I. THE LAY OF HILDEBRAND
The only surviving remnant, in the German language, of the ancient heroic poetry cultivated by the Germanic tribes prior to their Christianization. The precious fragment consists of 69 alliterating verses, which are preserved in a Kassel manuscript of the 8th or 9th century. The language shows a mixture of Low and High German, there are gaps in the text, the meaning of several words is doubtful, and the versification is here and there defective. All this, which some account for by supposing that the manuscript was copied from a version which had been written down from memory and not perfectly recalled, makes translation difficult and uncertain. The poetic version here given is that found in Bötticher and Kinzel’s Denkmäler der älteren deutschen Literatur, 9th edition, 1905, which in the main follows Müllenhoff’s text and theories with regard to gaps, transpositions, etc. For a careful prose version by a very competent scholar see Kögel’s Geschichte der deutschen Literatur, I, I, 212.
Das hört’ ich sagen . . .
Dass zwei Kämpfer allein sich kamen entgegen,
Hildebrand und Hadubrand, zwischen zwei Heeren.
Sohn und Vater besorgten ihre Rüstung,
5Bereiteten ihr Schlachtkleid, die Schwerter fest sie gürteten,
Die Recken über die Ringe;1 dann ritten sie zum Kampfe.
Hildebrand erhob das Wort; er war der hehrere2 Mann,
In der Welt erfahrener. Zu fragen begann er
Mit wenigen Worten, wer sein Vater wäre
10Von den Helden im Volke . . .
. . . “oder welcher Herkunft bist du?
So du mir einen nennst, die andern weiss ich mir,
Kind, im Königreiche: kund sind mir alle Geschlechter.”
Hadubrand erhob das Wort, Hildebrands Sohn:
15“Das sagten längst mir unsere Leute,
Alte und weise, die früher waren,
Dass Hildebrand hiess mein Vater; ich heisse Hadubrand . . .3
4Vorlängst zog er ostwärts, Otakers Zorn floh er,
Hin mit Dietrich und seiner Degen vielen.
20Er liess elend im Lande sitzen
Das Weib in der Wohnung, unerwachsen den Knaben,
Des Erbes beraubt, da ostwärts er hinritt.
Dem mächtigen Otaker war er masslos erzürnt,
Der beste der Degen war er bei Dietrich;
25Seitdem entbehrte Dietrich den Beistand
—Er war so freundlos4— meines Vaters:
Der war dem Volke voran stets; fechten war immer ihm lieb.
Kund war er manchen kühnen Mannen.
Nicht wähne ich mehr, dass er wandelt auf Erden.”
30Hildebrand erhob das Wort, Heribrands Sohn:
“Das wisse Allvater oben im Himmel,
Dass nimmer du Worte bis heute gewechselt
Mit so nah gesipptem Mann.” . . .
Da wand er vom Arme gewundene Ringe,
35Aus Kaisermünzen5 gemacht, wie der König sie ihm gab,
Der Herrscher der Hunnen: “Dass ich um Huld dir’s gebe!”
Hadubrand erhob das Wort, Hildebrands Sohn:
“Mit dem Ger soll man Gabe empfahen,6
Spitze wider Spitze. Ein Späher bist du,
40Alter Hunne, (heimlich)7 lockst du mich
Mit deinen Worten, willst mit dem Speer mich werfen,
Bist worden so alt nur immer Trug sinnend.
Das sagten mir Leute, die zur See gefahren
Westwärts über den Wendelsee:8 Hinweg nahm der Krieg ihn,
45Tot ist Hildebrand, Heribrands Sohn.”
Hildebrand erhob das Wort, Heribrands Sohn: . . .9
“Wohl hör’ ich’s und seh’ es an deinem Harnisch,
5Dass du daheim hast einen Herrn so gut,
Dass unter diesem Fürsten du flüchtig nie wurdest.” . . .
50“Weh nun, waltender Gott, Wehgeschick erfüllt sich!
Ich wallte der Sommer und Winter sechzig,
Da stets man mich scharte zu der Schiessenden Volk:
Vor keiner der Städte zu sterben doch kam ich;
Nun soll mit dem Schwerte mich schlagen mein Kind,
55Mich strecken mit der Mordaxt, oder ich zum Mörder ihm werden!
Magst du nun leichtlich, wenn langt dir die Kraft,
An so altem Recken die Rüstung gewinnen,
Den Raub erbeuten, wenn du Recht dazu hast!
Der wäre der ärgste aller Ostleute,10
60Der den Kampf dir weigerte, nun dich so wohl lüstet
Handgemeiner Schlacht! Es entscheide das Treffen,
Wer heute sich dürfe der Harnische rühmen
Oder der Brünnen beider walten!”
Da sprengten zuerst mit den Speeren sie an
65In scharfen Schauern; dem wehrten die Schilde.
Dann schritten zusammen sie (zum bittern Schwertkampf),11
Hieben harmlich die hellen Schilde,
Bis leicht ihnen wurde das Lindenholz,
Zermalmt mit den Waffen . . . .
1. ‘The rings’ of their corselets.
2. Instead of ältere, for the sake of the alliteration.
3. The translator here assumes (unnecessarily) that there is a gap in the text, with loss of a speech by Hildebrand.
4. ‘Friendless,’ i.e. separated from his kin. Hadubrand is giving reasons for thinking that his father is dead.
5. ‘Imperial gold’ from Constantinople.
6. Hadubrand suspects treachery and poises his spear.
7. Inserted by the translator for the alliteration’s sake.
8. The earth-encircling sea—oceanus; here the Mediterranean.
9. The supposition is that Hildebrand’s speech is missing, and that lines 47-50 form part of a reply by Hadubrand, ending with a taunt so bitter that the old warrior could not brook it even from his own son. He sees that he must fight.
10. East Goths.
11. A guess of the translator; the meaning of the original being quite uncertain.
II. THE MERSEBURG CHARMS
Two incantations that date back to pagan times, albeit the manuscript, discovered at Merseburg in 1841, is of the 10th century. The dialect is Frankish. No. 1 is for loosening a prisoner’s fetters, the other for curing the sprained leg of a horse. The translation is Bötticher’s.
1
Einst sassen Idise,1 sassen nieder hier und dort.
Die hefteten Hafte, die hemmten das Heer,
6Die klaubten an den Kniefesseln:2
Entspring den Banden, entfleuch den Feinden!
2
Phol3 und Wodan ritten zu Walde.
Da ward Balders Pferd der Fuss verrenket.
Da besprach ihn Sinthgunt, (dann) Sonne, ihre Schwester;
Da besprach ihn Frija, (dann) Volla, ihre Schwester;
Da besprach ihn Wodan, wie er es wohl konnte,
Sei’s Beinverrenkung, sei’s Blutverrenkung,
Sei’s Gliedverrenkung:
Bein zu Beine, Blut zu Blute,
Gelenk zu Gelenken, als ob geleimt sie seien!
1. ‘Idise’ means ‘women’; here battle-maids similar in character to the Northern valkyries.
2. ‘Knee-fetters’ for the sake of the alliteration; the original means simply ‘fetters.’
3. Phol is probably the same as Balder.
III. THE WESSOBRUNN PRAYER
A Christian prayer in prose, preceded by nine defective verses which probably preserve old epic turns of expression. The dialect is Bavarian, the theme that of Psalm XC, 2. The manuscript dates from the year 814. Wessobrunn was the seat of a Bavarian monastery.
Das erfuhr ich unter dem Volke als das vornehmste Wunder,
Dass Erde nicht war, noch Überhimmel,
Noch Baum (noch Stein?) noch Gebirge war;
Dass (Stern?) gar keiner noch Sonne schien,
Noch der Mond leuchtete, noch das Meer so herrlich.
Und als da nichts war von Enden noch Wenden,
Da war der eine allmächtige Gott,
Der Männer mildester, und manche waren mit ihm
Glorreiche Geister. Und Gott der heilige . . . .
Allmächtiger Gott, der du Himmel und Erde geschaffen, und der du den Menschen so vieles Gute verliehen hast, gib mir in deiner Gnade rechten Glauben und guten Willen, Weisheit und Klugheit und Kraft, den Teufeln zu widerstehen und Böses zu vermeiden und deinen Willen zu wirken.
7IV. THE MUSPILLI
A fragment of 103 alliterating verses written in the Bavarian dialect and dating from the 9th century. The beginning and end of the poem are lost. The extant verses describe the fate of the soul after death and the terrors of the final judgment. The title, which means ‘destruction of the earth,’ was given to the fragment by Schmeller, its first editor (1832). The translation is Bötticher’s.
Lines 31-56: The battle of Elias and Antichrist and the ensuing world-fire.
So hört’ ich künden Kund’ge des Weltrechts,
Dass der Antichrist wird mit Elias streiten.1
Der Würger ist gewaffnet, Streit wird erhoben:
Die Streiter so gewaltig, so wichtig die Sache.
35Elias streitet um das ewige Leben,
Will den Rechtliebenden das Reich stärken;
Dabei wird ihm helfen, der des Himmels waltet.
Der Antichrist steht bei dem Altfeinde,
Steht beim Satan; er2 wird ihn2 versenken:
40Auf der Walstatt wird er wund hinsinken
Und in dem Streite sieglos werden.
Doch glauben viele Gottesgelehrte,
Dass Elias auf der Walstatt Wunden erwerbe.
Wenn Elias’ Blut auf die Erde dann träufelt,
45So entbrennen die Berge, kein Baum mehr stehet,
Nicht einer auf Erden, all Wasser vertrocknet,
Meer verschlingt sich, es schwelt in Lohe der Himmel,
Mond fällt, Mittelgart3 brennt,
Kein Stein mehr steht. Fährt Straftag ins Land,
50Fährt mit Feuer, die Frevler zu richten:
Da kann kein Verwandter vor dem Weltbrand4 helfen.
Wenn der Erdflur Breite ganz nun verbrennt,
Und Feuer und Luft ganz leer gefegt sind,
Wo ist die Mark, wo der Mann stritt mit den Magen?
8 55Die Stätte ist verbrannt, die Seele steht bedrängt,
Nicht weiss sie, wie büssen: so wandert sie zur Pein.
Lines 73-84: The summons to the last judgment.
Wenn laut erhallet das himmlische Horn,
Und sich der Richter anschickt zur Reise,
75Dann erhebt sich mit ihm gewaltige Heerschar,
Da ist alles so kampflich, kein Mann kann ihm trotzen.
So fährt er zur Richtstatt, wo errichtet der Markstein,
Da ergeht das Gericht, das dorthin man berufen,
Dann fahren die Engel hin über die Marken,
80Wecket die Toten, weisen zum Thinge.
Dann wird erstehen vom Staube männiglich,
Sich lösen von Grabes Last; dann wird das Leben ihm kommen,
Dass all seine Sache er sagen müsse,
Und nach seinen Werken ihm werde das Urteil.
1. The idea that the last judgment would be preceded by a great battle between Elijah and Antichrist rests upon extra-biblical tradition; but see Mal. iv, 5.
2. Der des Himmels waltet, wird den Satan zum Falle bringen.
3. The earth; Norse midgard.
4. The original has muspille; whence the title.
V. THE HELIAND
An Old Saxon Messiad written in the first half of the 9th century (between 814 and 840) for the purpose of familiarizing the lately converted Saxons with the life of Christ. Nothing is known of the author except that he was a learned cleric who had some skill in handling the old alliterative verse, which had now nearly run its course. A few verses are lacking at the end of the poem, which breaks off, with the story nearly all told, at line 5983. The name ‘Heliand,’ Old Saxon for ‘Savior,’ was given to the poem by Schmeller, who edited it in 1830. The selections are from Edmund Behringer’s Heleand, 1898.
Lines 1189-1202: The calling of Matthew to discipleship.
Da wanderte des Waltenden Sohn
1190Mit den vieren vorwärts; sich den fünften dann erkor
Kristus an einer Kaufstätte, eines Königes Jünger,
Einen mutigen, klugen Mann, Mattheus geheissen,
Er war beamteter edler Männer.
Er sollte zu Händen seines Herrn hier annehmen
1195Zins und Zoll. Treue zeichnete ihn aus,
Den angesehenen Adeligen; alles zusammen verliess er,
Gold und Geld, die Gaben in Menge,
9Hochwerte Schätze, und er ward unseres Herrn Dienstmann.
Es erkor sich des Königs Degen Kristus als Herrn,
1200Der milderen Gemütes gab, als der, dessen Mann er war,
Ihn, der waltet über diese Welt; wonnigere Gaben gewährt dieser,
Lange währende Lebensfreude.
Lines 2006-2048: The turning of water into wine at Cana.
Voll Lust waren beisammen die Landessöhne,
Die Helden heiteren Herzens, hin und her eilten Diener,
Schenken mit Schalen trugen schimmernden Wein
In Krügen und Kannen. Gross war der Kühnen Jubel,
2010Beseliget in dem Saale. Da dort unter sich auf seinen Sitzen
Am fröhlichsten das Volk sein Freudengetön erhob;
Als der Wonne voll sie waren, da gebrach es ihnen an Wein,
Den Landeskindern an Lautertrank,1 nichts war übrig gelassen
Irgendwo in dem Hause, was vor die Heerschar fürder
2015Die Schenken trügen, sondern die Schäffer2 waren
Des Lautertrankes leer. Da war es nicht lange hernach,
Dass dieses sofort erfuhr der Frauen schönste,
Kristi Mutter; sie kam, mit ihrem Kinde zu sprechen,
Mit ihrem Sohne selbst, sie sagte ihm sogleich,
2020Dass da die Wehrhaften nicht mehr des Weines hätten
Für die Gäste beim Gastmahle; bittend begehrte sie,
Dass hiefür der heilige Krist Hilfe schüfe
Den Wehrhaften zu Willen. Da hatte hinwieder sein Wort bereit
Der mächtige Gottessohn, und zu seiner Mutter sprach er:
2025“Was liegt dir und mir an dieser Mannen Trank,
An dieses Festvolkes Wein? Warum sprichst du, Frau, hierüber so viel,
Mahnst mich vor dieser Menge? Noch sind meine
Zeiten nicht gekommen!”
Dann hegte doch sicheres Zutraun
In ihres Herzens Tiefe die heilige Jungfrau,
2030Dass nach diesen Worten des Waltenden Sohn,
10Der Heilande bester, helfen wollte.
Es trug da auf den Amtleuten der Edelfrauen schönste,
Den Schenken und Schöpfwarten, die dort den Scharen aufwarten sollten,
Nicht von Wort noch Werk irgendwas zu unterlassen,
2035Was sie der heilige Krist heissen würde
Zu leisten vor den Landessöhnen. Leer standen dort
Der Steinfässer sechse; da gebot so stille
Der mächtige Gottessohn, so es der Männer viele
In Wahrheit nicht wussten, wie er es mit seinen Worten gesprochen;
2040Er hiess die Schenken da mit schimmerndem Wasser
Füllen die Gefässe und hat dies da mit seinen Fingern dort
Selber gesegnet; mit seinen Händen
Verwandelt’ er Wasser in Wein. Er liess aus den weiten Gefässen
Schöpfen mit einer Schale; und zu den Schenken sprach er da,
2045Hiess sie von den Gästen, die bei dem Gastmahle waren,
Dem Hehrsten in die Hand geben
Ein volles Gefäss, dem, der über das Volk dort
Dem Wirte zunächst gewaltet.
Lines 2235-2264: The stilling of the storm on the sea of Galilee.
2235Da hiess er die anderen Wehrmänner
Weiter wandern; und mit wenigen nur bestieg
Einen Kahn Kristus, der Heiland,
Schlummermüde zu schlafen. Die Segel liessen schwellen
Die wetterweisen Wehrmänner, leiteten den Wind hinein,
2240Trieben auf dem Meerstrom, bis in die Mitte kam
Der Waltende mit seinen Wehrhaften. Da begann des Wetters Gewalt,
Stürme stiegen auf, die Stromfluten wuchsen,
Her schwang sich Wolkengeschwirr, es schäumte der See,
Es wütete Wind und Wogen; die Wehrmänner bangten,
2245Das Meer war wildmutig, nicht wähnte der Männer einer
Länger zu leben. Da eilten sie, den Landeswart
Zu wecken mit ihren Worten und wiesen ihm des Wetters Wut,
11Baten, dass ihnen hilfreich würde Kristus, der Heiland,
Wider die Wasser, oder “wir werden hier in Weh und Angst
2250Versinken in diesem See.” Selbst erhob sich
Der gute Gottessohn, gnädig sprach er zu seinen Getreuen,
Forderte sie auf bei der Wellen Aufruhr die Angst zu besiegen:
“Warum seid ihr so in Furcht? Noch nicht ist gefestigt euer Herz,
Euer Glaube zu gering; vergehen wird kurze Zeit,
2255Und stille wird werden die Sturmflut,
Wonnesam der Lüfte Wehen.” Da sprach zu dem Winde er
Und zu dem See ebenso und hiess sie sanfter sich
Beide gebaren. Seinem Gebote gehorchten sie,
Dem Worte des Waltenden; die Wellen wurden stille,
2260Friedlich die Flut. Da fing das Volk unter sich an,
Die Wehrhaften, sich zu wundern; manche fragten mit Worten,
Was das für ein so mächtiger unter den Männern wäre,
Dass ihm so der Wind und die Woge auf sein Wort gehorchten,
Beide seinem Gebote.
Lines 4858-4931: The smiting of Malchus by Simon Peter.
Die weisen Männer standen
In tiefem Kummer, Kristi Jünger,
4860Vor dem Frevel der Frechheit und zu ihrem Fürsten riefen sie:
“Wäre es dein Wille,” sagten sie, “waltender Herr,
Dass durch des Speeres Spitze wir sterben sollten,
Wund durch die Waffen, dann wäre für uns nichts so wertvoll,
Als dass wir hier für unsern Herrn hinsinken müssten,
4865Erbleicht im Kampfbegier.” Erbost wurde da
Der schnelle Schwertdegen, Simon Petrus,
Mächtig wallte ihm innen sein Mut, dass er nicht vermochte ein Wort zu sprechen;
So harmvoll war ihm um das Herz, dass man seinen Herrn da
Binden wollte. Erbost schritt er dahin,
4870Der treugemute Degen, zu treten vor seinen Fürsten,
Hart vor seinen Herrn; nicht war sein Herz in Zweifel,
Nicht blöde in seiner Brust, sondern sein Beil zog er,
12Das scharfe, an seiner Seite, schlug es entgegen
Dem vordersten der Feinde mit der Fäuste Kraft.
4875Da ward Malchus durch des Beiles Macht
An der rechten Seite gerötet durch die Waffe,
Das Gehör ward ihm verhauen, an dem Haupte wurde er wund,
Dass die Todeswunde traf Kinn und Ohr,
Das Bein zerbarst. Blut sprang nach,
4880Wallend aus der Wunde. Da war schartig an seinen Wangen
Der vorderste der Feinde; da schaffte das Volk Raum,
Des Beiles Biss fürchtend. Da sprach aber der Gottgeborene,
Selber zu Simon Petrus, hiess sein Schwert ihn stecken,
Das scharfe, in die Scheide: “Wenn ich gegen diese Schar,” sprach er,
4885“Gegen dieser Männer Ansturm Kampfweise wollte üben,
Dann mahnte ich den erlauchten, mächtigen Gott,
Den heiligen Vater im Himmelreiche,
Dass er mir zahlreiche Engel von oben sendete,
Kampfeskundige; ihrer Waffen Kraft würden nimmer
4890Diese Männer ertragen. Keine Macht stünde je, selbstgeeint,
So fest unter den Völkern, dass ihm das Leben gefristet
Werden möchte; aber es hat der waltende Gott,
Der allmächtige Vater, es anders geordnet,
Dass wir mit Milde ertragen alles, was uns diese Männerschar
4895Bitteres bringet. Nimmer sollen erbost
Wir uns wehren wider den Angriff, weil jeder, der Waffenhass,
Grimmen Gerkampf, gerne üben will,
Oft hinschwindet durch des Schwertes Schärfe,
Blutigen Todes stirbt; durch unsere Taten
Soll nichts verwüstet werden.”
4900Hinschritt er da zu dem wunden Manne,
Fügte mit Vorsicht das Fleisch zusammen,
Die Wunde am Haupte, dass sofort geheilet ward
Des Beiles Biss, und es sprach der Gottgeborene
Zu der wütenden Wehrschar: “Wunder dünket mich mächtig,” sprach er,
4905“Wenn ihr meinem Leben was Leides wolltet tun,
Warum ihr mich nicht fasstet, da ich unter eurem Volke stand,
13In dem Weihtume innen und Worte so zahlreich,
Wahrhaftige, sagte. Da war Sonnenschein,
Trauliches Tageslicht, da wolltet ihr mir nichts tun
4910Leides in diesem Lichte, und nun leitet ihr mir eure Leute zu
In düsterer Nacht, so man Dieben tuet,
Wenn man sie fahen will, die Frevler, die da haben
Verwirket ihr Leben.”
Das Wehrtum der Juden
Ergriff nun den Gottessohn, das grimme Volk,
4915Der Hassenden Haufe, die Heerschar umdrängte ihn
Der übermütigen Männer, nicht achteten sie die Missetat,
Hefteten mit eisenharten Banden seine Hände zusammen,
Seine Arme mit Fesseln. Nicht war ihm so furchtbare Pein
Zu ertragen Not, Todesqual
4920Zu erdulden, solche Marter; aber für die Menschheit tat er es,
Weil die Erdgeborenen er wollte erlösen,
Heil entnehmen der Hölle für das Himmelreich,
Für die weite Welt des Wohlseins; deshalb widersprach er auch nicht
Dem, was mit trotzigem Willen sie ihm wollten antun.
4925Da wurde darüber frech das übermütige Volk der Juden,
Die Heerschar wurde hochmütig, weil sie Kristus den Heiligen,
In leidigen Banden hinleiten konnte,
Führen in Fesseln. Die Feinde schritten wieder
Von dem Berge zu der Burg, es ging der Gottgeborene
4930Unter dem Haufen, an den Händen gebunden,
Trauernd zu Tale.
1. M.H.G. lûtertranc, a sort of spiced claret.
2. The ‘vessels’ from which wine was poured into the cups.
VI. THE OLD SAXON GENESIS
A fragment, or rather several fragments, of a poetic version of Genesis, contemporary with the Heliand and possibly by the same author. They were discovered at the Vatican Library in 1894 and comprise in all 337 lines. The translation is by Vetter, Die neuentdeckte deutsche Bibeldichtung, 1895.
Lines 27-79; The punishment of Cain.
Er wandelte zur Wohnung, gewirkt war die Sünde,
Die bittre am Bruder; er liess ihn am Boden liegen
14In einem tiefen Tale betäubt im Blute,
30Des Lebens ledig; zur Lagerstatt hatte
Den Sand der Geselle. Da sprach Gott selbst jenen an,
Der Waltende, mit seinen Worten— ihm wallte sein Herz
Unmilde dem Mörder— er fragte ihn, wo er den Mann hätte,
Den blutjungen Bruder. Der Böse drauf sprach—
35Er hatte mit seinen Händen grosse Harmtat
Frevelnd gewirkt; die Welt war so sehr
Mit Sünden besudelt:— “Zu sorgen nicht brauch’ ich,
Zu wachen, wohin er wandle, noch wies mich Gott an,
Dass ich sein hätte irgend zu hüten,
40Zu warten in der Welt.” Er wähnte fürwahr,
Dass er verhehlen könne seinem Herren
Die Untat und bergen. Ihm gab Antwort unser Herr:
“Ein Werk vollführtest du, des fürder dein Herz
Mag trauern dein Lebtag, das du tatst mit deinen Händen;
45Des Bruders Mörder bist du; nun liegt er blutig da,
Von Wunden weggerafft, der doch kein einig Werk dir,
Kein schlechtes, beschloss; aber erschlagen hast du ihn,
Hast getan ihm den Tod; zur Erde trieft sein Blut;
Die Säfte entsickern ihm, die Seele entwandelt,
50Der Geist, wehklagend, nach Gottes Willen.
Es schreit das Blut zum Schöpfer und sagt, wer die Schandtat getan,
Das Meinwerk in diesem Mittelkreis; nicht mag ein Mann freveln,
Mehr unter den Menschen in der Männerwelt
Mit bittren Bosheitswerken, als du an deinem Bruder hast
55Untat geübt.” Da ängstete sich
Kain nach des Herrn Worten; er bekannte wohl zu wissen,
Nie möge vor dem Allmächtigen ein Mann, solang die Welt steht,
Eine Tat vertuschen: “So muss ich darob nun betrübten Sinn
Bergen in meiner Brust, dass ich meinen Bruder schlug
60Durch meiner Hände Kraft. Nun weiss ich, dass ich muss unter deinem Hasse leben
Fürder, unter deiner Feindschaft, da ich diesen Frevel getan.
Nun mich meine Schandtat schwerer dünkt,
15Die Missetat mächtiger als die Milde deines Herzens:
So bin ich des nicht würdig, allwaltender Gott,
65Dass du die schreckliche Schuld mir vergebest,
Von dem Frevel mich befreiest. Der Frommheit und Treue
Vergass mein Herz gegen deine Heiligkeit; nun weiss ich, dass ich keinen Tag mehr leben kann;
Erschlagen wird mich, wer auf meinem Weg mich findet,
Austilgen ob meiner Untat.” Da gab ihm Antwort selber
70Des Himmels Herrscher: “Hier sollst du fürder
Noch leben in diesem Lande. So leid du allen bist,
So befleckt mit Freveln, doch will ich dir Frieden schaffen,
Ein Zeichen an dir setzen, dass du sicher magst
Weilen in dieser Welt, ob du des auch nicht würdig seist:
75Flüchtig doch sollst du friedlos für und für
Leben in diesem Lande, solang du dieses Licht schaust;
Verfluchen sollen dich die Frommen, du sollst nicht fürder vor deines Herrn Antlitz treten,
Noch Worte mit ihm wechseln; wallend wird
Die Strafe für den Bruder dich brennen in der Hölle.”
VII. OTFRIED’S BOOK OF THE GOSPELS
A Messiad written in the dialect of the southern Rhenish Franks and comprising some 15,000 lines in five books. It was completed after years of toil about 870. Its author, a monk of Weissenburg in Alsatia, is the earliest German author whose name is known and the first to employ rime or assonance in place of alliteration. The selections are from the translation in Bötticher and Kinzel’s Denkmäler, II, 3, in which the crude assonances of the pioneer are replaced by regular modern rimes.
Book I, section 1, lines 1-34: Otfried tells why he wrote in German.
Es hat viel Leute schon gegeben, die waren stark in dem Bestreben,
Durch Bücherschreiben zu bereiten sich gut Gerücht für alle Zeiten;
Und darauf auch gerichtet war ihr starkes Sehnen immerdar,
Dass man in Büchern es erzählte, wie ihnen Tatenlust nicht fehlte.
5Dazu verlangte ihre Ehre, dass auch ihr Scharfsinn sichtbar wäre,
So wie der Anmut schöne Feinheit in ihres Dichtens klarer Reinheit.
16Sie haben alles, wie’s sich schickt, sorgsam und kunstvoll ausgedrückt,
Und haben’s gut herausgefunden— zwar dunkel scheint’s, doch wohl verbunden—
Wodurch es dann auch dazu kam, dass jedermann sie gern vernahm,
10Und wer daran Gefallen fand, des Witz sich übte und Verstand.
Wie leicht wohl könnte man dafür gar vieler Leute Namen hier
Aufzählen und besonders nennen, von denen wir die Bücher kennen.
Griechen und Römer, hochberühmt, die machen’s, wie es sich geziemt,
Und haben’s also hergestellt, wie es dir immer wohlgefällt.
15Sie machen’s nach dem rechten Mass und schlecht und recht ohn’ Unterlass;
So muss es denn ein Ganzes sein, grad’ so, als wär’s aus Elfenbein.
Wenn man die Taten so erzählt, die Lust zum Leben keinem fehlt.
Und willst du dich zur Dichtung kehren, so wirst du deine Einsicht mehren.
So wohl der Prosa schlichtes Wesen wirst mit Genuss du immer lesen,
20Als auch des Metrums feine Zier ist eine reine Freude dir.
Sie machen es mit vieler Süsse und messen gut der Verse Füsse,
Ob kurz, ob lang sie müssen sein, auf dass es würde glatt und fein.
Auch darauf stets ihr Trachten geht, dass jede Silbe sicher steht,
Und dass ein jeder Vers so klingt, wie jeder Versfuss es bedingt.
25Sie zählen mit Genauigkeit die Läng’ und Kürze jeder Zeit,
Und sichre Grenzen sind gezogen, wonach das Silbenmass gewogen.
Auch säubern sie’s mit rechter Reinheit und auch mit ausgesuchter Feinheit,
So wie ein Mann mit Fleiss und Treu’ die Körner sondert von der Spreu.
Ja, selbst den heil’gen Büchern geben sie eine Versform rein und eben,
30Kein Fehler findet sich darin, so liest du es mit frohem Sinn.—
Nun, da so viele es betreiben, dass sie in eigner Zunge schreiben,
Und da sie eifrig danach streben, sich selber rühmend zu erheben,
Wie sollten da die Franken zagen, auch selber den Versuch zu wagen,
17Dass sie’s mit Eifer dahin bringen, auf Fränkisch Gottes Lob zu singen?
35Zwar ist der Sprache nicht bekannt der Regeln festgefügtes Band,
Doch fehlt der grade Ausdruck nicht, noch auch die Einfalt schön und schlicht.
I, 1, lines 59-90: The same theme continued; Otfried praises the Franks.
Sie sind genau so unverzagt, wie man es von den Römern sagt.
60Auch darf man nicht zu sagen wagen, dass kühnern Mut die Griechen tragen.
Ganz ebenso ist es bewandt mit ihrem Wissen und Verstand.
Sie sind voll Mut und Tapferkeit an jedem Ort, zu jeder Zeit,
Viel Macht und Ansehn haben sie, und Kühnheit fehlet ihnen nie.
Zum Schwerte greifen sie verwegen, das ist die Art der wackern Degen.
65Vollauf versehn und wohl im Stande, so wohnen sie in reichem Lande.
Von alters her ihr Gut sich mehrt, derhalben sind sie hochgeehrt.
Gar schön und fruchtbar ist ihr Land; wem wäre dies nicht wohlbekannt?
Es gibt dort vielerlei Gewinnst— es ist nicht eigenes Verdienst—
Dort kann man Erz und Kupfer haben, das zum Gebrauche wird gegraben.
70Und denket nur, wie wunderbar! Eissteine1 gibt es dort sogar.
Und von Metallen man noch füge dazu das Silber zur Genüge;
Auch lesen sie daselbst im Land Gold, das sie finden in dem Sand.
Es ist ihr Sinnen fest und stet, das immer nur aufs Gute geht,
Und ist zum Nutzen hingewandt, so wie sie’s lehret ihr Verstand.
75Sie sind zu jeder Zeit bereit, zu schützen sich vor Feindes Neid;
Der mag nichts gegen diese wagen, zu Boden wird er stets geschlagen.
Kein Volk gibt’s, das ihr Land berührt, das ihre Gegenwart nicht spürt;
Sie dienen ihnen notgedrungen, von ihrer Tüchtigkeit bezwungen.
Sie haben alles Volk besiegt, wo nicht die See dazwischen liegt.
18 80Nach Gottes Willen und Gedanken hat jedermann Furcht vor den Franken,
Da nirgendwo ein Volk wohl lebt, das da nach Kampf mit jenen strebt.
Den Feinden haben sie mit Waffen Beweise oft genug geschaffen
Und haben gründlich sie belehrt nicht mit dem Wort, nein, mit dem Schwert,
Mit Speeren scharf und spitz geschliffen, deshalb hat alle Furcht ergriffen.
85Kein Volk gibt’s, das nicht deutlich wüsste: trägt es nach Frankenkrieg Gelüste,
Dann sinken sie dahin geschwind, wenn’s Meder auch und Perser sind!
Ich las dereinst in einem Buch und weiss es drum genau genug:
Ganz eng verwandt sind mit einander das Frankenvolk und Alexander,
Der aller Welt ein Schrecknis war, die er besiegte ganz und gar,
90Die er darnieder zwang und band mit seiner allgewalt’gen Hand.
I, 17, lines 9-62: The Magi and the star of Bethlehem.
Da kamen Leute in das Land von Osten, denen war bekannt
10Der Sonne und der Sterne Lauf; denn all ihr Sinnen ging darauf.
Nun fragten diese nach dem Kind bei der Gelegenheit geschwind
Und kündeten zugleich die Märe, dass dieses Kind der König wäre,
Und forschten eifrig immerfort nach dieses Knaben Heimatort
Mit stetem Bitten und mit Fragen, man möcht’ es ihnen doch ja sagen
15Und auch die Wegfahrt zeigen an, auf der zum Kind man kommen kann.
Nun sprachen sie auch von dem Zeichen, das seltsam war und ohnegleichen,
Dass hier von einer Jungfrau zart jemals ein Mensch geboren ward,
Und dass ein Zeichen schön und klar im Himmelsraum erschienen war.
Sie sagten, dass sie hoch und fern plötzlich erblickten einen Stern,
20Und machten ruchbar laut und frei, dass dies der Stern des Herren sei:
19“Sein Stern sich uns gezeiget hat, wenn wir auch irrten2 in der Stadt,
Wir sind gekommen anzubeten, dass seine Gnade wir anflehten.
So ist uns denn im Osten fern daheim erschienen dieser Stern.
Lebt nun wohl einer hier im Land, dem davon etwas ist bekannt?
25So viel wir Sterne auch gezählt, der hat bis jetzt uns stets gefehlt;
Derhalben glauben alle wir, ein neuer König zeigt sich hier.
Das haben Greise uns gelehrt zu Hause, klug und hochgeehrt;
Nun bitten wir euch vorzutragen, was eure Bücher davon sagen.”
Als nun zum König selbst sofort die Kunde drang von diesem Wort,
30Ward durch die Nachricht er sogleich von Angst erfüllt und schreckensbleich,
Und auch so mancher andre Mann daraus viel Traurigkeit gewann.
Die hörten ungern und mit Schmerzen, was uns mit Freude füllt die Herzen.
Die weisen Schriftgelehrten dort versammelten sich dann sofort
Und forschten, wo auf dieser Erde wohl Christ der Herr geboren werde,
35Und wandten sich in diesen Tagen auch an die Priester mit den Fragen.
Doch mocht’ er arm sein oder reich, stets lautete die Antwort gleich.
Sie nannten ihm sogleich die Stadt, wie’s früher schon bezeuget hat
Vom alten Bunde manch Prophet, so wie es aufgeschrieben steht.
Als es ihm so ward offenbar, wo Christ der Herr geboren war,
40Ersann er schnell und fürchterlich nun eine grosse Bosheit sich.
Er liess die Weisen zu sich kommen von denen ihr durch mich vernommen,
Die fing er heimlich an zu fragen und ohne andern es zu sagen
Und forschte dann mit Emsigkeit nach dieses Sternes Ankunftszeit
Und bat sie selber zu ergründen, wo wohl das Kindlein sei zu finden:
45“Vergesst nicht, mir zu offenbaren den Weg, den dieser Stern wird fahren,
Und reiset dann an jenen Ort und fraget nach dem Kindlein dort.
Wenn ihr dort angekommen seid, dann forscht nach ihm mit Emsigkeit
20Und tut es schleunig mir zu wissen, der Arbeit seid nur recht beflissen;
Ich bete ihn dann selber an, dazu riet mir gar mancher Mann,
50Auf dass ich selber danach strebe, dass ich dem Kind Geschenke gebe.”
Wie kläglich jener Mann da log und gegen Recht und Wahrheit trog!
Er wünschte, dass der Heiland stürbe, dass unser Segen so verdürbe!
Als sie gehört des Königs Wort und nach dem Ziele eilten fort,
Da zeigte ihnen sich von fern sogleich der wunderbare Stern!
55Wie waren sie da hochentzückt, als sie ihn alsobald erblickt!
Erfreut versäumten sie es nicht, ihn zu behalten im Gesicht,
Er führte sie auch dorthin klar, wo Gottes Kind zu finden war.
Und da, wo ging des Sternes Bogen, sind sie ihm willig nachgezogen;
Da haben sie das Haus gesehn und nicht gezögert hinzugehn.
60Da fanden sie denn auch geschwind die Mutter mit dem guten Kind
Und fielen eilig vor ihm nieder, die guten Männer, treu und bieder;
Sie beteten das Kindlein an und baten es um Gnade dann.
I, 18, lines 1-34: Symbolical meaning of the return of the Magi.
Daran ermahnt uns diese Reise, dass auch wir selbst in gleicher Weise
Mit Eifer dafür Sorge tragen, das Land der Heimat zu erfragen.
Doch ist dies, glaub’ ich, nicht bekannt: das Paradies wird es genannt.
Hoch rühmen ich es kann und muss, doch fehlet mir der Rede Fluss.
5Und wenn auch jedes meiner Glieder Rede und Sprache gäbe wieder,
So hätt’ ich’s niemals unternommen, mit seinem Lob zu End’ zu kommen.
Doch siehst du’s nicht mit eignen Augen, was können meine Worte taugen?
Und selbst dann wird sehr viel dran fehlen, dass du es könntest her erzählen.
