” sprach Isengrein;

725

Da gingen sie; gleich ohne Zorn,

Der Teich war aber überfrorn.

Sie begannen nachzuschauen;

Es war ein Loch im Eis gehauen,

Wo man sich Wasser herausnahm,

730

Was Isengrin zu Schaden kam.

173

Sein Bruder trug ihm grossen Hass

Und einen Eimer nicht vergass;

Reinhart war froh, als er ihn fand

Und an den Schwanz dem Bruder band.

735

Da sprach Herr Isengrein:

“In nomine patris! Was soll das sein?”

“Senkt hier den Eimer,” Reinhart sprach,

“Und wartet ruhig und gemach

Indem ich treibe sie hierher;

740

Nicht lange bleibt Ihr magenleer,

Weil ich sie sehen kann durchs Eis.”

Herr Isengrin war nicht sehr weis’.

Er sprach: “Sagt mir in Bruderminne,

Gibt es denn wirklich Fisch’ hierinne?”

745

“Ja Tausende hab’ ich gesehn.”

“Wohl denn, es kann uns Glück geschehn.”

Isengrin hatte dummen Sinn;

Bald fror der Schwanz ihm fest darin.

Die Nacht ward schrecklich kalt am Ort,

750

Doch Reinhart schwieg nur immerfort.

Herr Isengrin fror mehr und mehr;

Er sprach: “Der Eimer wird mir schwer.”

“Ich zähle drin, bei meiner Ehr’,

Der Äle dreissig,” sprach Reinhart;

755

“Dies wird uns eine nütze Fahrt.

Steht nur noch wenig Zeit in Ruh’,

Es kommen hundert noch dazu.”

Nachher, als es begann zu tagen,

Sprach Reinhart: “Leider muss ich sagen,

760

Mir bangt des grossen Reichtums wegen.

Ich bin in hohem Grad verlegen,

Weil so viel Fische uns gegönnt,

Dass Ihr sie gar nicht heben könnt.

Versucht’s doch, ob es Euch gelingt,

765

Dass Ihr heraus den Eimer bringt.”

Herr Isengrin fing an zu ziehen,

Doch all umsonst war sein Bemühen;

Den Eimer musst’ er lassen stehen.

Reinhart sprach: “Ich will jetzt gehen

770

Zu den Brüdern, dass sie kommen;

Es soll der Fang uns allen frommen.”

Bald kam herauf die helle Sonn’,

Und Reinhart machte sich davon.

174
2
From the Low German ‘Reinke de Vos,’ Book 2: Reinke under the Pope’s ban; Martin the Ape offers to assist him.

Als Martin der Affe das vernommen,

Reinke wolle zu Hofe kommen,

Zu reisen gedacht’ er just nach Rom.

Er ging ihm entgegen und sprach: “Lieber Ohm,

5

Fasst Euch ein Herz und frischen Mut.”

Den Stand seiner Sache kannt’ er gut,

Doch frug er nach ein und anderm Stück.

Reineke sprach: “Mir ist das Glück

In diesen Tagen sehr zuwider.

10

Gegen mich klagen und zeugen wieder

Etliche Diebe, wer es auch sei,

Das Kaninchen ist und die Krähe dabei.

Der eine hat sein Weib verloren,

Der andre die Hälfte von seinen Ohren.

15

Könnt’ ich selber vor den König kommen,

So sollt’ es beiden wenig frommen.

Was mir am meisten schaden kann,

Ist dies: Ich bin in des Papstes Bann.

Der Probst hat in der Sache Macht,

20

Aus dem der König selber viel macht.

Warum man in den Bann mich tat,

Ist, weil ich Isegrim gab den Rat,

Da er ein Klausner war geworden,

Dass er weglief’ aus dem Orden,

25

In den er bei Clemar sich begeben.

Er schwur, er könne nicht mehr leben

In solch hartem, strengem Wesen,

So lang zu fasten, so viel zu lesen.

Ich half ihm weg; das reut mich jetzt,

30

Zumal er mich zum Dank verschwätzt:

Er feindet mich beim König an

Und tut mir Schaden, wo er kann.

Geh’ ich nach Rom, so setz’ ich fürwahr

Weib und Kinder in grosse Gefahr,

35

Denn Isegrim wird es nicht lassen,

Ihnen nachzustellen und aufzupassen

Mit andern, die mir zu schaden trachten

Und schon manches wider mich erdachten.

Würd’ ich nur aus dem Bann gelöst,

175 40

So wär’ mir Mut ins Herz geflösst;

Ich könnte getrost mit besserm Gemache

Sprechen für meine eigne Sache.”

Martin sprach: “Reineke, lieber Ohm,

Ich bin eben auf dem Weg nach Rom;

45

Da will ich Euch helfen mit schönen Stücken,

Ich leide nicht, dass sie Euch unterdrücken.

Als Schreiber des Bischofs, könnt Ihr denken,

Versteh’ ich was von solchen Ränken.

Ich will den Probst nach Rom citieren

50

Und will so gegen ihn plädiren;

Seht, Ohm, ich schaff’ Euch Excusation

Und bring’ Euch endlich Absolution,

Und wenn der Probst sich vor Ärger hinge.

Ich kenn’ in Rom den Lauf der Dinge,

55

Und was zu tun ist, weiss ich schon.

Da ist auch mein Oheim Simon,

Der sehr mächtig ist und hochgestellt

Und jedem gerne hilft fürs Geld.

Herr Schalkefund steht auch da hoch,

60

Dr. Greifzu und andre noch,

Herr Wendemantel und Herr Losefund,

Die sind da all mit uns im Bund.

Ich habe Geld voraus gesandt,

Mit Geld wird man am besten bekannt.

65

Ja, Quark, man spricht wohl von Citieren;

Sie wollen nur, man soll spendieren.

Wär’ eine Sache noch so krumm,

Man biegt mit Geld sie um und um.

Wer Geld bringt, mag sich Gnade kaufen;

70

Wer das nicht hat, den lässt man laufen.

Seht, Ohm, seid ruhig um den Bann,

Ich nehme mich der Sachen an

Und bring’ Euch frei, Ihr habt mein Wort.

Geht dreist zu Hof, Ihr findet dort

75

Frau Riechgenau, mein Ehgemahl.

Der König liebt sie, und zumal

Auch unsre Frau, die Königin,

Denn sie hat klugen, behenden Sinn.

Sprecht sie an, sie liebt die Herrn

80

Und verwendet sich für Freunde gern.

Sie ist Euch zu jedem Dienst erbötig.