Dort gibt es Leben ohne Tod, Licht ohne Finsternis und Not,
21 10Dazu der Engel schöne Schar und sel’ge Minne immerdar.
Das haben selbst wir aufgegeben, des müssen wir in Trauer leben,
Und innen muss uns heimatwärts sich klagend sehnen unser Herz.
Sind wir doch selbst herausgegangen, in unserm Übermut befangen,
Denn uns verlockte leis’ und stille des Herzens eigner böser Wille.
15Wir haben Schuld auf uns geladen, das ist jetzt klar zu unserm Schaden.
Nun weinen wir im fremden Land, von Gott verstossen und verbannt.
Ja, unbenutzt liegt und verloren das Erbgut, das für uns erkoren.
Nichts nützt uns dieses grosse Gut, das macht nur unser Übermut.
So wird denn, ach! von uns entbehrt das Schöne, das uns war beschert,
20Wir müssen bittre Zeiten dulden von nun an nur durch unsre Schulden.
Viel Leid ist uns und Not bekannt mit Schmerzen hier in diesem Land,
Voll Wunden sind wir und voll Pein um unsre Missetat allein,
Viel Elend und Mühseligkeit, das ist hier stets für uns bereit.
Zur Heimat können wir nicht reisen, wir jammervollen, armen Waisen.
25O weh, du fremdes Schreckensland, wie hab’ ich dich als hart erkannt!
Ach, wie so schwer ertrag’ ich dich, das sage ich dir sicherlich!
Nur Müh’ und Not wird dem gegeben, der nicht kann in der Heimat leben.
Ich hab’s erfahren ja an mir, nichts Liebes fand ich je an dir.
Ich fand an dir kein ander Gut als Jammer und betrübten Mut,
30Ein tief verwundet, wehes Herz und mannigfaches Leid und Schmerz!
Doch kommt uns einmal in den Sinn, dass uns verlangt zur Heimat hin,
Und hat sich unser Herz gewandt voll Sehnsucht nach dem Vaterland,
Dann fahren wir, wie jene Mannen, auf andrer Strasse gleich von dannen,
Auf dem Weg, welcher führt allein in unser Vaterland hinein.
1. ‘Crystals,’ or perhaps ‘iron ore.’
2. They had assumed that the promised king would be born in Jerusalem instead of Bethlehem.
VIII. THE LAY OF LUDWIG
A riming (assonating) song in the dialect of the Rhenish Franks, composed in glorification of a victory won by Ludwig III over the Normans at Saucourt (between Abbeville and Eu). The battle was fought Aug. 3, 881, and the song must have originated soon afterwards; for it speaks of the king as living, and he died in 882. The translation is a literal line-for-line version, the rimes and assonances being disregarded.
Einen König weiss ich, er heisst Herr Ludwig,
Er dient Gott gerne; ich weiss, er lohnt es ihm.
Als Kind ward er vaterlos; dafür ward ihm bald Ersatz:
Der Herr berief ihn, sein Erzieher ward er.
5Er gab ihm Tüchtigkeit, herrliche Degenschaft,
Den Thron hier in Franken; so brauch’ er ihn lange!
Das teilte er dann sofort mit Karlmann,
Seinem Bruder, die Fülle der Wonnen.
Als das alles geendet ward, wollte Gott ihn prüfen,
10Ob er Mühsal so jung dulden könnte.
Er liess heidnische Männer über See kommen,
Das Volk der Franken ihrer Sünden zu mahnen.
Einige würden bald verloren, einige erkoren.
Züchtigung duldete, wer früher misgelebet.
15Wer dann ein Dieb war, und von dannen sich rettete,
Nahm seine Fasten; danach ward er ein guter Mann.
Mancher war Lügner, mancher Raubmörder,
Mancher voll Zuchtlosigkeit, und er befreite sich davon.
Der König war entfernt, das Reich ganz zerrüttet,
20Christus war erzürnt: leider, des entgalt es.1
Doch Gott erbarmte sich dessen, er wusste all die Not.
Er hiess Ludwig sofort dahin reiten:
“Ludwig, mein König, hilf meinen Leuten!
Die Normannen haben sie hart bedrängt.”
25Da sprach Ludwig: “Herr, so tue ich,
Wenn mich der Tod nicht hindert, alles, was du gebietest.”
Da nahm er Gottes Urlaub, er hob die Kriegsfahne auf,
23Er ritt dahin in Frankreich gegen die Normannen.
Gott sagten Dank, die seiner harrten,
30Sie sagten alle: “Mein Herr, wie lange harren wir dein!”
Da sprach laut Ludwig der gute:
“Tröstet euch, Gesellen, meine Notgefährten,
Her sandte mich Gott und mir selber gebot,
Ob es euch Rat dünkte, dass ich hier föchte,
35Mich selber nicht schonte, bis ich euch rettete.
Nun will ich, dass mir folgen alle Gottes Holden.
Beschert ist das Hiersein, so lange Christus will.
Will er unsere Hinfahrt, deren hat er Gewalt.
Wer hier mit Kraft Gottes Willen tut,
40Kommt er gesund davon, ich lohne es ihm;
Bleibt er darin, seinem Geschlechte.”
Da nahm er Schild und Speer, kraftvoll ritt er,
Er wollte die Wahrheit darlegen seinen Widersachern;
Da war es nicht sehr lang, er fand die Normannen,
45Gott sagte er Lob, er sieht, dessen er begehrte.
Der König ritt kühn, sang ein heilig Lied,
Und alle sangen zusammen: “Kyrie eleison!”2
Der Sang war gesungen, der Kampf war begonnen.
Blut schien auf den Wangen, froh kämpften da die Franken,
50Da focht der Degen jeglicher, keiner so wie Ludwig,
Hurtig und kühn; das war ihm angeboren.
Manchen durchschlug er, manchen durchstach er.
Er schenkte zu Handen seinen Feinden
Bitteres Trankes; so weh ihnen stets des Lebens!
55Gelobt sei Gottes Kraft! Ludwig ward sieghaft.
Und allen Heiligen Dank! Sein ward der Siegkampf.
Heil aber Ludwig, König kampfselig!
So bereit wie er stets war, wo irgend des Not war,
Erhalte ihn der Herr bei seiner Herrlichkeit!
IX. WALTHARIUS MANU FORTIS
A Latin poem in Vergilian hexameters, composed about 930 by Ekkehard, a pupil in the monastic school at St. Gall, and afterwards revised by another monk of the same name. It is based on a lost German poem and preserves, with but little admixture of Christian and Latin elements, a highly interesting saga of the Hunnish-Burgundian cycle. The selections are from the translation by H. Althof, in the Sammlung Göschen.
Lines 215-286: Walter and Hildegund plot to escape from Etzel’s court.
215Siehe, da eilte herab von der Burg des Palastes Gesinde,
Freute sich sehr, ihn wiederzusehn, und hielt ihm das Streitross,
Bis der preisliche Held dem hohen Sattel entstiegen,
Richtet die Frage an ihn,1 ob günstig die Sache verlaufen.
Wenig erzählte er nur, denn müde war er, und trat dann
220Ein in die Burg und eilte darauf zum Gemache des Königs.
Aber er fand auf dem Wege die einsam sitzende Hildgund
Und er sagte zu ihr nach süssem Kuss und Umarmung:
“Bringe mir schnell zu trinken, denn müde bin ich und durstig.”
Eilig füllte mit Wein sie drauf den köstlichen Becher,
225Reichte dem Helden ihn dar, der fromm ihn bekreuzte und annahm
Und mit der Hand darauf die Rechte der Jungfrau umfasste.
Schweigend stand sie dabei und sah dem Manne ins Antlitz.
Und es reichte ihr Walter sodann das geleerte Gefäss hin;
Wohl war beiden bekannt, dass einst sie verlobt mit einander.
230Und er sprach zu der teueren Maid mit folgenden Worten:
“Lange erdulden zusammen wir schon das Los der Verbannung
Und sind dessen bewusst, was einstmals unsere Eltern
Über unser zukünft’ges Geschick mit einander bestimmten.
Was verhehlen wir dies so lange mit schweigendem Munde?”
235Aber die Maid, die wähnte, es rede im Scherz der Verlobte,
Schwieg ein Weilchen und sagte darauf als Erwiderung dieses:
“Warum heuchelt die Zunge, was tief in der Brust du verdammest,
25Und überredet der Mund zu dem, was im Herzen du abweist?
Gleich als wäre es Schmach, dir solche Verlobte zu freien!”
240Drauf antwortete ihr der verständige Jüngling und sagte:
“Fern sei, was du geredet! O wolle nicht falsch mich verstehen!
Kund ist dir, dass ich nie mit verstelltem Herzen gesprochen;
Glaube mir nur, es steckt nicht Trug noch Falsches dahinter.
Niemand ist in der Näh’, wir sind hier beide alleine.
245Wenn ich wüsste, du wärst mir geneigt mit ergebenem Herzen,
Und du würdest verschweigen die klug ersonnenen Pläne,
Wollte ich dir entdecken ein jedes Geheimnis des Herzens.”
Da nun begann das Mädchen, die Kniee des Jünglings umfassend:
“Alles, wozu du mich rufst, will ich gern, mein Gebieter, erfüllen
250Und will nichts in der Welt vorziehn den wilkommnen Befehlen.”
Jener darauf: “Mit Verdruss ertrage ich unsre Verbannung
Und gedenke gar oft der verlassenen Marken der Heimat.
Drum begehre ich, bald zu heimlicher Flucht mich zu rüsten.
Lange zuvor schon wäre dazu ich imstande gewesen,
255Doch es schmerzte mich tief, dass allein Hildgunde zurückblieb.”
Also redete drauf aus innerstem Herzen das Mägdlein:
“Was du begehrst, will ich, das ist mein einzig Verlangen.
Drum befiehl nur, o Herr; ob Glück uns werde, ob Unglück,
Gerne bin ich bereit, es dir zu Liebe zu tragen.”
260Walter raunte der Maid in das Ohr nun folgende Worte:
“Siehe, es trug der Herrscher dir auf, der Schätze zu hüten;
Drum behalte es wohl und merke es dir, was ich sage:
Nimm vor allem den Helm und das Eisengewand des Gebieters,
Aus drei Drähten gewirkt, mit dem Zeichen der Schmiede versehen,
265Wähle auch zwei von den Schreinen dir aus von mässigem Umfang,
Fülle in diese sodann so viel der pannonischen2 Spangen,
Dass du einen zur Not bis zum Busen zu heben vermögest.
Dann verfertige mir noch vier Paar Schuhe, wie bräuchlich,
Dir die nämliche Zahl und lege sie auch in die Truhen,
270Und so werden dieselben vielleicht bis zum Rande gefüllt sein.
Heimlich bestelle dir auch bei Schmieden gebogene Angeln:
Fische müssen uns Zehrung sein auf dem Wege und Vögel;
26Vogelsteller und Fischer zu sein, bin ich selber genötigt.
Alles dieses besorge du klug im Verlaufe der Woche.
275Nunmehr hast du gehört, was uns auf der Reise vonnöten.
Jetzt verkünde ich dir, wie die Flucht wir mögen bereiten:
Wenn zum siebenten Mal den Kreislauf Phöbus vollendet,
Werd’ ich dem König, der Königin auch und den Fürsten und Dienern
Rüsten ein fröhliches Mal mit aussergewöhnlichem Aufwand
280Und mich mit Eifer bemühn, durch Getränk sie in Schlaf zu versenken,
Bis nicht einer imstande zu merken, was ferner noch vorgeht.
Du magst aber indes nur mässig des Weines geniessen,
Und nur eben bei Tische den Durst zu vertreiben bestrebt sein.
Stehen die anderen auf,3 so eile zum Werk, dem bewussten.
285Aber sobald des Trankes Gewalt dann alle bezwungen,
Eilen wir beide zugleich, die westlichen Lande zu suchen.”
Lines 315-357: The escape.
315Glühender Rausch führt bald in der ganzen Halle die Herrschaft,
Und es stammelt das breite Geschwätz mit triefendem Munde;
Stämmige Recken konnte man schaun auf wankenden Füssen.
Also verlängert bis spät in die Nacht das Opfer des Bacchus
Walter und zieht zurück, die nach Hause zu gehen begehren,
320Bis, von der Macht des Trankes besiegt und vom Schlafe bezwungen,
In den Gängen zerstreut, sie alle zu Boden gesunken.
Hätte er preisgegeben das Haus den verzehrenden Flammen,
Wäre nicht einer den Brand zu entdecken imstande gewesen.
Endlich rief er das Mädchen herbei, das teure, und hiess es,
325Eilig herbeizutragen die längst bereiteten Sachen,
Selber zog aus dem Stall er hervor das beste der Rosse,
Welches er “Löwe” genannt um seiner Vorzüglichkeit willen;
Stampfend stand es und nagte voll Mut an den schäumenden Zügeln.
Als er darauf mit dem Schmuck es umhüllt in üblicher Weise,
330Hängt er die Schreine, mit Schätzen gefüllt, dem Ross an die Seiten,
Fügt auch Speisen hinzu, nicht viel für die Länge des Weges.
Und die wallenden Zügel vertraut er der Rechten der Jungfrau,
27Selber jedoch, von dem Panzer umhüllt nach der Weise der Recken,
Setzt er den Helm sich aufs Haupt, den rot umwallte der Helmbusch,
335Schnallt die goldenen Schienen sich drauf um die mächtigen Waden,
Gürtet sodann an die Linke das Schwert mit der doppelten Schneide,
An die Rechte ein zweites dazu nach pannonischer Sitte,
Welches mit einer der Seiten allein die Wunden verursacht,
Rafft sodann mit der Rechten den Speer, mit der Linken den Schildrand,
340Und entflieht dem verhassten Land, von Sorge befangen.
Aber es führte das Ross, beladen mit Schätzen, die Jungfrau,
Die in den Händen zugleich die haselne Gerte dahertrug,
Der sich der Fischer bedient, die Angel ins Wasser zu tauchen,
Dass der Fisch voll Gier nach dem Köder den Haken verschlinge;
345Denn der gewaltige Held war selbst mit gewichtigen Waffen
Rings beschwert und zu jeglicher Zeit des Kampfes gewärtig.
Alle Nächte verfolgten den Weg sie in Eile; doch zeigte
Frühe den Ländern das Licht der rötlich erstrahlende Phöbus,
Suchten sie sich zu verbergen im Wald und erstrebten das Dunkel,
350Und es jagte sie Furcht sogar durch die sicheren Orte.
Und es pochte die Angst so sehr in dem Busen der Jungfrau,
Dass sie bei jedem Gesäusel der Luft und des Windes erbebte,
Dass sie vor Vögeln erschrak und dem Knarren bewegten Gezweiges.
Hass der Verbannung erfüllte ihr Herz und Liebe zur Heimat.
355Dörfern wichen sie aus und mieden das weite Gefilde;
Folgend auf dichtbewachs’nem Gebirg dem gewundenen Umweg,
Irren mit zagendem Fuss sie durch pfadelose Gebiete.
Lines 1285-1395: The great fight at the Wasgenstein.4
1285Als sich massen die drei um die zweite5 Stunde des Tages,
Wandten sich gegen den einen zugleich die Waffen der beiden.
Hagen bricht den Frieden zuerst; er sammelt die Kräfte
Und versendet alsbald die verderbliche Lanze, doch diese,
28Wie sie in sausendem Wirbel entsetzenerregend heranschwirrt,
1290Lenkt jetzt Alphars6 Sprosse, der nimmer sie weiss zu ertragen,
Klug beiseit mit der Decke des seitwärts gehaltenen Schildes,
Denn wie den Schild sie berührt, da gleitet sie ab wie von glattem
Marmel, und schwer verletzt sie den Berg, denn bis zu den Nägeln
Bohrt sie sich ein in die Erde. Dann warf mit kühnlichem Herzen
1295Aber mit mässiger Kraft die eschene Lanze der stolze
Gunter. Sie flog und sass in dem untersten Teile von Walters
Schilde, und wie er alsbald ihn schüttelt, da fiel aus des Holzes
Wunde zur Erde herab das Eisen, das wenig vermochte.
Ob des Zeichens betrübt, ergreifen das Schwert die bestürzten
1300Franken; in Zorn verwandelt der Schmerz sich, sie stürmen voll Eifer,
Von den Schilden gedeckt, auf den aquitanischen Helden.
Dieser jedoch vertrieb sie entschlossen mit wuchtiger Lanze
Und erschreckte den stürmenden Feind durch Mienen und Waffen.
Gunter, der König, ersann deswegen ein törichtes Wagnis:
1305Seinen Speer, der vergebens versandt und zur Erde gefallen—
Denn er lag, aus dem Schilde geschüttelt, zu Füssen des Helden,—
Leise heran sich schleichend, in heimlicher Weise zu holen,
Da ja die Kämpfer, versehn mit kürzeren Waffen, mit Schwertern,
Nicht bis nah an den Feind heranzugelangen vermochten;
1310Denn der schwang zum Stosse die vorgehaltene Lanze.
Darum hiess er durch Augenwink den Vasallen vorangehn,
Dass er, von ihm verteidigt, das Werk zu vollbringen vermöge.
Ohne Verzug geht Hagen voran, den Gegner zu reizen,
Während der Fürst in der Scheide das edelsteinblitzende Schwert birgt
1315Und die Rechte befreit, um sicher den Streich zu vollführen.
Doch was weiter? Er langte gebückt mit der Hand nach der Lanze
Und schon fasste er sie und zerrte sie heimlich und mählich,
Allzuviel verlangend vom Glück. Doch der herrliche Recke,
Wie er ja stets in dem Kampf der Vorsicht weise gedachte
1320Und behutsam verfuhr (ein Augenblickchen versah er!),
Wurde gewahr, wie jener sich bückt, und merkte das Treiben.
Aber er duldet es nicht, denn schnell vertreibt er den Hagen,
29Welcher zurück sich zieht vor der hoch erhobenen Waffe,
Springt dann hinzu und presst mit dem Fuss die entrissene Lanze,
1325Und dem König, ertappt bei dem Raub, schreit so er entgegen,
Dass dem wanken die Kniee, als wär’ er durchbohrt von dem Speere.
Und er hätte ihn flugs zum hungrigen Orkus gesendet,
Wäre nicht schnell zur Hilfe geeilt der waffengewalt’ge
Hagen, den Herrn mit dem Schild beschützend und wider des Gegners
1330Haupt die entblösste Schärfe des schrecklichen Schwertes erhebend.
Während Walter dem Hieb ausweicht, erhebt sich der andre;
Kaum entronnen dem Tod, steht dort er betroffen und zitternd.
Doch nicht Rast noch Verzug; es erneut sich die bittere Fehde.
Bald bestürmen den Mann sie vereinzelt, bald in Gemeinschaft,
1335Und indes er voll Eifer zum einen sich wendet, der anstürmt,
Springt der andere ihm in die Quere, die Streiche vereitelnd.
So steht, wenn man ihn hetzt, der numidische Bär, von den Hunden
Rings im Kreise umstellt, mit drohend erhobenen Pranken,
Duckt mit Gebrumme das Haupt und zwingt die umbrische Meute,
1340Wenn sie sich naht, zu klagen und winseln in seiner Umarmung;
Dann umbellen ihn rings aus der Nähe die wilden Molosser,7
Und es schreckt sie die Furcht, zu nahen dem grausigen Untier.
Also wogte der Kampf bis zur neunten Stunde des Tages.
Dreifach war die Not, die sie alle zusammen erlitten:
1345Furcht vor dem Tode, Beschwerde des Kampfs und glühende Sonne.
Aber indessen beschlich ein Gedanke die Seele des Helden,
Welcher im schweigenden Busen jedoch die Worte zurückhielt:
Zeigt nicht andere Wege das Glück, so werden die Gegner
Mich, den Ermüdeten, noch durch eitele Listen berücken.
1350Also sprach er daher mit erhobener Stimme zu Hagen:
“Hagedorn,8 grün zwar stehst du im Laub und vermöchtest zu stechen,
Doch du versuchst mich zu täuschen voll List mit possierlichen Sprüngen.
Aber ich gebe dir Raum, dass du näher zu kommen nicht zauderst,
Und dann zeig’ die gewaltige Kraft, die so wohl mir bekannt ist;
30 1355Mich verdriesst’s, so gewalt’ge Beschwer vergeblich zu tragen.”
Sprach’s und im Sprunge sich hebend, entsandt’ er auf jenen die Lanze,
Welche den Schild durchschlägt, ein wenig vom Panzer mit fortreisst,
Doch den gewaltigen Leib des Gegners nur mässig verwundet,
1360Denn er strahlte, bewehrt mit auserlesenen Waffen.
Doch als Walter, der Held, die Lanze versendet, da stürmt er
Mit dem gezogenen Schwerte in ungestümerem Andrang
Los auf den König, und als er den Schild ihm zur Seite gedrängt hat,
Trifft er also gewaltig und staunenerregend den Gegner,
Dass er das ganze Bein mit dem Knie bis zum Schenkel ihm abschlägt;
1365Über den Schildrand stürzt er alsbald zu den Füssen ihm nieder.
Da erblasst der entsetzte Vasall bei dem Fall des Gebieters.
Alphars Sprosse erhebt nun aufs neue die blutige Klinge
Und begehrt, dem Gefall’nen die tödliche Wunde zu spenden.
Hagen, der Recke, jedoch, des eignen Schmerzes vergessend,
1370Beugt schnell nieder das Haupt und hält es dem Hiebe entgegen,
Und es vermag der Held die geschwungene Faust nicht zu hemmen.
Aber der Helm, geschmiedet mit Fleiss und trefflich bereitet,
Trotzt dem Hieb, und es sprühen alsbald in die Höhe die Funken.
Über die Härte betroffen, zerspringt, o Jammer! die Klinge,
1375Und in der Luft und im Grase erglänzen die klirrenden Teile.
Aber sobald der Krieger die Stücke des Schwertes erblickte,
Zürnte er sehr und tobte in allzugewaltigem Zorne,
Schleudert, seiner nicht Herr, das Heft, dem entfallen die Klinge,
War es auch ausgezeichnet durch Gold und künstliche Arbeit,
1380Weit in die Ferne sogleich, die traurigen Trümmer verachtend.
Doch indes er gerade die Hand so weit in die Luft streckt,
Schlägt sie Hagen vom Arm, des gelegenen Hiebes sich freuend.
Mitten im Wurf fiel jetzt zu Boden die tapfere Rechte,
Welche dereinst gefürchtet von vielen Völkern und Fürsten
1385Und vordem erglänzte durch ungezählte Trophäen.
Aber der herrliche Held, der Weichen im Unglück nicht kannte,
Wusste mit starkem Mute die Schmerzen des Fleisches zu tragen
Und verzweifelte nicht, und keine Miene verzog er,
Schob den verstümmelten Arm sogleich hinein in den Schildrand,
31 1390Griff mit dem unverletzten sodann alsbald zu dem Halbschwert,
Das er, wie ich erwähnt, sich rechts an die Seite gegürtet,
Bittere Rache sogleich an dem grimmigen Feinde zu üben.
Hagens rechtes Auge zerstört sein Hieb, und die Schläfe
Schneidet er auf und zugleich die beiden Lippen zerspaltend,
1395Schmettert er zweimal drei der Zähne dem Feind aus dem Munde.
Lines 1421-1456: Having perforce made peace and had their wounds dressed by Hildegund, Walter and Hagen banter each other.
Hagen, der dornige, drauf und der aquitanische Recke,
Unbesieglich an Mut, doch am ganzen Leibe ermattet,
Scherzten nach manchem Getöse des Kampfs und entsetzlichen Schlägen
Mit einander in lustigem Streit bei dem Becher. Der Franke
1425Sagte zuerst: “Mein Freund, fortan wirst Hirsche du jagen,
Handschuh’ dir aus den Fellen in grosser Zahl zu gewinnen.
Fülle, das rate ich dir, den rechten mit feinem Gewölle,
Dass mit dem Bilde der Hand du Fremde zu täuschen vermögest.
Weh, was sagst du dazu, dass die Sitte des Volks du verletzest,
1430Dass man sieht, wie das Schwert du rechts an der Hüfte befestigst,
Und dein Ehegespons, wird einstens der Wunsch dich beschleichen,
Mit der Linken, wie nett! umfängst in verkehrter Umarmung?
Doch was rede ich mehr? Was immer du künftig auch tun musst,
Wird die Linke verrichten.” Darauf entgegnete Walter:
1435“Dass du so vorlaut bist, das wundert mich, scheeler Sigambrer!9
Jage ich Hirsche, so musst den Eberbraten du meiden,
Blinzelnd wirst du hinfort auf deine Bedienten herabschaun
Und mit querem Blicke die Schar der Helden begrüssen.
Aber der alten Treue gedenk, will dies ich dir raten:
1440Wenn nach Hause du kommst, und dem heimischen Herde genaht bist,
Mache dir Brei aus Mehl und Milch und vergiss auch den Speck nicht;
Das vermag dir zugleich zur Nahrung und Heilung zu dienen.”
Also sprachen sie. Drauf erneuten sie wieder das Bündnis,
32Hoben beide zugleich den König, den Schmerzen verzehrten,
1445Auf sein Ross; dann trennten sie sich: es zogen die Franken
Wieder gen Worms, und es eilte der Aquitaner zur Heimat.
Freudig ward er allda mit grossen Ehren empfangen,
Feierte, wie es der Brauch, mit Hildgund festliche Hochzeit
Und regierte, nachdem sein Erzeuger von hinnen geschieden,
1450Allen teuer, das Volk noch dreissig glückliche Jahre.
Welche Kriege er ferner geführt und Triumphe gefeiert,
Das kann nimmer der Griffel, der stumpf mir geworden, beschreiben.
Der du dies liest, verzeihe der zirpenden Grille, erwäge
Nicht, wie rauh die Stimme noch ist, bedenke das Alter,
1455Da sie, noch nicht entflogen dem Nest, das Hohe erstrebte.
Dies ist das Walterslied.— Euch möge der Heiland behüten!
1. Walter of Aquitaine, who is returning from a battle in which he has put down a rebellion for King Etzel. Walter and Hildegund have lived since childhood as hostages at Etzel’s court.
2. Ekkehard conceives the Huns as a tribe of Pannonia.
3. The ‘rising’ of the men would be the signal for the women to retire that the drinking-bout might begin.
4. A rocky pass in the Vosges Mountains. On his westward flight Walter is attacked by the Burgundians, whom Ekkehard identifies with the Franks. He slays eleven famous champions in succession and then fights King Gunter and Hagen together.
5. 8 A.M.
6. Walter is the son of Alp-har (from Alp, elf, and hari, army).
7. The medieval canis molossus was a mastiff or bull-dog.
8. A pun on Hagen’s name, which means ‘thorn-bush.’
9. ‘Sigambrian’ or ‘Sicambrian’ was a name applied by the learned to the Franks.
X. RUDLIEB
A Latin poem in leonine hexameters, composed about 1030 at Tegernsee, Bavaria. It is imperfectly preserved, but more than 2000 verses are extant, and these give interesting pictures of contemporary German life. It is a metrical novel with a knight for hero. The selection is from M. Heyne’s Rudlieb, 1897,—a translation in iambic pentameter.
From the 14th fragment: The wedding of Rudlieb’s nephew.
Am Tag der Hochzeit
Erscheint das Fräulein, ihre Anverwandten
Umgeben sie. Nun nahen auch die andern,
Bald ist der Hof von Gästen ganz gefüllt,
5Begrüsst von Rudlieb mit dem Wilkommskuss.
Ein Mahl erwartet sie; als es geendet,
Begeben sich zunächst in ihre Zimmer
Die Damen mit dem Fräulein; ein’ge Ritter
Begleiten sie und tragen ihnen Kissen.
10Zum Dank wird ihnen Wein gereicht. Der erste
Ergreift den Becher, trinkt und gibt ihn weiter,
Und so die Reihe um, bis dass ihn leer
Der Schenk zurückempfängt. Sie grüssen neigend
33Und gehn zurück zu Rudlieb und den Herren.
15Nun spricht der Ritter: “Weil euch Gott allhier
Versammelt hat, so hört mich an und helft,
Dass unter schon Verlobten eine Ehe
Geschlossen werde. Das soll heut geschehen,
Ihr aber seid bei dieser Handlung Zeugen.
20Es hat sich so gefügt, dass dieser Jüngling,
Mein Neffe, und das Fräulein gegenseitig
In Liebe kamen, als sie Würfel spielten;1
Sie wollen nun das Ehebündnis schliessen.”
Die Herren sagen: “Alle müssen wir
25Dazu verhelfen, dass der junge Mann,
Der so vortrefflich sonst, nicht Schande leide
Und ganz der Buhlerin1 entrissen werde,
Die da verdient, den Feuertod zu leiden,
Und preisen Gott, dass in der Welt doch Eine
30Sich fand, die jener Hexe Macht zerbrach.”
Da steht der Jüngling auf, sagt allen Dank
Für ihre Güte und bekennt in Reue,
Wie sehr sein früh’res Leben ihn geschändet:
“Ihr seht, wie nötig eine Frau mir ist;
35Und hätten wir auch eine hier gefunden,
So will ich dennoch mich mit diesem Fräulein,
Verloben und verbinden; meine Bitte
Ergeht an euch, uns Zeugen jetzt zu sein,
Wenn wir, wie es der Brauch ist, Ehgeschenke,
40Uns geben.” “Alle tun hierin dir Beistand,”
Erwidern jene. Und nun sendet Rudlieb
Nach den drei Frauen, die alsbald erscheinen;
Das Fräulein geht voran, gesenkten Hauptes;
Von seinem Sitz erhebt sich jeder höflich.
34 45Nach kurzer Zeit, als alle Platz genommen,
Steht Rudlieb auf und bittet sich Gehör:
Den Freunden und den Stammgenossen kündet
Er das geschloss’ne Bündnis und die Liebe,
Die eins zum andern hat und fragt den Jüngling,
50Ob er zur Frau sie wolle. Der bejaht.
Nun fragt man sie, ob sie zum Mann ihn wolle.
Sie lächelt: “Soll ich den zum Manne nehmen,
Den ich im Spiel als Sklaven mir gewann,
Den mir der Würfel brachte, der versprach
55Allein mir zu gehören, ob er siege,
Ob er verliere? Mög’ er treu mir dienen
Zu jeder Zeit, in jedem Augenblick!
Je treuer, desto lieber ist er mir.”
Da lachen alle zu des Fräuleins Worten,
60Die so behutsam sind und doch so freundlich.
Und da sie sehen, dass auch die Mutter nicht
Zuwider ist, und dass sich beider Gut
Die Wage hält, so kommt man überein,
Als Gattin ihm das Fräulein zu gewähren.
65Der Bräutigam zieht Schwert und wischt’s am Hute
Steckt an das Heft den goldnen Ehering
Und beut ihn so zur Braut, indem er spricht:
“Wie dieser Ring den Finger rund umschliesst,
Verpflicht’ ich dich zu ewig fester Treue,
70Die du mir hältst bei Strafe deines Lebens.”
Doch sie versetzt sehr klug und angemessen:
“Ein gleiches Recht für beide. Warum soll ich
Dir bessre Treue wahren als du mir?
Sag’, hätte es wohl Adam zugestanden,
75Der Eva ungetreu zu sein, da Gott doch
Aus seiner Rippe Eine Eva schuf
Und Adam das verkündete? Liest man,
Dass ihm zwei Even sind erlaubt gewesen?
Du wolltest buhlen und verbeutst das mir?
80Nein, es fällt mir nicht bei, auf solchen Pakt
35Mich zu verpflichten, geh mir immer hin
Und buhl’, um wen du willst, doch ohne mich.
Es gibt noch manchen, den ich freien kann.”
So sprechend weist sie Schwert und Ring zurück.
85Der Jüngling spricht: “Geliebte, wie du willst,
Geschehe es. Vergehe ich mich jemals,
Will ich das, was ich in die Ehe bringe,
An dich verlieren, und du darfst mich töten.”
Sie lächelt hold, sich wieder zu ihm wendend:
90“Auf das hin schliessen wir die Eh’ in Treuen.”
Dann küsst er sie, indem er “Amen” ruft.
1. As Rudlieb is returning to his mother after a long absence he falls in with a nephew who has gone wrong and been ‘bewitched’ by a lewd woman. Rudlieb rescues him and the two seek shelter for the night at the house of a rich widow with an only daughter. The young man and the girl play dice together and fall in love with each other. The subsequent wedding takes place at the house of Rudlieb’s mother.
XI. EZZO’S LAY OF THE MIRACLES OF CHRIST
A Leich (strophic poem with varying number of verses to the strophe), written, it would seem, in 1064. The dialect is Alemannic. Ezzo was dean of the Bamberg cathedral. The introduction states that Bishop Gunter ordered his clergy to ‘make a good song’; that ‘Ezzo began to write, will found the way (i.e. the meter), and when it was done, all hastened to become monks.’ The poem consists of 420 short lines in riming (assonating) couplets.
Lines 193-262: The life and death of Christ.Antiquus dierum, Er wuchs mit den Jahren: 195Der je über der Zeit war, Vermehrte täglich seinen Wuchs; So gedieh das edle Kind, Gottes Geist war in ihm. Als er dreissig Jahr alt war, 200Von dem all diese Welt genas, Da kam er zum Jordan; Getauft ward er da, Er wusch ab unsre Schuld, Er selbst hat keine. 205Den alten Namen legten wir da ab; Von der Taufe wurden wir Gottes Kinder. Sodann nach der Taufe Zeigte sich die Gottheit. Dies war das erste Zeichen: 210Aus dem Wasser macht’ er Wein. Dreien Toten gab er das Leben, Von dem Blute heilt’ er ein Weib, Die Krummen und die Lahmen, Die machte er gerade. 215Den Blinden gab er das Licht, Für keine Belohnung sorgte er. Er erlöste manchen Besessenen, Den Teufel hiess er von dannen fahren. Mit fünf Broten speiste er 220Fünftausend und mehr, 36Dass sie alle genug hatten; Zwölf Körbe trug man davon. Zu Fuss ging er über den Fluss, Zu den Winden rief er “ruhet.” 225Die gebundenen Zungen, Die löste er den Stummen. Ein wahrer Gottes Born, Die heissen Fieber löschte er. Krankheit floh von ihm, 230Den Siechen hiess er aufstehn. Mit seinem Bette fortgehn. Er war Mensch und Gott; Also süss ist sein Gebot. Er lehrt’ uns Demut und Sitte, 235Treue und Wahrheit dazu, Dass wir uns treu benähmen, Unsre Not ihm klagten; Das lehrt’ uns der Gottessohn Mit Worten und mit Werken. 240Mit uns wandelte er Dreiunddreissig Jahr Undeinhalb, unsrer Not wegen. Sehr gross ist seine Gewalt. Seine Worte waren uns das Leben; 245Für uns starb er seitdem, Er ward nach eignem Willen An das Kreuz gehangen. Da hielten seine Hände Die harten Nagelbande, 250Galle und Essig war sein Trank; Also erlöst’ uns der Heiland. Von seiner Seite floss das Blut, Von dem wir alle geheiligt. Zwischen zwei Verbrechern 255Hingen sie den Sohn Gottes. Von Holz1 entstand der Tod, Von Holz fiel er, gottlob! Der Teufel schnappte nach dem Fleisch, Die Angel2 war die Gottheit; 260Nun ist es wohl ergangen, Daran ward er gefangen. |
XII. HEINRICH VON MELK
An Austrian nobleman of the 12th century who, after bitter experience of the world’s ways, retired to the monastery of Melk (a few miles west of Vienna), where he spent his closing years as lay brother. In his Erinnerung an den Tod, a satirical poem of 1042 short lines in riming (assonating) couplets, he inveighs against the worldly follies of the knights, and in his Priesterleben against the vices of the clergy. The poems date from about 1160.
From the ‘Remembrance of Death,’ lines 663-748: The rich youth at the grave of his father.
Reicher und edler Jüngling,
Gewahre deine ängstliche Lage
665Und geh zu deines Vaters Grab;
Nimm den Deckstein davon ab
Und schaue seine Gebeine,
Seufze und weine.
Du magst wohl sagen, wenn du willst,—
37 670Es kostet deiner Herrlichkeit nicht viel:—
“Lieber Vater und Herr,
Nun sage mir, was dich plagt.
Ich sehe dein Gebein verfaulen,
Das hat die Erde ganz zersetzt;
675Es kriechet böser Würmer voll.
Diese stinkende Höhle
Erzeigt meinem Sinne
Einen furchtbaren Geruch darinne.
Auch ist mir schwer zu Mute,
680Da du einst so schön warst,
Dass du so schnell verdorben.
Das ist eine jämmerliche Ordnung:
Was einst blühte wie die Lilie,
Das wird wie ein Kleid, das der Meltau
685Benagt und zerfrisst.
Der ist unselig, der es vergisst.”
So hättest du wohl reden können,
Wenn der Jammer dich bewegt hätte
Aus Liebe zu deinem Vater.
690Nun gedenke des Sinnes,
Wie er dir antworten würde,
Wenn es naturgemäss wäre,
Oder wenn Gott es erlaubte.
Ich will die Rede nicht lang machen;
695Ich spreche für ihn und mit ihm,
Vernimm du es mit Aufmerksamkeit:
“Ich will dir das, lieber Sohn,
Wonach du fragtest, kund tun.
Meine Sachen stehen in Unordnung;
700Von der Strafe Grimmigkeit,
Die ich täglich erleiden muss,
Kann ich mich nicht loswinden.
Ich habe Feuer und Finsternis
Zur Rechten und zur Linken,
705Oben und auch unten.
Fände jemand meine Not beschrieben,
Er hätte immer davon zu reden.
Das, lieber Sohn, habe ich zu beklagen,
Doch was bedarfst du langer Rede?
710Die Ketten der Rache Gottes
Halten mich fest gebunden;
Ich habe herben Lohn gefunden
Für alles, was ich beging
Und leider ungebüsst liess.
715Alles Mass hatte ich vergessen
Im Trinken und im Essen,
Jetzt werde ich bezwungen
Von Durst und von Hunger.
Ehemals brannte mein Fleisch
720Im Schweisse der Liederlichkeit;
Nun brennt mich der Fluch Gottes
In dem Feuer, das keiner löschen kann.
Ich leide Schmerz und Ungemach;
Weh, dass ich diese Welt je gesehen!
725Begehrlichkeit und Hoffahrt,
Die beiden haben mir verschlossen
Die Tore der inneren Hölle;
Da sind die schwarzen Pechwellen
Mit den heissen Feuerflammen.
38 730Ich höre da Zähneknirschen,
Weinen und Jammern,
Sehr klägliches Rufen
Derer, die keine Hoffnung haben,
Dass sie jemals erlöst werden
735Aus dem Abgrunde.
Ach, dass ich je so handelte,
Dass ich ihr Genoss werden musste!
Gern möchte ich es ewig büssen,
Würde die Wohltat mir zu Teil,
740Dass ich den Teufel nicht ansähe
Und sein Antlitz vermiede;
Wie sollte mich das erfreuen!
Jetzt mach’ ich meine Klage zu spät;
Doch rat’ ich dir, mein lieber Sohn,
745Dass du an mir ein Beispiel nehmest
Und der Welt nicht so nachhangest,
Dass du meine Not vergessest;
Sonst muss es dir wie mir ergehen.”
XIII. THE ARNSTEIN HYMN TO THE VIRGIN
A Marienleich dating from the end of the 12th century, during which the type was much cultivated. The manuscript, from the convent of St. Mary at Arnstein on the Lahn, contains 325 short lines in couplets (beginning and end missing), of which lines 78-261 are given below.
Hätt’ ich tausend Munde,
Ich könnte nie berichten
80In vollem Mass das Wunder,
Das von dir geschrieben ist.
Alle Zungen vermögen nicht
Zu sagen noch zu singen,
Fraue, deiner Ehren
85Noch deines Lobes volles Mass.
Der ganze Himmelshof
Singet dein Lob:
Es preisen dich die Cherubim,
Es ehren dich die Seraphim.
90All das grosse Heer
Der heiligen Engel,
Die vor Gottes Antlitz
Stehen seit dem Anfang,
Propheten und Apostel
95Und alle Gottes Heilige
Freun sich immer dein,
Königliche Jungfrau.
Wohl müssen sie dich ehren:
Du bist die Mutter ihres Herrn,
100Der da Himmel und Erde
Im Anfang werden hiess;
Der mit einem Worte
Die ganze Welt erschuf,
Dem alles ist untertan,
105Dem nichts kann widerstehn,
Dem alle Kraft weichet,
Dem nichts gleichet,
Den ehret und fürchtet
All diese Welt.
39 110Es wäre mir lang zu sagen,
Wie hehr du bist im Himmel:
Niemand hat davon Kunde
Als die Seligen, die da sind.
Des einen bin ich von dir gewiss:
115Dass, Fraue, du so geehret bist
Wegen deiner grossen Güte,
Wegen deiner Demut
Wegen deiner Reinheit,
Wegen deiner grossen Milde.
120Deshalb ruf’ ich dich an;
Fraue, nun erhöre mich;
Allerheiligstes Weib,
Vernimm mich sündiges Weib!
All mein Herze
125Fleht zu dir ernstlich,
Mir gnädig zu sein,
Bei deinem Sohne zu helfen,
Dass er in seiner Güte
Meine Missetaten
130Vergesse gänzlich
Und mir gnädig sei.
Leider, meine Schwachheit
Hat mich oft verleitet,
Dass ich durch meine Schuld
135Verwirkte seine Huld.
Fraue, das macht mir bange;
Deswegen fürchte ich,
Dass er seine Gnade
Von mir kehren werde.
140Deshalb fleh’ ich zu dir.
Nun muss es an dir liegen,
Mir, Jungfrau milde,
Zu seiner Huld zu helfen.
Hilf mir zu wahrer Reue,
145Dass ich meine Sünden
Möge beweinen
Mit innigen Tränen.
Hilf mir kräftiglich,
Dass ich die Höllenstrafe
150Nimmer erleide;
Dass ich auch vermeide
Hinfort alle Dinge,
Die wider Gottes Huld sind.
Und geruhe mich zu stärken
155In allen guten Werken,
Dass ich verbringe mein Leben
Wie die heiligen Weiber,
Die uns aller Tugenden
Ein Vorbild gegeben:
160Sara, die demütige,
Anna, die geduldige,
Esther, die milde,
Judith, die verständige,
Und die andern Frauen,
165Die in der Furcht Gottes
Sich hier so betrugen,
Dass sie Gott wohl behagten.
Auch ich nach deiner Güte,
Nach deiner Demut,
170Möchte mein Leben gestalten:
Dazu hilf mir, heiliges Weib!
In deine Hand begebe ich
Mich und all mein Leben.
Dir überlass’ ich all meine Not,
175Dass du hilfsbereit seiest,
In was für Drangsalen
Ich dich immer anrufe.
Fraue, deinen Händen
Sei mein Ende befohlen!
180Und geruhe mich zu weisen
Und mich zu erlösen
Aus der grossen Not,
Wenn der leide Tod
An mir soll scheiden
185Den Leib von der Seele.
40In jener grossen Angst
Komm du mir zum Troste!
Und hilf, dass meine Seele
Werde zu Teile
190Des lieben Gottes Engeln,
Nicht den leiden Teufeln;
Dass sie mich dahin bringen,
Wo ich soll finden
Die ewige Freude,
195Die im Himmel haben
Die hochseligen Gotteskinder,
Die dazu erwählt sind;
Dass ich dort schaue
Unsern lieben Herrn,
200Unsern Schöpfer,
Unsern Heiland,
Der uns aus nichts erschuf,
Der uns auch kaufte
Mit seines Sohnes Blut
205Von dem ewigen Tode.
Wer soll mir dazu helfen,
Wer soll mich so läutern,
Dass ich es würdig wäre?
Das sollst du, Jesus, mein Herr.
210Gib mir, Herr, deinen Geist,
Da du selbst wohl weisst
All meine Krankheit
Und all meine Unwissenheit;
Auf dass ich schauen dürfe
215Mit meinen Augen
Dein unverlöschlich Licht:
Das versage du mir nicht!
Es ist das ewige Leben,
Das ich, armes Weib,
220Mit deiner Hilfe suche:
Das lass mich, Herre, finden!
Darum sei mein Bote zu dir
Deine eigne Mutter:
O, wie selig bin ich dann,
225Nimmt sie sich meiner an!
Maria, Gottes Traute,
Maria, Trost der Armen,
Maria, stella maris,
Zuflucht des Sünders,
230Burg des Himmels,
Born des Paradieses!
Der uns die Gnad’ entfloss,
Die uns Elenden erschloss
Das rechte Vaterland;
235Nun gib uns, Fraue, deine Hand,
Weise uns den Ausweg
Aus jener grossen Tiefe:
Das ist des Teufels Gewalt.
Darein uns hat gebracht
240Eva, unsere Mutter;
Jetzt fliehen wir alle zu dir.
Wir weinen und seufzen
Zu deinen lieben Füssen.
Lass dich nun erbarmen
245Der Not, die wir Armen
In diesem engen Tale
Mannigfach erdulden!
Stella maris, bist du genannt
Nach dem Stern, der an das Land
250Das müde Schiff geleitet,
Wo es die Ruh’ erwartet.
Geleite uns an Jesum,
Deinen guten Sohn,
Der uns begnaden soll.
255In ihm sollen wir ruhen,
Er soll uns erlösen
Von allen unsern Nöten,
Von allen schweren Sünden:
Das sind des Meeres Wellen,
260Die uns nun, ach, umschwellen.
Nun hilf uns, heilige Jungfrau!
XIV. LAMPRECHT’S LAY OF ALEXANDER
A free translation, made about 1130 by a priest living in the Middle Rhine country, of a French poem by Alberic de Besançon. It consists of 7302 verses in short couplets. Except 105 verses at the beginning the French original is lost. It was itself a versification of a highly fabulous old saga current in Latin prose. As the 105 French verses correspond to 192 verses in the German, it is evident that Lamprecht did not follow Alberic slavishly and that he drew in part upon some other source, perhaps the Latin original. The selections below are from a letter which Alexander writes, toward the end of his career, to his mother Olympias and his teacher Aristotle. In this letter he recounts at length (1670 verses) the wonderful things that he has seen.
Lines 4928-5037: Alexander’s army beset by terrible beasts.
Nachdem ich Darius besiegt
Und das ganze Land Persien
4930Und auch das berühmte Indien
Mir untertan gemacht,
Hob ich mich bald von dannen
Mit meinen lieben Mannen
Nach Caspen Porten.1
4935Leid und Furcht wähnte ich
Nicht mehr zu erdulden.
Wir kamen zu einem Wasser,
Da liess ich mein Heer ausruhen;
Wir dachten den Durst zu stillen.
4940Als wir zu dem Wasser kamen
Und es in den Mund nahmen,
War es bitter wie Galle;
Unerquickt blieben wir alle.
Nun brachen wir vom Lager auf
4945Und sahen über ein Feld hin,
Wo eine schöne Stadt war,
Die war geheissen Barbaras,
Eine Meile über das Wasser.
Meine Ritter all die Weile
4950Wollten schwimmen in dem Flusse.
Da näherte sich der Schaden:
Krokodile kamen,
Die meiner Gesellen nahmen
Siebenundzwanzig,
4955Die verloren das Leben;
Ich kann es wahrhaftig sagen,
Da ich es selbst ansah,
Wie sie sie hinunter frassen;
Ich musste sie fahren lassen.
4960Da brach mein Heer auf
Nach reiflicher Überlegung
Und kam wieder zu dem Wasser,
Das früher bitter war;
Jetzt war es süss und gut,
4965Des freute sich unser Mut.
Da schlugen wir unsre Zelte
Auf dem Felde beim Flusse
Und machten ein grosses Feuer.
Die Ruhe ward uns sauer,
4970Denn aus dem Walde kamen
Manch fürchterliches Tier
42Und schreckliches Gewürme.
Mit denen mussten wir kämpfen
Beinah die ganze Nacht;
4975Durst hatte sie dahin gebracht,
Sie wollten sich im Wasser laben.
Skorpionen taten uns viel Schaden,
Die waren breit und lang
Und hatten fürchterlichen Gang,
4980Teils rote, teils auch weisse;
Sie machten uns grosse Not,
Sie erbissen uns manchen Mann.
Da kamen auch Löwen,
Die waren gross und stark.
4985Grössere Furcht war nie
Unter einem Heere;
Den Löwen mussten wir uns wehren.
Danach kam zu uns gelaufen
Manch furchtbarer Eber,
4990Grösser noch als die Löwen.
Mit den Zähnen hieben sie
Alles, was vor ihnen stand;
Dass einer von uns am Leben blieb,
Dafür Gott habe Dank!
4995Ihre Zähne waren lang,
Eine Klafter oder mehr;
Die taten uns viel weh.
Da kamen auch manche
Elefanten gegangen,
5000Um vom Fluss zu trinken;
Wir litten Ungemach.
Auch wurden wir heimgesucht
Von masslos langen Schlangen
Mit aufgerichteter Brust;
5005Wir litten grosse Unlust.
Es kamen auch Menschen,
Die gleich Teufeln waren:
Sie waren wie Affen
Unter den Augen geschaffen,
5010Sie hatten sechs Hände,
Lang waren ihre Zähne;
Hart plagten sie mein Heer.
Den Leuten mussten wir uns wehren
Mit Speeren und Geschossen;
5015Sie starben ungesättigt.
Unsre Not war mannigfach;
Da brannten wir den Wald.
Das ward deshalb getan,
Dass wir Frieden haben könnten
5020Vor den schrecklichen Tieren.
Nicht lange danach
Sah ich das grausamste Tier,
Das früher oder später
Jemand geschaut hat.
5025Das sah ich mit meinen Augen;
Schrecklicheres Tier gibt es nicht.
Es hatte Geweih wie der Hirsch,
Mit drei starken Stangen,
Die gross und lang waren.
5030Wär’ ich nicht dabei gewesen,
Es hätte das Leben verloren
Ein grosser Teil meines Heers.
Es waren sechsunddreissig derer,
Die es mit den Hörnern erschlug;
5035Es war fürchterlich genug.
Auch sag’ ich euch wahrhaftig,
Dass derer fünfzig waren,
Die es zertrat mit den Füssen.
Lines 5193-5358: The wonderful girl-flowers
Der edle herrliche Wald
War wunderbar schön;
5195Das nahmen wir alles wahr.
Hoch waren die Bäume,
Die Zweige dicht und breit;
In Wahrheit sei es gesagt,
Das war eine grosse Wonne.
5200Da konnte nie die Sonne
Bis auf die Erde scheinen.
Ich und die Meinen
Liessen unsre Rosse stehen
Und gingen stracks in den Wald,
5205Nach dem wonniglichen Gesang;
Die Zeit deuchte uns sehr lang,
Bis wir dahin kamen,
Wo wir vernahmen,
Was das Wunder sein mochte.
5210Manch schönes Mägdelein
Haben wir da gefunden,
Die da in diesen Stunden
Spielten auf dem grünen Klee.
Hunderttausend und mehr,
5215Spielten sie und sprangen;
Ei, wie schön sie sangen!
So dass wir, klein und gross,
Wegen des süssen Getöses,
Das wir im Walde hörten,
5220Ich und meine Helden kühn,
Vergassen unser Herzeleid
Und all die grosse Arbeit
Und all das Ungemach,
Und was uns Schweres geschehen war.
5225Uns allen deuchte es,
Wie es wohl mochte,
Dass wir genug hätten
Für unser ganzes Leben
An Freude und Reichtum.
5230Da vergass ich Angst und Leid,
Ich und mein Gesinde,
Und was uns von der Kindheit
Je Leides zu teil geworden
Bis auf diesen Tag.
5235Mir deuchte sofort,
Ich könnte nie krank werden,
Und könnte ich immer da sein,
Würde ich ganz genesen
Von all der Angst und Not
5240Und nicht mehr fürchten den Tod.
Wollt ihr nun recht verstehen,
Wie es war um die Frauen,
Woher sie kamen,
Und welch Ende sie nahmen,
5245Das mag euch besonders
Zum grossen Wunder gereichen.
Als der Winter zu Ende war,
Und der Sommer anfing,
Und es begann zu grünen,
5250Und die edlen Blumen
Im Walde begannen aufzugehn,
Da waren sie sehr lieblich.
Hell war ihr Blumenglanz,
In Rot und auch in Weiss
5255Erglänzten sie weithin.
Blumen hat es nie gegeben,
Die schöner sein könnten.
Sie waren, wie uns deuchte,
Ganz rund wie ein Ball
5260Und fest geschlossen überall.
Sie waren wunderbar gross;
Als die Blume sich oben erschloss,
Das merket in eurem Sinne,
So waren darinne
5265Mägdelein ganz vollkommen;
44Ich sag’ es, wie ich’s vernommen.
Sie gingen und lebten
Und hatten menschlichen Sinn
Und redeten und baten,
5270Genau als hätten sie
Ein Alter von zwölf Jahren.
Sie waren, das ist wahr,
Schön geschaffen am Leibe;
Nie sah ich an einem Weibe
5275Ein schöneres Antlitz
Noch Augen so liebsam.
Ihre Hände und ihre Arme
Waren glänzend wie Hermelin,
Auch ihre Füsse und Beine.
5280Unter ihnen war keine,
Die nicht schöner Hübschheit pflag.
Sie waren züchtig heiter
Und lachten und waren froh
Und sangen auf solche Weise,
5285Dass niemand früher oder später
Eine so süsse Stimme vernahm.
Wollt ihr es glauben,
So mussten diese Frauen
Immer im Schatten sein,
5290Sonst könnten sie nicht gedeihn;
Welche die Sonne beschien,
Blieb nicht mehr am Leben.
Das Wunder war mannigfach:
Als der Wald tönend wurde,
5295Von den süssen Stimmen,
Die darinne sangen,
Die Vögel und die Mägdelein,
Wie konnt’ es wonniglicher sein,
Früh oder spät?
5300All ihre Leibeskleidung
War fest angewachsen
An der Haut und am Körper.
Ihre Farbe war dieselbe,
Die die Blumen hatte,
5305Rot und auch weiss wie Schnee.
Als wir sie zu uns kommen sahen,
Zog uns der Leib zu ihnen.
Solch begehrenswerte Weiber
Sind der Welt unbekannt.
5310Nach meinem Heere schickte ich sofort.
Als sie zu mir kamen
Und auch vernahmen
Die herrlichen Stimmen,
Da gingen sie verständnisvoll
5315Und schlugen ihre Zelte
Im Walde, nicht auf dem Felde.
Da lagen wir nun im Schalle
Und freuten uns alle
Der seltsamen Bräute.
5320Ich und meine Leute,
Wir wollten da bleiben.
Wir nahmen sie zu Frauen
Und hatten mehr Wonne
Als wir je gewonnen
5325Seit unserer Geburt.
Weh, dass wir sobald verloren
Das grosse Vergnügen!
Dies Wunder sah ich alles
Selbst mit meinen Augen;
5330Das möget ihr glauben.
Dies währte, wie ich euch sage,
Drei Monate und zwölf Tage,
Dass ich und meine Helden kühn
In dem grünen Walde waren
5335Und auf den schönen Auen
Bei den lieben Frauen
Und Wonne mit ihnen hatten
Und mit Freude lebten.
Dann geschah uns grosses Leid,
45 5340Das ich nicht genug beklagen kann.
Als die Zeit zu Ende ging,
Da war unsere Freude vorüber,
Die Blumen verwelkten
Und die schönen Frauen starben;
5345Die Bäume verloren ihr Laub,
Die Brunnen flossen nicht mehr,
Die Vögel hörten auf zu singen.
Dann begann Unfreude
Mein Herz zu bedrücken
5350Mit mannigfachem Schmerze.
Furchtbar war das Ungemach,
Das ich alle Tage sah
An den schönen Frauen.
O weh, wie bereute ich sie,
5355Als ich sie sterben sah
Und die Blumen verblühen!
Da schied ich traurig von dannen
Mit allen meinen Mannen.
1. In Latin ad Portas Caspias, the Caspian Gates.
XV. KONRAD’S LAY OF ROLAND
A translation, made about 1130 in the dialect of the Rhenish Franks, of the famous Chanson de Roland. It consists of 9094 verses. The author, who calls himself ‘der Pfaffe Kuonrat,’ says that he translated first into Latin, then into German, adding nothing and omitting nothing; but a comparison with the French text as known to us shows many additions, many omissions and a somewhat different spirit. Kaiser Karl and his men fight for the cross, for the glory of Christian martyrdom, not for ‘sweet France.’ —The situation at the beginning of the poem is this: The Christians have conquered all Spain except Saragossa, whose king, Marsilie, sends envoys to make a treacherous proposal of surrender; the object being to induce the emperor to withdraw the greater part of his army.
Lines 675-708: Kaiser Karl.
Die Boten traten vor,
Sehr oft fielen sie nieder,
In seidenem Gewande,
Mit Palmen in der Hand.
Immer wieder aufs neue
680Fielen sie zur Erde nieder.
Sie fanden den Kaiser fürwahr
Über dem Schachbrette.
Sein Antlitz war wonniglich.
Es gefiel den Boten sehr,
685Dass sie ihn sehen durften.
Es glänzten ja seine Augen
Wie der Morgenstern.
Man erkannte ihn von weitem,
Niemand brauchte zu fragen,
690Welcher der Kaiser wäre;
Keiner war ihm ähnlich.
Sein Antlitz war herrlich.
Mit ganz geöffneten Augen
Konnten sie ihn nicht ansehn:
695Der Glanz blendete sie
Wie die Sonne zu Mittag.
Den Feinden war er schrecklich,
Den Armen war er vertraut,
46Im Unglück war er gnädig,
700Gott gegenüber war er treu.
Er war ein gerechter Richter,
Er lehrte uns die Gesetze,
Ein Engel schrieb sie ihm vor;
Er verstand alle Rechte,
705Im Kampf ein guter Knecht,
In aller Tugend ausgezeichnet.
Freigebigerer Herr ward nie geboren.
Lines 2018-2110: The traitor Genelun delivers Karl’s message to Marsilie, the Saracen king.
Der Bote sprach zu Marsilie:
“Der König aller Himmel,
2020Der uns von der Hölle erlöste
Und die Seinen tröstete,
Der gebe dir Gnade,
Dass du seinen Frieden habest,
Und rette dich vom ewigen Tode.
2025Der König von Rom entbietet dir,
Dass du Gott ehrest,
Dich zum Christentum bekehrest,
Dich taufen lassest,
An Einen Gott glaubest;
2030Davon will er Gewissheit haben.
Er lässt dir wahrlich sagen:
Empfängst du das Christengesetz,
Soll dein Land in Frieden bleiben.
Er belehnt dich mit halb Spanien,
2035Den andern Teil soll Roland haben;
Und wirst du sein Mann,
So behältst du grosse Ehre.
Der Kaiser entbietet dir ferner:
Greifst du etwa zur Gegenwehr,
2040Sucht er dich mit einem Heere auf;
Er zerstört alle deine Häuser
Und vertreibt dich daraus.
Weder auf Erden noch auf dem Meere
Magst du dich seiner erwehren.
2045Er lässt dich fangen,
Auf einem Esel führen
Vor seinen Thron zu Achen;
Da nimmt er Rache an dir:
Er lässt dir das Haupt abschlagen.
2050Das soll ich dir vom Kaiser sagen.”
Marsilie blickte umher,
Er wurde sehr bleich,
Er hatte ängstliche Gedanken,
Er konnte kaum sitzen auf der Bank,
2055Es ward ihm kalt und heiss,
Hart plagte ihn der Schweiss,
Er schüttelte den Kopf,
Er sprang hin und her.
Seinen Stab ergriff er,
2060Mit Zorn hob er ihn empor,
Nach Genelun schlug er.
Genelun mit List
Wich dem Schlage aus.
Er trat vor dem König zurück,
2065Das Schwert ergriff er,
Er blickte auf ihn zurück,
Er sagte zu dem Könige:
47“Du übst also Gewalt.”
Halb zog er das Schwert,
2070Er sprach: “Karl, meinem Herrn,
Diente ich immer mit Ehren.
In harten Volkskämpfen
Erwirkte ich mit dem Schwert,
Dass ich nie beschimpft ward.
2075Ich brachte dich mit Ehren hierher,
Ich habe dich lange geführt.
Noch niemals bin ich gefangen.
Und vollbringst du den Schlag,
So ist es dein letzter Tag;
2080Oder aber ich sende zum Tode
Irgend welchen Heiden,
Dessen Verlust du nie verschmerzest.
Ich wähne, du tobst oder rasest.
Jetzt muss ich bereuen,
2085Dass ich deinen Ungetreuen
Jemals folgte diesen Weg.
Man hat mich im Stich gelassen,
Ich stehe nun ganz allein.
Was ist aus den Eiden geworden,
2090Die sie mir schworen,
Als wir fortkamen?”
Die Fürsten sprangen auf,
Sie drangen dazwischen,
Sie verwiesen es dem König.
2095Sie sagten: “Herr, du tust übel,
Den Kaiser so zu beschimpfen.
Wenn du zu ihm sendest,
Wird deine Botschaft
Ruhmvoll zu Ende geführt.
2100Sie sprechen uns Treue ab;
Nun müssen wir bereuen,
Dass Friede je gemacht ward.
Du liessest ja seine Mannen köpfen.
Nun gebiete deinem Zorn!
2105Wir wollen gern vermitteln,
Und das noch mehr,
O Herr, wegen deiner Ehre
Als um seinetwillen.
Stille nun deinen Unmut!”
Lines 3394-3488: The preparations for the battle. (Deceived by Genelun, Kaiser Karl has returned to Germany, leaving Roland with a small force in Spain.)
Als die Helden vernahmen,
3395Dass die Heiden sich sammelten,
Baten sie ihre Priester
Sich fertig zu machen;
Diese griffen ihr Amt an.
Den Leib Gottes empfingen sie,
3400Sie fielen zum Gebet nieder,
Sie riefen zum Himmel
Viele Stunden hindurch.
Sie beschworen Gott bei den Wunden,
Wodurch er die Seinen erlöste,
3405Dass er sie tröste,
Dass er ihnen ihre Sünden vergebe
Und selbst ihr Zeuge sei.
Mit Beichte machten sie sich fertig,
Zum Tode rüsteten sie sich,
3410Und waren jedoch gute Knechte,
Zum Märtyrtum bereit
Um ihrer Seelen willen.
Sie waren Gottes Degen,
Nicht wollten sie entfliehen,
3415Sie wollten wieder gewinnen
48Unsere alte Erbschaft.
Danach strebten die Helden,
Ja führten die edlen Herren
Ein christliches Leben.
3420Alle hatten Eine Gesinnung,
Ihre Herzen waren mit Gott.
Sie hatten Zucht und Scham,
Reinheit und Gehorsam,
Geduld und Minne;
3425Sie brannten wahrlich im Innern
Nach der Süsse Gottes.
Sie sollen uns helfen,
Dieses arme Leben zu vergessen;
Denn jetzt besitzen sie Gottes Reich.
3430Als die Degen Gottes
Mit Psalmen und Segen,
Mit Beichte und Glaube,
Mit tränenden Augen,
Mit grosser Demut,
3435Mit mancherlei Gutem,
Sich zu Gott gewendet,
Ihre Seelen gelabt
Mit Himmelsbrote,
Mit dem Blute des Herrn,
3440Zum ewigen Leben,
Da waffneten sie sich;
Gott lobten sie jetzt,
Sie waren allesamt froh,
Wie zu einem Brautlauf.
3445Sie heissen alle Gottes Kinder,
Die Welt verschmähten sie,
Sie brachten das reine Opfer.
Mit dem Kreuze geschmückt
Eilten sie gern zum Tode;
3450Sie kauften das Reich Gottes.
Sie waren einander treu;
Was dem einen deuchte gut,
Das war die Meinung aller.
David der Psalmist
3455Hat von ihnen geschrieben,
Wie Gott, mein Herr, die belohnt,
Die brüderlich zusammenhalten.
Er gibt ihnen selbst seinen Segen;
Sie sollen immer fröhlich leben.
3460Eine Zuversicht und Eine Minne,
Ein Glaube und Eine Hoffnung,
Eine Treue war in ihnen allen.
Keiner liess den andern im Stiche,
Für alle war Eine Wahrheit;
3465Des freut sich die Christenheit.
Die verbrecherischen Heiden,
Die Gott nicht fürchteten,
Hoben ihre Abgötter empor,
Mit grosser Hochfahrt kamen sie,
3470Sie fielen vor Mahmet nieder;
Es war ihr ganzes Gebet,
Dass er ihnen erlaube,
Roland zu enthaupten,
Und, wenn sie ihn erschlagen,
3475Sein Haupt vor sich zu tragen.
Sie versprachen ihn zu ehren,
Sein Lob immer zu mehren
Mit Tanz und Saitenspiel;
Des Übermuts war da viel.
3480Sie vertrauten ihrer Kraft,
Sie wussten nicht recht,
Dass wer gegen Gott strebt,
Der ohne Gott lebt.
Sie verschmähten ihren Schöpfer,
3485Unsern wahren Heiland,
Den obersten Priester,
Der keinen ohne Trost lässt,
Wenn er mit Demut
Suchet das Gute.
Lines 6053-6113: Having fought a great fight and slain many heathen, Roland and his men are about to be overwhelmed by numbers; in desperate straits he blows his horn, and it is heard by the far-away emperor.
Roland fasste mit beiden Händen
Den guten Olivant
6055Und setzte ihn an den Mund.
Er begann zu blasen;
Der Schall ward so gross,
Es lärmte so unter den Heiden,
Dass keiner den andern hören konnte.
6060Sie verstopften selbst die Ohren.
Die Hirnschale barst ihm,
Dem guten Weigande;
Alles änderte sich an ihm,
Er konnte kaum noch sitzen,
6065Sein Herz zerbrach innen.
Seine bekannte Stimme
Vernahmen sie allesamt,
Der Schall flog ins Land.
Bald kam zu Hof das Märe,
6070Dass des Kaisers Bläser
Bliesen alle zugleich.
Dann wusste man wahrlich,
Dass die Helden in Not waren.
Da gab es ein grosses Jammern.
6075Der Kaiser schwitzte vor Angst,
Er verlor zum Teil die Fassung,
Er ward sehr ungeduldig.
Das Haar riss er von der Haut;
Da machte starke Vorstellungen
6080Genelun der Verräter;
Er sprach: “Dieses Ungestüm
Geziemt nicht einem König.
Du beträgst dich ungebührlich.
Was hast du dir vorzuwerfen?
6085Den Roland, wie er im Grase schlief.
Hat wohl eine Bremse gebissen,
Oder er jagt wohl einen Hasen;
Dass das Blasen eines Hornes
Dich so ausser Fassung bringt!”
6090Der Kaiser sprach zu ihm:
“Weh dass ich dich je gesehen,
Oder Kenntnis von dir gewonnen!
Das beklage ich immer vor Gott.
Von dir allein
6095Muss Frankreich immer weinen.
Wegen des grossen Schatzes,
Den Marsilie dir gab,
Hast du den Mord vollbracht.
Ich räche ihn, wenn ich’s vermag.
6100Was trieb dich dazu?”
Auf sprang der Herzog Naimes,
Er sprach: “Du Teufels Mann,
Du hast schlimmer als Judas getan,
Der unsern Herrn verriet.
6105Nie verwindest du diesen Tag.
Dies hast du gebraut,
Du sollst es wahrlich trinken.”
Er hätte ihn gern erschlagen,
Der Kaiser hiess ihn abstehen;
6110Er sprach: “Eine andre sei seine Strafe.
Ich will hernach über ihn richten;
Und wenn das Urteil ergeht,
Er stirbt wohl einen schlimmeren Tod.”
XVI. KING ROTHER
A poem of 5302 verses, written about 1150 in a mixture of Middle Frankish and Bavarian. It belongs to the order of Spielmannspoesie, or secular minstrelsy; but the author makes frequent reference to what ‘the books’ say, and evidently meant his work to be read. (The earlier gleemen, so far as known, could not read or write, got their material from oral tradition and composed their poems to be sung or recited to musical accompaniment.) Rother is a king of Italy who sends twelve envoys to Constantinople to win for him the hand of the emperor’s daughter. She favors her unknown suitor, but the irate Constantine throws the envoys into a dungeon. Rother takes the name of Dietrich and sails with many retainers to liberate them. By a waiting-maid he presents the princess with a gold and a silver shoe, both made for the same foot, and retains the mates. The princess, already interested in the distinguished stranger, sends for him to put on the impossible shoes.
Lines 2177-2315: Rother, called Dietrich, woos the willing princess.
Am Fenster stand die Prinzessin,
Bald kam der junge Held
Über den Hof gegangen.
2180Da ward er wohl empfangen
Von zweien Rittern ehrlich.
Dann ging der Recke Dietrich,
Wo die Kemenate offen stand;
Darein ging der wohlgestalte Held.
2185Den hiess die junge Prinzessin
Selber wilkommen sein
Und sagte, was er da bitte,
Das würde sie gerne tun
Nach ihrer beider Ehre.
2190“Ich habe dich gern, o Herr,
Wegen deiner Tüchtigkeit gesehn;
Aus anderm Grund ist’s nicht geschehn.
Diese niedlichen Schuhe,
Die sollst du mir anziehen.”
2195“Sehr gerne,” sprach Dietrich,
“Da du es von mir verlangst.”
Der Herr setzte sich ihr zu Füssen,
Sehr schön war sein Gebaren.
Auf sein Bein setzte sie den Fuss,
2200Nie wurde Frau besser geschuht.
Da sprach der listige Mann:
“Nun sage mir, schöne Herrin,
Bescheid auf deine Treue,
Wie du eine Christin bist,—
2205Es warb um dich mancher Mann,—
Hing’ es von deinem Willen ab,
Welcher unter ihnen allen
Hat dir am besten gefallen?”
“Das sag’ ich dir,” sprach die Dame,
2210“In allem Ernst und in Treue,
O Herr, auf meiner Seele,
Wie ich getaufte Christin bin:
Kämen aus allen Landen
Die teuren Weigande
2215Mit einander zusammen,
Da wäre kein Mann darunter,
51Der dein Genoss sein könnte.
Das nehm’ ich auf meine Treue,
Dass nie eine Mutter gebar
2220Ein Kind so liebenswürdig,
Dass es mit Fug, Dietrich,
Neben dir stehen könnte.
Du bist ein ausgezeichneter Mann.
Sollte ich aber die Wahl haben,
2225Nähme ich den Helden gut und kühn,
Dessen Boten her ins Land kamen
Und jetzt wahrlich liegen
In meines Vaters Kerker.
Er heisst mit Namen Rother
2230Und sitzt im Westen übers Meer.
Ich will immer Magd bleiben,
Bekomm’ ich nicht den Helden schön.”
Als Dietrich das vernahm,
Da sprach der listige Mann:
2235“Willst du Rother minnen,
Den will ich dir bald bringen.
Es lebt keiner auf Erden,
Der mir mehr Gutes getan hätte;
Des soll er noch geniessen.
2240Ehe ihn der Hochmut meisterte,
Half er mir oft in der Not;
Wir genossen fröhlich das Land
Und lebten glücklich zusammen.
Der gute Held war mir stets gnädig,
2245Wie wohl er mich jetzt vertrieben.”
“In Treue,” sprach die Prinzessin,
“Ich verstehe deine Rede;
Ist der Rother dir so lieb,
Hat er dich nicht vertrieben.
2250Von wannen du fährst, kühner Held,
Bist du als Bote her gesandt.
Dir sind des Königs Mannen lieb.
Nun verhehle es mit Worten nicht;
Was mir heute gesagt wird,
2255Das wird immer wohl verschwiegen
Bis an den jüngsten Tag.”
Der Herr sprach zu der Dame:
“Jetzt überlass’ ich meine Sache
Der Gnade Gottes und der deinen;
2260Es stehen ja deine Füsse
In König Rothers Schosse.”
Die Dame erschrak sehr;
Sie zog den Fuss weg
Und sprach zu Dietrich
2265Sehr bescheidentlich:
“Nie ward ich so ungezogen;
Mein Übermut hat mich betrogen,
Dass ich meinen Fuss
Setzte auf deinen Schoss.
2270Und bist du der grosse Rother,
Kannst du, König, nimmermehr
Einen besseren Ruhm gewinnen.
Der ausserordentlichen Dinge
Bist du ein listiger Meister.
2275Welches Geschlechts du auch seist,
Mein Herz war unglücklich;
Und hätte dich Gott hergesandt,
Das wäre mir inniglich lieb.
Ich mag doch nicht glauben,
2280Dass du mir Unwahres sprichst.
52Und wär’s dann aller Welt leid,
Ich räumte sicherlich
Zusammen mit dir das Reich.
So bleibt es aber ungetan.
2285Doch lebt kein Mann so schön,
Den ich vorziehen würde,
Wärest du der König Rother.”
Darauf sprach Dietrich
(Sein Sinn war sehr listig):
2290“Nun hab’ ich keine Freunde
Als die armen Herren,
Die in dem Kerker sind.
Könnten mich diese sehen,
Hättest du an ihnen den Beweis,
2295Dass ich dir Wahres gesprochen.”
“In Treue,” sprach die Prinzessin,
“Dir werd’ ich beim Vater mein
Irgendwie erwirken,
Dass ich sie herauskriege.
2300Aber er wird sie keinem geben,
Er hafte denn mit seinem Leben,
Dass niemand entkomme,
Bis alle zurückgebracht
In den Kerker würden,
2305Wo sie in der Not waren.”
Drauf antwortete Dietrich:
“Ich will es auf mich nehmen
Vor Constantin, dem reichen,
Und morgen sicherlich
2310Werde ich zu Hofe gehn.”
Die Jungfrau so schön
Küsste den Herrn.
Da schied er mit Ehren
Aus der Kemenate.
Lines 2819-2942: Having become friendly with Constantine and won for him a great battle against the heathen invader Ymelot, Rother perpetrates a hoax.
Dietrich der Weigand
2820Nahm Ymelot bei der Hand,
Führte ihn zu Constantin,
Und übergab ihn diesem.
Dann sprach der listige Mann:
“Wir sollten einen Boten haben,
2825Der den Frauen sagte,
Was wir hier vollbracht.”
“In Treue,” sprach Constantin,
“Der Bote sollst du selbst sein
Um meiner Tochter willen;
2830Und sage du der Königin
Und den Frauen allesamt,
Dass wir nach Hause reiten
Mit sehr fröhlichen Herzen.