Das Recht hat manchmal Hilfe nötig.

Bei ihr sind ihrer Schwestern zwei,

176

Dazu auch meiner Kinder drei

85

Und viel andre noch von Euerm Geschlecht,

Die gern Euch helfen zu Euerm Recht.

Kann Euch denn sonst kein Recht geschehn,

So lass’ ich meine Macht Euch sehn.

Macht es mir nur gleich bekannt.

90

Alle, die wohnen im ganzen Land,

Den König und alle, Weib und Mann,

Die bring’ ich in des Papstes Bann

Und schick’ ein Interdict so schwer,

Man soll nicht begraben noch taufen mehr,

95

Und keine Messe lesen noch singen.

Drum, lieber Ohm, seid guter Dingen!

Der Papst ist ein alter, schwacher Mann,

Er nimmt sich keiner Sache mehr an;

Drum hat man sein auch wenig acht.

100

Am Hofe übt die ganze Macht

Der Kardinal von Ohnegenügen,

Ein rüstiger Mann, der weiss es zu fügen.

Ich kenn’ ein Weib, die hat er lief,

Die soll ihm bringen einen Brief.

105

Mit der bin ich sehr wohl bekannt,

Und, was sie will, geschieht im Land.

Sein Schreiber heisst Johann Partei,

Der kennt wohl Münze alt und neu.

Horchgenau ist sein Kumpan,

110

Der ist des Hofes Kurtisan.

Wendundschleich ist Notarius,

Beider Rechte Baccalaureus;

Übt der ein Jahr noch seine Tücken,

So wird er Meister in Praktiken,

115

Moneta und Donarius halten jetzt

Die Richterstühle dort besetzt;

Wem sie das Recht erst abgesprochen,

Dem ist und bleibt der Stab gebrochen.

So gilt in Rom jetzt manche List,

120

Daran der Papst unschuldig ist.

Die muss ich alle zu Freunden halten:

Sie haben über die Sünden zu schalten

Und lösen das Volk all aus dem Bann.

Oheim, vertraut Euch mir nur an!

125

Der König hat es schon vernommen,

Dass ich Euch will zu Hilfe kommen.

Er weiss auch, dass ich der Mann dazu bin;

Drum kommt Ihr nicht zu Ungewinn.

177

Bedenkt alsdann der König recht,

130

Wie viele vom Affen- und Fuchsgeschlecht,

In seinem geheimsten Rate sitzen.

Geh’s wie es will, das muss Euch nützen.”

Reineke sprach: “Ich bin getröstet;

Ich dank’ Euch’s gern, wenn Ihr mich löstet.”

XXXVI. PETER SUCHENWIRT

The most gifted verse-writer of the poetically barren 14th century. He was a ‘wandering singer’ who depended for his livelihood upon the patronage of princes and spent the most of his life in Austria. He died about 1400. The selection is a translation of his Red’ von der Minne.

A Discourse of Love.

Ich wanderte an einem Tag

In einen wonniglichen Hag,

Darin die Vögel sungen;

Da kam ich unbezwungen

5

Auf einem wonniglichen Raume

Zu einem dichtbelaubten Baume,

An deren Wurzeln wundervoll

Hervor ein kaltes Brünnlein quoll.

Da fand ich sitzen hart anbei

10

Drei Frauen alle mangelfrei,

Minne, Stæt’ und Gerechtigkeit.

Die erste klagt’ ihr Herzensleid,

Bezwungen von des Schmerzes Not;

Sie sprach: “Ich bin beinahe tot

15

An Ehren und an Sinnen:

Die mich sollten minnen,

Sie sind ein ehrloses Geschlecht.

Da ich nun, Minne, mit Unrecht

Auf Erden kam zu solchem Leben,

20

Sollt ihr getreuen Rat mir geben.

Gerechtigkeit, in Gottes Namen,

Von dem die zehn Gebote kamen,

Macht, dass mein Recht mir werd’ erteilt:

Wer Minne lasterhaft vergeilt

25

Und reiner Frauen Würdigkeit,

Der büss’ es! Das ist nun mein Leid.”

Gerechtigkeit sprach zu der Stæte:

“Wir hätten nötig gute Räte,

Um recht zu richten die Geschicht’.”

30

Frau Stæte sprach mit Worten schlicht:

“Nun hört und merkt, was ich will sagen:

Wem Minne Hass mag tragen,

Den wollen wir in aller Schnelle

Sogleich verhören auf der Stelle.”

35

Gerechtigkeit tat auf den Mund:

“Macht uns allhier mit Worten kund,

178

Durch wen Ihr leidet solche Pein.”

Frau Minne sprach: “Der Jammer mein

Ist leider hart und schauderhaft,

40

Weil mancher Prahler lügenhaft

Von reinen Frauen faselt. Ach,

Dass Gott ihn nicht mit seinem Schlag

Getroffen aller Welt zur Lehr’!

Das würde mich erfreuen sehr,

45

Wie ich bekenne öffentlich.

Die schnöden Dinge liebt er sich

Und schwatzt von dem, was er nie sah.

Drum sollt’ er in die Höll’ und da

Die heisse Loh ihn sengen,

50

Der Teufel hart bedrängen,

Zur Ahndung seiner falschen List,

Weil er ein loser Schwätzer ist.

Darüber sollt ihr richten mir.”

Gerechtigkeit erwidert’ ihr:

55

“So sei’s! Ein Urteil soll geschehn:

Ihn soll kein lieblich Aug’ ansehn,

Von einer reinen Frauen zart;

Ihr Mund sei gegen ihn verspart,

Dass ihm kein Gruss mag werden kund

60

Von einem rosenroten Mund.

Das ist der strenge Wille mein.”

Frau Stæte sprach: “Ich leid’ auch Pein

In meinem Herzen mannigfalt:

Ich habe Diener, jung und alt,

65

Die sagen, dass sie stätig sein

Und tun das öffentlich zum Schein

Bei reinen Frauen manchmal kund;

Doch tief in ihres Herzens Grund

Liegt falscher List ein grosser Hort:

70

Das ist der Seele arger Mord

Und reiner Frauen Ungewinn.

Ich wollt’, wer hätt’ so falschen Sinn,

Dass dem doch aus dem Munde sein

Die Zähne wüchsen, wie dem Schwein;

75

Daran erkenntlich wären die Leut’,

Und reine Frauen leicht befreit

Von jener Schälkchen loser Schar

Mit Worten sanft und doch nicht wahr,

Mit Zungen, die wie Messer schneiden;

80

Ach, was muss man davon leiden!

Und noch eins mich mit Schmerz bewegt:

Dass mancher Blau am Leibe trägt

Und wähnt davon stätig zu sein,

Weil er in blauer Farbe Schein

85

Erzeiget sich den Frauen gut.

Mich dünkt nun so in meinem Mut:

Wäre die Farbe, wie man hört,

Die Elle hätte wohl den Wert

Von hundert Gulden sicherlich;

179 90

Doch Stæte wiegt im Herzen sich,

Sie tut nicht von der Farbe kommen,

Drum kann es manchem wenig frommen,

Wenn er der Unstæt’ huldigt

Und wird von Fraun beschuldigt.”

95

Ich hört’ ihr Plaudern mannigfalt,

Und was zu tun, entschied ich bald.

Ich ging hinzu und sprach kein Wort.

Frau Minn’ erblickte mich sofort,

Die war gar wundersam geziert:

100

“Sag’ mir, mein lieber Suchenwirt,”

Sprach sie, “was tust du hie?”

Geschwinde fiel ich auf ein Knie.

“Gnade, Frau,” darauf sprach ich;

“Der Mai hat Blumen wonniglich

105

Im ganzen Land herumgestreut,

Dass manches Herze wird erfreut,

So wie die kleinen Vögelein.

Ich kam verlockt vorn Augenschein

Auf diesen Anger wunderbar;

110

Da wurde Euer ich gewahr

Und hörte Eure Klage gross.”

Sie sprach: “Ich bin der Freuden bloss

Und weiss, was ich beginnen soll.

Die Welt ist schlechter Kniffe voll:

115

Hast du gehört des Jammers Pein,

So handle nach dem Willen mein

Und tu’ es offenherzig kund

Den Edlen hier zu mancher Stund’,

Dass sie vor Schande hüten sich.”

120

“Das tu’ ich gerne, Frau,” sprach ich.

So schied ich von der Minne dann

Beglückt und ohne argen Wahn.

XXXVII. BRANT’S SHIP OF FOOLS

A famous satire published at Basel in 1494, with numerous excellent woodcuts. Its author, Sebastian Brant, was born at Strassburg in 1457, took his degree in law, became city clerk of his native place and died in 1521. The Ship of Fools, which consists of disconnected sections describing the various kinds of fools—over a hundred of them—who have embarked in the ship for Fool-land, was translated into Latin, into French three times and into English twice. It was Germany’s first important contribution to world literature. The selections are from the modernization by Simrock, Berlin, 1872.

180
1
Von Geiznarren.

Wer sich verlässt auf zeitig Gut,

Drin Freude sucht und guten Mut,

Der ist ein Narr mit Leib und Blut.1


Der ist ein Narr, der sammelt Gut

5

Und hat nicht Freud’, und guten Mut

Und weiss auch nicht, wem er’s wird sparen,

Wenn er muss zum düstern Keller fahren.

Noch törichter ist, wer vertut

In Üppigkeit und Frevelmut

10

Was Gott ins Haus ihm hat gegeben.

Er nur verwalten soll sein Leben

Und Rechenschaft drum geben muss

Wohl schwerer als mit Hand und Fuss.

Ein Narr häuft den Verwandten viel;

15

Die Seel’ er nicht bedenken will,

Sorgt, ihm gebrech’ es in der Zeit,

Und fragt nicht nach der Ewigkeit.

O armer Narr, wie bist du blind!

Du scheust den Ausschlag, kriegst den Grind.

20

Erwirbt mit Sünden mancher Gut

Und brennt dann in der Hölle Glut,

Des achten seine Erben klein:

Sie hülfen ihm nicht mit einem Stein,

Lösten ihn kaum mit einem Pfund,

25

Wie tief er läg’ im Höllenschlund.

Gib weil du lebst, ist Gottes Wort:

Ein andrer schaltet, bist du fort.

Kein weiser Mann trug je Verlangen

Mit Reichtum auf der Welt zu prangen.

30

Er trachtet nur sich selbst zu kennen;

Den Weisen mag man steinreich nennen.

Das Geld am Ende Crassus trank;

Danach gedürstet hatt’ ihn lang.

Crates sein Geld warf in das Meer,

35

So stört’s im Lernen ihn nicht mehr.

Wer sammelt, was vergänglich ist,

Begräbt die Seel’ in Kot und Mist.

181
2
Selbstgefälligkeit.

Den Narrenbrei ich nie vergass,

Seit mir gefiel das Spiegelglas:

Hans Eselsohr mein Herz besass.2


Der rührt sich wohl den Narrenbrei,

5

Der wähnt, dass er sehr witzig sei,

Und gefällt sich selber gar so wohl,

Dass er in den Spiegel guckt wie toll

Und doch nicht mag gewahren, dass

Er einen Narren sieht im Glas.

10

Und sollt’ er schwören einen Eid,

Spricht man von Zucht und Artigkeit,

Meint er, die hätt’ er ganz allein,

Seinsgleichen könnt’ auch nirgends sein,

Der aller Fehler ledig wär’.

15

Sein Tun und Ruhn gefällt ihm sehr.

Des Spiegels er drum nicht enträt,

Wo er sitzt und reitet, geht und steht,

Wie es Kaiser Otho hat gemacht,

Der den Spiegel mitnahm in die Schlacht

20

Und schor die Backen zwier am Tag,

Mit Eselsmilch sie wusch hernach.

Dem Spiegel sind die Fraun ergeben;

Ohne Spiegel könnte keine leben.

Eh’ sie sich recht davor geschleiert

25

Und geputzt, wird Neujahr wohl gefeiert.

Wem so gefällt Gestalt und Werk,

Ist dem Affen gleich zu Heidelberg.3

Dem Pygmalion gefiel sein Bild,

Vor Narrheit ward er toll und wild.

30

Sah in den Spiegel nicht Narciss,

Lebt’ er noch manches Jahr gewiss.

Mancher sieht stets den Spiegel an,

Der ihm doch nichts Schönes zeigen kann.

Wo du solch närrisch Schaf siehst weiden,

35

Das mag auch keinen Tadel leiden,

Es geht in seinem Taumel hin,

Und kein Verstand will ihm zu Sinn.

1. These three lines, which are a sort of motto, precede a picture representing a rich man seated at a table which is loaded with money and plate. Two poor travelers approach and look covetously upon the wealth. All three men wear the fool’s cap.

2. The picture shows a fool stirring porridge and looking into a mirror.

3. A note by Simrock states that upon the old bridge at Heidelberg was formerly to be seen an emblematic ape, with the verses:

Was hast du mich hier anzugaffen?