Einen Teil deines Volkes
2835Lass du mit mir bleiben.”
Da sprach der listige Mann,
Dass er gerne täte,
Was der König verlange.
Dietrich ging von dannen
2840Mit seinen Heimatsmannen,
Die andern schickte er zum König;
Der bat sie grossen Dank haben.
Zu sich nahm er seine Leute,
Die übers Meer mitgefahren,
2845Und erklärte den Kühnen,
Was er beabsichtige;
Die teuren Weigande
Wollten gern nach Hause.
Dietrich fuhr von dannen.
2850Ein Märchen, das war herrlich,
Brachte er zu Constantinopel,
Der berühmten Burg:
Er sagte, er sei entflohen
53Mit allen seinen Mannen.
2855Da weinte die Frau Königin:
“Ach weh, wo ist Constantin
Und die Weigande
Aus manchem Lande?
Dietrich, lieber Herr,
2860Sollen wir sie wiedersehen?”
“Nimmermehr, das weiss Gott!
Erschlagen hat sie Ymelot
Und reitet her mit Heereskraft;
Er will die Stadt zerstören,
2865Ich kann mich ihm nicht wehren
Und muss fliehen übers Meer.
Die Weiber und die Kinder,
So viel ihrer in der Burg sind,
Denen wird zuteil der Tod:
2870Es erschlägt sie Ymelot.”
Da nahm Constantins Weib
Ihre Tochter, die herrliche,
Und sie baten Dietrich
Beide sehr ernsthaft,
2875Sie von den Heiden zu retten,
Die mit einem Heere kämen.
Da hiess der listige Mann
Die schönen Zelter
Der Königin fortziehen;
2880Er führte sie zu den Schiffen.
Da gab es, könnt ihr glauben,
Von manchen schönen Frauen
Weinen und Händeringen;
Sie konnten sich nicht fassen.
2885Es kam eine grosse Gesellschaft
Zu Dietrich aus der Stadt.
Sie wollten alle aufs Meer,
Um sich vor Ymelot zu retten.
Da tröstete sie der schlaue Mann;
2890Er hatte es aus List getan.
Dietrich hiess seine Mannen
Sofort in die Schiffe gehen.
Asprian, der gute Held,
Trug den Kammerschatz darein,
2895Sie eilten alle aufs Meer.
Da hiess König Rother
Die Mutter am Gestade bleiben,
Die Tochter in ein Schiff gehn.
Es gab ein grosses Weinen.
2900Sie sprach: “Ach, Herr Dietrich,
Wem willst du, tugendhafter Mann,
Uns armen Weiber überlassen?”
So sprach die gute Königin:
“Nun nimm mich mit ins Schiff
2905Zu meiner schönen Tochter.”
Da sprach der listige Mann:
“Ihr sollt Euch wohl gehaben;
Constantin ist nicht geschlagen,
Ymelot haben wir gefangen,
2910Constantin ist’s wohl ergangen.
Er reitet hierher ins Land
Mit guten Nachrichten;
Er kommt über drei Tage.
Ihr könnt ihm wahrlich sagen,
2915Seine Tochter sei mit Rother
Westwärts gefahren übers Meer.
Nun befehlt mir, herrliche Frau;
Ich heisse ja nicht Dietrich.”
“Wohl mir,” sprach die Königin,
2920“Dass ich je ins Leben trat.
Nun lasse Gott, der gute,
In seiner grossen Gnade,
Dich meine Tochter schön
Recht lang in Freude haben!
2925Es ist wahr, teurer Degen,
54Sie wäre dir leichter gegeben,
Als du sie gewonnen hast,
Hätte es in meinem Willen gestanden.
Wie Constantin das Leben
2930Des jungen Weibes quälte,
Das ist mir das mindeste,
Da du nun Rother bist.
Nun fahre, teurer Degen,
Und Sankt Gilge segne dich!”
2935Da sprach das schöne Mägdlein:
“Gehabt Euch wohl, Mutter mein!”
Die Frauen so liebsam
Gingen lachend von dannen
Zu Constantins Saal
2940Und gönnten es dem Rother wohl,
Dass Gott ihn bringe
Mit Ehren ins Heimatland.
XVII. DUKE ERNST
Another example of the secular minstrelsy brought into vogue by the crusading spirit. The poem originated in the 12th century, but the only complete versions known to us are of the 13th. It contains 6022 verses in the dialect of the Middle or Lower Rhine. The saga is of unusual psychological interest. Ernst is a brave and upright Bavarian whom a base calumny deprives of the favor of the emperor Otto. For a while he maintains himself in a bitter feud with the empire, but finally gives up the hopeless fight and sets out, with a few loyal followers, for Jerusalem. In the Orient he has many wonderful adventures, one of which is related below, and so deports himself that on his return the emperor receives him back into favor.
Lines 3915-4199: The magnetic rock in the Curdled Sea.
Die Helden weilten da nicht mehr,
Sie fuhren auf der wilden See
Mit fröhlichem Gemüte.
Jetzt meinten die guten Helden,
Es müsse ihnen wohl gehen.
3920Da stieg nun ein Schiffsmann
Zu oberst auf den Mastbaum;
Die Meeresströmung trieb sie
Schnell nach jenem Hafen zu.
Und nun erschrak er sehr darüber,
3925Als er den Berg erkannte;
Es ward ihm leid und bange.
Hinunter in das Schiff
Rief er also zu den Recken:
“Ihr Helden so schmuck,
3930Nun wendet euch geschwind
Hin zu dem ewigen Wesen!
Es kostet uns das Leben,
Bleiben wir hier stecken.
Der Berg, den wir gesehen,
3935Der liegt auf dem Lebermeer!1
Es sei denn, dass Gott uns rettet,
55Wir sterben hier allzusammen.
Wir fahren gegen den Stein zu,
Von dem ihr mich reden hörtet.
3940Jetzt sollt ihr euch hinkehren
Zu Gott in wahrer Reue
Und aus dem Herzen tilgen,
Was ihr wider ihn getan.
Ich will euch, Helden, wissen lassen
3945Von der Kraft des Felsen
Und von der Herrschaft,
Die er in seiner Art hat:
Treibt ein Schiff ihm entgegen
Innerhalb dreissig Meilen,
3950So hat er in kurzer Zeit
Es an sich gezogen;
Das ist wahr und nicht erlogen.
Haben sie irgendwelches Eisen,
Das darf niemand weisen;
3955Sie müssen gegen ihren Willen dran.
Wo ihr die Schiffe liegen seht,
Vor dem dunkeln Berge dort
Gleich an des Steines Kante,
Da müssen wir auch sterben
3960Und vor Hunger verenden—
Es ist nicht abzuwenden,—
Wie alle anderen getan haben,
Die hierher segelten.
Nun bittet Gott, dass er
3965Uns helfe und gnädig sei.
Wir sind nahe dem Felsen.”
Als der Herzog das vernahm,
Sprach der Fürst lobesam
Zu den Herren sonderlich:
3970“Jetzt sollt ihr inniglich,
Meine lieben Notgesellen,
Zu unserm Herrn flehen,
Dass er uns gnädiglich
In sein Reich empfange
3975Wir gehn an diesem Stein zugrunde.
Nun lobt ihn allzusammen
Mit Herzen und mit Zungen.
Es ist uns wohl gelungen,
Sterben wir auf dieser wilden See:
3980Wir sind geborgen auf immerdar
Bei Gott in seinem Reich.
Nun freut euch allzugleich,
Dass wir ihm so nah gekommen.”
Als sie das vernahmen,
3985Behielten sie es im Herzen.
Nun taten die guten Helden,
Wie der Fürst ihnen geraten:
Ordneten ihre Sachen schnell,
Gaben alles Gott anheim,
3990Und beherzigten sein Gebot
Mit Beichte und mit Busse
Mit sehr grossem Eifer,
Wie man Gott gegenüber sollte.
Also machten sie sich bereit.
3995Als die unglücklichen Männer
Ihre Gebete verrichteten
Und ihre Sachen ordneten,
Gab es ein jämmerlich Rufen,
Das sie zu Gott erhoben.
4000Ihren Schöpfer sie baten,
Dass er ihre Seelen bewahre.
Jetzt waren die Helden gefahren
So nahe dem Felsen,
Dass sie deutlich sehen konnten
4005Die Schiffe mit hohen Masten.
Der Fels zog die Helden
So geschwinde zu sich,
56Seine Kraft brachte das Schiff
So kräftiglich heran,
4010Dass die andern Schiffe
Diesem entweichen mussten.
Es kam so gewaltsam
Dem Steine zugefahren,
Dass die Schiffe allesamt
4015Auf einander stiessen.
Auch gaben die Mastbäume
Sich manchen harten Stoss.
Die Stösse waren so stark,
Dass manches Schiff zerbrach.
4020So ward mancher Gast empfangen,
Der seitdem verendete
Und niemals wiederkehrte.
Es ist auch wirklich ein Wunder,
Dass diese nicht erschlagen wurden
4025Durch die hohen Mastbäume,
Die, alt und morsch geworden,
Von andern Schiffen fielen
Auf ihr Schiff mit Gewalt.
Als diese herabstürzten,
4030Konnte nichts mehr bestehn,
Was um das Schiff lag.
Dass das Schiff sich erhielt,
War ein grosses Wunder;
Es musste alles und jedes
4035Fallen in das Meer.
Der Herzog und seine Männer
Mussten unerhörte Not leiden,
Da sie einen schrecklichen Tod
Öfters vor sich sahen.
4040Doch kamen die kühnen Männer
Mit dem Leben davon;
Gottes Hilfe erschien ihnen.
Als das Schiff stehen blieb,
Taten sie, wie Leute noch tun,
4045Die lange in einer Stätte gelegen
Und etwas Neues sehen mögen:
Die zieren Helden sprangen
Schnell aus dem Schiffe
Und gingen allesamt,
4050Um das mannigfache Wunder
In den Schiffen zu besehen.
Sie standen dicht wie ein Wald
Um den Berg auf dem Meer.
Weder früher noch später
4055Sah jemand so grossen Reichtum,
Als die mutigen Helden
In den Schiffen fanden,
So dass sie in langen Stunden
Ihn nicht überschauen konnten.
4060Sie sahen den grössten Schatz,
Den jemand haben könnte.
Nie hat der weise Mann gelebt
Der ihn je in Acht nehmen
Oder vollauf beschreiben könnte.
4065Silber, Gold und Edelsteine,
Purpur, Sammet, glänzende Seide,
Lag dort so mannigfaltig,
Dass niemand es beachten könnte.
Als sie das Wunder beschaut,
4070Begannen sie weiter zu gehen.
Der Herzog und seine Männer
Stiegen auf den Felsen,
Ob sie irgendwo Land sähen.
Kein Auge konnte erspähen,
4075Dass sie zu Lande kämen;
Das war den Recken leid.
Der Berg lag im weiten Meer;
Da mussten die Helden hilflos
Höchst jämmerlich ersterben
57 4080Und am Hunger zugrunde gehen;
Den Recken war schwer zu Mute.
Da mussten die Helden
Vor dem Steine Angst erleiden.
Sie sagten allesamt,
4085Sie würden es gütlich erdulden,
Da ihnen der mächtige Gott
Das harte Geschick verhängt,
Wie auch den andern allen,
Die vor ihnen gekommen waren
4090Und das Leben verloren hatten.
Da sie die Not nicht meiden wollten,
Würden sie gerne den Tod
Um seine Huld erleiden,
Und würden die grosse Not
4095Als Sündenbusse betrachten.
Der Herzog und seine Männer
Hatten Trost beim Kinde der Maid.
Nun schwebte das Gesinde
So lange Zeit auf dem Meer,
4100Dass früher oder später im Leben
Sie nie solches Weh ertrugen,
Da es ihnen an Speise gebrach
Und an der guten Nahrung,
Die sie mitgebracht hatten
4105Von dem Lande Grippia,
Woselbst die Weigande
Dieselbe tapfer erworben.
Am Hunger starben sie,
Die auf dem Schiffe waren,
4110So dass keiner am Leben blieb
Von der ganzen Mannschaft
Ausser dem Herzog allein
Und sieben Mann mit ihm.
Die andern trug ein Greif fort,
4115Wie sie nacheinander starben.
Die Lebenden handelten so:
Wen jeweilig der Tod nahm,
Den trugen die Helden lobesam
Bald aus dem Schiffsraume;
4120Ihn legten die zieren Degen
Oben aufs Verdeck.
Das habt ihr nun öfters
Als Wahrheit sagen hören:
Die Greife kamen geflogen
4125Und trugen sie ins Nest.
Auf diese Weise ward zuletzt
Dem Herzog und seinen Männern
Von den Greifen geholfen;
Also retteten sie sich.
4130Die andern wurden zu Aase
Den Greifen und ihren Jungen.
Diesen war es schon gelungen,
Menschen in grosser Anzahl
Von dannen in ihre Neste
4135Nach Gewohnheit zu tragen;
Davon die mutigen Helden,
Der Herzog und seine Mannen,
Wieder ans Land kamen.
Der Fürst litt Ungemach,
4140Als er seine Gefährten sah
Vor Hunger verbleichen
Und so jämmerlich sterben,
Und er ihnen nicht helfen konnte.
Darum musst’ er manche Stunde
4145Erleiden Jammersnot,
Indem sie der Tod
Vor seinen Augen hinwegnahm,
Bis der Recke lobesam
Nur sieben Mann übrig hatte.
4150Auch diese behielten das Leben
Kaum vor Hungersnot:
58Sie hatten nur ein halbes Brot,
Das teilten die Helden unter sich.
Es war jämmerlich genug,
4155Da sie nichts mehr hatten.
Da ergaben sie sich dem Herrn,
Mit Leib und Seele Gottes Händen;
Dann fielen die tapfern Helden
Zum Gebet nieder und baten
4160Vor allem inniglich den Herrn,
Dass er ihnen gnädig sei
Und helfe aus der grossen Not;
Sie fürchteten sehr den Tod.
Als diese Unglücklichen
4165Ihr Gebet verrichtet hatten,
Was später ihnen zu statten kam,
Sprach der Graf Wetzel also:
“Ich habe in diesen Stunden
Uns eine List erfunden,
4170Wie sie nicht besser sein könnte.
Sollen wir je gerettet werden,
Muss es gewiss davon kommen,
Dass wir suchen und spähen
Und gar nicht aufhören.
4175Bis wir in den Schiffen finden
Irgendwelche Art Häute;
Dann schlüpfen wir armen Leute
In unsre gute Rüstung.
Hat man uns dann eingenäht
4180In die Häute,” sprach der Degen,
“So wollen wir uns legen
Oben auf das Schiffsverdeck.
So nehmen uns da die Greife
Und tragen uns von dannen.
4185Sie können uns nichts anhaben,
Die Greife, wegen der Rüstung,
Die uns oft beschirmt hat;
Die mag uns noch einmal helfen.
Und haben wir uns versichert,
4190Dass die alten auf Beute fort sind,
So schneiden wir uns aus
Und steigen zur Erde nieder.
Soll es aber anders werden,
Will es Gott, dass wir nicht entkommen,
4195So mag es uns doch lieber sein,
Dass wir dort redlich tot liegen,
Als dass wir hier diese starke Not
So jämmerlich erleiden.”
1. The Liver Sea, called also das geronnene Meer, or the Curdled Sea; in Latin mare pigrum et concretum. For the literature of the curious saga see Bartsch, Herzog Ernst, Wien, 1869, p. cxlv.
XVIII. THE LAY OF THE NIBELUNGS
The most important poetic production of medieval Germany. It embodies legends that date back, in part, to the 5th century and were handed down from age to age by oral tradition. The different versions known to us point back to a lost original which probably took shape toward the end of the 12th century and was the work of an Austrian poet of whom nothing is known. The form is a four-line strophe, with masculine rimes paired in the order aa bb. Each line is divided into two parts by a cesura, which regularly falls after an unstressed syllable. The first seven half-lines usually have three accents each, the eighth four.
59Reasoning from incongruities in the text, the famous scholar Lachmann concluded that the poem consists of twenty old songs, or ballads, pieced together with new matter in the shape of introductions, transitions, and amplifications. This theory gave rise to a great controversy which still divides scholarship to some extent, with opinion tending more and more to the confirmation of Lachmann’s general view, but to the rejection of his specific conclusions. That is to say: The poem is a working-over of old songs; but just how many of these there were, where the dividing lines come, and how much merit of originality may rightly be claimed for the nameless 12th century poet, cannot be definitely settled.
The most popular modernization is that of Simrock, 56th edition, 1902, from which the selections below are taken. It has its defects, but none of the many attempts to improve upon it has met with a generally recognized success.
From Adventure 1:1 Kriemhild and her dream.
Es wuchs in Burgunden solch edel Mägdelein,
Dass in allen Landen nichts Schön’res mochte sein.
Kriemhild war sie geheissen und ward ein schönes Weib,
Um die viel Degen mussten verlieren Leben und Leib.
5Es pflegten sie drei Könige, edel und reich,
Gunter und Gernot, die Recken ohnegleich,
Und Geiselher der junge, ein auserwählter Degen;
Sie war ihre Schwester, die Fürsten hatten sie zu pflegen.
Die Herren waren milde, dazu von hohem Stamm,
10Unmassen kühn von Kräften, die Recken lobesam.
Nach den Burgunden war ihr Land genannt:
Sie schufen starke Wunder noch seitdem in Etzels Land.
Zu Worms am Rheine wohnten die Herren in ihrer Kraft.
Von ihren Landen diente viel stolze Ritterschaft
15Mit rühmlichen Ehren all ihres Lebens Zeit,
Bis jämmerlich sie starben durch zweier edeln Frauen Streit.
In ihren hohen Ehren träumte Kriemhilden,
Sie zög’ einen Falken, stark-, schön- und wilden,
60Den griffen ihr zwei Aare, dass sie es mochte sehn;
20Ihr konnt’ auf dieser Erde grösser Leid nicht geschehn.
Sie sagt’ ihrer Mutter den Traum, Frau Uten;
Die wusst’ ihn nicht zu deuten als so der guten:
“Der Falke, den du ziehest, das ist ein edler Mann;
Ihn wolle Gott behüten, sonst ist es bald um ihn getan.”
25“Was sagt Ihr mir vom Manne, vielliebe Mutter mein?
Ohne Reckenminne will ich immer sein;
So schön will ich verbleiben bis an meinen Tod,
Dass ich von Mannesminne nie gewinnen möge Not.”
“Verred’ es nicht so völlig,” die Mutter sprach da so,
30“Sollst du je auf Erden von Herzen werden froh,
Das geschieht von Mannesminne; du wirst ein schönes Weib,
Will Gott dir noch vergönnen eines guten Ritters Leib.”2
“Die Rede lasst bleiben, vielliebe Mutter mein.
Es hat an manchen Weiben3 gelehrt der Augenschein,
35Wie Liebe mit Leide am Ende gerne lohnt;
Ich will sie meiden beide, so bleib’ ich sicher verschont.”
Kriemhild in ihrem Mute hielt sich von Minne frei.
So lief noch der guten manch lieber Tag vorbei,
Dass sie niemand wusste, der ihr gefiel zum Mann,
40Bis sie doch mit Ehren einen werten Recken gewann.
Das war derselbe Falke, den jener Traum ihr bot,
Den ihr beschied die Mutter. Ob seinem frühen Tod
Den nächsten Anverwandten wie gab sie blut’gen Lohn!
Durch dieses Einen Sterben starb noch mancher Mutter Sohn.
From Adventure 5: Having lived a whole year at Worms as the guest-friend of King Gunter, Siegfried at last sees the maid he came to woo.
Da liess der reiche König mit seiner Schwester gehn
Hundert seiner Recken, zu ihrem Dienst ersehn
Und dem ihrer Mutter, die Schwerter in der Hand:
Das war das Hofgesinde in der Burgunden Land.
Ute die reiche sah man mit ihr kommen,
50Die hatte schöner Frauen sich zum Geleit genommen
Hundert oder drüber, geschmückt mit reichem Kleid;
Auch folgte Kriemhilden manche waidliche4 Maid.
Aus einer Kemenate sah man sie alle gehn.
Da musste heftig Drängen von Helden bald geschehn,
55Die alle harrend standen, ob es möchte sein,
Dass sie da fröhlich sähen dieses edle Mägdelein.
Da kam die Minnigliche, wie das Morgenrot
Tritt aus trüben Wolken. Da schied von mancher Not,
Der sie im Herzen hegte, was lange war geschehn.
60Er sah die Minnigliche nun gar herrlich vor sich stehn.
Von ihrem Kleide leuchtete gar mancher edle Stein,
Ihre rosenrote Farbe gab minniglichen Schein.
Was jemand wünschen mochte, er musste doch gestehn,
Dass er hier auf Erden noch nichts so Schönes gesehn.
65Wie der lichte Vollmond vor den Sternen schwebt,
Des Schein so hell und lauter sich aus den Wolken hebt,
So glänzte sie in Wahrheit vor andern Frauen gut;
Das mochte wohl erhöhen den zieren Helden den Mut.
Die reichen Kämmerlinge schritten vor ihr her,
70Die hochgemuten Degen liessen es nicht mehr:
62Sie drängten, dass sie sähen die minnigliche Maid;
Siegfried dem Degen war es lieb und wieder leid.
Er sann in seinem Sinne: “Wie dacht’ ich je daran,
Dass ich dich minnen sollte? das ist ein eitler Wahn.
75Soll ich dich aber meiden, so wär’ ich sanfter5 tot.”
Er ward von Gedanken oft bleich und oft wieder rot.
Da sah man den Sieglindensohn so minniglich da stehn,
Als wär’ er entworfen auf einem Pergamen
Von guten Meisters Händen; gern man ihm zugestand,
80Dass man nie im Leben so schönen Helden noch fand.
Die mit Kriemhilden gingen, die hiessen aus den Wegen
Allenthalben weichen; dem folgte mancher Degen.
Die hochgetrag’nen Herzen freute man sich zu schaun;
Man sah in hohen Züchten viel der herrlichen Fraun.
85Da sprach von Burgunden der König Gernot:
“Dem Helden, der so gütlich Euch seine Dienste bot,
Gunter, lieber Bruder, dem bietet hier den Lohn
Vor allen diesen Recken. Des Rates spricht man mir nicht Hohn.
Heisset Siegfrieden zu meiner Schwester kommen,
90Dass ihn das Mägdlein grüsse; das bringt uns immer Frommen.
Die niemals Recken grüsste, soll sein mit Grüssen pflegen,
Dass wir uns so gewinnen diesen zierlichen Degen.”
Des Wirtes Freunde gingen, dahin wo man ihn fand;
Sie sprachen zu dem Recken aus dem Niederland:
95“Der König will erlauben, Ihr sollt zu Hofe gehn.
Seine Schwester soll Euch grüssen; die Ehre soll Euch geschehn.”
Der Rede ward der Degen in seinem Mut erfreut;
Er trug in seinem Herzen Freude sonder Leid,
63Dass er der schönen Ute Tochter sollte sehn.
100In minniglichen Züchten empfing sie Siegfrieden schön.
Als sie den Hochgemuten vor sich stehen sah,
Ihre Farbe ward entzündet. Die Schöne sagte da:
“Willkommen, Herr Siegfried, ein edler Ritter gut.”
Da ward ihm von dem Grusse gar wohl erhoben der Mut.
105Er neigte sich ihr minniglich, als er den Dank ihr bot;
Da zwang sie zu einander sehnender Minne Not.
Mit liebem Blick der Augen sahn einander an
Der Held und auch das Mägdlein; das ward verstohlen getan.
Ward da mit sanftem Drucke geliebkost weisse Hand
110In herzlicher Minne, das ist mir unbekannt.
Doch kann ich auch nicht glauben, sie hätten’s nicht getan.
Liebebedürft’ge Herzen täten Unrecht daran.
From Adventure 7: The strenuous games at Isenstein6; Brunhild is fraudulently vanquished for Gunter by the invisible Siegfried.
Brunhildens Stärke zeigte sich nicht klein,
Man trug ihr zu dem Kreise einen schweren Stein,
115Gross und ungefüge, rund dabei und breit;
Ihn trugen kaum zwölfe dieser Degen kühn im Streit.
Den warf sie allerwegen, wie sie den Speer verschoss;
Darüber war die Sorge der Burgunden gross.
“Wen will der König werben?” sprach da Hagen laut;
120“Wär’ sie in der Hölle doch des übeln Teufels Braut!”
An ihre weissen Arme sie die Ärmel wand,
Sie schickte sich und fasste den Schild an die Hand;
Sie schwang den Spiess zur Höhe: das war des Kampfs Beginn.
Gunter und Siegfried bangten vor Brunhildens grimmem Sinn.
64 125Und wär’ ihm da Siegfried zu Hilfe nicht gekommen,
So hätte sie dem König das Leben wohl benommen.
Er trat hinzu verstohlen7 und rührte seine Hand;
Gunter seine Künste mit grossen Sorgen befand.
“Wer war’s, der mich berührte?” dachte der kühne Mann,
130Und wie er um sich blickte, da traf er niemand an.
Er sprach: “Ich bin es, Siegfried, der Geselle dein;
Du sollst gar ohne Sorge vor der Königin sein.”
Er sprach: “Gib aus den Händen den Schild, lass mich ihn tragen
Und behalt’ im Sinne, was du mich hörest sagen:
135Du habe die Gebärde, ich will das Werk begehn.”
Als er ihn erkannte, da war ihm Liebes geschehn.
“Verhehl’ auch meine Künste, das ist uns beiden gut;
So mag die Königstochter den hohen Übermut
Nicht an dir vollbringen, wie sie gesonnen ist.
140Nun sieh doch, welcher Kühnheit sie wider dich sich vermisst.”
Da schoss mit ganzen Kräften die herrliche Maid
Den Speer nach einem Schilde, mächtig und breit,
Den trug an der Linken Sieglindens Kind;
Das Feuer sprang vom Stahle, als ob es wehte der Wind.
145Des starken Spiesses Schneide den Schild ganz durchdrang,
Dass das Feuer lohend aus den Ringen sprang.
Von dem Schusse fielen die kraftvollen Degen;
War nicht die Tarnkappe, sie wären beide da erlegen.
Siegfried dem kühnen vom Munde brach das Blut.
150Bald sprang er auf die Füsse, da nahm der Degen gut
Den Speer, den sie geschossen ihm hatte durch den Rand;
Den warf ihr jetzt zurücke Siegfried mit kraftvoller Hand.
65Er dacht’: “Ich will nicht schiessen das Mägdlein wonniglich.”
Des Spiesses Schneide kehrt’ er hinter den Rücken sich;
155Mit der Speerstange schoss er auf ihr Gewand,
Dass es laut erhallte von seiner kraftreichen Hand.
Das Feuer stob vom Panzer, als trieb’ es der Wind,
Es hatte wohl geschossen der Sieglinde Kind.
Sie vermochte mit den Kräften dem Schusse nicht zu stehn;
160Das wär’ von König Guntern in Wahrheit nimmer geschehn.
Brunhild die schöne bald auf die Füsse sprang:
“Gunter, edler Ritter, des Schusses habe Dank!”
Sie wähnt’, er hätt’ es selber mit seiner Kraft getan;
Nein, zu Boden warf sie ein viel stärkerer Mann.
165Da ging sie hin geschwinde, zornig war ihr Mut,
Den Stein hoch erhub sie, die edle Jungfrau gut;
Sie schwang ihn mit Kräften weithin von der Hand,
Dann sprang sie nach dem Wurfe, dass laut erklang ihr Gewand.
Der Stein fiel zu Boden von ihr zwölf Klafter weit,
170Den Wurf überholte im Sprung die edle Maid.
Hin ging der schnelle Siegfried, wo der Stein nun lag;
Gunter musst’ ihn wägen, des Wurfs der Verhohl’ne pflag.
Siegfried war kräftig, kühn und auch lang,
Den Stein warf er ferner, dazu er weiter sprang;
175Ein grosses Wunder war es, und künstlich genug,
Dass er in dem Sprunge den König Gunter noch trug.
Der Sprung war ergangen, am Boden lag der Stein,
Gunter war’s, der Degen, den man sah allein;
Brunhild die schöne ward vor Zorne rot,
180Gewendet hatte Siegfried dem König Gunter den Tod.
66Zu ihrem Ingesinde sprach die Königin da,
Als sie gesund den Helden an des Kreises Ende sah:
“Ihr, meine Freund’ und Mannen, tretet gleich heran;
Ihr sollt dem König Gunter alle werden untertan.”
From Adventure 16: Siegfried is treacherously slain by Hagen.8
Die höf’sche Zucht erwies da Siegfried daran:
Den Schild legt’ er nieder, wo der Brunnen rann;
Wie sehr ihn auch dürstete, der Held nicht eher trank,
Bis der König getrunken; dafür gewann er übeln Dank.
Der Brunnen war lauter, kühl und auch gut,
190Da neigte sich Gunter hernieder zu der Flut.
Als er getrunken hatte, erhob er sich hindann;
Also hätt’ auch gerne der kühne Siegfried getan.
Da entgalt er seiner höf’schen Zucht; den Bogen und das Schwert
Trug beiseite Hagen von dem Degen wert,
195Dann sprang er zurücke, wo er den Wurfspiess fand,
Und sah nach einem Zeichen an des Kühnen Gewand.
Als der edle Siegfried aus dem Brunnen trank,
Er schoss ihm durch das Kreuze,9 dass aus der Wunde sprang
Das Blut von seinem Herzen hoch an Hagens Gewand;
200Kein Held begeht wohl wieder solche Untat nach der Hand.
Den Gerschaft im Herzen liess er ihm stecken tief.
Wie im Fliehen Hagen da so grimmig lief,
So lief er wohl auf Erden nie vor einem Mann!
Als da Siegfried Kunde der schweren Wunde gewann,
67 205Der Degen mit Toben von dem Brunnen sprang;
Ihm ragte von der Achsel eine Gerstange lang.
Nun wähnt’ er da zu finden Bogen oder Schwert,
Gewiss, so hätt’ er Hagnen den verdienten Lohn gewährt.
Als der Todwunde da sein Schwert nicht fand,
210Da blieb ihm nichts weiter als der Schildesrand,
Den rafft’ er von dem Brunnen und rannte Hagen an;
Da konnt’ ihm nicht entrinnen König Gunters Untertan.
Wie wund er war zum Tode, so kräftig doch er schlug,
Dass von dem Schilde nieder wirbelte genug
215Des edeln Gesteines; der Schild zerbrach auch fast,
So gern gerochen hätte sich der herrliche Gast.
Da musste Hagen fallen von seiner Hand zu Tal,
Der Anger von den Schlägen erscholl im Wiederhall.
Hätt’ er sein Schwert in Händen, so wär’ es Hagens Tod.
220Sehr zürnte der Wunde, es zwang ihn wahrhafte Not.
Seine Farbe war erblichen, er konnte nicht mehr stehn,
Seines Leibes Stärke musste ganz zergehn,
Da er des Todes Zeichen in lichter Farbe trug;
Er ward hernach betrauert von schönen Frauen genug.
225Da fiel in die Blumen der Kriemhilde Mann,
Das Blut von seiner Wunde stromweis nieder rann;
Da begann er die zu schelten, ihn zwang die grosse Not,
Die da geraten hatten mit Untreue seinen Tod.
Da sprach der Todwunde: “Weh, ihr bösen Zagen,
230Was helfen meine Dienste, da ihr mich habt erschlagen?
Ich war euch stets gewogen, und sterbe nun daran;
Ihr habt an euren Freunden leider übel getan.
68Die sind davon bescholten, so viele noch geborn
Werden nach diesem Tage. Ihr habt euern Zorn
235Allzusehr gerochen an dem Leben mein;
Mit Schanden geschieden sollt ihr von guten Recken sein.”
Hinliefen all die Ritter, wo er erschlagen lag,
Es war ihrer vielen ein freudeloser Tag.
Wer Treue kannt’ und Ehre, der hat ihn beklagt;
240Das verdient’ auch wohl um alle dieser Degen unverzagt.
Der König der Burgunden klagt’ auch seinen Tod.
Da sprach der Todwunde: “Das tut nimmer Not,
Dass der um Schaden weine, von dem man ihn gewann;
Er verdient gross Schelten, er hätt’ es besser nicht getan.”
245Da sprach der grimme Hagen: “Ich weiss nicht, was euch reut;
Nun hat doch gar ein Ende, was uns je gedräut.
Es gibt nun nicht manchen, der uns darf bestehn;
Wohl mir, dass seiner Herrschaft durch mich ein End’ ist geschehn.”
“Ihr mögt Euch leichtlich rühmen,” sprach der von Niederland;
250“Hätt’ ich die mörderische Weis’ an Euch erkannt,
Vor Euch behütet hätt’ ich Leben wohl und Leib.
Mich dauert nichts auf Erden als Frau Kriemhild, mein Weib.
Nun mög’ es Gott erbarmen, dass ich gewann den Sohn,
Der jetzt auf alle Zeiten den Vorwurf hat davon,
255Dass seine Freunde jemand meuchlerisch erschlagen;
Hätt’ ich Zeit und Weile, das müsst’ ich billig beklagen.”
“Wohl nimmer hat begangen so grossen Mord ein Mann,”
Sprach er zu dem König, “als Ihr an mir getan;
Ich erhielt Euch unbescholten in grosser Angst und Not;
260Ihr habt mir schlimm vergolten, dass ich so wohl es Euch bot.”
69Da sprach in Jammer weiter der todwunde Held:
“Wollt ihr, edler König, noch auf dieser Welt
An jemand Treue pflegen, so lasst befohlen sein
Doch auf Eure Gnade Euch die liebe Traute mein.
265Es komm’ ihr zu Gute, dass sie Eure Schwester ist;
Bei aller Fürsten Tugend helft ihr zu jeder Frist.
Mein mögen lange harren mein Vater und mein Lehn;
Nie ist an liebem Freunde einem Weib so leid geschehn.”
Er krümmte sich in Schmerzen, wie ihm die Not gebot,
270Und sprach aus jammerndem Herzen: “Mein mordlicher Tod
Mag euch noch gereuen in der Zukunft Tagen;
Glaubt mir in rechten Treuen, ihr euch selber habt erschlagen.”
Die Blumen allenthalben waren vom Blute nass.
Da rang er mit dem Tode, nicht lange tat er das,
275Denn des Todes Waffe schnitt ihn allzusehr.
Da konnte nicht mehr reden dieser Degen kühn und hehr.
From Adventure 39: The end of the Nibelungs.10
Den Schild liess er fallen, seine Stärke, die war gross;
Hagnen von Tronje mit den Armen er umschloss.
So ward von ihm bezwungen dieser kühne Mann;
280Gunter der edle darob zu trauern begann.
Hagnen band da Dietrich und führt’ ihn, wo er fand
Kriemhild die edle, und gab in ihre Hand
Den allerkühnsten Recken, der je Gewaffen trug;
Nach ihrem starken Leide ward sie da fröhlich genug.
70 285Da neigte sich dem Degen vor Freuden Etzels Weib:
“Nun sei dir immer selig das Herz und auch der Leib;
Du hast mich wohl entschädigt aller meiner Not,
Ich will dir’s immer danken, es verwehr’ es denn der Tod.”
Da sprach der edle Dietrich: “Nun lasst ihn am Leben,
290Edle Königstochter; es mag sich wohl begeben,
Dass Euch sein Dienst vergütet das Leid, das er Euch tat.
Er soll es nicht entgelten, dass Ihr ihn gebunden saht.”
Da liess sie Hagnen führen in ein Haftgemach,
Wo niemand ihn erschaute, und er verschlossen lag.
295Gunter der edle hub da zu rufen an:
“Wo blieb der Held von Berne? Er hat mir Leides getan.”
Da ging ihm hin entgegen von Bern Herr Dieterich.
Gunters Kräfte waren stark und ritterlich;
Da säumt’ er sich nicht länger, er rannte vor den Saal.
300Von ihrer beider Schwertern erhob sich mächtiger Schall.
So grossen Ruhm erstritten Dietrich seit alter Zeit,
In seinem Zorne tobte Gunter so im Streit,
Er war nach seinem Leide von Herzen feind dem Mann;
Ein Wunder musst’ es heissen, dass da Herr Dietrich entrann.
305Sie waren alle beide so stark und mutesvoll,
Dass von ihren Schlägen Palast und Turm erscholl,
Als sie mit Schwertern hieben auf die Helme gut.
Da zeigte König Gunter einen herrlichen Mut.
Doch zwang ihn der von Berne, wie Hagnen war geschehn,
310Man mochte durch den Panzer das Blut ihm fliessen sehn
Von einem scharfen Schwerte, das trug Herr Dieterich;
Doch hatte sich Herr Gunter gewehrt, der müde, ritterlich.
71Der König ward gebunden von Dietrichens Hand,
Wie nimmer Kön’ge sollten leiden solch ein Band.
315Er dachte, liess er ledig Guntern und seinen Mann,
Wem sie begegnen möchten, die müssten all den Tod empfahn.
Dietrich von Berne nahm ihn bei der Hand,
Er führt’ ihn hin gebunden, wo er Kriemhilden fand.
Ihr war mit seinem Leide des Kummers viel benommen.
320Sie sprach: “König Gunter, nun seid mir höchlich willkommen.”