Sahst du noch nie den alten Affen?

Zu Heidelberg sieh hin und her;

Du findest meinesgleichen mehr.

182

XXXVIII. FOLK-SONGS OF THE FIFTEENTH CENTURY

A large number of folk-songs originated in the 15th and still more in the 16th century. From the nature of the type they can seldom be exactly dated unless they relate to a known historical occurrence. The following selections are taken from Erk and Böhme’s admirable Deutscher Liederhort, 3 volumes quarto, Leipzig, 1893-4. As any translation into smooth modern verse would destroy a part of the characteristic flavor of the songs, they are printed as in Erk and Böhme, but with occasional modernizations of spelling and grammar.

In this chapter, textual notes are shown alongside the poems, as in Part II.

1
Reigen um das erste Veilchen.1

1. A song for the ring-dance about the earliest spring violet; Erk and Böhme, II, 713.

Der Maie, der Maie

Bringt uns der Blümlein viel;

Ich trag’ ein frei’s Gemüte,

Gott weiss wohl, wem ich’s will.

Ich will’s ei’m freien Gesellen,

Derselb’ der wirbt um mich,

Er trägt ein seiden Hemd an,

2. M.H.G. brîsen, equivalent to modern schnüren.

Darein so preist2 er sich.

Er meint, es säng’ ein’ Nachtigall,

Da war’s ein’ Jungfrau fein:

Und kann er mein nicht werden,

Trauret das Herze sein.

2
Burschenleben.3

3. An old student song, found in a manuscript of the year 1454; Erk and Böhme, III, 484.

Ich weiss ein frisch Geschlechte,

Das sind die Burschenknechte,

Ihr Orden steht also:

Sie leben ohne Sorgen

5

Den Abend und den Morgen,

Sie sind gar stätiglich froh.

Du freies Burschenleben!

4. The holy Grail as symbol of something very precious.

Ich lob’ dich für den Gral;4

Gott hat dir Macht gegeben

10

Trauren zu widerstreben,

Frisch wesen überall.

Sie können auch nit hauen

Des Morgens in dem Taue

Die schönen Wiesen breit;

5. In the sense of modern aber.

15

Sonder5 die schönen Frauen

Die können sie wohl schauen

Die Nacht bis an den Tag.

Das macht ihr frei’s Gemüte

Der schönen Frauen klar;

20

Gott selber sie behüte

Durch seine milde Güte,

Die minnigliche Schar!

Wie selten sie auch messen

6. For Korn, i.e. ‘grain.’

7. The miller’s ‘toll’ (part of the grist taken in payment for grinding).

8. Gerwel reiden, ‘turn the hand-mill.’

9. Ohne Dank, ‘reluctantly.’

Das Koren,6 das sie essen,

25

Und was der Metzen7 gilt!

Die Bauern müssen schneiden

Und dazu Gerwel reiden8

183

Viel gar ohn’ ihren Dank.9

Du feines Burschenleben!

30

Ich lob’ dich für den Gral;

Gott hat dir Macht gegeben

Trauren zu widerstreben,

Frisch wesen überall.

3
Mädchenkunde eines fahrenden Sängers.10

10. An elderly minstrel joins in the dance and sings the praise of girls that he has seen in different German lands; Erk and Böhme, II, 712.

11. Des besten . . . kann, equivalent to so gut ich kann.

12. ‘To sing,’ or perhaps ‘singing.’

13. Habe.

Ich spring’ an diesem Ringe

Des besten, so ich’s kann,11

Von hübschen Fräulein singen,12

Als ich’s gelernet han.13

5

Ich ritt durch fremde Lande,

Da sah ich mancherhande,

Da ich die Fräulein fand.

Die Fräuelein von Franken

Die seh’ ich allzeit gern;

10

Nach ihn’ stehn mein’ Gedanken,

Sie geben süssen Kern.

Sie sind die feinsten Dirnen,

Wollt’ Gott, ich sollt’ ihn’ zwirnen,

14. Lernen.

Spinnen wollt’ ich lern.14

15. Über die Lehre, ‘surpassing their instruction,’ ‘outdoing their teachers.’

16. Nit geringe, ‘smart.’

15

Die Fräuelein von Schwaben

Die haben golden Haar,

Sie dürfen’s frischlich wagen,

Sie spinnen über Lahr;15

Wer ihn’ den Flachs will schwingen,

20

Der muss sein nit geringe,16

Das sag’ ich euch fürwahr.

Die Fräuelein vom Rheine

17. Sehr.

Die lob’ ich oft und dick:17

Sie sind hübsch und feine

25

Und geben freundlich Blick.

Sie können Seide spinnen,

Die neuen Liedlein singen,

Sie sind der Lieb’ ein Strick.

Die Fräuelein von Sachsen

30

Die haben Scheuern weit;

18. Equivalent to klopft, ‘beats.’

19. Liegt.

Darin da posst18 man Flachse,

Der in der Scheuern leit.19

Wer ihn’ den Flachs will possen,

Muss haben ein’ Flegel grosse,

35

Dreschend zu aller Zeit.

Die Fräuelein von Baiern

Die können kochen wohl,

Mit Käsen und mit Eiern

Ihr’ Küchen die sind voll.

40

Sie haben schöne Pfannen

Weiter denn die Wannen,

Heisser denn ein’ Kohl’.

20. ‘Court.’

21. ‘Soon.’

22. Es wird . . . Tag, equivalent to Tag reiht sich an Tag. The sense is: The time comes fast when one must turn from girls to wine, as I am even now doing.

Den Fräuelein soll man hofieren20

Allzeit und weil man mag,

184 45

Die Zeit die kommet schiere,21

Es wird sich alle Tag’;22

Nun bin ich worden alte,

Zum Wein muss ich mich halten

Alldieweil ich mag.

4
Anweisung zum Raubritterberuf.23

23. A robber knight greets the spring-time as good for his business, and expresses his lordly contempt of the peasantry; Erk and Böhme, II, 23.

Der Wald hat sich belaubet,

Des freuet sich mein Mut.

Nun hüt’ sich mancher Bauer,

24. ‘Secure.’

Der wähnt, er sei behut!24

5

Das schafft des argen Winters Zorn,

Der hat mich beraubet,

Das klag’ ich heut und morn.

Willst du dich ernähren,

Du junger Edelmann,

10

Folg’ du meiner Lehre,

25. Bann here means the robber’s lurking-place.

Sitz’ auf und trab’ zum Bann!25

Halt’ dich zu dem grünen Wald,

Wenn der Bauer ins Holz fährt,

So renn’ ihn frischlich an!