Er sprach: “Ich müsst’ Euch danken, vieledle Schwester mein,
Wenn Euer Gruss in Gnaden geschehen könnte sein;
Ich weiss Euch aber, Königin, so zornig von Mut,
Dass Ihr mir und Hagen solchen Gruss im Spotte tut.”
325Da sprach der Held von Berne: “Königstochter hehr,
So gute Helden sah man als Geisel nimmermehr,
Als ich, edle Königin, bracht’ in Eure Hut;
Nun komme meine Freundschaft den Heimatlosen zu Gut.”
Sie sprach, sie tät’ es gerne. Da ging Herr Dieterich
330Mit weinenden Augen von den Helden tugendlich.
Da rächte sich entsetzlich König Etzels Weib:
Den auserwählten Degen nahm sie Leben und Leib.
Sie liess sie gesondert in Gefängnis legen,
Dass sich nie im Leben wiedersahn die Degen,
335Bis sie ihres Bruders Haupt hin vor Hagen trug.
Kriemhildens Rache ward an beiden grimm genug.
Hin ging die Königstochter, wo sie Hagen sah.
Wie feindselig sprach sie zu dem Recken da:
“Wollt Ihr mir wiedergeben was Ihr mir habt genommen,
340So mögt Ihr wohl noch lebend heim zu den Burgunden kommen.”
72Da sprach der grimme Hagen: “Die Red’ ist gar verloren,
Vieledle Königstochter. Den Eid hab’ ich geschworen,
Dass ich den Hort nicht zeige; so lange noch am Leben
Blieb’ einer meiner Herren, wird er niemand gegeben.”
345“Ich bring’ es zu Ende,” sprach das edle Weib.
Dem Bruder nehmen liess sie Leben da und Leib.
Man schlug das Haupt ihm nieder, bei den Haaren sie es trug
Vor den Held von Tronje; da gewann er Leids genug.
Als der Unmutvolle seines Herrn Haupt ersah,
350Wider Kriemhilden sprach der Recke da:
“Du hast’s nach deinem Willen zu Ende nun gebracht,
Es ist auch so ergangen, wie ich mir hatte gedacht.
Nun ist von Burgunden der edle König tot,
Geiselher der junge, dazu Herr Gernot.
355Den Hort weiss nun niemand als Gott und ich allein;
Der soll dir Teufelsweibe immer wohl verhohlen sein.”
Sie sprach: “So habt Ihr üble Vergeltung mir gewährt;
So will ich doch behalten Siegfriedens Schwert.
Das trug mein holder Friedel, als ich zuletzt ihn sah,
360An dem mir Herzensjammer vor allem Leide geschah.”
Sie zog es aus der Scheide, er konnt’ es nicht wehren,
Da dachte sie dem Recken, das Leben zu versehren.
Sie schwang es mit den Händen, das Haupt schlug sie ihm ab;
Das sah der König Etzel, dem es grossen Kummer gab.
365“Weh!” rief der König: “wie ist hier gefällt
Von eines Weibes Händen der allerbeste Held,
Der je im Kampf gefochten und seinen Schildrand trug!
So feind ich ihm gewesen bin, mir ist leid um ihn genug.”
73Da sprach Meister Hildebrand: “Es kommt ihr nicht zu Gut,
370Dass sie ihn schlagen durfte; was man halt mir tut,
Ob er mich selber brachte in Angst und grosse Not,
Jedennoch will ich rächen dieses kühnen Tronjers Tod.”
Hildebrand im Zorne zu Kriemhilden sprang,
Er schlug der Königstochter einen Schwertesschwang.
375Wohl schmerzten solche Dienste von dem Degen sie;
Was konnt’ es aber helfen, dass sie so ängstlich schrie?
Die da sterben sollten, die lagen all umher,
Zu Stücken lag verhauen die Königstochter hehr.
Dietrich und Etzel huben zu weinen an
380Und jämmerlich zu klagen manchen Freund und Untertan.
Da war der Helden Herrlichkeit hingelegt im Tod;
Die Leute hatten alle Jammer und Not.
Mit Leid war beendet des Königs Lustbarkeit,
Wie immer Leid die Freude am letzten Ende verleiht.
385Ich kann euch nicht bescheiden, was seither geschah,
Als dass man immer weinen Christen und Heiden sah,
Die Ritter und die Frauen und manche schöne Maid;
Sie hatten um die Freunde das allergrösseste Leid.
Ich sag’ euch nicht weiter von der grossen Not.
390Die da erschlagen waren, die lasst liegen tot.
Wie es auch im Heunland hernach dem Volk geriet,
Hier hat die Mär’ ein Ende. Das ist das Nibelungenlied.
1. Some of the manuscripts divide the poem into sections, each one of which is called an aventiure, or ‘adventure.’
2. M.H.G. lîp, modern Leib, meant ‘body,’ ‘person,’ ‘self.’ With a genitive it is often pleonastic and untranslatable. Eines guten Ritters Leib = einen guten Ritter.
3. Archaic for Weibern for the sake of the medial rime with bleiben. Now and then a stanza has medial as well as final rimes.
4. M.H.G. wætlîch, ‘beautiful.’
5. ‘Better.’
6. The home of Brunhild, far out over the North Sea. She is an athletic maid who kills her suitors unless they vanquish her in certain sports. Gunter has come to woo her, Siegfried promising to help him. Siegfried’s reward is to be the hand of Kriemhild.
7. Siegfried has put on his Tarnkappe, or hiding-cloak, which makes him invisible.
8. The two queens have quarreled, and Hagen, as the faithful liegeman of Brunhild, seeks the life of Siegfried, who is invulnerable except in one spot on his back. At the end of a day’s hunt in the Odenwald (across the Rhine from Worms) the thirsty Siegfried races with Gunter and Hagen to a spring.
9. The silken cross which the unsuspecting Kriemhild has sewn upon her husband’s corselet, in order that Hagen may protect him from the spears of the enemy.
10. The widowed Kriemhild has married Etzel and lived several years at the Hunnish court, always nursing plans of vengeance against Hagen, who has not only killed her husband but robbed her of her Nibelungen hoard. At last she invites her brothers to visit her. In the fierce fights that take place at Kriemhild’s instigation all the Burgundians have fallen except Gunter and Hagen. The death of his liegemen at the hands of the Burgundians constrains the mighty Dietrich of Bern to interfere.
XIX. GUDRUN
A ballad epic of the Lowlands, in which ancient viking tales of bride-stealing and sea-fighting have been worked over under the influence of Christianity and chivalry. Although the only extant manuscript dates from the early years of the 16th century, the poem was probably composed about 1200,—not long 74 after the Nibelungenlied, the style of which it to some extent imitates. There are in all 1705 four-line strophes. The strophe is like that of the Nibelungenlied save that the rimes bb are feminine, and the final half-line has five accents. This last feature gives to the verse a dragging effect which is unpleasant to the modern ear.
The locus of the poem is the coast of the North Sea from Jutland to Normandy. The story consists of a Hilde-saga and a Gudrun-saga, the whole being preceded by an introductory account of Hilde’s lineage. She is the daughter of ‘wild Hagen,’ King of Ireland, and is abducted, not much against her will, by envoys of Hetel, King of the Hegelings. Gudrun is the daughter of Hetel and Hilde. She betroths herself to Herwig of Seeland, but is violently abducted, during the absence of her father’s fighting men, by Hartmut of Normandy. The Hegelings pursue, and a great fight takes place on the Wülpensand (near the mouth of the Scheldt). King Hetel and many of his men are killed, and the Normans sneak away in the night with the captured women. For fourteen years (while a new generation of Hegelings is growing up) Gudrun lives as exile in Normandy, faithful to her absent lover Herwig, and cruelly treated by the fiendish mother of Hartmut because she refuses to take the Norman for a husband. Then come rescue and revenge.
There are several translations, the most popular being, again, that of Simrock. To illustrate the meter the first of the selections below is given in Simrock’s rendering; the others are in the smoother translation of Löschhorn, who ruthlessly amputates the two extra feet in the last half-line.
From Adventure 6: Horand the Dane, one of Hetel’s envoys, does some wonderful singing, which captivates the princess Hilde.
Als die Nacht ein Ende nahm und es begann zu tagen,
Horand hub an zu singen, dass ringsum in den Hagen
Alle Vögel schwiegen vor seinem süssen Sange.
Die Leute, die da schliefen, lagen in den Betten nicht mehr lange.
5Sein Lied erklang ihm schöner und lauter immerdar,
Herr Hagen hört’ es selber, der bei Frau Hilde war.
Aus der Kemenate mussten sie zur Zinne,
Der Gast war wohl beraten; die junge Königin ward des Sanges inne.
Des wilden Hagen Tochter und ihre Mägdelein
10Sassen da und lauschten, wie selbst die Vögelein
Auf dem Königshofe vergassen ihr Getöne;
Wohl hörten auch die Helden, wie der von Dänenlanden sang so schöne.
75Als er schon das dritte Lied zu Ende sang,
Allen, die es hörten, währt’ es nicht zu lang.
15Es däuchte sie in Wahrheit nur spannenlange Weile,
Wenn er immer sänge, während einer ritte tausend Meilen.
Als er gesungen hatte und von der Stelle ging,
Die Königstochter morgens wohl nie so froh empfing,
Die ihr die Kleider brachten, die sie sollte tragen.
20Das edle Mägdlein schickte sie alsbald nach ihrem Vater Hagen.
Der König ging zur Stelle, wo er die Tochter fand.
In traulicher Weise war da des Mägdleins Hand
An ihres Vaters Kinne; sie wusst’ in ihn zu dringen.
Sie sprach: “Liebes Väterlein, heiss ihn uns noch neue Lieder singen.”
25Er sprach: “Liebe Tochter, wenn er zur Abendstund’
Dir immer singen wollte, ich gäb’ ihm tausend Pfund.
Doch sind so hochfährtig des fremden Landes Söhne,
Dass uns hier am Hofe nicht so leicht erklingen seine Töne.”
Was sie bitten mochte, der König blieb nicht mehr.
30Nun fliss sich wieder Horand, dass er nie vorher
So wundersam gesungen; die Siechen und Gesunden
Konnten nicht vom Platze, wo sie da wie angewurzelt stunden.
Die Tier’ im Walde liessen ihre Weide stehn;
Die Würme, die da sollten in dem Grase gehn,
35Die Fische, die da sollten in dem Wasser fliessen,
Verliessen ihre Fährte; wohl durft’ ihn seiner Künste nicht verdriessen.
Was er da singen mochte, das däuchte niemand lang,
Verleidet in den Chören war aller Pfaffen Sang.
Auch die Glocken klangen nicht mehr so wohl als eh’;
40Allen, die ihn hörten, war nach Horanden weh.
76Da liess ihn zu sich bringen das schöne Mägdelein;
Ohn’ ihres Vaters Wissen, gar heimlich sollt’ es sein.
So blieb es ihrer Mutter, Frau Hilden, auch verhohlen,
Dass der Held so heimlich sich zu ihrem Kämmerlein gestohlen.
From Adventure 15: The abduction of Gudrun by the Normans.
Ludwig und Hartmut drangen in das hohe Tor,
Viel todeswunde Streiter liessen sie davor.
Eine edle Jungfrau zu weinen drob begann;
Viel Schaden ward von Feinden in Hetels Burg getan.
Von Ormanie der König gewann da frohen Mut.
50Seine Zeichen trugen er und die Helden gut
Bis an den Saal der Feste. Da liess man von den Zinnen
Die lichten Fahnen flattern; Weh traf die Königinnen.
Hartmut, der schnelle Degen, zur schönen Kudrun geht.
Er spricht: “Edle Jungfrau, Ihr habt mich stets verschmäht;
55Drum werden wir’s verschmähen, ich und die Freunde mein,
Dass wir Gefangene machen. Man hängt sie, gross und klein.”
Nichts mehr gab sie zur Antwort als: “Wehe, Vater mein!
Könntest du es wissen, dass man die Tochter dein
Gewaltsam wagt zu führen hinweg aus deinem Lande,
60Du spartest der Verlass’nen den Schaden und die Schande.”
Gern wüsst’ ich, was wäre den Fremden wohl geschehn,
Wenn der grimme Wate hätte zugesehn,
Wie Hartmut der kühne durch den Saal geschritten kam,
Und mit ihm König Ludwig Kudrun gefangen nahm.
65Wate und auch Hetel hätten es ihm verwehrt
Und manchen Helm zerhauen mit ihrem guten Schwert,
Wär’s ihnen nur verraten! Man sähe nimmermehr
Geführt die schöne Kudrun gefangen übers Meer.
77Es standen alle Leute in trübem Sinn und Mut;
70Nicht anders wär’ es heute. Man nahm da Hab’ und Gut
Mit Raub den armen Bürgern und trug es fort zugleich.
Glaubt mir, es wurde jeder von Hartmuts Recken reich.
Als sie genommen hatten Schätze und Gewand,
Führte man Frau Hilde hinaus an ihrer Hand.
75Gern hätte auf die Zinnen man roten Brand gesetzt;
Dass einst die Rache folgte, wer dachte daran jetzt?
Hartmut befahl, es bleibe die Feste unversehrt.
Schnell das Land zu räumen hat der Fürst begehrt,
Eh’ man die üble Kunde hätt’ Hetel überbracht,
80Der noch in Waleis kämpfte mit stolzer Heeresmacht.
“Auch sollt ihr Raub nicht nehmen,” sprach der Held Hartmut,
“Sind wir daheim, so zahl’ ich mit meines Vaters Gut.
Auch fahren wir um so leichter über die weite See.”
Ludwigs grimmes Wüten tat Kudruns Herzen weh.
85Die Burg, die war gebrochen; die Stadt, die war verbrannt.
Da hatte man gefangen die besten, die man fand;
Zweiundzwanzig Frauen, minnigliche Maide,
Führten sie von dannen zu Hildes Herzeleide.
Wie traurig stand im Saale die edle Königin!
90Sie schritt betrübten Herzens zu einem Fenster hin,
Zu grüssen die Gefangenen mit einem letzten Blick;
Es blieb manch edle Fraue klagend bei ihr zurück.
From Adventure 17: The battle on the Wülpensand.
Es war ein breiter Werder, der Wülpensand genannt,
Da hatten Ludwigs Recken aus Normannenland
95Für sich und ihre Rosse geschafft willkommne Rast.
Wie bald bedrängt’ die Frohen der grimmen Sorge Last!
78Man führte aus den Schiffen auf den öden Strand
Die minniglichen Mädchen aus Hegelingenland.
Wie sie das Herz es lehrte, so klagten da die Frauen
100Und liessen ihre Tränen die Feinde reichlich schauen.
Da sah der Schiffer einer auf den Wogen nahn
Ein Schiff mit vollen Segeln; dem König sagt’ er’s an.
Und als sie es erblickten, rief Hartmut und die Seinen:
“Pilger sind es. Sehet das Kreuz im Segel scheinen!”
105Bald erschaute jeder drei Kiele fest und gut,
Dabei neun volle Kocken; die führten durch die Flut
Manchen, der noch nimmer zu Gottes Ruhm und Ehr’
Ein Kreuz getragen hatte!1 Der Normann griff zur Wehr.
Bald waren sie so nahe, dass man die Helme sah
110Auf dem Verdecke glänzen. Viel Not erhob sich da
Und mancher arge Schaden für Ludwig und sein Heer.
“Auf!” rief Hartmut, “uns suchen die Feinde über Meer.”
Nicht träge waren die Fremden, nah kamen sie dem Land,
Dass man schon knarren hörte die Ruder an dem Strand.
115Dort standen zum Empfange in hellem Waffenkleid
Die Alten und die Jungen am Ufer schon bereit.
Laut rief der König Ludwig, den Seinen zugewandt:
“Ein Kinderspiel nur war es, was je im Kampf ich fand!
Heut gilt’s zum ersten Male mit guten Helden Streit.
120Wer meiner Fahne folget, dem lohn’ ich’s alle Zeit.”
Hartmuts Feldzeichen trug man auf den Sand.
So nah schon waren die Schiffe, dass man mit der Hand
Die Speere konnte stossen zum Bord vom Ufer wild;
Nur wenig Musse gönnte Herr Wate seinem Schild.
79 125So grimmig ward verteidigt niemals zuvor ein Land.
Die Hegelingenrecken drangen an den Strand,
Sie schwangen ohn’ Ermüden die Speere und das Schwert,
Sie tauschten scharfe Hiebe,— die keiner doch begehrt.
Da galt es Speere werfen! Es dauerte gar lang,
130Bis sie das Land gewannen. Der alte Wate sprang
Voll Ingrimm auf die Feinde und griff sie hurtig an;
Was er im Sinne hatte, bald ward es kund getan.
Es drang der König Ludwig auf Waten ein voll Wut.
Mit einem scharfen Speere traf er den Recken gut,
135So dass die Stücke sprangen hoch auf in alle Winde.
Stark war der König Ludwig. Da kam das Ingesinde.
Auf den Helm des Königs das Schwert Herr Wate schwang,
Dass die scharfe Schneide bis auf das Haupt ihm drang.
Trüg’ er nicht unter der Brünne ein dichtes Hemd, geschnitten
140Aus Abalier Seide, den Tod hätt’ er erlitten.
Wider den Degen Irolt der kühne Hartmut sprang.
Ihrer beider Waffe auf dem Helm erklang,
Es hallte das Schwertgetöse weit über die Schar dahin.
Wacker hielt sich Irolt, Hartmut war stark und kühn.
145Herwig von Sewen, ein Held berühmt und gut,
Verfehlt’ im Sprung’ das Ufer; so sprang er in die Flut,
Dass er bis an die Achsel tief in dem Wasser stand,
Ein harter Dienst um Minne ward Herwig da bekannt.
Den edlen Recken wollten ertränken in der Flut
150Seine grimmen Feinde. Viele Schäfte gut
Mussten an ihm splittern, er eilte auf den Sand
Entgegen seinen Feinden; nicht ruhte seine Hand.
80Grössere Kampfesmühe ward niemals Helden kund.
Nie hat man so viel Recken gedrängt zum tiefen Grund.
155Die ohne Wunden starben, versenkt ins wilde Meer,
Ihrer war von beiden Seiten ein ganzes Kriegesheer.
Als sie den Strand gewannen, sah man die Wasserflut
Aus tiefen Todeswunden gefärbt ringsum wie Blut.
Aus Freunden und aus Feinden ein purpurroter Fluss,
160So breit—sein End’ erreichte nicht eines Speeres Schuss.
From Adventure 21: The hard fate of Gudrun in Normandy.
Da bot man Hetels Tochter Burgen an und Land.
Weil keines sie begehrte, musste sie Gewand
Alle Tage waschen vom Morgen bis zur Nacht.
Drum sah man später Ludwig sieglos vor Herwigs Macht.
165Es ging der Degen Hartmut, wo er die Seinen fand,
Er befahl in ihre Obhut die Leute und das Land,
Dann zog er in die Ferne. Er dacht’ in Sorgen schwer:
“Mich drängen viele Feinde; drum setz’ ich mich zur Wehr.”
Da sprach mit Wolfessinne die böse Frau Gerlind:
170“Nun will ich, dass mir diene der stolzen Hilde Kind.
Weil sie in ihrer Bosheit sich dünkt so gut und treu,
Soll sie als Magd mir dienen; leicht wär’ vom Schmach sie frei.”
Darauf die edle Jungfrau: “Was ich leisten kann,
Das sei mit diesen Händen früh und spät getan;
175Mit Fleiss und gutem Willen tu’ ich es immerdar,
Da mich mein herbes Schicksal schuf aller Freude bar.”
Da sprach die böse Gerlind: “Du sollst mein Gewand
Jeden Morgen tragen nieder an den Strand;
Du sollst die Kleider waschen mir und dem Ingesinde.
180Und hüte dich, du Stolze, dass man dich müssig finde.”
81Darauf die edle Jungfrau: “Fraue, hört mich an!
Nun lasst mich unterweisen, dass ich lernen kann,
Wie ich die Kleider wasche unten an dem Meer.
Ich mag nicht Freude haben, ja, quält mich nur noch mehr!”
185Da hiess sie eine Wäscherin nieder an den Strand,
Dass sie es Kudrun lehrte, tragen das Gewand.
Die Fürstentochter diente in harter Pein und Not;
Niemand konnt’ es wehren; es war Gerlinds Gebot.
From Adventure 28: The Hegelings take revenge; King Ludwig’s end.
Laut rief der edle Herwig: “Wer ist der Alte da?
190Von seinen starken Händen schon vieles Leid geschah.
Er schlägt so tiefe Wunden mit seiner grossen Kraft,
Dass er daheim den Frauen viel Not und Wehe schafft.”
Das hörte König Ludwig, der Held von Normandie.
“Wer ist’s, der im Getümmel dort so gewaltig schrie?
195Ich heisse König Ludwig und Normandie mein Reich.
Wer mich zum Kampfe fordert, dem achte ich mich gleich.”
Er sprach: “Ich heisse Herwig, und du stahlst mir mein Weib.
Das sollst du wieder geben, oder tot liegt hier ein Leib—
Der meine oder deine— und dazu mancher Held.”
200Herr Ludwig drauf: “Mit Drohen hast du dich mir gestellt.
Doch sprachst du deine Beichte wahrhaftig ohne Not.
Ich schlug schon manchem andern die Anverwandten tot
Und nahm ihm seine Habe. Du, prahle nicht so sehr;
Die Gattin, die du forderst, küssest du nimmermehr.”
205Kaum war das Wort gesprochen, da sprengten sie heran,
Beide aneinander. Mancher kühne Mann
Sprang an des Herren Seite aus des Getümmels Drang;
Es musste heiss sich mühen, wer da den Sieg errang.
82Wohl war Herr Herwig wacker und seiner Stärke froh,
210Doch schlug Herrn Hartmuts Vater den jungen König so,
Dass er begann zu sinken vor Ludwigs rauher Hand;
Gern hätt’ er ihn auf ewig getrennt vom Vaterland.
Wäre nicht so nah gewesen Herrn Herwigs gutes Heer,
Das vor dem Feind ihn schützte, er wäre nimmermehr
215Von Ludwig geschieden anders als im Tod;
Den jungen Herren brachte der Held in grosse Not.
Sie halfen, dass das Fechten kein böses Ende nahm.
Als er von seinem Falle nun wieder zu sich kam,
Da hat nach einer Zinne2 er schnell emporgeschaut,
220Ob er darin erblickte wohl seines Herzens Traut.
Er dacht’ in seinem Herzen: “Ach, wie ist mir geschehn!
Wenn meine Herrin Kudrun hat meinen Fall gesehn,
Und wenn ich einst zum Weibe die Königin gewinne,
So wird sie mich drum schelten und weigern mir die Minne.
225Dass mich der greise Recke hier hat zu Fall gebracht,
Muss billig mich beschämen.” Da hiess zu neuer Schlacht
Er seine Zeichen tragen dahin, wo Ludwig stand;
Nach drängten seine Helden mit Speer und Schildesrand.
In Ludwigs Rücken tobte der Hegelinge Heer;
230Er kehrte sich zum Feinde und setzte sich zur Wehr.
Da rasselten die Hiebe, da krachte mancher Schaft;
Die in der Nähe standen, erprobten Ludwigs Kraft.
Es traf Kudruns Geliebter unterm Helm und überm Rand
Den alten König Ludwig mit heldenstarker Hand.
235Er schlug ihm eine Wunde, dass man nicht länger stritt;
Da war’s, wo König Ludwig den grimmen Tod erlitt.
From Adventure 29: The fate of Queen Gerlinde.
Da trat dahin auch eilend die böse Frau Gerlind;
Demütig fiel zu Füssen sie Hildes schönem Kind.
“Nun schütze uns, o Herrin, vor Wate,” war ihr Flehn;
240“Denn du nur kannst es wenden, sonst ist’s um uns geschehn.”
“Dass Ihr um Gnade bittet, erhabene Königin,
Das höre ich nicht ungern; doch steht nicht so mein Sinn.
Wann durfte ich Euch bitten? Wann winktet Ihr Gewähr?
Ihr waret mir nie gnädig. Drum trifft mein Zorn Euch schwer.”
245Als nun der alte Wate Herrn Ludwigs Königin sah,
Wie knirscht’ er mit den Zähnen! Näher trat er da,
Ihm funkelten die Augen, sein Bart war ellenbreit,
Vor dem von Stürmen bebte im Saale Mann und Maid.
Er fasste ihre Hände und zog zur Tür sie hin,
250Da hub sie an zu jammern, die arge Königin.
Er sprach in blindem Zorne: “Fürstin stolz und hehr!
Für Euch wäscht meine Herrin die Kleider nimmermehr.”
Als er hinaus die Fürstin zog aus dem Gemach,
Da schaute manches Auge ihm voller Neugier nach.
255Er fasste ihre Haare, wer hatt’ ihm das erlaubt?
Sein Zürnen war gewaltig, er schlug ihr ab das Haupt.
1. Hetel and his men have taken possession of some ships belonging to a party of pilgrims. A Kocke was a wide, blunt-pointed convoy.
2. The fight takes place before the Norman castle.
XX. THE EARLIER MINNESINGERS
‘Early’ means, roughly, from 1150 to 1190. The lyric poets of this period were for the most part Austrian and Bavarian knights who lived remote from the French border and were little influenced by the now well-developed art of the troubadours and trouvères. They got their impulse rather from the simple love-messages and dance-songs which had long been current in Latin, probably also in artless German verses. These trifles were now translated, so to speak, into the terms of chivalrous sentiment. The art of the minnesingers culminated in the fascinating songs of Walter von der Vogelweide, and then, as their numbers increased, it gradually degenerated toward conventional inanity.
84Of the selections below, the first five are by unknown authors. No. 1 is preserved in a girl’s Latin letter to her lover; see Des Minnesangs Frühling, by Lachmann and Haupt, page 221. No. 2 is found at the end of a Latin poem; see Vogt and Koch’s Geschichte der deutschen Literatur, 2nd edition, page 87. The translations of Nos. 6, 8, and 9 are also from Vogt and Koch; the others are those of Kinzel as found in Bötticher and Kinzel’s Denkmäler.
1Mein.Du bist mein, ich bin dein: Des sollst du gewiss sein. Du bist beschlossen In meinem Herzen. 5Verloren ist das Schlüsselein, Du sollst immer drinnen sein. |
2Tanzlust des Mädchens.Alles Trauern werf’ ich hin, Auf die Heide steht mein Sinn; Kommt, ihr Trautgespielen mein, Dort zu sehn der Blumen Schein. 5Ich sage dir, ich sage dir, Meine Freundin, komm mit mir. Minne süss, Minne rein, Mache mir ein Kränzelein: Tragen soll’s ein stolzer Mann, 10Der wohl Frauen dienen kann. Ich sage dir, ich sage dir, Meine Freundin, komm mit mir. |
3Frühlingswonne.Noch keinen Sommer sah ich je, Der so lieblich deuchte mich. Mit wie viel schönen Blumen hat Die Heide heut gezieret sich! 5Der Wald ist eitel Sanges voll, Die Zeit, die tut den kleinen Vögeln wohl. |
4Gruss.Der aller Welten Meister ist, Der geb’ der Lieben guten Tag, Von der ich wohl getröstet bin. Sie hat mir all mein Ungemach 5Durch ihre Freundlichkeit genommen, Hat mich vor Untreu wohl bewahrt: In ihre Gunst bin ich gekommen. |
5Zum Reihen!Lasst springen den Reihen Uns, Fraue mein, Uns freuen des Maien, Uns kommet sein Schein. 5Der vordem der Heide Bracht’ schmerzliche Not, Der Schnee ist zergangen, Und sie ist umfangen Von Blumen so rot. |
7Dietmar von Eist: Erinnerung.Oben auf der Linde Ein kleiner Vogel lieblich sang, Vor dem Wald es hell erklang. Da flog mein Herz geschwinde 5An einen wohlbekannten Ort; Viel Rosenblumen sah ich stehn. Die mahnen die Gedanken mein Dass sie zu einer Jungfrau gehn. |
8Dietmar von Eist: Der Falke.Es stand eine Frau alleine Und blickte über die Heide, Blickt’ aus nach ihrem Lieben. Einen Falken sah sie fliegen: 5“Wie glücklich, Falke, du doch bist! Du fliegst, wohin dir’s lieb ist. Du erwählest in dem Walde Einen Baum dir nach Gefallen. Also hab’ auch ich getan: 10Ich selbst erwählte mir den Mann, Der wohlgefiel den Augen; Das neiden andre Frauen. Ach, liessen sie mir doch mein Lieb, Da mich zu ihren Trauten nie Verlangen trieb!” |
10Heinrich von Veldeke: Vogelsang.So in den Aprillen Die Blumen entspringen, Sich lauben die Linden Und grünen die Buchen, 5So mögen nach Willen Die Vögelein singen. Denn Minne sie finden, Allda sie sie suchen, Bei ihrem Genoss. Ihr Frohsinn ist gross; 10Des nie mich verdross. Denn sie schwiegen all den Winter stille. Da sie an dem Reise Die Blumen sahn prangen Und Blätter entspringen, 15Da hörte man schöne Oft wechselnde Weise, Wie vordem sie sangen. Sie hoben ihr Singen Mit lautem Getöne 20Niedrig und hoch. Mein Sinn steht also: Bin heiter und froh. Recht ist’s, dass ich laut mein Glück preise. |
11Reinmar der Alte: Glücksverkündigung.Froh bin ich der Märe, Die ich hab’ vernommen, Dass des Winters Schwere Will zu Ende kommen. 5Kaum erwart’ ich noch die Zeit, Denn ich hatte nichts als Leid, Seit die Welt rings war verschneit. Hassen wird mich keiner, Wenn ich fröhlich bin; 10Weiss Gott! tät’ es einer, Wär’s verkehrter Sinn. Niemand ich ja schaden kann. Wenn sie Gutes mir tut an, Was geht’s einen andern an? 15Sollt’ ich meine Liebe Bergen und verhehln, Müsst’ ich ja zum Diebe Werden und gar stehln. Nein, das kommt mir nicht zu Sinn, 20Weil ich gar zu fröhlich bin, Geh’ ich hier, geh’ dort ich hin. Spielt sie mit dem Balle, In der Mägdlein Chor: Dass sie nur nicht falle, 25Da sei Gott davor! Mädchen, lasst eu’r Drängen sein! Stosset ihr mein Mägdelein, Halb dann ist der Schade mein. |
14Spervogel: Priamel.1Wer einen Freund will suchen, Wo er niemand traut, Und spürt des Wildes Fährte, Wenn der Schnee schon taut, 5Kauft ungesehn der Ware viel, Und hält noch aufgegebenes Spiel, Und dient nur bei geringem Mann, Wo ohne Lohn er bleibet: Den wird es einmal noch gereun, 10Wenn er’s zu lange treibet. 1. From Latin praeambulum; a gleeman’s ‘prelude.’ |
XXI. WALTER VON DER VOGELWEIDE
The greatest of medieval lyrists. He was an Austrian, of knightly rank but poor, and was born about 1170. He led a wandering life, visiting many courts, taking a deep interest in public affairs and distinguishing himself by his matchless songs and Sprüche. In 1215 Emperor Friedrich II gave him a small estate near Würzburg. He died about 1230.
There are many translations of Walter, the best being by Simrock (1832), Panier (1878), Kleber (1894), and Eigenbrodt (1898). The translations below are from the sumptuous work of J. Nickol, Düsseldorf, 1904, which is itself eclectic and aims to give, for each poem, the best translation that could be found. No. 1 is by Pfaff, No. 2 by Simrock, 3 by Eigenbrodt, 4, 5, 6, 10 by Nickol, 7, 9, 11 by Panier, 8, 12 by Kleber.
4Das TrösteleinIn einem zweifelvollen Wahn War ich gesessen und gedachte Zu lassen ihren Dienst fortan, Als mich ein Trost ihr wiederbrachte. Trost mag es wohl nicht heissen, denn zur Stund’ Ist es ja kaum ein kleines Tröstelein, So klein, wenn ich’s euch sag’, ihr spottet mein. Doch Freude ist erlaubt auch aus geringem Grund. Mich hat ein Halm gemachet froh, Der sagt, ich solle Gnade finden. Ich mass dasselbe kleine Stroh, Wie ich zuvor es sah bei Kinden. Nun höret denn und merket wohl, ob sie es tu’: “Sie tut, tut’s nicht, sie tut, tut’s nicht, sie tut.” Wie oft ich mass, so war noch je das Ende gut. Das tröstet mich, doch da gehöret Glaube zu. Wie lieb sie mir von Herzen sei, So kann ich es gar wohl noch leiden, Zählt sie mich nur den Besten bei; Ich darf ihr Werben ihr nicht neiden. Wie ich es kann erkennen, glaub’ ich nicht, Dass sie ein andrer wankend machen möge; Ich wollte, die Getäuschten sähn, dass Wahn sie tröge, Denn allzulange schon hört sie auf jeden Wicht. |
6Doppelzüngigkeit.1Gott gibt zum König, wen er will; Darüber wundr’ ich mich nicht viel: Uns Laien wundert nur der Pfaffen Lehre, Was sie gelehrt vor wenig Tagen, Dass woll’n sie heut schon anders sagen. Nun denn, bei Gott und eurer eignen Ehre, So sagt uns denn in Treue, Mit welcher Red’ ihr uns betrogen. Erkläret uns die eine recht von Grunde, Die alte oder neue. Uns dünket, eines sei gelogen; Zwei Zungen stehen schlecht in einem Munde. |
8Das Lehen.Ich hab’ ein Lehen, alle Welt, ich hab’ ein Lehen! Jetzt fürcht’ ich weder mehr den Hornung an den Zehen, Noch will die bösen Herrn um ihre Gunst ich flehen. Der edle Herr, der milde Herr hat mich beraten, Dass ich im Sommer Luft, im Winter Wärme haben kann. Die Nachbarn sehn mich jetzt mit andern Augen an, Sie sehn nicht mehr den Butzemann in mir, wie sie es taten. Zu lange war ich arm, das weiss ich keinem Dank; Ich war so voll des Scheltens, dass mein Atem stank. Den hat der König rein gemacht, dazu auch meinen Sang. |
10Die drei Dinge.Ich sass auf einem Steine Und deckte Bein mit Beine. Darauf setzt’ ich den Ellenbogen; Ich hatt’ in meine Hand gezogen 5Das Kinn und eine Wange. Da dachte ich gar bange, Wie man auf Erden sollte leben; Doch keinen Rat konnt’ ich mir geben, Wie man drei Ding’ erwürbe, 10Dass keins davon verdürbe. Die zwei sind Ehr’ und fahrend Gut, Das oft einander Schaden tut; Das dritt’ ist Gottes Segen, Daran ist mehr gelegen. 15Die wünscht’ ich gern in einen Schrein. Ja, leider mag das nimmer sein, Dass Gut und weltlich’ Ehre Und Gottes Huld, die hehre, Je wieder in Ein Herze kommen. 20Ihnen ist Weg und Steg benommen: Untreue liegt im Hinterhalt, Und auf der Strasse fährt Gewalt; Friede und Recht sind beide wund, Die dreie finden kein Geleit, die zwei denn werden erst gesund. |
Elegie.O weh, wohin entschwunden sind alle meine Jahr! Ist mir mein Leben geträumet, oder ist es wahr? Was ich je wirklich wähnte, war’s nur ein Traumgesicht? So hab’ ich denn geschlafen, und ich weiss es nicht! 5Jetzt bin ich erwacht, und ist mir unbekannt, Was mir vordem war kundig, wie meine rechte Hand. Leut’ und Land, da ich von Kindheit an erzogen, Die sind mir fremd geworden, als ob es sei erlogen; Die mir Gespielen waren, die sind träg’ und alt, 10Geackert ist das Feld, gehauen ist der Wald. Wenn nicht das Wasser flösse, wie es weiland floss, Fürwahr, ich wähnte, mein Unglück es wär’ gross. So kalt grüsst jetzt mich mancher, der einst mich wohl gekannt; Voll Not und Trübsal ist die Welt in Stadt und Land. 15So ich gedenk’ an manchen wonniglichen Tag, Die sind mir entfallen, recht wie ins Meer ein Schlag. Immermehr o weh! O weh, wie jämmerlich doch junges Volk jetzt tut, Dem ehmals nie verzagte in der Brust der Mut! 20Die tragen sich mit Sorgen, weh, was tun sie so! Wohin ich immer blicke, keinen seh’ ich froh. Tanzen, Lachen, Singen, vergeht vor Sorgen gar; 96Nie sah man unter Christen so jämmerliche Schar. Seht nur der Frauen Schmuck, der einst so zierlich stand; 25Die stolzen Ritter tragen bäurisches Gewand. Uns sind ungnädige Briefe2 her von Rom gekommen; Uns ist erlaubt zu trauern, und Freude gar benommen. Das schmerzt mich tief im Herzen—wir lebten einst so wohl— Dass ich nun für mein Lachen Weinen tauschen soll. 30Die Vöglein in dem Walde betrübet unsre Klage, Was Wunder, wenn auch ich darüber schier verzage? Doch, ach, was sprech’ ich Tor in meinem sündigen Zorn? Wer dieser Wonne folget, der hat jene dort verlorn. Immermehr o weh! 35O weh, wie ward uns Gift mit Süssigkeit gegeben! Die Galle seh’ ich mitten in dem Honig schweben. Die Welt ist aussen lieblich, weiss und grün und rot, Doch innen schwarzer Farbe, finster wie der Tod. Wen sie verleitet habe, der suche Trost bei Zeit; 40Er wird mit leichter Busse von schwerer Schuld befreit. Daran gedenket, Ritter, es ist euer Ding! Ihr tragt die lichten Helme und manchen harten Ring, Dazu die festen Schilde und das geweihte Schwert; Wollte Gott, ich wäre für ihn zu streiten wert! 45So wollt’ ich armer Mann verdienen reichen Sold; Nicht mein’ ich Hufen Landes, noch der Herren Gold. Ich möchte jene ewigliche Krone tragen, Ein Söldner könnte sie wohl mit seinem Speer erjagen. Könnt’ ich die teure Reise fahren über See, 50So wollt’ ich wieder singen “wohl” und nimmermehr “o weh,” Nimmermehr o weh! |
XXII. HEINRICH VON VELDEKE’S ENEID
A Low German poem of 13,528 verses, completed between 1184 and 1190. Its author was a Netherlander of knightly rank who finished his poem in Thuringia and was regarded by his successors as the father of the riming love-romance. 97 His chief source was an Old French Roman d’Enéas, but he dealt very freely with his French text, omitting much, adding much and making some use, possibly, of the Latin original.