15

Erwisch’ ihn bei dem Kragen,

Erfreu’ das Herze dein,

Nimm ihm, was er habe,

Spann’ aus die Pferdlein sein!

Sei frisch und dazu unverzagt,

26. Keinen mehr.

27. So russ . . . ab, ‘cut his throat.’

20

Wann er nummen26 Pfennig hat,

So russ ihm d’ Gurgel ab.27

Heb’ dich bald von dannen,

Bewahr’ dein’ Leib, dein Gut!

28. Schanden.

Dass du nit werdest zu Schannen,28

25

Halt’ dich in stäter Hut!

Der Bauern Hass ist also gross;

Wenn der Bauer zum Tanze geht,

So dünkt er sich Fürstengenoss.

29. ‘Wench.’

Er nimmt die Metze29 bei der Hand,

30

Die gibt ihm einen Kranz;

Er ist der Metze eben

30. ‘Pig’s tail,’ figuratively for ‘dirty clown.’

31. ‘Agreeable.’

32. Conz, or Kunz, contemptuously for a country lubber.

Derselbe Ferkelschwanz.30

Die Tölpel trippeln hinten nach,

Das ist der Metze eben31

35

Und dem Conzen32 auch.

Ich weiss ein’ reichen Bauern,

Auf den hab’ ich’s gericht’;

Ich will ein’ Weile lauern,

33. Geschicht, for geschieht. The sense is: I’ll lurk for him and see what comes of it.

Wie mir darum geschicht.33

40

Er hilft mir wohl aus aller Not,

Gott grüss’ dich, schönes Jungfräulein,

Gott grüss dich, Mündlein rot!

185
5
Ritter und Schildknecht.34

34. Erk and Böhme, I, 374. Imagine the story thus: A faithless wife instigates her husband’s squire to kill him. When the murder is reported to her she is at first pleased, then touched with remorse. She rides forth to find the body of her husband, and the lilies—symbols of purity—bow in shame as she passes. At sight of her dead husband’s face, she resolves to enter a convent.

Es ritt ein Herr und auch sein Knecht

Wohl über eine Heide, die war schlecht, ja schlecht,

Und alles, was sie red’ten da,

War alles von einer wunderschönen Frauen,

5

Ja Frauen.

“Ach, Schildknecht, lieber Schildknecht mein,

Was redest du von meiner Frauen, ja Frauen?

Und fürchtest nicht mein’ braunen Schild,

Zu Stücken will ich dich hauen,

10

Vor meinen Augen!”

35. Wenig.

36. Fräulein here in the sense of ‘young wife’; um des Fräuleins Güte, ‘to gain the young wife’s favor.’

“Euern braunen Schild, den fürcht’ ich klein,35

Der lieb’ Gott wird Euch wohl behüten, behüten.”

Da schlug der Knecht sein’ Herrn zu Tod,

Das geschah um des Fräuleins36 Güte,

15

Ja Güte.

“Nun will ich heimgehn landwärts ein,

Zu einer wunderschönen Frauen, ja Frauen.”

“Ach Fräulein, gebt mir’s Botenbrot,

37. Und der is pleonastic.

Eu’r edler Herr und der37 ist tot,

20

So fern auf breiter Heide,

Ja Heide.”

“Und ist mein edler Herre tot,

Darum will ich nicht weinen, ja weinen;

Der schönste Buhle, den ich hab’,

25

Der sitzt bei mir daheime,

Mutteralleine.

186

Nun sattle mir mein graues Ross!

Ich will von hinnen reiten, ja reiten.”

Und da sie auf die Heide kam,

38. Täten sich neigen, ‘did bow’; täten being indicative.

30

Die Lilien täten sich neigen,38

Auf breiter Heide.

Auf band sie ihm sein’ blanken Helm

Und sah ihm unter die Augen, ja Augen;

“Nun muss es Christ geklaget sein,

35

Wie bist du so zerhauen

Unter dein’ Augen.

39. Lan, for lassen.

40. Durch meinen Willen, ‘for my sake.’

41. Addressed to the husband; he is not to accuse her before God.

Nun will ich in ein Kloster ziehn,

Will den lieben Gott bitten, ja bitten,

Dass er dich ins Himmelreich woll’ lan,39

40

Das gescheh’ durch meinen Willen!40

Schweig stille!”41

6
Tannhäuser.42

42. Erk and Böhme, I, 40. The Venus of the folk-song represents the German Frau Holde, a love-goddess who holds her court in a mountain and infatuates men to the peril of their souls. Just how and when the saga attached itself to the historical minnesinger Tannhäuser is not known. Urban IV, referred to in the last stanza, was pope from 1261 to 1265.

Nun will ich aber heben an

Von dem Tannhäuser singen,

Und was er Wunders hat getan

Mit Venus, der edlen Minne.

5

Tannhäuser war ein Ritter gut,

Wann er wollt’ Wunder schauen,

Er wollt’ in Frau Venus Berg,

Zu andern schönen Frauen.

“Herr Tannhäuser, Ihr seid mir lieb,

10

Daran sollt Ihr gedenken!

Ihr habt mir einen Eid geschworn,

Ihr wollt von mir nit wenken.”

43. A form of the old negative particle; en nit = nicht.

44. Jemands . . . Ihr, ‘any one but you.’

“Frau Venus, das en43 hab ich nit,

Ich will das widersprechen;

15

Und red’t das jemands mehr denn Ihr,44

Gott helf’ mir’s an ihm rächen!”

187

45. Bleiben.

“Herr Tannhäuser, wie red’t Ihr nun?

Ihr sollt bei mir beleiben;45

Ich will Euch mein’ Gespielin geben

20

Zu einem stäten Weibe.”

“Und nähm’ ich nun ein ander Weib,

Ich hab’ in meinem Sinne:

So müsst’ ich in der Hölle Glut

Auch ewiglich verbrinnen.”

25

“Ihr sagt mir viel von der Hölle Glut,

Habt es doch nie empfunden;

Gedenkt an meinen roten Mund,

Der lacht zu allen Stunden.”

“Was hilft mich Euer roter Mund?

46. Equivalent to gleichgültig.

30

Er ist mir gar unmäre;46

Nun gebt mir Urlaub, Fräulein zart,

Durch aller Frauen Ehre!”

“Herr Tannhäuser, wollt Ihr Urlaub han,

Ich will Euch keinen geben;

35

Nun bleibt hie, edler Tannhäuser,

Und fristet Euer Leben.”