Lines 1450-1534: The love-smitten Dido confides in her sister Anna.
Sie ging in ihre Kemenate,
Wo ihre Frauen lagen.
Als die sie kommen sahen,
Waren sie all’ in Sorgen:
Es war doch früh am Morgen.
1455Sie hatte grosses Ungemach;
Bedeutungsvoll sie sprach
Zu ihrer Schwester Annen;
Die führte sie von dannen
In ihre Kemenate wieder.
1460Sie fiel am Bette nieder
Und klagte ihr ihr Ungemach,
Wie sie die ganze Nacht
Schlaflos geblieben war.
Sie seufzte tief fürwahr,
1465Gar traurig war ihr Sinn,
Sie sprach: “Mein’ Ehr’ ist hin.”
“Fraue Schwester Dido,”
Sprach Anna, “wie denn so?
Sagt, was ist Eure Not?”
1470“Schwester, ich bin fast tot.”
“Erkranktet Ihr? Zu welcher Stund’?”
“Schwester, ich bin ganz gesund,
Doch kann ich nicht genesen.”
“Schwester, wie mag das wesen?
1475Ich meine, Frau, ‘s ist Minne.”
“Ja, Schwester, zum Wahnsinne.”
“Warum betragt Ihr Euch also,
Liebe Fraue Dido?
Was wollt Ihr so verderben?
1480Ihr dürft nicht an Minne sterben.
Ihr mögt sehr wohl genesen
Und nachher glücklich wesen.
Es ist kein Mann auf Erden,
Der nicht Euer könnte werden,
1485Der nicht froh wär’ Eurer Minnen;
Ihr sollt Euch bass besinnen.”
Da versetzte Frau Dido:
“Es steht mir nicht also.
Wahr ist es in der Tat,
1490Ich sollte finden andern Rat;
Ich tät’ es, wär’s in meiner Wahl.
Ihr wisset, dass ich dem Gemahl
Sicheus gelobte und verhiess,
Der mir ein gross Gut hinterliess
1495Und auch grosse Ehr’,
Dass ich nun nimmermehr
Einen Mann würde nehmen,
Was für Freier immer kämen.”
Da sprach aber Anna:
1500“Ihr redet von dem Manne
Allzuviel und ohne Not.
Er ist seit vielen Tagen tot.
Wo steht denn Euer Sinn?
Wie hätte er Gewinn,
1505Wenn Ihr jetzt verdürbet
Und törichterweise stürbet?
Ihr braucht nicht Euer Leben
Seinetwegen zu vergeben.
Er könnt’ es Euch nicht lohnen.
98 1510Ihr sollt Euch selber schonen.
Die Rede, die Ihr tut,
Sie ist ja gar nicht gut.
Lasst solche Rede sein
Und folgt dem Rate mein;
1515Das ist grössere Weisheit.
Sagt mir nur die Wahrheit:
Wer ist der selige Mann,
Dem Gott es gönnen kann,
Dass Ihr ihn wollt minnen?
1520Das gebt mir zu besinnen.
Ich will Euch raten dann
So gut, wie ich es kann,
Weil ich Euch Gutes gönne.
Ob ich so raten könne,
1525Dass Ihr damit gedienet seid?
Nun sagt es mir, es ist ja Zeit.”
Sie sprach: “Ich will’s nicht hehlen.
Ich will Euch jetzt befehlen
Ehre so wohl als Leben.
1530Ihr sollt mir Rat drauf geben.
Es ist,” sprach sie, “ein Mann,
Dem keiner gleichen kann.
Ich muss verraten seinen Nam’
Trotz meiner grossen Scham;
1535Das Nennen tut mir weh.
Er heisset,” sprach sie, “E”—
Und nach dem NE ward es gar lang,
So sehr die Minne sie bezwang,
Bevor sie deutlich sagte AS;—
1540Dann wusste Anna, wer er was.
Lines 9735-9820: Pending the fight between Eneas and Turnus, Lavinia hears of Minne from her mother.
Da nun zwischen beiden
Der Zweikampf sollt’ entscheiden,
Recht war es ihrer Tapferkeit.
Sie machten sich bereit
Mit mannlichem Sinn.
9740Da ging die Königin
Eines Abends spat
In ihre Kemenat
Und rief die Tochter zu sich,
Eine Jungfrau minniglich.
9745Zu reden sie begonnte,
Wie sie es wohl konnte,
Mit sehr klugem Sinn.
Es sprach die Königin:
“Lavine, schönes Mägdelein,
9750Du liebe Tochter mein,
Vielleicht es nun so endet,
Dass der Vater dir entwendet
Grosses Gut und grosse Ehr’:
Turnus, der edle Herr,
9755Der deine Minne stark begehrt,
Ist deiner durchaus wert;
Des hab’ ich sichere Kunde.
Und wärest du zur Stunde
Tausendmal so schön und gut,
9760Du könntest billig deinen Mut
Dem tapfern Mann zukehren;
Ich gönne dir die Ehren.
Ich will, dass du ihn minnest,
Und dabei auch erkennest,
9765Dass er ein edler Herr.
Drum lob’ ich dir so sehr
Den Helden wonnesam.
Sei doch Eneas gram,
Jenem Trojaner schlecht,
9770Der ihn erschlagen möcht’,
Der dich im Herzen trägt
99Dir ist’s ja auferlegt,
Ihm Ungunst zu erzeigen
Und stetiges Abneigen,
9775Ihm keine Ehr’ zu zollen,
Ihm Gutes nicht zu wollen.
Du sollst ihm bleiben kalt,
Weil er dich mit Gewalt
Nun wähnet zu gewinnen.
9780Er strebt nach deiner Minnen
Nur wegen deines Gutes:
Was er bestrebt, er tut es,
Damit er dich erwerbe
Und mit dir nun als Erbe
9785Gewinne auch zugleich
Deines Vaters Reich.
Du tätest, wie ich wollt’,
Würdest du Turnus hold.”
“Womit soll ich ihn minnen?”
9790“Mit Herzen und mit Sinnen.”
“Soll ihm mein Herze geben?
Wie könnte ich dann leben?”
“Unwissend bist du, wie man sieht.”
“Was, wenn es nicht geschieht?”
9795“Was, wenn’s geschehen tut?”
“Wie kann ich meinen Mut
Einem Manne zukehren?”
“Die Minne wird’s dich lehren.”
“Um Gotteswillen, was ist Minne?”
9800“Sie ist vom Urbeginne
Der Erde Herrscherin
Und bleibt’s auch fernerhin
Bis zu dem jüngsten Tag.
In keiner Weise mag
9805Ein Mensch ihr widerstehen,
Denn sie kann niemand sehen
Noch betasten mit der Hand.”
“Die hab’ ich, Fraue, nie gekannt.”
“Du sollst sie kennen lernen noch.”
9810“Wann erwartet Ihr es doch?”
“Ich erwart’ es, wie ich mag.
Vielleicht erleb’ ich noch den Tag,
Da du ungebeten minnest.
Und wenn du es beginnest,
9815Wirst du empfinden Lust dazu.”
“Ich weiss, dass ich’s nicht tu’.”
“Es kommt, so sicher du auch bist.”
“Dann sagt mir, was die Minne ist.”
“Ich kann sie nicht beschreiben.”
9820“Dann lasst es doch noch bleiben.”
Lines 10031-79: Lavinia’s first glimpse of Eneas.
Als der Held dahin kam,
Und die Jungfrau wonnesam
Ihre Augen kehrte dar
Und sein da unten ward gewahr
10035Von ihrer hohen Zinne,
Durchschoss sie nun Frau Minne
Mit einem scharfen Pfeil;
Drum ward ihr Qual zuteil
Auf manche lange Stunde.
10040Sie empfing eine Wunde,
In ihrem Herzen drinnen,
So dass sie musste minnen
Und konnte nichts dafür.
100Gram ward die Mutter ihr,
10045Deren Huld sie ganz verlor,
Denn sie brannte und sie fror
Fast in derselben Stunde.
Die Art und Weis’ der Wunde,
Das Übel war ihr unbekannt.
10050Sehr bald sie nun verstand
Ihrer Mutter Geheiss.
Sie ward unmässig heiss
Und danach wieder kalt,
Sie kam in Ungewalt,
10055Unangenehm sie lebte,
Sie schwitzte und sie bebte,
Wurde bleich und wurde rot;
Sehr gross war ihre Not
Und ihres Leibes Ungemach,
10060Da fand sie Kraft und sprach.
Als das Herz ihr wiederkam,
Sprach die Jungfrau wonnesam
Jämmerlich sich selber zu:
“Ich weiss nicht leider, was ich tu’;
10065Ich weiss nicht, was mich schiert,
Dass ich bin so verwirrt.
Nie ward mir solches kund;
Ich war bisher gesund
Und bin nun jetzt fast tot.
10070Wer hat in kurzen Stunden
Das Herz mir festgebunden,
Das früher ledig war und frei?
Mir ahnt, es sei das Ungemach,
Von dem vorher die Mutter sprach.
10075Zu früh hat’s mir passiert!
Wär’ ich doch ungeniert
Von—Minne, wie ich sie verstand,
Ja, Minne hat sie es genannt!”
XXIII. HARTMANN VON AUE
The first in order of the three great romancers who interpreted the French tales of chivalry for medieval Germany. They were adapters rather than translators, just as were the French poets themselves in relation to their Keltic sources. Hartmann was born in Swabia about 1165, took part in a crusade, probably that of 1197, and died before 1220. His chief works are the two Arthurian romances Erec and Iwein, and the two pious ‘legends’ Gregorius and Der arme Heinrich. The selection from Der arme Heinrich is given in Bötticher’s translation, as found in Bötticher and Kinzel’s Denkmäler, II, 2.
I
From ‘Iwein’, lines 2073-2338: The enterprising maid Lunete persuades her mistress to marry Iwein, who has just slain her husband.
Dass sie der Magd je Hartes sprach,
Davon litt sie solch Ungemach,
2075Dass sie es sehr bereute.
Als sich der Tag erneute,
War jene noch einmal gekommen
Und wurde besser aufgenommen
Als sie entlassen ward vorher.
101 2080Die Frau ermunterte sie sehr
Mit gütigem Empfange.
Es dauerte nicht lange,
Bevor sie nun also begann:
“Du lieber Gott, wer ist der Mann,
2085Den du mir gestern lobtest?
Ich glaube nicht, du tobtest,
Denn der war nicht von Herzen matt,
Der meinen Herrn erschlagen hat.
Hat er Geburt und Jugend
2090Und sonst etwa ‘ne Tugend,
So dass er mir zum Herren ziemt,
Und dass die Welt, wenn sie’s vernimmt,
Mir’s nicht zu sehr verdenken kann,
Dass ich genommen hab’ den Mann,
2095Der mir den Herrn erschlagen?
Kannst du mir von ihm sagen,
Was mir in seiner Tugend Licht
Dem üblen Ruf die Spitze bricht?
Und rätst du mir sodann,
2100Ich nähme ihn zum Mann?”
Sie sprach: “Es dünkt mich gut.
Mich freut, dass Ihr den Mut
So schnell habt umgekehret.
In ihm seid Ihr geehret;
2105Zu fürchten wäre keine Scham.”
Sie sprach: “Was ist also sein Nam’?”
“Er nennt sich Herr Iwein.”
Gleich stimmten sie nun überein.
Sie sprach: “Der Nam’ ist mir doch kund
2110Seit mancher langen Stund’.
Er ist gewiss vom hohen Stamm
Des Königs Vriën lobesam.
Nun ist die Sache klar zum Teil,
Und krieg’ ich ihn, so hab’ ich Heil.
2115Aber, Gesellin, weisst du recht,
Ob er mich auch haben möcht’?”
“Es wär’ ihm lieb, wär’s schon geschehn.”
“Und sage mir, wie bald wird’s gehn?”
“In ungefähr vier Tagen.”
2120“Ach Gott, was willst du sagen!
Zu lang machst du die Frist.
Bedenke dich, ob’s möglich ist,
Dass ich ihn morgen—heute—sehe.”
“Wie wollt Ihr, Frau, dass das geschähe?
2125Zu denken wäre nicht daran:
Es lebt auf Erden nicht der Mann,
Er habe denn Gefieder,
Der käme hin und wieder
In solcher kurzen Frist;
2130Ihr wisst, wie fern es ist.”
“So überlass es meinem Witz.
Mein Garçon läuft ja wie der Blitz;
Zwei Tag’ ein andrer reiten muss,
Er macht’s in einem Tag zu Fuss.
2135Der Mondschein ihm auch helfen mag:
Er mache ja die Nacht zum Tag.
102Auch sind die Tag’ unmässig lang;
Sag’ ihm, es lohnt sich hoch sein Gang,
Und dass es ihm recht lange frommt,
2140Wenn er schon morgen wiederkommt.
Er rühre tüchtig nur die Bein’
Und mache die vier Tag’ zu zwein.
Er soll sich sputen sehr
Und ausruhen nachher,
2145So lang er eben ruhen möcht’.
Nun, Trautgesellin, mach’s ihm recht!”
Sie sagte: “Frau, es soll geschehn;
Doch eines sei nicht übersehn:
Befragt doch Eure Leute
2150Gleich morgen oder heute;
Denn paart Ihr Euch ohn’ ihren Rat,
Es wäre eine üble Tat.
Wer sich berät in diesen Dingen,
Dem kann es nimmermehr mislingen.
2155Was man alleine tut,
Wird es nachher nicht gut,
Bringt böses Leid in Doppelmass:
Den Schaden und der Freunde Hass.”
Sie sprach: “O weh Gesellin traut,
2160Wie mir vor diesem Schritte graut!
Man wird vielleicht dagegen sein.”
“Nur nichts vom Bangen, Fraue mein!
Es ist gewiss kein andrer Held,
Und sucht Ihr durch die ganze Welt,
2165Der wahrte Euch wie er den Bronn;
So wird die Meinung sein davon.
Mit Freude, zweifelt nicht daran,
Wird jederman in Eurem Bann
Solch Landeshut begrüssen;
2170Man wirft sich Euch zu Füssen
Und bittet Euch, hat man’s erfahren,
Geschwinde Euch mit ihm zu paaren.”
Sie sprach: “Nun lass den Garçon ziehn!
Indessen will ich mich bemühn,
2175Botschaften auszusenden;
Wir wollen die Rede enden.”
Leicht hätte sie ihn fortgesandt,
Denn er befand sich gleich zur Hand.
Der Garçon auf den Wink der Maid
2180Verbarg sich mit Geschwindigkeit;
Schnell fasste ja der flinke Knapp,
Was man ihm auszuführen gab.
Er konnt ihr helfen bei dem Lügen
Und ohne jede Bosheit trügen.
2185Eh’ ihre Herrin hatte Zeit,
Zu träumen von der Möglichkeit,
103Der Knabe sei schon auf dem Wege,
Nahm sie den Ritter in die Pflege,1
Wie Gott allein sie lohnen kann.
2190Mit schönster Bitte ging sie dran.
Es lagen Kleider da bereit
In dreifacher Vortrefflichkeit,
Grau, hermelin und bunt;
Ging doch der Wirt zu jeder Stund’
2195Gekleidet wie ein Hofgalan,
Der viel auf Leibespflege sann
Und nie am Prunk es fehlen liess.
Das schönste sie ihn wählen hiess
Und kleidete ihn damit an.
2200Am nächsten Abend ging sie dann,
Wo sie die Frau alleine fand,
Und machte sie gleich vor der Hand
Von Freude bleich und rot.
Sie sprach: “Gebt mir das Botenbrot!
2205Der Garçon ist gekommen.”
“Hast schon etwas vernommen?
Ist’s gute Märe? Sprich doch! Wie?
Also ist Herr Iwein hie?
Wie ist es ihm so früh geglückt?”
2210“Die Liebe hat ihn hergeschickt.”
“Ach Gott! Doch sprich! Wer weiss davon?”
“Es weiss bisher kein Muttersohn
Als Euer Knab’ und wir.”
“Wann führst du ihn zu mir?
2215Geh stracks zu ihm, ich bitte dich.”
Die flinke Magd entfernte sich
Und machte mit verstellter Mien’,
Als vor dem Ritter sie erschien,
Als ob mit böser Märe
2220Sie ihm gesendet wäre.
Sie hing den Kopf und sah ihn an
Und trauriglich also begann:
“Ach, lieber Gott, mit mir ist’s aus!
Die Herrin weiss, dass Ihr im Haus.
2225Für mich hat sie nun nichts als Zorn;
Ich habe ihre Huld verlorn,
Weil ich Euch barg im Schlosse hier.
Doch sagt sie, es beliebe ihr
Euch einmal näher anzusehen.”
2230“Und sollte das nun nicht geschehen,
Ich liess ihr eher meinen Leib.”
“Sie sollt’ Euch töten? Sie, ein Weib?”
“Sie hat ja doch ein starkes Heer.”
“Oh, Ihr genest wohl ohne Wehr.
2235Ich hab’s von ihr mit Sicherheit,
Dass Euch in keiner Weise leid
104Von ihren Händen soll geschehen;
Sie wünscht Euch nur allein zu sehen.
Ihr müsst Euch nur gefangen geben;
2240Es geht Euch anders nicht ans Leben.”
Er sagte: “Sie holdseliges Weib!
Ich will es gern, dass dieser Leib
Auf immer ihr Gefangener sei,
Und dass mein Herz sei auch dabei.”
2245Jetzt stand er auf und ging dahin,
Ein seliger Mann mit frohem Sinn,
Und ward kühl aufgenommen.
Als er vor sie gekommen,
Begrüsst’ ihn weder Wort noch Neigen.
2250Ihr langes, langes Stilleschweigen
Begann ihm endlich sauer zu werden;
Er wusste nicht sich zu gebärden.
Er blieb in weiter Fern’ zurück
Und sah sie an mit scheuem Blick.
2255Da beide schwiegen, sprach die Magd:
“Herr Iwein, warum so verzagt?
Lebt Ihr und habt Ihr einen Mund?
Ihr redetet vor kurzer Stund’;
Jetzt werdet Ihr ganz stumm.
2260In Gottes Namen, sagt warum
Ihr meidet ein so schönes Weib.
Weh dessen unglücksel’gem Leib,
Der ohne Dank je einen Mann,
Der doch geläufig sprechen kann,
2265Zu einer schönen Frau geleitet,
Die er dann anzureden meidet!
Rückt ihr nur näher ohne Scheu!
Ich sage Euch bei meiner Treu,
Sie wird Euch doch nicht beissen! Traun!
2270Fügt man dem andern solches Graun,
Wie ihr von Euch geschehen,
Und will man Gnade sich versehen,
Dazu gehört ein besserer Lohn.
Ihr habt den König Askalon,
2275Den ihr so lieben Herrn erschlagen:
Könnt Ihr auf Gunst zu hoffen wagen?
Ihr steht in grosser Schuld;
Nun werbt um ihre Huld!
Wir wollen sie beide bitten,
2280Dass sie, was sie erlitten,
Geruhe zu vergessen.”
Jetzt ward nicht mehr gesessen.
Er warf sich ihr zu Füssen
Und bat um holdes Grüssen
2285Als schuldbelad’ner Mann.
Er sprach: “Ich mag und kann
Euch Besseres nicht bezeigen
An Ehr’ und treuem Neigen
Als wenn ich sage: Richtet mich!
2290Was Ihr mögt wollen, das will ich.”
105“Wollt Ihr denn alles, was ich will?”
“Ja wohl; es dünkt mich nicht zu viel.”
“So nehm’ ich Euch vielleicht den Leib.”
“Wie Ihr gebietet, holdes Weib.”
2295“Nun ja, was soll ich reden lang?
Da Ihr Euch ohne jeden Zwang
In meine Macht ergeben,
Nähm’ ich nun Euch das Leben,
Es ziemte nicht dem Weibe.
2300Glaubt aber nicht bei Leibe,
Dass es aus Wankelmut geschehe,
Wenn ich Euch jetzt, wie ich gestehe,
Nur allzu früh empfang’ in Gnade.
Von Euch entstand mir solcher Schade,
2305Dass, stünd’ es mir um Ehr’ und Gut,
Wie es den meisten Frauen tut,
Ich sicherlich nicht wollte,
Wie ich es auch nicht sollte,
So jäh Euch Gnad’ erteilen.
2310Nun gilt es aber eilen;
Denn da es zu erwarten steht,
Dass mir mein Land verloren geht
Gleich heute oder morgen,
Muss ich mich schnell versorgen
2315Mit einem Mann zur Landeswehr.
Ihn find’ ich nicht in meinem Heer,
Seit mein Gemahl erschlagen ist;
Drum muss ich nun in kurzer Frist
Mir einen Mann erküren
2320Oder mein Land verlieren.
Nun sollt Ihr mir aufrichtig sagen:
Da Ihr den Herrn mir habt erschlagen,
So seid Ihr wohl ein tüchtiger Mann;
Und wenn ich Euch gewinnen kann,
2325Bin ich mit Euch doch wohl bewahrt
Vor fremdem Hochmut jeder Art.
Und glaubt, was ich Euch nun erkläre:
Eher als dass ich Euch entbehre,
Gält’ ich sogar als ungesittet;
2330Obwohl das Weib den Mann nicht bittet,
Bitt’ ich zuerst und bitte sehr.
Bedrängen will ich Euch nicht mehr,
Ich will Euch gerne. Wollt Ihr mich?”
Er sagte: “Frau, verneinte ich,
2335So wär’ es um mein Glück geschehen.
Der liebste Tag, den ich gesehen,
Der ist mir heute widerfahren,
Und möge Gott mein Heil bewahren!”
II
From ‘Der arme Heinrich’, lines 1004-1247: Poor Henry at Salerno with the maid who is eager to give her heart’s blood that he may be cured of his leprosy.
So fuhr denn nach der Stadt Salern
1005Die treue Magd mit ihrem Herrn.
Es trübt des Herzens Fröhlichkeit
Nichts mehr, als dass der Weg so weit,
Dass ihr so lang das Licht noch schien.
Und als er sie gebracht dahin,
1010Wo er den Meister wohlbekannt,
Wie er gedachte, wiederfand,
Ward’s dem gar fröhlich angesagt,
Gefunden wäre jetzt die Magd,
Die einst er ihn gewinnen hiess.
1015Zugleich er ihn sie sehen liess.
Den däuchte das unglaublich schier.
Er sprach: “Mein Kind, und hast du dir
Solch Willen wohl auch klar gemacht?
Wie? Hat zu dem Entschluss gebracht
1020Dich Wunsch und Drohung deines Herrn?”
Die Jungfrau sprach, sie tu’ es gern
Aus ihrem eignen Herzen sei
Der Wunsch gekommen, frank und frei.
Gross Wunder däucht’ ihn das, und fern
1025Nahm er besonders sie vom Herrn
Und fragt’ sie auf die Seligkeit,
Ob nicht ihr Herr in seinem Leid
Solch Reden hätt’ ihr aufgedroht.
Dann sprach er: “Kind, es ist dir not,
1030Dass du dich mehr noch kümmerst drum,
Was dir bevorsteht—hör’, warum.
Wenn du den Tod nun leiden musst
Und nicht von Herzen gern es tust,
So ist dein junges Leben hin
1035Und bringt doch keinen Deut Gewinn.
Verschliess’ vor mir nicht deinen Mund.
Was dir geschieht, tu’ ich dir kund.
Ich muss dich ausziehn, nackt und bloss;
Da wird die Pein der Scham dir gross.
1040Ich binde dich an Bein- und Armen;
Fülst du mit deinem Leib Erbarmen,
Bedenke, Mädchen, diese Schmerzen!
Ich schneide dich bis tief zum Herzen
107Und reiss’ es lebend noch aus dir.
1045Nun, Mädchen, sprich und sage mir,
Wie es mit deinem Mute steh’;
Geschah noch keinem Kind so weh,
Als dir von mir nun muss geschehen.
Dass ich es tun muss und es sehen,
1050Das macht mir Angst und Not genug.
Bedenk’ nun selber bei dir klug:
Gereut dich’s auch nur um ein Haar,
So hab’ ich meine Arbeit gar
Und du den jungen Leib verloren.”
1055So ward um alles sie beschworen,
Dass fern sie bleibe solcher Pflicht,
Wär’ felsenfest ihr Wille nicht.
Die Jungfrau aber lachend sprach,
Da sie erfuhr, dass an dem Tag
1060Ihr helfen sollte noch der Tod
Aus aller Welt- und Erdennot:
“Gott lohn’ Euch, lieber Herr, dass Ihr
So ganz und gar und treulich mir
Die volle Wahrheit habt gesagt.
1065Nun bin ich wahrlich doch verzagt:
Ein Zweifel mir das Herz erregt;
Euch sei’s geklagt, was mich bewegt.
Mir bangt jetzt, unser Unternehmen
Möcht’ Euer zager Mut noch lähmen,
1070Dass es vielleicht gar unterbleibe!
Eu’r Reden ziemte einem Weibe.
Ihr seid des Hasen Spielgenoss,
Und Eure Angst ist viel zu gross
Um mich, dass ich nun sterben soll.
1075Wahrhaftig, Herr, Ihr tut nicht wohl
Bei Eurer grossen Meisterschaft.
Ich bin ein Weib, doch hab’ ich Kraft.
Wagt Ihr nur mich zu schneiden,
Ich wag’ es wohl zu leiden.
1080Die Angst und bittre Todesqual,
Davon Ihr mir erzählt zumal,
Die hab’ ich wohl von Euch vernommen;
Doch wär’ ich wahrlich nicht gekommen,
Wüsst’ ich so fest nicht meinen Mut,
1085Dass ich vergiessen könnt’ mein Blut
Und alle Leiden gern erdulden.
Mir ist von Euren Hulden
Die bleiche Farbe ganz genommen
Und also fester Mut gekommen,
1090Dass ich nicht ängstlicher hier steh’,
Als wenn ich froh zum Tanze geh’;
Die Not kann doch so gross nicht sein,
108Die einen Tag nur währt; ich mein’,
Dass ich fürs ewige Leben
1095Den einen Tag wohl könnte geben.
Euch kann an meinem festen Willen
Kein Zweifel mehr das Herz erfüllen.
Könnt’ Ihr dem Herrn Gesundheit geben
Und mir zugleich das ew’ge Leben,
1100Um Gotteswillen, tut’s beizeit.
Lasst sehn, ob Ihr ein Meister seid.
Ihr sollt noch reizen mich dazu.
Ich weiss es wohl, um wen ich’s tu’.
In dessen Namen es geschieht,
1105Der unsre guten Dienste sieht
Und lässt sie ungelohnet nicht.
Ich weiss wohl, dass er selber spricht,
Wer grosse Dienste leiste,
Des Lohn sei auch der meiste.
1110Drum halt’ ich diesen grimmen Tod
Auch nur für eine süsse Not
Um solch gewissen Himmelslohn.
Liess’ ich die reiche Himmelskron’,
So wär’ zu töricht doch mein Sinn,
1115Da ich so arm geboren bin.”
Nun sah er, dass unwandelbar
Und ohne Reu’ ihr Wille war.
Noch einmal führt’ er sie sodann
Hin zu dem armen, siechen Mann
1120Und sprach zu ihrem Herren:
“Dem Zweifel lasst uns wehren,
Zum Werke sei die Magd nicht gut!
Nun habt Vertraun und guten Mut,
Ich mache bald Euch ganz gesund.”
1125Hin führt’ der Meister sie zur Stund
In sein geheimes Arbeitszimmer,
Damit ihr Herr es sehe nimmer,
Verschloss vor ihm sogleich die Tür
Und warf noch einen Riegel für:
1130Er wollte nicht, dass er es seh’,
Wie’s nun mit ihr zu Ende geh’.
In einer Kemenaten,
Die er gar wohl beraten
Mit Arzenein für jung und alt,
1135Hiess er die Jungfrau alsobald
Vom Leibe ziehn der Kleider Zier.
Drob ward sie froh und fröhlich schier.
Sie riss die Näte gleich entzwei
Und war bald ihrer Kleider frei.
1140Als sie der Meister nun ansah,
In seinem Herzen fühlt’ er da,
Wie sehr ihn dauerte die Maid,
Dass Herz und Mut vor Traurigkeit
Ihm beinah wären noch verzagt.
1145Da sah die gute, reine Magd
109Gar einen hohen Tisch da stehn,
Auf den hiess sie der Meister gehn.
Alsbald er fest darauf sie band
Und nahm ein Messer in die Hand,
1150Das nahe lag, gar lang und scharf,
Des man für solches Werk bedarf.
So guten Stahl das Messer trug,
Dem Meister war’s nicht scharf genug.
Ihn jammerte die grosse Not,
1155Er wollt’ ihr lindern noch den Tod.
Nun lag ein guter Wetzstein auch
Ganz nahe bei, wie noch der Brauch.
Auf dem hub jetzt zu streichen an
Gar langsam der bedrückte Mann.
1160Das Wetzen aber hörte,
Der ihre Freude störte,
Der arme Heinrich vor der Tür.
Und als das Wetzen drang herfür,
Da klagt’ und trauert’ er gar sehr,
1165Dass er das Mägdlein nimmermehr
Lebendig sollte sehen.
Er hub zu suchen an und spähen,
Bis endlich in der dünnen Wand
Sein Aug’ ein kleines Löchlein fand.
1170Da sah er durch den schmalen Spalt
Sie auf dem Tisch gebunden bald.
Sie war so hold, so jung und schön,
Da musst’ er reuig sich ansehn,
Und anders ward ihm da zu Mut.
1175Ihn deucht’, es sei wohl nimmer gut,
Wie ihm bisher das Herz gesinnt.
Und so verwandelt’ er geschwind
Den alten eigensücht’gen Sinn
Und gab sich neuem Fühlen hin.
1180Er sprach: “Das war unklug Beginnen,
Dass wider den in trotz’gen Sinnen
Du leben wolltest einen Tag,
Dem niemand doch entrinnen mag.
Du weisst fürwahr nicht, was du tust,
1185Da du doch einmal sterben musst,
Dass du dies jammervolle Leben,
Das Gott allein dir hat gegeben,
Nicht willig willst zu Ende tragen,
Zumal du sicher nicht kannst sagen,
1190Ob dich erlöst des Kindes Tod.
Was dir beschert der liebe Gott,
Das lass dir alles auch geschehn.
Ich will des Kindes Tod nicht sehn.”
110Sogleich war der Entschluss gefasst.
1195Er pochte an die Wand mit Hast
Und bat: “Lasst mich sogleich hinein!”
Der Meister sprach: “Das kann nicht sein,
Mir fehlt die Musse jetzt dazu,
Dass ich Euch auf die Türe tu’.”
1200“Nein, Meister, höret nur ein Wort!”
“Wie kann ich, wartet ruhig dort,
Bis es geschehn.” “Ach Meister, nein,
Hört mich, es muss vor dem noch sein!”
“Nun sagt mir’s denn durch diese Wand!”
1205“Ach, nein, so ist es nicht bewandt”
Da öffnet endlich er die Tür.
Der arme Heinrich trat herfür,
Wo sein Gemahl2 gebunden lag.
Zum Meister alsobald er sprach:
1210“Dies Mägdlein ist so wonniglich,
Wahrhaftig, nimmermehr kann ich
Ihr jämmerliches Ende sehn.
Des Ewigen Wille soll geschehn.
Heisst sie vom Tische sich erheben;
1215Das Silber will ich gern Euch geben,
Das ich Euch bot für Eure Müh’.
Nur lasst, ich bitt’, am Leben sie!”
1. Iwein is in the castle, Lunete having saved him from the vassals of the slain Askalon by giving him a ring that made him invisible.
2. Heinrich had playfully called her his ‘wife.’ The girl is but eight years old when the story begins.
XXIV. WOLFRAM VON ESCHENBACH
The deepest of the three chief romancers and the most strongly marked in his individuality. His date is approximately 1170-1220. He was a Bavarian knight of humble estate, who spent some time at the court of Landgrave Hermann in Thuringia. He speaks of himself as ‘ignorant of what the books contain,’ which is usually taken to mean that he could not read or write. His great work is Parzival, a blend of Arthurian and Grail romance, which he says he got from a French poet Kyot. Nothing is known of any such poet, and some think him an invention. Certain it is, however, that Wolfram had some other source than Chrestien de Troyes’ Conte del Graal, though he was acquainted with that, and that he invented freely. Two other narrative poems, Titurel and Willehalm, were left unfinished. The selections from Parzival below are from the translation by W. Hertz, Stuttgart, 1898.
From ‘Parzival,’ Book 3, lines 293-5001: Parzival takes leave of his mother, who has tried in vain to prevent his hearing of knighthood; the young ‘fool’ follows her directions all too literally.
Heut mocht’ ein andrer birschen,
Sein Sinn stand nicht nach Hirschen.
295Er rennt nach Haus zur Mutter wieder,
Erzählt—und sprachlos sinkt sie nieder.
Doch als sie wieder kam zu Sinn,
Sprach die entsetzte Königin:
“Wer sagte dir von Rittertum?
300O sprich, mein Sohn! Du weisst darum?”
“Vier Männer sah ich, Mutter mein,
Gott selbst hat nicht so lichten Schein;
Die sagten mir von Ritterschaft.
Artus in seiner Königskraft
305Verleiht die Rittersehren,
Soll sie auch mir gewähren.”
Da ging ein neuer Jammer an.
Sie wusste keinen Rat und sann:
Was sollte sie erdenken,
310Sein Trachten abzulenken?
Das einzige, was er begehrt
Und immer wieder, ist ein Pferd.
Sie dacht’ in Herzensklagen:
Ich will’s ihm nicht versagen;
315Doch soll es ein gar schlechtes sein,
Da doch die Menschen insgemein
Schnell bereit zum Spotte sind,
Und Narrenkleider soll mein Kind
An seinem lichten Leibe tragen.
320Wird er gerauft dann und geschlagen,
So kehrt er mir wohl bald zurück.
Aus Sacktuch schnitt in einem Stück
Sie Hos’ und Hemd; das hüllt ihn ein
Bis mitten auf sein blankes Bein,
325Mit einer Gugel obendran.
Zwei Bauernstiefel wurden dann
Aus rauher Kalbshaut ihm gemacht.
Sie bat ihn: “Bleib noch diese Nacht.
Du sollst dich nicht von hinnen kehren,
330Eh’ du vernahmst der Mutter Lehren:
Ziehst pfadlos du durch Wald und Heiden,
Sollst du die dunkeln Furten meiden;
Sind sie aber seicht und rein.
So reite nur getrost hinein.
335Du musst mit Anstand dich betragen
Und niemand deinen Gruss versagen.
Wenn dich ein grauer weiser Mann
Zucht will lehren, wie er’s kann,
So folg’ ihm allerwegen
340Und murre nicht dagegen.
Eins achte ferner nicht gering:
Wo eines guten Weibes Ring
Du kannst erwerben und ihr Grüssen,
112So nimm’s; es wird dir Leid versüssen.
345Küsse keck das holde Weib
Und drück’ es fest an deinen Leib;
Denn das gibt Glück und hohen Mut,
Sofern sie züchtig ist und gut.
Und endlich, Sohn, sollst du noch wissen:
350Zwei Lande wurden dir entrissen
Von Lähelins, des stolzen, Hand,
Der deine Fürsten überrannt.
Ein Fürst von ihm den Tod empfing,
Indes dein Volk er schlug und fing.”
355“Das soll er wahrlich nicht geniessen;
Ich werd’ ihn mit dem Pfeile spiessen.”
Dann in der frühsten Morgenzeit
War schon der Knabe fahrtbereit,
Der mir vom König Artus sprach.
360Sie küsst ihn noch und lief ihm nach.
O Welt von Leid, was da geschah!
Als’ ihren Sohn sie nicht mehr sah’—
Dort ritt er hin, wann kehrt er wieder?—
Fiel Herzeloyd zur Erde nieder.
365Ihr schnitt ins Herz der Trennung Schlag,
Dass ihrem Jammer sie erlag.
Doch seht, ihr vielgetreuer Tod,
Er wehrt von ihr der Hölle Not.
O wohl ihr, dass sie Mutter ward!
370Sie fuhr zum Lohn des Heiles Fahrt,
Sie, eine Wurzel aller Güte,
Ein Stamm, auf dem die Demut blühte.
Ach, dass die Welt uns nicht beschied
Ihr Blut auch nur zum elften Glied!
375Drum ist so wenigen zu traun.
Doch sollen nun getreue Fraun
Mit Segenswünschen ihn geleiten,
Den wir dort sehn von dannen reiten.
Es wandte sich der junge Fant
380Hin nach dem Wald von Breceliand.2
Er kam an einen Bach geritten,
Den hätt’ ein Hahn wohl überschritten,
Doch weil da Gras mit Blumen spross,
So dass der Bach im Schatten floss,
385Gedacht’ er an der Mutter Wort
Und trabte diesseits an ihm fort
Unverdrossen bis zur Nacht;
113Die ward, wie’s eben ging, verbracht.
Am Morgen traf er eine Stelle,
390Da rann das Wasser seicht und helle;
Hier ritt er durch und sah ein Feld,
Das schmückt’ ein grosses Prachtgezelt
Aus reichem Samt dreifarbig bunt,
Und alle Näte in der Rund’
395Deckt feiner Borten Stickerei.
Die Lederhülse hing dabei,
Die, wenn es regnen wollte,
Man drüber ziehen sollte.
Des stolzen Herzogs von Lalander
400Minnige Gemahlin fand er
Im Zelte, Frau Jeschute,
Die noch im Schlafe ruhte,
Zum Ritterslieb erschaffen:
Sie trug der Minne Waffen,
405Einen Mund durchleuchtig rot,
Sehnenden Ritters Herzensnot.
Wie wonnig sie entschlummert war!
Halb offen stand ihr Lippenpaar,
Das glüht von heissem Minnefeuer;
410So lag das holde Abenteuer.
Schneeweiss erglänzt’ in dichten Reihn
Der kleinen Zähne Elfenbein.
Leicht lernt’ ich küssen solchen Mund,
Doch wurde mir das selten kund.
415Auf weichem Lager hingestreckt
Hat sie den Zobel, der sie deckt,
Zurückgestreift bis an die Hüften,
Im schwülen Sommer sich zu lüften,
Seit einsam lag das schöne Weib.
420Gott selbst hat an den süssen Leib
Seine Meisterkunst gewandt.
Lang war ihr Arm und blank die Hand.
Doch als der wilde Knabe da
An ihrer Hand ein Ringlein sah,
425Sprang er ans Bett, den Reif zu holen,
Wie’s ihm die Mutter anbefohlen.
Das reine Weib in Scham erschrak,
Als ihr der Knab’ im Arme lag.
Sie, die man keusche Zucht gelehrt,
430Sprach: “Wer hat mein Gemach entehrt?
Jungherr, Ihr waget allzuviel.
Geht, suchet Euch ein andres Ziel!”
Doch er, wie laut die Schöne klagt,
Ihn kümmert’s nicht, was sie auch sagt.
435Er drückt’ an sich die Herzogin,
Zwang ihren Mund an seinen hin
114Und nahm den Ring. Auch brach der Range
Von ihrem Hemd die goldne Spange.
Sie wehrt sich, doch mit Weibes Wehr;
440Ihr war sein Arm ein ganzes Heer.
“Mich hungert,” klagt er, “gib mir Essen!”
Sie sprach: “Ihr wollt doch mich nicht fressen?
Wärt Ihr zu Nutzen weise,
Ihr nähmt Euch andre Speise.
445Seht, dort beiseit steht Brot und Wein
Und zwei Rebhühnchen obendrein.
Das hat ein Mägdlein hergebracht,
Die’s Euch doch wenig zugedacht.”
Er liess von ihr, indem er sass
450Und einen guten Kropf sich ass,
Wonach er schwere Trünke schlang.
Ihr währt sein Wesen hier zu lang;
Sie deucht: dem Jungen fehlt’s im Hirne;
Der Angstschweiss stand ihr auf der Stirne.
455Drum sprach sie: “Jungherr, lasset mir
Das Ringlein und die Spange hier
Und hebt Euch fort! Denn kommt mein Mann,
Und trifft Euch hier im Zelte an,
So müsst Ihr Zorn erleiden,
460Den Ihr gern möchtet meiden.”
Er sprach mit trotzigem Gesicht:
“Er komme nur! Ich fürcht’ ihn nicht.
Doch schadet’s dir an Ehren,
Will ich von hinnen kehren.”
465Aufs neu’ kam er ans Bett gegangen,
Die Schöne küssend zu umfangen;
Ungerne litt’s die Herzogin.
Dann ohne Abschied ritt er hin;
Doch sprach er noch: “Gott hüte dein!
470So lehrte mich’s die Mutter mein.”
From Book 5, lines 345-490: Parzival in the castle of the Grail.3
Dann kam die Königin herein;
Ihr Antlitz gab so lichten Schein,
Sie meinten all’, es wolle tagen.
Als Kleid sah man die Jungfrau tragen
Arabiens schönste Weberei.
115 350Auf einem grünen Achmardei4
Trug sie des Paradieses Preis,
Des Heiles Wurzel, Stamm und Reis.
Das war ein Ding, das hiess der Gral,
Ein Hort von Wundern ohne Zahl.
355Repanse de Schoye sie hiess,
Durch die der Gral sich tragen liess.
Die hehre Art des Grales wollte,
Dass, die sein würdig pflegen sollte,
Die musste keuschen Herzens sein,
360Vor aller Falschheit frei und rein.
Die Jungfraun tragen vor dem Gral
Sechs Glasgefässe lang und schmal,
Aus denen Balsamfeuer flammt.
Sie wandeln züchtig insgesamt
365Mit abgemess’nem Schritte
Bis in des Saales Mitte.
Die Königin verneigte sich
Mit ihren Jungfraun feierlich
Und setzte vor den Herrn den Gral.
370Gedankenvoll sass Parzival
Und blickte nach ihr unverwandt,
Die ihren Mantel ihm gesandt.
Drauf teilt sich all das Gralgeleite;
Zwölf Jungfraun stehn auf jeder Seite,
375Und in der Mitte steht allein
Die Magd in ihrer Krone Schein.
Nun traten vor des Mahls Beginn
Die Kämm’rer zu den Rittern hin,
Ein jeder ihrer vier zu dienen
380Mit lauem Wasser, das er ihnen
In schwerem goldnem Becken bot,
Dabei ein Jungherr wangenrot,
Das weisse Handtuch darzureichen.
Da sah man Reichtum ohnegleichen.
385Der Tafeln mussten’s hundert sein,
Die man zur Türe trug herein,
Vor je vier Ritter eine;
Darauf von edlem Leine
Deckten sie mit Fleisse
390Tischtücher blendend weisse.
Der Wirt in seiner stummen Qual
Nahm selber Wasser; Parzival
Wusch sich mit ihm zugleich die Hände.
Drauf bracht’ ein Grafensohn behende
395Ein seidnes Handtuch farbenklar
Und bot es ihnen knieend dar.
Ein jeder Tisch, so viel da stehn,
Ist von vier Knappen zu versehn:
Die einen knien, um vorzuschneiden,
116 400Aufwärter sind die andern beiden.
Nun rollen durch den Saal vier Wagen,
Die Goldgeschirr in Fülle tragen;
Das wird von Rittern unverweilt
An all die Tafeln ausgeteilt.
405Man zog im Ring sie Schritt für Schritt,
Und jedem ging ein Schaffner mit,
Dem dieser Hort zur Hut befohlen,
Ihn nach dem Mahl zurückzuholen.
Hundert Knappen traten dann
410Mit Tüchern auf der Hand heran;
Voll Ehrfurcht kamen sie gegangen,
Das Brot vom Grale zu empfangen.
Denn wie ich selber sie vernommen,
Soll auch zu euch die Märe kommen:
415Was einer je vom Gral begehrt,
Das ward ihm in die Hand gewährt,
Speise warm und Speise kalt,
Ob sie frisch sei oder alt,
Ob sie wild sei oder zahm.
420Wer meint, dass dies zu wundersam
Und ohne Beispiel wäre,
Der schelte nicht die Märe.
Dem Gral entquoll ein Strom von Segen,
Vom Glück der Welt ein vollster Regen.
425Er galt fast all dem Höchsten gleich,
Wie man’s erzählt vom Himmelreich.
In kleinen goldnen Schalen kam,
Was man zu jeder Speise nahm:
Gewürze, Pfeffer, leckre Brühn.
430Ass einer zaghaft oder kühn,
Sie fanden insgesamt genug,
Wie man’s mit Anstand vor sie trug.
Wein, Maulbeertrank, Siropel rot,
Wonach den Becher jeder bot,
435Und welchen Trank er mochte nennen,
Den konnt’ er gleich darin erkennen,
Alles durch des Grales Kraft.
Die ganze werte Ritterschaft
War so zu Gaste bei dem Gral.
440Wohl sah mit Staunen Parzival
Die Pracht der Wunder sich bezeigen;
Jedoch aus Anstand wollt’ er schweigen.
Er dachte: der getreue Mann,
Gurnemanz, befahl mir an,
445Vieles Fragen zu vermeiden.
Drum will ich höflich mich bescheiden
Und warten, bis man ungefragt,
Von diesem Haus mir alles sagt,
Wie man bei Gurnemanz getan
117 450Drauf sah er einen Knappen nahn
Mit einem Schwerte schön und stark;
Die Scheide galt wohl tausend Mark,
Der Griff ein einziger Rubin.
Das ward vom Wirt dem Gast verliehn:
455“Ich hab’ es oft im Kampf getragen,
Bis Gott am Leibe mich geschlagen.
Herr, nehmt es als Ersatz entgegen,
Sollt’ man Euch hier nicht wohl verpflegen.”
Ach dass auch jetzt er nicht gefragt!
460Um seinetwillen sei’s geklagt,
Da mit dem Schwert, das er empfing,
Die Mahnung doch an ihn erging.
Auch jammert mich sein Wirt zumal;
Denn von der ungenannten Qual
465Würd’ er durch seine Frage frei.
Damit war nun das Mahl vorbei.
From Book 16, lines 332-458: Parzival, as purified king of the Grail and unswervingly faithful husband, is reunited to his wife Kondwiramur.
“Geheimnisreich ist Gottes Tat,”
Sprach er,5 “wer sass in seinem Rat?
Wer kennt die Grenzen seiner Macht?
335Kein Engel hat sie ausgedacht,
Ja, Gott ist Mensch,” so fuhr er fort,
“Ist seines Vaters ew’ges Wort,
Ist Vater und ist Sohn zugleich,
Sein Geist an Hilfe gross und reich.
340Ein Wunder seltsam rätselvoll
Ist hier geschehn; durch Euren Groll
Rangt Ihr ab dem höchsten Willen,
Eures Herzens Wunsch zu stillen.
Mir tat einst Eure Mühsal leid;
345Denn unerhört zu aller Zeit
War’s, mit Gewalt der Waffen
Den Gral sich zu erraffen.
Ich hätt’ Euch gern den Wunsch benommen.
Doch anders ist’s mit Euch gekommen:
350Euch ward der herrlichste Gewinn.
Nun kehrt an Demut Euren Sinn!”
Drauf Parzival: “Mein Weib ist nah.
Ich will sie sehn, die ich nicht sah
118Nun seit fünf langen Jahren.
355Da wir beisammen waren,
War sie mir lieb und ist es noch.
Drum lass mich ziehn! Dein Rat jedoch
Soll mir verbleiben bis zum Tod.
Du rietest mir in grosser Not.”
360So schied er von dem heil’gen Mann,
Die Nacht durch ritt er fort im Tann;
Der Weg war seinen Degen kund.
Am Morgen fand er lieben Fund:
Manch Zelt geschlagen auf dem Plane,
365Vom Lande Brobarz manche Fahne,
Der mancher Schild gefolgt von fern.
Da lagen seines Landes Herrn.
Er fragte nach der Fürstin Zelt;
Das stand für sich abseits im Feld,
370Von kleinen Zelten rings umfangen.
Ihr Ohm, schon früh auf, kam gegangen;
Noch war der Blick des Tages grau.
Da sah er halten auf der Au
Ein Volk’ von Rittern und von Knappen,
375Erkannte gleich des Grales Wappen
Und eilte Herrn und Degen
Mit Willkommsgruss entgegen,
Befahl auch, dass ein Jungherr lief
Und rasch der Herrin Marschall rief,
380Die Gäste für den Morgen
Behaglich zu versorgen.
Den König führt’ er an der Hand
Hin, da die Kleiderkammer stand,
Ein klein Gezelt von Buckeram,
385Wo man den Harnisch von ihm nahm.
Noch war der Herrin nichts bewusst.
Da fand er seiner Augen Lust:
Im weiten Zelte schlief die Schöne
Und bei ihr seine kleinen Söhne,
390Loherangrin und Kardeis,
Und hier und dort umher im Kreis
Lagen lichter Fraun genug.
Der Oheim auf die Decke schlug
Und rief: “Willst du erwachen,
395So wirst du fröhlich lachen!”
Aufblickend sah sie ihren Mann.
Ihr Hemd nur hat die Herrin an,
Die nun die Decke um sich schwang,
Vom Bette auf den Teppich sprang,
400Und Parzival, er drückte
Ans Herz die Holdbeglückte.
Man sagte mir, sie küssten sich.
Sie sprach: “So hat das Glück mir dich
Gesendet, Herzensfreude mein!
119 405Sollst Gott und mir willkommen sein!
Nun sollt’ ich zürnen, kann es nicht.
Heil sei dem Tag und seinem Licht,
Der dies Umfangen mir gebracht,
Das all mein Leid zunichte macht!
410Des Herzens Wunsch, ich halt ihn hier,
Und Sorge hat kein Teil an mir.”
Nun wachten auch die Kinderlein.
Er beugt sich zärtlich zu den zwein
Und küsste sie, die nackend lagen.
415Der Ohm hiess sie von dannen tragen,
Und auch die Frauen sandt’ er fort.
Die grüssten erst mit freud’gem Wort
Den Herren nach der langen Reise;
Dann führt sie aus dem Zelte leise
420Der gute Ohm, der Parzival
Seinem holden Weib befahl.
Noch war es früh; drum liessen wieder
Die Kämm’rer rings die Zeltwand nieder.
Hat ihn einst Blut und Schnee6 verzückt,
425Im Liebesweh sich selbst entrückt,
Dafür—es war auf dieser Flur—
Gab ihm Ersatz Kondwiramur,
Die rot wie Blut und weiss wie Schnee.
An keinem Ort sonst nahm er je
430Minnetrost für Minnenot,
Den manches Weib ihm liebend bot.
1. The numbers refer to the original text, Bartsch’s edition; the translation is not a line-for-line version.
2. A famous wood in Bretagne—la forêt de Bréchéliant. Wolfram’s spelling is Prizljan, Hartmann’s Brezilian.
3. The blundering Parzival has now been instructed in the ways of knighthood by the gray-haired Prince Gurnemanz, who has told him to avoid asking questions about what he sees. With this caution in mind Parzival fails to inquire into the malady of the mysterious sick man in the Grail castle—a fateful error which involves him in long wanderings during which he despairs of God. The sick man is his uncle Anfortas, whom he is destined after a lapse of years, to heal by a simple question and to succeed as king of the Grail.
4. Green silk from Arabia.
5. The speaker is the wise old hermit Trevrizent, who has cleared up for Parzival the mystery of the Grail and led him to inward peace.
6. In Book 6 it is related that Parzival, riding away from the castle of the Grail, comes upon three drops of blood in the snow—the blood of a wild goose that had been attacked by a falcon. The red and white remind him of Kondwiramur and he sinks into a moody trance.
XXV. GOTTFRIED VON STRASSBURG
Pre-eminent as a graceful and cunning psychologist of sensual passion. His great work—all that we have from him except some lyric poems—is the love-intoxicated romance of Tristan and Isold, which he began early in the 13th century and did not live to complete. For this his principal source was the French trouvère, Thomas of Brittany, who composed his Tristan in England about 1180. Of this French poem only a few fragments are extant. The original Tristan-saga contained elements of revolting savagery, but in Gottfried’s poem, 120 as in the fragments of Thomas, it is transformed into a courtly romance of love—an illicit love that defies conscience and the world and remains faithful unto death. The selections are from the translation by W. Hertz, 4th edition, Stuttgart, 1904.
From ‘Tristan,’ Book I, lines 119-242: The goodness of love and love-stories.
Ich weiss es sicher wie den Tod
120Und hab’s erkannt in eigner Not:
Wer minnt mit edlem Sinne,
Liebt Mären von der Minne.
Drum wer nach solchen trägt Begier,
Der hat nicht weiter als zu mir.
125Ich künd’ ihm süsse Schmerzen
Von zweien edlen Herzen,
Die Liebe trugen echt und wahr,
Ein sehnend junges Menschenpaar,
Ein Mann, ein Weib, ein Weib, ein Mann,
130Tristan Isold, Isold Tristan.
Treu, wie ich las die Kunde
Von ihrem Liebesbunde,
So leg’ ich sie mit willigem Sinn
Allen edlen Herzen hin,
135Dass sie durch Kurzweil dran genesen;
Das ist sehr gut für sie zu lesen.
Gut? fraget ihr. Ja, innig gut,
Macht lieb die Liebe, rein den Mut,
Stählt die Treue, ziert das Leben;
140Wohl kann’s dem Leben Zierden geben.
Denn wo man höret oder liest,
Wie Herz sich treu zum Herzen schliesst,
Da lernen die Getreuen
Sich recht der Treue freuen.
145Liebe, Treue, steter Mut,
Ehre und manch andres Gut
Stehn nirgends so dem Herzen nah,
Sind nirgends ihm so lieb wie da,
Wo man von Herzeliebe sagt
150Und Herzeleid von Liebe klagt.
Lieb’ ist selig allezeit,
Ein Ringen so voll Seligkeit,
Dass ohne ihre Lehre
Nicht Tugend ist noch Ehre.
155Da Liebe so das Leben weiht,
Da so viel Tugend sie verleiht,
Ach, dass nicht alles, was da lebt,
Nach rechter Herzensliebe strebt;
Dass ich so wenig finde deren,
160Die lautres herzliches Begehren
Um Freundes willen mögen leiden,
Nur um den armen Schmerz zu meiden,
Der bei der Lieb’ zu mancher Stund’
Verborgen liegt im Herzensgrund.
165Wie litte nicht ein edler Mut
Ein Weh für tausendfaches Gut,
Für grosse Freude kleinen Gram?
121Wem niemals Leid von Liebe kam,
Dem kam auch Lust von Liebe nie:
170Lust und Leid, wann liessen die
Im Lieben je sich scheiden?
Man muss mit diesen beiden
Lob und Ehre sich erwerben
Oder ohne sie verderben.
175Von denen diese Märe kündet,
Hätten sie nicht treu verbündet
Um Herzenswonne sehnend Klagen
In einem Herzen einst getragen,
Es war’ ihr Name im Gedicht
180So manchem edlen Herzen nicht
Zum Heil und lieben Trost gekommen.
Nun wird noch heute gern vernommen
Und rührt noch immer süss aufs neue
Ihre innigliche Treue,
185Ihr Glück und Jammer, Wonn’ und Not.
Und liegen sie auch lange tot,
Ihr süsser Name lebt uns doch;
Auch soll der Welt zu gute noch
Lang ihr Tod und ewig leben,
190Den Treubegier’gen Treue geben,
Den Ehrbegier’gen Ehre.
Die ewig neue Märe
Von ihrer Treue Lauterkeit,
Von ihrer Herzen Lust und Leid,
195Ist aller edlen Herzen Brot:
So lebt in uns ihr beider Tod.
Wer nun begehrt, dass man ihm sage
Ihr Leben, Sterben, Freud’ und Klage,
Der neige Herz und Ohren her:
200Er findet alles sein Begehr.
From ‘Tristan,’ Book 16, lines 11711-11844: The fateful love-potion.1
Doch als die Jungfrau und der Mann,
Als nun Isolde und Tristan
Den Trank getrunken, was geschah?
Gleich war der Welt Unruhe da,
11715Minne, die Herzensjägerin,
Und schlich zu ihren Herzen hin.
Sie liess, eh’ beide sich’s versehn,
Ihr Siegspanier darüber wehn
Und unterwarf sie mit Gewalt.
11720Eins und einig wurden bald,
Die zwei gewesen und entzweit.
Nun hatten sie nach langem Streit
In raschem Frieden sich gefunden.
122Der Hass2 Isoldens war entschwunden:
11725Minne, die Versöhnerin,
Die hatte ihrer beider Sinn
Von Hasse so gereinigt,
In Liebe so vereinigt,
Dass eins dem andern hell und klar
11730Und lauter wie ein Spiegel war.
Sie hatten nur ein einz’ges Herz:
Isoldens Leid war Tristans Schmerz,
Und Tristans Schmerz Isoldens Leid.
Sie einten sich für alle Zeit
11735In Freude und in Leide
Und hehlten sich’s doch beide.
Das tat die Scham, dass sie nichts sagten,
Der Zweifel tat’s, dass sie verzagten,
Sie an ihm und er an ihr.
11740Und riss auch ihre Herzensgier
Nach Einem Ziel sie blindlings fort,
Sie bangten vor dem ersten Wort.
Drum blieb in Scheu’ und Sorgen
Ihr Sehnen noch verborgen.
11745Als Tristan fühlt der Minne Bann,
Da rief er Treu’ und Ehre an,
Und diese beiden mahnten ihn,
Vor ihrer Lockung zu entfliehn.
Nein, dacht’ er fort und fort bei sich,
11750Sei standhaft, Tristan, hüte dich!
Lass ab und schlag dir’s aus dem Sinn.
Doch drängte stets sein Herz dahin.
Mit seinem Willen kämpft’ er schwer,
Begehrte wider sein Begehr:
11755Es zog ihn ab, es zog ihn an.
So wand sich der gefang’ne Mann
Und suchte, aus den Schlingen
Sich mühsam loszuringen,
Und hielt sich tapfer lange Zeit.
11760Es ging dabei ein zwiefach Leid
Seinem treuen Herzen nah:
Wenn er in ihre Augen sah,
Und ihm die süsse Minne
Verzehrte Herz und Sinne
11765Mit ihrem holden Angesicht,
So dacht’ er an der Ehre Pflicht,
Und die entriss ihn ihrem Bann.
Gleich griff ihn Minne wieder an,
Seine Erbekönigin,
11770Und trieb ihn wieder zu ihr hin.
Bedrängt ihn Ehr’ und Treue schwer,
Minne bedrängt ihn doch noch mehr;
Sie tat ihm mehr zu leide
Als Treu’ und Ehre beide.
11775Schaute sein Herz sie lachend an,
So blickte weg der treue Mann;
123Doch sollt’ er sie nicht sehen,
Wollt’ ihm das Herz vergehen.
Oft, wie Gefang’ne sinnen,
11780Oft sann er zu entrinnen,
Und dachte: Sieh nach andern,
Lass dein Begehren wandern
Und liebe, was sich lieben lässt!
Da hielt ihn stets die Schlinge fest.
11785Oft prüft’ er sorgsam Herz und Sinn,
Als spürt’ er eine Wandlung drin;
Doch fand er nur darinne
Isolden und die Minne.
Nicht anders war es mit Isot.
11790Sie kämpfte mit derselben Not,
Auch ihr war angst und weh zu Mut.
Kaum fühlt sie in der weichen Flut
Der zauberischen Minne
Versinken ihre Sinne,
11795Da—in jähem Schreck und Graus
Spähte sie nach Rettung aus
Und wollte schnell auf und davon;
Jedoch verloren war sie schon
Und haltlos sank sie nieder.
11800Sie sträubte sich dawider,
Suchte nach allen Enden
Mit Füssen und mit Händen
Und wandte sich bald hin, bald her;
Doch so versenkte sie nur mehr
11805Die Hände und die Füsse
Tief in die blinde Süsse
Des Mannes und der Minne.
Wie die gefang’nen Sinne
Sich mochten drehn und regen,
11810Auf allen ihren Wegen,
Auf jedem Schritt, auf jedem Tritt,
Ging Minne, ihre Herrin mit,
Und alles, was sie dacht’ und sann,
War Minne nur und nur Tristan.
11815Doch all das blieb verschwiegen;
Entzweit in stetem Kriegen
War hier das Herz, die Augen dort,
Scham trieb die Augen von ihm fort;
Doch Minne bracht’ ihr Herz ihm dar.
11820Und diese widerspenst’ge Schar,
Scham und Minne, Mann und Magd,
Die war teils mutig, teils verzagt:
Die Magd begehrte nach dem Mann
Und sah ihn nicht mit Augen an;
11825Die Scham, die wollte Minne,
Doch ward es niemand inne.
Was mocht’ es helfen? Scham und Magd
Kommt leicht zu Falle, wie man sagt;
Sie haben gar ein kurzes Leben
11830Und können nicht lang widerstreben.
Isot auch unterwarf sich bald,
Und sieglos weichend der Gewalt
Ergab sie Leib und Sinne
Dem Manne und der Minne.
From ‘Tristan,’ Book 24, lines 15522-15748: The ordeal of God.3
Der König sprach: “Frau Königin,
Ich lass’ es dabei gern beruhn.
Wollt Ihr uns so Genüge tun,
15525Wie’s Eure Rede zugestand,
So gebt uns sich’res Unterpfand:
Kommt her, gelobt mit Wort und Eid
Zum Gottesurteil Euch bereit
Mit dem glühenden Eisen,
15530Wie wir’s Euch werden weisen.”
Die Herrin weigerte sich nicht;
Sie schwur, die Probe vor Gericht
Zu leisten nach sechs Wochen,
Wie’s ihr ward zugesprochen,
15535In der Stadt zu Karliun.
Der Herr entliess die Fürsten nun;
Sie kehrten heimwärts insgemein.
Isolde aber blieb allein
Mit Ängsten und mit Leide,
15540Und es bedrückten beide
Ihr Herz mit gleicher Schwere:
Angst um ihre Ehre
Und heimlich Leid, nicht minder schwer,
Dass ihre Lüge sie nunmehr
15545Zur Wahrheit sollte bringen,
In diesem heissen Ringen
Wusste sie nicht aus noch ein,
Und darum beides, Angst und Pein,
Vertraute sie dem gnäd’gen Christ,
15550Der hilfreich in den Nöten ist;
Der möchte sie entlasten.
Ihm mit Gebet und Fasten
Befahl sie all die Angst und Not,
Und eine List erfand Isot:
15555Im stillen Herzen hoffte sie
Getrost auf Gottes Courtoisie
Und schrieb an Tristan einen Brief,
Der ihn nach Karliun berief,
Wie er’s auch möglich mache,
15560Dass, wenn der Tag erwache,
An dem das Schiff dort lande,
Er frühe sei am Strande
Und da im Hafen ihrer warte.
Nun, so geschah’s: er kam und harrte
15565Im Pilgermantel arm und schlicht;
Er hatte sich das Angesicht
Überschminkt und aufgeschwellt
Und Leib und Kleidung ganz entstellt.
Als dann Isot und Marke
15570Anhielten mit der Barke,
Ersah ihn gleich die Herrin dort,
Und sie erkannt’ ihn auch sofort.
Und als das Schiff zu Strande stiess,
125Isot den Waller bitten liess,
15575Wenn er nicht fürchte zu erlahmen,
So möcht’ er doch in Gottes Namen
Sie tragen von des Schiffes Rand
Hinüber auf das trockne Land;
Sie wollte sich in diesen Tagen
15580Von keinem Ritter lassen tragen.
Da riefen sie den Pilger an:
“He, kommet näher, guter Mann,
Und tragt die Herrin ans Gestad!”
Der Pilger tat, wie man ihn bat:
15585Er ging zu seiner Herrin hin
Und trug Isot, die Königin,
Auf seinen Armen nach dem Port.
Sie raunt ihm zu mit raschem Wort,
Dass, was ihm auch draus würde,
15590Er unter seiner Bürde
Mit ihr am nahen Ziele
Zur Erde niederfiele.
So tat er: kaum dass am Gestad
Der Waller aus dem Wasser trat
15595Aufs trockne Land, so strauchelt’ er
Und fiel, als wär’s von ungefähr,
Und bracht’ im Fallen es dahin,
Dass er der schönen Königin
Im Arme lag an ihrer Seite.
15600Da ward ein Aufruhr im Geleite:
Sie kamen gleich in Haufen
Mit Stecken hergelaufen,
Um ihm mit blauen Malen
Den Trägerlohn zu zahlen.
15605“Nein, nein, lasst ab!” so rief Isot,
“Denn es geschah ihm nur aus Not.
Der Pilger ist so matt und krank,
Dass er vor Schwäche niedersank.”
Dafür erscholl ihr in der Runde
15610Ehr’ und Dank aus jedem Munde.
Sie lobten’s im Gemüte,
Dass sie mit solcher Güte
Verteidigte den armen Wicht.
Sie sprach mit lächelndem Gesicht:
15615“Welch Wunder wäre nun daran,
Wenn dieser fremde Pilgersmann
Mit mir zur Kurzweil wollte scherzen?”
So gewann sie alle Herzen,
Da sie so milde sich erwiesen,
15620Und Frau Isolde ward gepriesen
Und hochgerühmt von manchem Mann.
Doch Marke sah das alles an
Und hörte schweigend jedes Wort.
Sie aber fuhr zu scherzen fort:
15625“Nun weiss ich nicht, was draus entsteht,
Dass ich doch, wie ihr selber seht,
126Von heut an nicht mehr schwören kann,
Dass ausser Marke nie ein Mann
Mir in den Arm gekommen,
15630Noch einer je genommen
Sein Lager mir zur Seiten.”
So scherzten sie im Reiten,
Und war der arme Waller
Fortan im Munde aller,
15635Bis sie zum Stadttor zogen ein.
Da waren Pfaffen viel und Lai’n,
Barone, Ritterschaft in Menge,
Gemeinen Volks ein gross Gedränge,
Bischöfe und Prälaten auch,
15640Die hielten da nach heil’gem Brauch
Das Amt und weihten das Gericht.
Gewärtig ihrer strengen Pflicht
Harrten schon die Weisen;
Im Feuer lag das Eisen.
15645Die gute Königin Isold,
Die hatt’ ihr Silber und ihr Gold
Und was vom Schmuck ihr war zuhanden,
Samt ihren Rossen und Gewanden
Dahingeschenkt um Gottes Huld,
15650Dass Gott an ihre wahre Schuld
Zur Stunde nicht gedächte
Und, sie zu Ehren brächte.
So war zum Münster sie gekommen
Und hatte Messe da vernommen
15655Mit inniglichem Mute.
Andächtig sah die Gute
Zu Gott auf, dem sie sich vertraut.
Sie hatte auf der blossen Haut
Ein rauhes härnes Hemd und dann
15660Ein wollnes Röcklein drüber an,
Das ihr, wenn’s an ihr niederhing,
Nicht auf die zarten Knöchel ging.
Die Ärmel waren aufgezogen
Bis nahe an den Ellenbogen,
15665Arm’ und Füsse waren bloss.
Da rührt ihr Anblick und ihr Los
Manch Herz und Auge mit Erbarmen;
Wie dürftig war das Kleid der Armen,
Wie bleich, wie trübe sah sie drein!
15670Hiemit kam auch der Heiligenschrein,
Darauf den Schwur, sie sollte tun,
Und man gebot Isolden nun,
Ihre Schuld an diesen Sünden
Vor Gott und vor der Welt zu künden.
15675Sie hatte Ehr’ und Leben
An Gottes Huld ergeben
Und bot ihr Herz und ihre Hand
Furchtsam, wie es um sie stand,
Dem Schreine und dem Eide.
15680Hand und Herz im Leide
Befahl sie Gottes Segen
Zu hüten und zu pflegen.
127Doch war auch mancher in der Schar,
Der hätte, alles Hochsinns bar,
15685Der Königin den Eidschwur gern
Vorgesagt im Kreis der Herrn
Ihr zu Schaden und zu Falle.
Ihr alter Feind voll Gift und Galle,
Des Königs Truchsess Marjodo,
15690Versuchte es bald so, bald so,
Und trug es ihr zum Schaden an.
Doch war auch wieder mancher Mann,
Der sich selbst an ihr ehrte
Und ihr’s zu Gute kehrte.
15695So stritten sie sich her und hin
Um den Eid der Königin;
Der war ihr gut, der bös gesinnt,
Wie’s immer geht, wo Menschen sind.
“Herr König,” fiel die Herrin ein,
15700“Was sie auch reden insgemein,
Der Eid muss doch vor allen
Euch und nur Euch gefallen;
Und darum seht nun selber zu,
Was ich hier spreche oder tu’.
15705Ob ich den Eid Euch sage,
So dass er Euch behage.
Der wirre Hader schweige still;
Vernehmt, was ich Euch schwören will:
Dass ausser Euch kein andrer Mann
15710Kunde meines Leibs gewann,
Und dass wahrhaftig, wenn nicht Ihr,
Kein Lebender auf Erden mir
Im Arm und an der Seite lag
Als der, den ich nicht leugnen mag—
15715Was würd’ es mir auch taugen,
Da Ihr mit eignen Augen
Ihn saht in meinem Arme—
Der Pilgersmann, der arme:
So helfe mir denn, red’ ich wahr,
15720Mein Gott und aller Heiligen Schar,
So dass ich ohne Wehe
Das Urteil hier bestehe.
Herr, wollt Ihr mehr, gebietet nur,
Und ich verbess’re Euch den Schwur
15725In jeder Weise, wie Ihr wollt.”
“Nein,” sprach der König, “Frau Isold,
Soweit ich das erwägen kann,
Bedünkt es mich genug hieran.
Nun nehmt das Eisen auf die Hand,
15730Und wie die Wahrheit Ihr bekannt,
So helf’ Euch Gott in dieser Not!”
“Amen,” sprach die Frau Isot.
Sie griff es an auf Gottes Gnaden—
Und trug das Eisen ohne Schaden.
15735Da wurde deutlich wohl und klar
Vor aller Augen offenbar,
Dass unsern lieben Herrgott man
Wie einen Ärmel wenden kann:
128Er schmiegt sich an und fügt sich glatt,
15740Wie man es nur im Sinne hat,
So weich, so handsam und bequem,
Wie’s artig ist und angenehm,
Ist allen Herzen gleich bereit
Zum Trug wie zur Wahrhaftigkeit,
15745Zum Ernste wie zur Spielerei,
Wie man’s begehrt, er ist dabei.
1. Tristan, a young embodiment of all knightly virtues, has been sent to Ireland to win the hand of the peerless Isold for his old uncle Marke, King of Cornwall. He succeeds in his mission. On the voyage to Cornwall, however, it befalls by accident that he partakes with Isold of a philter prepared by her mother and intended for her and King Marke.
2. Tristan had slain Morold, a kinsman of Isold’s, wherefore she had tried, with small success, to ‘hate’ him.
3. Having become justly suspicious of his wife’s fidelity, King Marke requires her to prove her innocence by the ordeal of the hot iron. She complies—in a way.
XXVI. KONRAD VON WÜRZBURG
The most gifted of the romancers after the famous trio. He was born at Würzburg about 1230, wrote some of his earliest poems there, lived afterwards at Basel, then at Strassburg, and died at Basel in 1287. He loved the good old times of knighthood and wrote of them in facile verse whose popularity is attested by several notices. His works are rather numerous. The most important of the longer romances is Engelhart; of the shorter tales, The World’s Reward, Otto with the Beard, Silvester, and the Story of a Heart. This last is given below in condensed form.
XXVII. LATER MINNESINGERS
During the 13th century the making of amatory verses in honor of a liege lady became a part of the ordinary fashion of knighthood. In time the ‘nightingales’ could be counted by the hundred. Many of them were very clever metricians, but not many found anything to express that had not been better expressed before. A few of the more noteworthy among Walter’s successors are represented in the following selections, which are taken from Obermann’s Deutscher Minnesang. The most original is Neidhart von Reuental, who eschewed the conventional hohe Minne and sang lustily of the plebeian maid and the rustic dance.