“Mein Leben das ist worden krank,

Ich mag nit länger bleiben;

Nun gebt mir Urlaub, Fräulein zart,

40

Von Eurem stolzen Leibe!”

“Herr Tannhäuser, nit reden also,

Ihr tut Euch nit wohl besinnen;

So gehn wir in ein Kämmerlein

Und spielen der edlen Minne.”

45

“Eu’r Minne ist mir worden leid,

Ich hab’ in meinem Sinne:

Frau Venus, edle Fraue zart,

Ihr seid ein’ Teufelinne.”

“Herr Tannhäuser, was red’t Ihr nun,

50

Und dass Ihr mich tut schelten?

Nun, sollt Ihr länger hierinnen sein,

Ihr müsst’ es sehr entgelten.”

“Frau Venus, das en will ich nit,

Ich mag nit länger bleiben.

55

Maria Mutter, reine Maid,

Nun hilf mir von dem Weibe!”

“Herr Tannhäuser, Ihr sollt Urlaub han,

Mein Lob das sollt Ihr preisen,

Wo Ihr in dem Land umfahrt;

47. The legendary old man, faithful Eckart, who warns of danger and rebukes sinners.

60

Nehmt Urlaub von dem Greisen!”47

188

Da schied er wieder aus dem Berg,

In Jammer und in Reuen:

“Ich will gen Rom wohl in die Stadt

Auf eines Papstes Treuen.

65

Nun fahr’ ich fröhlich auf die Bahn,

Gott müss’ sein immer walten!

Zu einem Papst, der heisst Urban,

Ob er mich möcht’ behalten.”

“Ach Papste, lieber Herre mein,

70

Ich klag’ Euch hie mein’ Sünde,

Die ich mein’ Tag’ begangen hab’,

Als ich Euch’s will verkünden.

Ich bin gewesen auch ein Jahr

Bei Venus, einer Frauen.

75

So wollt’ ich Buss’ und Beicht’ empfahn,

Ob ich möcht’ Gott anschauen.”

Der Papst hat ein Stäblein in seiner Hand,

Das war sich also dürre:

“Als wenig das Stäblein grünen mag,

80

Kommst du zu Gottes Hulde!”

“Und sollt’ ich leben nur ein Jahr,

Ein Jahr auf dieser Erden,

So wollt’ ich Beicht’ und Buss’ empfahn

Und Gottes Trost erwerben.”

85

Da zog er wied’rum aus der Stadt

In Jammer und in Leiden:

“Maria Mutter, reine Magd,

Muss ich mich von dir scheiden!”

Er zog nun wied’rum in den Berg

90

Und ewiglich ohn’ Ende:

“Ich will zu meiner Frauen zart,

Wo mich Gott will hin senden.”

“Seid gottwillkommen, Tannhäuser!

48. For entbehrt.

Ich hab’ Eu’r lang entboren;48

95

Seid gottwillkommen, mein lieber Herr,

Zu einem Buhlen auserkoren.”

Das währet an den dritten Tag,

Der Stab hub an zu grünen.

Der Papst schickt’ aus in alle Land:

100

Wo der Tannhäuser wär’ hinkommen?

Da war er wieder in den Berg

Und hatt’ sein Lieb erkoren;

Des muss der vierte Papst Urban

Auf ewig sein verloren!

189

XXXIX. LATE MEDIEVAL RELIGIOUS PROSE

Prior to Luther the most noteworthy prose is found in the sermons of Berthold von Regensburg, the great 13th century preacher, and in the somewhat later writings, largely sermons, of the mystics Eckhart, Seuse, Tauler and Meerschwein. Their interest is rather more religious than literary. The earliest example of imaginative prose is the so-called Farmer of Bohemia, written in 1399, in which a bereaved husband discourses of his lost wife with Death. The 15th century shows a considerable body of prose literature in the form of sermons, chronicles, translations, paraphrases, but nothing of great artistic distinction.

1
From a Sermon of Berthold von Regensburg ‘On the Angels.’1

Wir begehen heute das Fest der grossen Fürsten, der heiligen Engel, die der ganzen Welt ein überaus grosses Wunder sind, und an denen der allmächtige Gott viele Wunder und grosse Wunder geschaffen hat. Und wollte ein Mensch nicht aus anderm Grunde in den Himmel kommen, so könnte er doch gerne darum in den Himmel kommen, nur damit er sähe, was für Wunder und Wunder da sind. Und des Wunders kann niemand zu Ende kommen, das Gott in den heiligen Engeln an den Tag gelegt hat. Und sie sind unseres Herrn Boten, denn Engel heisst auf Griechisch ein Bote. Unser Herr hatte grosse Freude, da er ohne Anfang war, wie er auch auf immer ohne Ende ist. Ich rede von der Gottheit, von der Krone; ehe er etwas erschuf, wie wir jetzt sind, da hatte er gar grosse Freude in sich selbst und mit sich selbst. Da gedachte er zu machen, er wollte zwei Kreaturen machen, zweierlei Kreaturen, damit diese seiner Freude teilhaftig würden, er selbst aber darum nicht weniger Freude hätte. Und wie grosse Freude er auch ihnen gab, hatte er doch selbst darum nicht mindre Freude, recht wie der Sonnenschein. Wie viel die Sonne uns auch alle Tage ihres Lichtes gibt, hat sie selbst um nichts weniger. Und also machte Gott zwei Kreaturen: das waren der Mensch und der Engel. Da machte Gott ein Ding,2 und das war das allerbeste Ding unter allen Dingen, die Gott je gemacht hat. Und nie machte er ein Ding so gut unter allen Dingen, die Gott gemacht hat, [wie dieses, das er machte,] damit 190 Mensch und Engel seiner Freude teilhaftig würden, da es so nütze und so gut war. Und also machte es Gott, dass Menschen und Engel davon immermehr Freude haben sollten. Und wie ausserordentlich nütze das Ding auch war, und wie viel Ehre und Seligkeit auch daran liegt, so waren doch etliche Engel im Himmel, die das Ding nicht behalten wollten, und diese wurden verstossen aus den ewigen Freuden und wurden in die ewige Marter geworfen. Und alle, die das Ding behielten, die blieben bei dem allmächtigen Gott in den ewigen Freuden, weil sie das Ding behielten, das so gut ist, unter allen Dingen das beste . . . .

Und also begeht man heute das Fest der Engel, die bei Gott blieben und aushielten, dass sie nicht fielen. Und also begeht man heute das Fest Sankt Michaels und der heiligen Engel. Und dass man das Fest der heiligen Engel nicht oft im Jahre begeht, daran tat unser Herr gar weislich und wohl; wie billig es auch wäre, dass man ihr Fest dreimal im Jahre beginge, so tat unser Herr gar weislich und wohl daran, und es ist besser, dass man es nicht oft begeht. Warum? Seht, aus diesem Grunde. Wenn man ihr Fest mit Singen und Lesen beginge, müsste man auch von ihnen predigen. Und wenn wir also oft von den Engeln predigen müssten, so käme vielleicht ein Frevler und würde vielleicht so frevelhaft sein, dass er von den heiligen Engeln Ketzerei predigen könnte. Denn unser Herr hat so viel Wunders an den Engeln gemacht, dass wir es nicht alles sicherlich wissen. Er hat etliche Wunder an den Engeln gemacht, wovon wir nicht genau wissen sondern nur vermuten. Und wer ein Ding vermutet, der weiss es nicht sicherlich. So hat auch unser Herr manches Ding an ihnen gemacht, das wir wohl wissen. Wer daher die Dinge predigen wollte, die wir vermuten, der könnte vielleicht Ketzerei predigen. Also soll niemand etwas predigen als das, was man sicherlich weiss.

2
From Eckhart’s tractate ‘On the Nature and Dignity of the Soul.’3

Die Seele hat zwei Füsse, das Verständnis und die Minne; und je mehr sie versteht, desto mehr minnet sie. Und wer kann sie 191 fällen, da der sie erhält, der alle Kreaturen erhält? Denn die Gnade reizet die Begierde und ziehet die Seele aus sich selber heraus, so dass sie mit der Gnade und in der Gnade in Gnade kommt, und über die Gnade in Gott, ihren ersten Ursprung kommt, wo es ihr wohler als je wird in wonnesamer Einigung. Denn da verstummen alle Sinne, und der Seele Wille und der Wille Gottes fliessen ineinander, so dass die zwei Willen sich minnesam umfangen in rechter Einigung. Und da kann die Seele weder mehr noch minder denn göttliche Werke hervorbringen, und zwar deshalb, weil an ihr nichts mehr als Gott lebet. Darum spricht die Seele in dem Buch der Minne: Ich habe den Kreis der Welt umlaufen und konnte nicht zu dessen Ende kommen; deshalb habe ich mich in den einzigen Punkt meines einzigen Gottes versenkt, weil er mich verwundet hat mit seinem Anblicke. Und wen dieser Anblick nicht verwundet hat, dessen Seele ist von der Minne Gottes nie verwundet worden. Darum sagt Sankt Bernhard: Welcher Geist den Anblick empfunden hat, der vermag ihn nicht zu beschreiben, und wer ihn nicht empfunden hat, der vermag nicht daran zu glauben. Denn da wird ein Pfeil ohne Zorn geschossen, und man empfindet es ohne Schmerzen; denn da wird der lautere und klare Brunnen der Arzenei der Gnade aufgetan, der die inneren Augen erleuchtet, so dass die Seele mit einem wonnesamen Anschauen den Wollust der göttlichen Heimsuchung empfindet, in dem man unerhörte Dinge geistlichen Gutes gewahrt, die nie gehört noch gepredigt wurden und in keinem Buche geschrieben stehen.

3
From Seuse (Suso): The Prelude to the Silent Mass.4

Er ward gefragt, was er damit meinte, als er Messe sang und vor der stillen Messe das Präludium anhub: Sursum corda. (Denn nach ihrer gewöhnlichen Bedeutung meinen die Worte auf Deutsch: Saust auf in die Höhe, alle Herzen, zu Gott!). Die Worte kamen recht begehrlich aus seinem Munde, so dass die Menschen, die sie hörten, auf einen sonderbaren Andacht haben daraus schliessen können. Auf 192 diese Frage antwortete er mit einem minniglichen Seufzer und sprach also:

“Wenn ich diese lobreichen Worte sursum corda in der Messe sang, geschah es gewöhnlich, dass mein Herz und meine Seele zusammenflossen von göttlicher Qual und Begierde, die mein Herz sofort aus sich selbst entrückten; denn es erhoben sich gewöhnlich drei hochentzückende Vorstellungen, in denen ich zu Gott aufgeschwungen ward, und durch mich alle Kreaturen. Die erste einleuchtende Vorstellung war also: Mich selbst nach allem, was ich bin, nahm ich vor meine inneren Augen mit Leib und Seele und allen meinen Kräften und stellte um mich herum alle Kreaturen, die Gott je erschuf im Himmel und auf Erden und in den vier Elementen, waren es Vögel der Luft, Tiere des Waldes, Fische des Wassers, Laub und Gras des Erdreiches, oder der unzählige Sand am Meer, und dazu all das kleine Gestäube, das im Glanz der Sonne schimmert, und alle die Wassertröpflein, die vom Tau oder vom Schnee oder vom Regen je gefallen sind oder fallen werden, und wünschte, es hätte deren jegliches ein süsses, aufdringendes Saitenspiel, wohlgenährt vom Safte meines innigsten Herzens, und dass also ein neues, hochherziges Lob dem geminnten, zarten Gott aufklänge von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und dann zertrennten und zerteilten sich auf eine fröhliche Weise die minnereichen Arme der Seele gegen die unsägliche Zahl aller Kreaturen, und es war ihr Gedanke, sie alle darin eifrig zu machen, recht wie ein freier, wohlgemuter Vorsänger die singenden Gesellen anspornt, fröhlich zu singen und ihre Herzen zu Gott aufzubieten: Sursum corda!

“Die zweite Vorstellung,” sprach er, “war also: Ich nahm in meine Gedanken mein Herz und aller Menschen Herzen und überlegte, welche Lust und Freude, was für Glück und Frieden die geniessen, die ihr Herz Gott allein geben, und dagegen was für Schaden und Leiden, was für Qual und Unruhe vergängliche Minne ihren Untertanen einträgt, und ich rief dann mit grosser Sehnsucht zu meinem Herzen und den andern Herzen, wo sie auch sein möchten in allen Enden dieser Welt: Wohlauf, ihr gefangenen Herzen, aus den engen Banden vergänglicher Minne! Wohlauf, ihr schlafenden Herzen, aus dem Tode der Sünde! Wohlauf, ihr üppigen Herzen, aus der Lauheit 193 eures trägen, lässigen Lebens! Hebt euch auf mit einer gänzlichen ledigen Umkehr zu dem minniglichen Gott: Sursum corda!

4
From the ‘Farmer of Bohemia,’ Chapter 3: A bereaved husband expostulates with Death for taking away his wife.5

Ich bin genannt ein Ackermann; von Vogelweid’ ist mein Pflug.6 Ich wohne im Böhmer Land. Gehässig, widerwärtig und widerstrebend soll ich Euch [o Tod] immer mehr sein, denn Ihr habt mir den zwölften Buchstaben,7 meiner Freuden Hort, gar grausam aus dem Alphabet entrückt. Ihr habt meiner Wonne lichte Sommerblume mir aus des Herzens Anger auf ewig ausgerodet. Ihr habt meines Glückes Inbegriff, meine auserwählte Turteltaube, arglistig entfremdet; Ihr habt unwiederbringlichen Raub an mir getan. Erwägt es selber, ob ich nicht billig zürne, wüte und klage; bin ich doch von Euch freudenreichen Wesens beraubt, täglicher guter Lebtage verlustig gemacht, und aller wonnebringenden Freuden benommen. Froh und freudig war ich ehemals zu jeder Stunde; kurz und lustig war all meine Zeit Tag und Nacht in gleichem Mass, beide freudenreich, überschwenglich reich. Jedes Jahr war für mich ein gnadenreiches Jahr. Nun wird zu mir gesagt: Vorbei! bei trübem Getränk, bei dürrem Ast, betrübt, schwarz und zerstört, bleib’ und heul’ ohne Unterlass! Also treibt mich der Wind; ich schwimme durch des wilden Meeres Flut; die Wogen haben überhand genommen, mein Anker haftet nirgends. Darum will ich schreien ohne Ende: Tod, seid verflucht!

From the same, Chapter 12, in which Death makes reply.

Könntest du richtig messen, wägen, zählen oder aus dem Kopfe dichten, hieltest du nicht solche Rede. Du fluchst und bittest unvernünftig 194 und ohne alle Notdurft. Was taugt solcher Unsinn? Wir haben früher gesagt: kunstreich, edel, ehrhaft, fruchtreich, artig,—alles, was lebet, muss von unsern Händen zu Ende kommen. Doch schwatzest du und klagst, all dein Glück sei an deinem frommen Weib gelegen. Soll nach deiner Meinung Glück an Weibern liegen, wollen wir dir wohl raten, dass du immer bei Glück bleibest. Warte nur, ob es dir nicht in Unglück gerät! Sage uns: Da du zuerst dein löblich Weib nahmst, fandst du sie fromm oder machtest du sie fromm? Hast du sie fromm gefunden, so suche vernünftiglich: du findest noch viele fromme Frauen auf Erden; von denen eine dir zur Ehefrau werden mag. Hast du sie aber fromm gemacht, so freue dich: du bist der lebendige Meister, der noch ein frommes Weib und eine Frau auferziehen kann. Ich sage dir noch mehr: je mehr dir Liebes wird, desto mehr Leides widerfährt dir. Hättest du dich des Lieben enthalten, würdest du jetzt des Leiden entbehren. Je mehr Liebes zu erfahren, desto mehr Leides in Entbehrung des Lieben. Lieb’, Weib, Kind, Schatz und alles irdisch Gut muss am Anfang etwas Freude und am Ende mehr Leides bringen. Alles irdische Lieb muss zu Leide werden: Leid ist Liebes Ende; der Freude End’ ist Trauer; nach Lust muss Unlust kommen; Willens Ende ist Unwillen. Zu solchem Ende laufen alle lebendigen Dinge. Lern’ es besser, willst du von Klugheit prahlen.

5
From a sermon of Johann Geiler von Kaiserberg.8

Der Mensch, der Gott lieb hat und ihm anhängt allein darum, dass er ihm das Himmelreich gebe, der hat Gott nicht recht lieb. Warum? Darum: sein Gedanke an Gott ist nicht lauter; er denkt an sich selbst; er sucht seinen eignen Nutzen. Ich sage nicht, dass du das Himmelreich nicht begehren solltest, oder dass du Gott nicht darum bitten, ihm nicht darum dienen solltest. Nein, ich verwerfe das nicht; die Schrift ist voll davon, dass man Gott um das Himmelreich bitten sollte. Du sollst das Himmelreich begehren, sollst Gott darum bitten; aber du sollst nicht da stehen bleiben, dass du 195 Gott allein darum dienest, und ihn allein darum liebhabest, damit er dir das Himmelreich gebe, und anders nicht. Das heisst nicht rechte Liebe; das ist Freundschaft um Freundschaft, wobei einer dem andern eine Freundlichkeit tut, damit er es ihm wiedervergelte; wie wenn du einem andern eine Wurst schenktest, damit er dir dagegen eine Seite Speck schenke. Du tust ihm eine Freundlichkeit; erwartetest du aber keine Freundlichkeit dagegen, du tätest ihm auch keine. Das heisst nicht rechte Liebe: es ist Freundschaft um Freundschaft. Aber das heisst rechte Liebe, dass einer einen lieb hat nicht um der Gabe willen, oder weil er etwas von ihm erwartet; sondern er hat ihn eben lieb; er gönnet ihm Gutes; er fördert seinen Nutzen; er wendet Schaden von ihm ab, wo er kann und mag, ohne dass er Wiedervergeltung erwartet. Der hat den andern recht lieb. Also tut der Mensch, der Gott recht lieb hat, allein um dessentwillen, weil er solch ein grosser Herr ist, dass er es würdig wäre; weil er der Höchste und das beste Gut ist.

1. Pfeiffer’s edition of Berthold von Regensburg, Vienna, 1862, vol. ii, page 174.

2. The ‘thing,’ as explained further on, is die Tugend.

3. Pfeiffer’s edition of Meister Eckhart, Leipzig, 1857, page 401.

4. Kürschners Deutsche National-Litteratur, Vol. 122, page 210.

5. Kürschners Deutsche National-Litteratur, Vol. 122, page 145, with comparison of Knieschek’s edition, Prag, 1877. The work consists of thirty-two chapters in which, alternately, the widower complains and Death replies. Then God, as judge, decides in favor of Death: the body must die that the soul may live. The whole ends with a fervid and eloquent prayer for the repose of the dead wife’s soul.

6. It is conjectured that the author was a schoolmaster who chose to call himself symbolically an Ackermann, that is, a ‘sower of seed.’ Hence he says that his ‘plow’ comes from the birds; in other words, it is a pen.

7. The letter M with which the dead wife’s name (Margareta) began.

8. Kürschners Deutsche National-Litteratur, Vol. 122, page 265.

 
 

END OF PART FIRST