2Reinmar von Zweter: Kurze Lust und langes Leid.Du süsses Weib! Im Herzen mein Sieh dich doch um, und find’st du dort noch wen als dich allein, So lass mich nur vergehn und ohne Trost bis an mein Ende leben. Doch herrschest du darin, o dann, Vielsüsses Weib, so nimm in Huld dich meiner mehr auch an. Mehr kann ich nicht: durch meine Augen bist du mir ins Herz gegeben. Ganz bist du, Süsse, mir hineingegangen, Ich hab’ dich oftmals heimlich drin empfangen. Wenn ich so lieb dann an dich dachte, Ein wenig wohler mir geschah; Doch dann sass ich gar traurig da, Und kurze Lust mir langes Leid stets brachte. |
4Ulrich von Lichtenstein: Glück der Hoffnung.In dem Walde süsse Töne Singen kleine Vögelein. Auf der Heide blühen schöne Blumen zu des Maien Schein. 5Also blüht auch froh mein Mut, Wenn er denkt an ihre Güte, Die mir reich macht mein Gemüte, Wie der Traum dem Armen tut. Ja, zu ihrer Tugend hege 10Diese Hoffnung ich, Dass ich endlich sie bewege, Und sie noch beglücket mich. Dieser Hoffnung bin ich froh. Gebe Gott, dass sich’s vollende, 15Sie mir diesen Wahn nicht wende, Der mich jetzt erfreut schon so. Du viel Süsse, Wohlgetane, Frei von Truge, treu und stet, Lasse mich in liebem Wahne, 20Wenn es jetzt nicht anders geht, Dass die Freude lange währ’, Ich vor Weinen nicht erwache, Nein, dem Trost entgegenlache, Der von ihrer Huld kommt her. 25Lieber Wunsch und froh Gedenken Ist die grösste Freude mein. Nichts soll mir den Trost beschränken, Lässt sie mich nur immer sein Ihr mit beidem nahe bei 30Und vergönnt mir, ihretwegen Süsse Lust daran zu hegen, Wie beglückend sie stets sei. Süsser Mai, auch du alleine Tröstest sonst die Welt fürwahr; 35Doch du freust selbst im Vereine Mit der Welt mich kaum ein Haar. Brächtet ihr wohl Freude mir Ausser der Viellieben, Guten? Trost will ich von ihr vermuten; 40Ich leb’ nur des Trosts von ihr. |
7Neidhart von Reuental: Die tanzlustige Alte.Eine Alte fing zu springen Munter wie ein Zicklein an, sie wollte Blumen bringen. “Tochter, gib mir mein Gewand, Ich muss an des Knappen Hand, Er ist von Reuental genannt.” Trara nuretum, trara nuri runtundeie! “Mutter, bleibt doch nur bei Sinne! Dieser Knappe denkt ja nicht je an treue Minne.” “Tochter, lass mich ohne Not; Ich weiss ja, was er mir entbot, Nach seiner Minne bin ich tot.” Trara nuretum, trara nuri runtundeie! |
10Gottfried von Neifen: Die Flachsschwingerin.Ei ja, uns jungen Männern mag Bei Fraun es leicht mislingen. Es war mal mitten um den Tag, Da hört’ ich eine schwingen: Sie schwang Flachs, Sie schwang Flachs, ja Flachs, ja Flachs. Guten Morgen bot ich ihr Und sprach: “Gott mög’ Euch ehren!” Die schöne Jungfer dankte mir, Ich wollte ein schon kehren. Sie schwang Flachs, Sie schwang Flachs, ja Flachs, ja Flachs. Da sprach sie: “Weiber gibt’s hier nicht, Ihr seid wohl fehlgegangen. Eh’ Euer Will’ an mir geschicht, Säh’ ich Euch lieber hangen!” Sie schwang Flachs, Sie schwang Flachs, ja Flachs, ja Flachs. |
XXVIII. POEMS OF THE DIETRICH-SAGA
More than a dozen late-medieval epics, mostly anonymous and not precisely datable, have to do with the exploits of heroes who are the same as those that appear in the Nibelungen Lay or in some way related to them. Some of the poems are written in the Nibelungen meter, or a close approximation to it, others in short rimed couplets, still others in a peculiar stanza of twelve lines. The most of them relate to Dietrich of Bern, the doughtiest and most eminent of all the saga-heroes. Of the selections below No. 3 is given in Simrock’s translation, Das kleine Heldenbuch, 3rd edition, 1874.
1
From ‘Laurin’: Dietrich and his men encounter the dwarf-king.1
Sie ritten auf einander los
Und trafen sich mit hartem Stoss,
Der eine hoch, der andre klein,
Denn Laurin hatte kurze Bein’.
5Fehl ging des Herrn Witeges Schuss,
Doch traf der Zwerg, ihm zum Verdruss,
Und stach ihn nieder in den Klee.
Kein Unglück tat ihm je so weh.
Laurin, der kühne,
10Sprang nieder auf das Grüne;
Er wollte nehmen schweres Pfand,
Den rechten Fuss, die linke Hand,
Und wäre Dietrich nicht gekommen,
Er hätte solches Pfand genommen.
15Erzürnt sprang Dieterich heran,
Und sprach, beschirmend seinen Mann:
“He da, du kleiner Wicht,
Behellige ihn nicht!
140Er ist mir zugesellt,
20Das wisse ja die Welt,
Und mit mir hergekommen.
Würd’ ihm solch Pfand genommen,
Des hätt’ ich immer Schande,
Wenn man es mir im Lande
25Nachsagte, mir dem Berner; nicht
So leicht ertrüg’ ich solch Gerücht.”
Da sprach Laurin, der kleine Mann:
“Was geht mich wohl dein Name an?
Die Märe von dem Berner
30Will ich nicht hören ferner;
Davon hab’ ich genug vernommen.
Mich freut, dass du hierher gekommen:
Du musst mir geben schweres Pfand,
Den rechten Fuss, die linke Hand.
35Du sollst mich kennen lernen, traun!
Den Garten hast du mir verhaun,
Zertreten unter Füssen.
Das sollst du mir nun büssen.
Ich dünk’ euch wohl nicht gross,
40Doch wäre euer Tross
Dreitausend stark und mehr,
Ich schlüg’ das ganze Heer.”
Herr Dietrich hatte gnug gehört;
Er sah sich um nach seinem Pferd,
45Erreichte es in schnellem Lauf,
Sprang ohne Stegereif hinauf,
Ergriff den Ger mit starker Hand—
Da kam sein Meister Hildebrand,
Und dieser vielerfahrne Mann
50Rief also seinen Herren an:
“Mein lieber Dieterich,
Sei klug und höre mich!
Verwirfst du meine Lehre,
Verlierst du wohl die Ehre.
55Verkennst du doch den Wicht!
Dein Reiten taugt hier nicht.
Hättst du die ganze Welt im Bann,
Er sticht dich nieder auf den Plan;
So verlierst du deine Ehr’
60Und darfst dann nimmermehr
Als Fürst mit Fürsten gehen.
Zu Fusse sollst du ihn bestehen,
Steig’ ab vom Rosse auf das Feld;
Das rat’ ich dir, du kühner Held.
65Und höre einen weitern Rat:
Durch Schmiedewerk, wie er es hat,
Kommst du dem Zwerg, wie auch es sei,
Mit Schneidewaffen niemals bei.
Hau’ mit dem Knopf2 ihm um die Ohren
70Und mache ihn also zum Toren.
So trägst du, dir und uns zum Lohn,
141Mit Gottes Hilf’ den Sieg davon.”
Des Meisters Rat war nicht verlorn,
Er sprang von seinem Ross in Zorn:
75“Laurin, ich widersage dir;
Nun, räche deinen Grimm an mir.”
“Ja wohl,” so sprach der Kleine,
“Das tu’ ich ganz alleine.”
Den Schild zu fassen er begann
80Und lief den Berner hastig an.
Er schlug ihm einen grimmen Schlag,
So dass sein Schild auf Erden lag.
Des Berners Zorn war gross;
Er stürtzte auf das Männlein los
85Und schlug auf seinen Schildesrand,
So dass er fiel ihm aus der Hand.
Herr Dieterich von Bern
Hätt’ ihn betäubet gern;
Er rannt’ ihn an und mit dem Knopf
90Schlug er ihn grimmig auf den Kopf,
Dass weit und breit erklang der Ton
Des Helmes und der goldnen Kron’.
Es schwindelte dem Zwerg sogar,
Er wusste nicht, wie’s mit ihm war.
95Er griff in seine Tasche klein
Und holte sich sein Tarnkäpplein,
Worin er gleich unsichtbar ward.
Jetzt ging’s dem Berner erst recht hart.
Der Kleine schlug ihm hier und dort
100Furchtbare Wunden fort und fort,
So dass dem schwergeprüften Mann
Dass Blut nun durch die Brünne rann.
Da sprach der Held von Bern:
“Ich schlüge dich ja gern,
105Doch weiss ich nicht zur Frist,
Wo du zu treffen bist.
Wohin bist du gekommen?
Wer hat dich mir entnommen?”
Der Berner holte aus und schlug
110In grimmem Zorn ob dem Betrug;
Und ellenweit die Waffe sein
Biss in die Felsenwand hinein.
All unverletzt der kleine Mann
Lief abermals den Berner an,
115Der, hart bedrängt, den Streichen
Nicht wusste zu entweichen.
Er kam in furchtbare Gefahr,
Wiewohl er stark und weise war
Und sich aufs Waffenwerk verstand.
Da sprach der weise Hildebrand:
120“Wirst du von einem Zwerg erschlagen,
Kann ich dich nicht so sehr beklagen.
Dir könnt’ es bass gelingen,
Wollt’ er nur mit dir ringen.
142 125Ergreif’ und halte fest den Butzen,
So ist sein Käpplein ohne Nutzen.”
Der Berner sprach: “Ja, käm’s zum Ringen,
Es könnte mir doch bass gelingen.”
Er trug dem Zwerge grimmig Hass.
130Als dieser nun bemerkte, was
Der Held von ihm begehrte,
Wie bald er’s ihm gewährte!
Er schleuderte sein Schwert von sich
Und stürtzte auf Herrn Dieterich.
135Kraftvoll ergriff der Kleine
Des Riesen starke Beine,
Und beide fielen in den Klee;
Die Schande tat dem Berner weh.
Da sprach—er war ja gleich zur Hand—
140Der weise Meister Hildebrand:
“Dietrich, lieber Herre mein,
Zerreiss’ ihm doch das Gürtelein,
Davon er hat Zwölfmännerkraft;
So magst du werden siegehaft.”
145Nun ging es an ein starkes Ringen,
Noch wollt’s dem Berner nicht gelingen.
Gross war Herrn Dieterichs Bemühn:
Man sah’s ihm aus dem Munde sprühn,
Wie Feuer aus der Esse tut;
150Nicht mehr verträglich war sein Mut.
Zuletzt griff er ins Gürtlein zäh
Und hob das Zwerglein in die Höh’
Mit rasender Gebärde
Und schmiss es auf die Erde.
155Ums Gürtlein war es jetzt getan,
Dem Laurin war es übel dran;
Denn als der Kleine fiel zu Hauf,
Griff Hildebrand das Gürtlein auf,
Das jenem Riesenkraft verlieh.
160Jetzt kam der Zwerg in Not; er schrie
Und heulte, dass der Schall
Ertönte über Berg und Tal.
Demütig rief er Dietrich an:
“Warst du je ein guter Mann,
165So friste mir das Leben.
Ich will mich dir ergeben,
Ich will dir werden untertan
Mit meinem Gut von heute an.”
2
From the ‘Lay of Ecke’: Ecke’s death and Dietrich’s remorse.3
Die Schwerter warfen sie von sich
Und rangen nun gewältiglich
Auf freier Stätt’ im Walde.
143Einander taten sie so weh,
5Dass Blut begoss den grünen Klee
Hinab die Bergeshalde.
Gen einen Baum der Berner zwang
Den riesenhaften Ecke;
Das Blut ihm aus den Wunden drang,
10Betäubet ward der Recke.
Der Berner drückte ihn aufs Gras
Mit solcher fürchterlichen Kraft, dass er kaum noch genas.
Der mächt’ge Ecke war gefällt,
Und auf ihm lag der edle Held,
15Herr Dieterich von Berne:
“Dein Leben steht in meiner Hand,
Gib mir sofort dein Schwert zum Pfand,
Du, der du kämpfst so gerne.
Tust du es nicht, musst du den Tod
20Von meiner Hand erdulden.
Drum hilf dir selber aus der Not
Und komme mir zu Hulden.
Du wirst geführt an meiner Hand
Gefangen vor die Frauen drei; so werd ich dort bekannt.”
25Der Riese sprach, ein Recke wert:
“Dir geb’ ich nicht mein gutes Schwert,
Du lobenswerter Degen.
Drei Königinnen wohlgestalt
Schickten mich her in diesen Wald,
30Wo ich dir jetzt erlegen.
Doch eher als gefangen gehn
Mit dir nun nach Jochgrimme
Vor jene Königinnen schön,”
Rief er mit lauter Stimme,
35“Und deren Spott in Angst und Not
Aushalten zu Jochgrimme dort, erkür’ ich hier den Tod.”
Der lobenswerte Held von Bern
Vernahm des Feigen4 Wort nicht gern,
Er sprach: “Es reut mich, Ecke.
40Kann es also nicht anders sein,
Verlierst du bald das Leben dein,
Du ausgewählter Recke.
Also erweiche deinen Sinn
Im Namen aller Frauen;
45Sonst hast du grossen Ungewinn,
Wie du sogleich wirst schauen.
Mit wildem Hass blickst du mich an,
Und stündst du einmal auf, müsst’ ich den Tod empfahn.”
Er riss den Helm ihm zornig ab,
144 50Doch war der Schwertstich, den er gab,
Ein nutzloses Beginnen,
Denn zähes Gold schirmt’ ihm den Kopf.
Er schlug ihn grimmig mit dem Knopf,
Das Blut begann zu rinnen
55Ihm allenthalben durch das Gold,
Es schwanden ihm die Sinne;
Der rechte Lohn war ihm gezollt.
Er öffnet’ ihm die Brünne,
Die herrliche von Golde rot,
60Und stach ihn mit dem Schwerte durch; dazu zwang ihn die Not.
Als er den Sieg ihm abgewann,
Da stand er ob dem kühnen Mann
Und sprach die Trauerworte:
“Mein Sieg und auch dein junger Tod,
65Sie machen mich nun reuerot;
Ich muss an jedem Orte
Erscheinen als der Ehre bar,
Das klag’ ich dir dem Feigen.
Wohin ich auch im Lande fahr’,
70Wird jeder auf mich zeigen
Mit starker Abscheu im Gesicht
Und sagen: Seht den Berner da, der Könige ersticht.
Da diese Tat einmal getan,
Bleib’ ich nun ohne Lob fortan
75Und ohne Fürstenehre.
Wohlan denn, Tod, nimm du mich hin,
Da ich der Ungetreue bin;
Wer gab mir diese Lehre?
Dass ich dich, junger Held, erstach,
80Es muss mich ewig dauern.
Zu Gott klag’ ich mein Ungemach
Mit wehmutsvollem Trauern.
Ich kann’s verhehlen vor der Welt,
Doch denk’ ich selbst daran, ist all mein Glück vergällt.”
3
From the ‘Rose-garden,’ Adventure 11: The battle between Dietrich and Siegfried.5
Vermessentlich die Helden zwei scharfe Schwerter zogen,
Dass spannenlange Scherben von ihren Schilden flogen.
Um die Späne von den Schilden weinte manches Weib:
“Sollen zwei Fürsten milde verlieren Leben und Leib,”
145 5Sprachen sie, “der Königin zu lieb, das ist zu viel!”
“Lasst sie fechten,” sprach Kriemhild, “es ist mir nur ein Spiel.”
Da fochten mit einander die beiden kühnen Degen
Mit ungefügen Sprüngen, dazu mit grossen Schlägen.
Der Küsse dachte Siegfried, die er bei Kriemhild empfing;
10Da kam zu neuen Kräften der kühne Jüngling,
Man sah ihn mordlich fechten, das will ich euch sagen.
Da begann er im Kreise Dietrichen umzujagen.
Da sprach die schöne Kriemhild: “Nun schaut, ihr Frauen mein,
Das ist der kühne Siegfried, der Held vom Niederrhein.
15Wie treibt er den Berner umher auf grünem Feld!
Noch trägt mein lieber Siegfried das Lob vor aller Welt.”
Siegfried der edle war ein starker Mann,
Jetzt lief er gewaltig Dietrichen an;
Er schlug ihm eine Wunde durch seinen Eisenhut,
20Dass man hernieder rinnen ihm sah das rote Blut.
“Wie hält sich unser Herre?” frug heimlich Hildebrand.
“Er ficht leider übel,” sprach Wolfhart allzuhand;
“Eine tiefe Wunde hat er durch seinen Eisenhelm,
Er ist mit Blut beronnen, er ficht recht wie ein Schelm.”
25“Er ist noch nicht im Zorne,” sprach da Hildebrand.
“Nun ruf’ in den Garten, du kühner Weigand,
Und sag’ ich sei gestorben, er habe mich erschlagen;6
Wenn das ihn nicht erzürnet, dann mögen wir wohl klagen.”
Wolfhart rief in den Garten, dass weit die Luft erscholl:
30“O weh mir meines Leides, das ist so gross und voll!
146Hildbrand ist erstorben, wir müssen ihn begraben.
O weh, du Vogt von Berne, was hast du ihn erschlagen!”
“Ist Hildebrand gestorben,” rief der Held von Bern,
“So findet man an Treue ihm keinen gleich von fern.
35Nun hüte deines Lebens, Siegfried, kühner Mann,
Es ist mein Scherz gewesen, was ich noch stritt bis heran.
Wehr’ dich aus allen Kräften, es tut dir wahrlich not.
Uns beide scheidet niemand als des einen Tod.
Ich hab’ um deinetwillen verloren einen Mann,
40Den ich bis an mein Ende nimmer verwinden kann.”
Wie ein Haus, das dampfet, wenn man es zündet an,
So musste Dietrich rauchen, der zornige Mann.
Eine rote Flamme sah man gehen aus seinem Mund.
Siegfried’s Horn erweichte; da ward ihm Dietrich erst kund.
45Er brannte wie ein Drache, Siegfrieden ward so heiss,
Dass ihm vom Leibe nieder durch die Ringe floss der Schweiss.
Den edeln Vogt von Berne ergriff sein grimmer Zorn:
Er schlug dem kühnen Siegfried durch Harnisch und durch Horn,
Dass ihm das Blut, das rote, herabsprang in den Sand;
50Siegfried musste weichen, wie kühn er eben stand.
Er hatt’ ihn hin getrieben, jetzt trieb ihn Dietrich her;
Das sah die schöne Kriemhild, die begann zu trauern sehr.
Der Berner schnitt die Ringe, als wär’ es faules Stroh;
Zum erstenmal im Leben sah man, dass Siegfried floh.
55Da jagt’ ihn durch die Rosen der Berner unverzagt;
Nun säumte sich nicht länger die kaiserliche Magd.
Sie sprang von ihrem Sitze, ein Kleid sie von sich schwang,
Kriemhild in grosser Eile hin durch die Rosen drang.
147Da rief mit lauter Stimme die Königstochter hehr:
60“Nun lasst von Eurem Streite, Dietrich, ich fleh’ Euch sehr.
Steht ab um meinetwillen, und lasst das Kämpfen sein;
Euch ist der Sieg geworden zu Worms an dem Rhein.”
Da tat der Vogt von Berne, als hätt’ er’s nicht gehört,
Er schlug mit seinem Schwerte, schier hätt’ er ihn betört.
65Er hörte nichts von allem, was die Königstochter sprach,
Bis er dem kühnen Siegfried vollends den Helm zerbrach.
Wie viel man der Stühle zwischen die Streiter warf,
Die zerhieb der Berner mit seinem Schwert so scharf.
Da warf sie ihren Schleier über den kühnen Degen;
70So dachte sie dem Gatten zu fristen Leib und Leben.
Da sprach die Königstochter: “Bist du ein Biedermann,
So lass ihn des geniessen, dass er meine Huld gewann.”
Da sprach der Held von Berne: “Die Rede lasset sein;
Wessen Ihr mich bittet, zu allem sag’ ich nein.
75Euch Ritter und euch Frauen, ich bring’ euch all’ in Not;
Ihr müsst vor mir ersterben, da Hildebrand ist tot.”
Alles, was im Garten war, wollt’ er erschlagen,
Dietrich in seinem Zorne, wie wir hören sagen.
Hildebrand der alte tat als ein Biedermann,
80Er sprang in den Garten und rief seinen Herren an.
Er sprach: “Lieber Herre, lasst ab von Eurem Zorn;
Ihr habt den Sieg gewonnen, nun bin ich neu geborn.”
Dietrich der kühne sah Hildebranden an,
Da erweicht’ ihm sein Gemüte, da er stehen sah den Mann.
85Der Berner liess sein Toben, er küsst’ ihn auf den Mund;
“Gott will ich heute loben, dass du noch bist gesund;
148Sonst hätte nicht verfangen ihr Flehen insgemein;
Um Siegfried war’s ergangen: das schuf das Sterben dein.
Nun lass’ ich von dem Harme, da Hildbrand ist gesund.”
90Da schlug die Königstochter sich selber auf den Mund.
Da sprach Frau Kriemhild: “Ihr seid ein biedrer Mann,
Dem man seinesgleichen in der Welt nicht finden kann.”
Auf setzte sie dem Berner ein Rosenkränzelein,
Ein Halsen und ein Küssen gab ihm das Mägdelein.
95Sie sprachen einhellig: “Das mag man Euch gestehn,
Es ward in allen Reichen kein Mann wie Ihr gesehn.”
Siegfried dem kühnen man zu Hilfe kam,
Sie führten ins Gestühle den Degen lobesam.
Man zog ihm ab den Harnisch, dem kühnen Weigand;
100Da verbanden ihm die Wunden die Frauen allzuhand.
1. The locus is the mountains of Tirol. Laurin, the diminutive dwarf-king, has a rose-garden the trespasser upon which must lose a hand and foot. The arrogant Witege, Dietrich’s man, wantonly tramples down the roses; whereupon Laurin assails him, in knightly fashion, on horseback.
2. The ‘pommel’ of his sword.
3. Ecke is a redoutable young giant whose conceit leads him to seek an encounter with Dietrich of Bern. Three queens promise him the choice among them if he brings the famous man to them, so that they can see him. At first Dietrich refuses to fight, but Ecke finally goads him to it with insults. After a fierce battle Ecke is killed.
4. In the archaic sense of ‘mortally wounded,’ ‘doomed to death.’
5. Kriemhild has at Worms a rose-garden which is guarded by twelve famous champions. She challenges Dietrich and his Amelungs to invade her garden if they dare, promising to each victor a kiss and a wreath. Eleven duels, in which Kriemhild’s man is either slain or barely holds his own, precede the encounter between the two invincibles.
6. In the preceding adventure we hear that Dietrich was at first unwilling to face Siegfried on account of his horny skin, his magic sword and his impenetrable armor. To provoke his master’s wrath—Dietrich can only fight when enraged—the faithful Hildebrand takes him aside and calls him a coward; whereat Dietrich knocks him down—to the old man’s private satisfaction.
XXIX. MEYER HELMBRECHT
A metrical novelette written about 1250 by a man who calls himself Wernher the Gardner. The locus of the story, which is interesting as a picture of the times, is the region about the junction of the Inn and the Salzach. Its hero is a depraved young peasant, who gets the idea that the life of a robber knight would be preferable to hard work upon his father’s farm. So he dresses himself in fine clothes to ape the gentry, becomes a robber and commits all manner of outrages until one day he is caught and hanged by a party of his victims. In the course of his career he revisits his former home and compares notes with his father. The selection is from Bötticher’s translation in Part II of Bötticher and Kinzel’s Denkmäler.
Lines 844-986: The old knighthood and the new.
Als sie in Freuden assen,
845Da konnt’s nicht länger lassen
Der Vater, ihn zu fragen
Nach höfischem Betragen,
Wie er’s bei Hof gelernt jetzund.
“Mein Sohn, die Sitten tu mir kund,
850So bin ich auch dazu bereit,
Zu sagen, wie vor langer Zeit
In meinen jungen Jahren
Die Leut’ ich sah gebaren.”
149“Ach Vater, das erzähle jetzt,
855Ich geb’ auch Antwort dir zuletzt
Auf alle deine Fragen
Nach höfischem Betragen.”
“Vor Zeiten, da ich Knecht noch war
Bei meinem Vater manches Jahr,
860—Den du Grossvater hast genannt—
Hat der mich oft zu Hof gesandt
Mit Käse und mit Eiern,
Wie’s heut noch Brauch bei Meiern.
Da hab’ die Ritter ich betrachtet
865Und alles ganz genau beachtet.
Sie waren edel, kühn und treu,
Von Trug und niederm Sinne frei,
Wie’s leider heut nicht oft zu schaun
Bei Rittern und bei Edelfraun.
870Die Ritter wussten manches Spiel,
Das edlen Frauen wohlgefiel.
Eins wurde Buhurdier’n1 genannt,
Das tat ein Hofmann mir bekannt,
Als ich ihn nach dem Namen fragte
875Des Spiels, das da so wohl behagte.
Sie rasten dort umher wie toll
—Drob war man ganz des Lobes voll,—
Die einen hin, die andern her.
Jetzt sprengte dieser an und der,
880Als wollt’ er jenen niederstossen.
Bei meinen Dorfgenossen
Ist selten solcherlei geschehn,
Wie dort bei Hof ich’s hab’ gesehn.
Als sie vollendet nun das Reiten,
885Da sah ich sie im Tanze schreiten
Mit hochgemutem Singen;
Das lässt Kurzweil gelingen;
Bald kam ein muntrer Spielmann auch,
Der hub zu geigen an, wie’s Brauch.
890Da standen auf die Frauen,
Holdselig anzuschauen.
Die Ritter traten jetzt heran
Und fassten bei der Hand sie an;
Da war nun eitel Wonne gar
895Bei Frauen und der Ritterschar
Ob süsser Augenweide.
Die Junker und die Maide,
Sie tanzten fröhlich allzugleich
Und fragten nicht, ob arm, ob reich.
900Als auch der Tanz zu Ende war,
Trat einer aus der edlen Schar
Und las von einem, Ernst2 genannt;
150Und was von Kurzweil allerhand
Am liebsten jeder mochte treiben,
905Das fand er dort: Nach Scheiben
Mit Pfeil und Bogen schoss man viel;
Die andern trieben andres Spiel,
Sie freuten sich am Jagen.
O weh, in unsern Tagen
910Wär’ nun der Beste, das ist wahr,
Wer dort der Allerschlecht’ste war.
Da wusst’ ich wohl, was Ehr’ erwarb,
Eh’ leid’ge Falschheit es verdarb.
Die falschen, losen Gesellen,
915Die boshaft sich verstellen,
Nicht Recht und Sitte kennen,—
Niemand wollt’s ihnen gönnen,
Zu essen von des Hofes Speise.
Heut ist bei Hofe weise,
920Wer schlemmen und betrügen kann;
Der ist bei Hof der rechte Mann
Und hat an Geld und Gut und Ehr’
Ach, leider immer noch viel mehr
Als einer, der rechtschaffen lebt
925Und fromm sich Gottes Huld erstrebt.
So viel weiss ich von alter Sitte;
Nun, Sohn, tu mir die Ehr’, ich bitte,
Erzähle von der neuen nun.”
“Das, Vater, will ich treulich tun.
930Jetzt heisst’s bei Hof nur: Immer drauf,
Trink, Bruder, trink, und sauf und sauf!
Trink dies, so sauf’ ich das: juchhe!
Wie könnt’ uns wohler werden je?
Nun höre, was ich sagen will:
935Einst fand man edle Ritter viel
Bei schönen, werten Frauen.
Heut kann man sie nur schauen,
Wo unerschöpflich fliesst der Wein.
Und nichts macht ihnen Müh’ und Pein
940Vom Abend bis zum Morgen,
Als nur das eine Sorgen,
Wenn nun der Wein zur Neige geht,
Ob sie der Wirt auch wohl berät
Und neuen schafft von gleicher Güte.
945Da suchen Kraft sie dem Gemüte.
Ihr Minnesang heisst ungefähr:
Reich, Schenkin, schnell den Becher her!
Komm, süsses Mädchen, füll’ den Krug,
‘s gibt Narr’n und Affen noch genug.
950Die, statt zu trinken, ihren Leib
Elend verhärmen um ein Weib.
Wer lügen kann, der ist ein Held,
Betrug ist, was bei Hof gefällt,
Und wer nur brav verleumden kann,
151 955Der gilt als rechter höf’scher Mann.
Der Tüchtigste ist allerorten,
Wer schimpft mit den gemeinsten Worten.
Wer so altmodisch lebt wie ihr,
Der wird bei uns, das glaubet mir,
960In Acht und schweren Bann getan.
Und jedes Weib und jeder Mann
Liebt ihn nicht mehr noch minder
Als Henkersknecht und Schinder.
Und Acht und Bann ist Kinderspott.”3
965Der Alte sprach: “Erbarm’ sich Gott!
Ihm klag’ ich täglich neu das Leid,
Dass sich das Unrecht macht so breit.
Dahin ist der Turniere Pracht,
Dafür hat Neues man erdacht.
970Einst rief man kampfesfreudig so:
Frisch auf, Herr Ritter, frisch und froh!
Jetzt aber schallt’s an allen Tagen:
Hussa, Herr Ritter, auf zum Jagen,
Stich hier und schlag’ zu Tode den,
975Und blende, wer zu gut kann sehn.
Dem dort hau’ frisch nur ab das Bein,
Den lass der Hände ledig sein.
Lass den am nächsten Baume hangen,
Doch jenen Reichen nimm gefangen,
980Er zahlt uns gerne hundert Pfund.”
“Mir sind die Sitten alle kund,
Mein Vater, und ich könnte eben
Von diesem neuen Brauch und Leben
Noch viel erzählen, doch heut nicht mehr;
985Ich ritt den ganzen Tag umher,
Und mich verlangt nach Ruhe nun.”
Lines 1700-1790: Helmbrecht’s sad end.
Wohin er kam bei seinem Wandern,
Da zeigt’ ein Bauer ihn dem andern
Und schrie ihn an und seinen Knecht:
“Haha! Du dieb’scher Schuft, Helmbrecht,
Wärst du ein Bauer noch wie ich,
1705Man führte nicht als Blinden4 dich.”
152Ein Jahr lang litt er solche Not,
Bis durch den Strang er fand den Tod.
Ich sag’ euch nun, wie das geschah.
Ein Bauer ihn von weitem sah,
1710Als eines Tags er durch den Wald
Hinstrich um seinen Unterhalt.
Der Bauer spaltete mit andern
Sich Holz; da sah er Helmbrecht wandern,
Der eine Kuh ihm einst genommen,
1715Die sieben Bänder5 schon bekommen.
Gleich sprach er zu den lieben Freunden,
Dass sie zur Rachetat sich einten.
“Wahrhaftig,” fiel gleich einer ein,
“In Stücke reiss’ ich ihn so klein,
1720Wie Stäubchen in dem Sonnenlicht,
Nimmt ihn vorweg ein andrer nicht.
Denn mir und meinem Weibe
Zog er hinweg vom Leibe
Das letzte Kleid, das unser war;
1725Drum ist er mein mit Haut und Haar.”
Ein dritter, der dabei stand sagte:
“Und wenn er aus sich drei auch machte,
Ich wollt’ ihn töten doch allein.
Der Schuft schlug Schloss und Türen ein
1730Und nahm aus Küch’ und Keller frech
Mir auch den letzten Vorrat weg.”
Dem vierten, der das Holz zerhieb,
Vor Wut kaum noch die Sprache blieb:
“Ich reisse gleich den Kopf ihm ab
1735Und denke, dass ich Ursach’ hab’.
Mein Kind in einen Sack er stiess,
Dieweil’s noch schlummerte so süss.
Mitsamt den Betten stopft’ er’s ein,
In dunkler Nacht blieb ich allein.
1740Und als es schrie vor Schmerz und Weh,
Da schleudert’ er’s in kalten Schnee.
Da wär’ es elend umgekommen,
Hätt’ ich’s nicht schnell ins Haus genommen.”
Der fünfte sprach: “Ja, meiner Treu,’
1745Wie ich mich seines Hierseins freu’!
Wie soll mein Herz sich heute weiden
An seinen Qualen, seinen Leiden!
Er tat Gewalt an meinem Kind;
Und wär’ er dreimal noch so blind,
153 1750Ich hängt’ ihn an den nächsten Baum.
Ich selber rettete mich kaum
Aus seinen Händen, nackt und bloss.
Ja, wär’ er wie ein Haus so gross,
Es wird an ihm noch heut gerochen,
1755Nun er sich hierher hat verkrochen
In diesen tiefen, dichten Wald.”
“Nur näher, kommt doch näher bald!”
So riefen sie, und bald ergoss
Sich auf Helmbrecht der ganze Tross.
1760Indes die Schläge auf ihn sausten,
Hohnworte ihm im Ohre brausten:
“Helmbrecht, die Haube6 nimm in Acht!”
Was Henkershand noch nicht vollbracht
An diesem Werk voll Schmuck und Zier,
1765Das war gar bald getan allhier.
Ein grauses Bild: auch nicht ein Stück,
Breit wie ein Pfennig, blieb zurück.
Die Sittiche und Lerchen schön,
Wie lebende fast anzusehn,
1770Die Sperber und die Turteltauben,
Und was genäht sonst auf die Hauben,
Das lag zerstreut nun allerorten.
Hier trieben Lockenbüschel, dorten
Das Seidenzeug und blondes Haar.
1775Wär’ sonst keins meiner Worte wahr,
Ihr könntet mir doch glauben,
Was ich erzähle von der Hauben.
Wie jämmerlich sie ward zerrissen!
Wollt ihr von einem Kahlkopf wissen?
1780Kein kahlerer ward je gesehn.
Sein Lockenhaar, so blond und schön,
Das lag verachtet und zerstreut
Rings auf der Erde weit und breit.
Das kümmerte die Bauern nicht,
1785Sie liessen noch den armen Wicht
Die Beichte sprechen; gleich zur Stund
Schob einer Helmbrecht in den Mund
Ein Bröckchen Erd’7 zu Schutz und Hut
Vor Höllenfeuers heisser Glut.
1790Dann hängten sie ihn an den Baum.
1. A sham battle between two troops of mounted knights.
2. That is, Duke Ernst; see above, No. xvii.
3. That is: We pay no attention to the decrees of the courts.
4. Helmbrecht has had his eyes put out by a magistrate.
5. Of the ‘bands’ or ‘rings’ on the cow’s horns. She was seven years old.
6. At the beginning of the poem Helmbrecht’s elaborately embroidered hood is described at length.
7. This is not to be understood as a mockery of religion. A dying person might be shrived by a layman if no priest was at hand, a bit of earth or grass being substituted for the holy host.
XXX. THOMASIN OF ZIRCLAERE
A North-Italian cleric—Zirclaere was a village in the old duchy of Friuli—who wrote a rimed treatise on manners, morals, education, etc. He wrote first in Wälsch, i.e. Italian, or more probably French, and then in German. His German title, Der wälsche Gast, was a bid for the hospitable reception of the foreigner’s book in Germany. And it was well received, there being evidence that it was widely read for two centuries. The poem consists of 14,752 verses in ten books and was written in 1215. There is no poetry in it, but it is interesting as a specimen of medieval didacticism.
From the ‘French Guest,’ Book 3: Life’s compensations; riches and poverty.
Der Bauer möchte werden Knecht,
Dünkt ihm einmal das Leben schlecht;
Der Knecht, der wäre gern ein Bauer,
Dünkt ihm einmal das Leben sauer.
5Der Pfaffe möchte Ritter wesen,
Langweilt es ihm, sein Buch zu lesen;
Sehr gern der Ritter Pfaffe wär’,
Wenn er den Sattel räumt dem Speer.
Der Kaufmann, kommt er in die Not,
10Sagt: “Weh und ach, o wär’ ich tot!
Mir ist ein elend Los gegeben.
Der Werkmann hat ein gutes Leben;
Er bleibt zu Hause, sel’ger Mann,
Da ich, der ich nicht werken kann,
15Muss fahren immer hin und her
Und leiden Mühsal hart und schwer.”
Der Werkmann sagt: “Wie wonniglich
Lebt doch der Kaufmann! Während ich
Mich nachts mit harter Arbeit plag’,
20Schläft ja der Kaufmann, wenn er mag.”
Was diesem lieb, ist jenem leid;
Das macht die Unbeständigkeit.
Wollte ziehen der Hund am Wagen,
Und der Ochse Hasen jagen,
25Es deuchte uns doch wunderlich.
Noch schlimmer aber reimt es sich,
Bei diesem oder jenem Leiden
Den Stand des andern zu beneiden,
Der Knecht den Bauer und umgekehrt;
30Das ist ja beiderseits verkehrt.
Wird Pfaffe Ritter, Ritter Pfaffe,
So handelt jeder wie der Affe,
Der, sorglos ob es ihm sei recht,
Ein jedes Amt bekleiden möcht’.
155 35Die Sach’ ist trüglich ganz und gar;
Ich sage euch, und es ist wahr:
Das seine würde keiner geben,
Kannt’ er nur des andern Leben.
Des Armen Mühen und des Reichen,
40Die beiden sich vollständig gleichen.
Wer hat Verstand, der deutlich sieht,
Dass Armut nicht den kürzern zieht.
Dem Armen weh die Armut tut,
Der Reiche quält sich um sein Gut.
45Ist man mir schuldig, tut’s mir leid,
Dass keine Barschaft steht bereit;
Bin ich der Schuldige, leid’ ich Qualen,
Weil ich nichts habe zu bezahlen.
Man sieht ja, zwischen arm und reich
50Ist alles abgewogen gleich.
Der arme Mann sehnt sich nach Gut,
Der reiche Mann bedarf der Hut.
Gut wünschen ist des Armen Plage,
Und wer es hat, kommt in die Lage,
55Dass er um Hilfe bitten muss;
Auf gleicher Stufe geht ihr Fuss.
Der Arme plagt sich nach dem Gute,
Dem Reichen ist es schlecht zu Mute,
Weil er noch ungesättigt bleibt;
60Besitz die Sorgen nie vertreibt.
Wer hat genug und mehr noch will,
Dem hilft sein Gut genau so viel,
Als Rauch den Augen nützlich ist;
Das ist nun wahr zu jeder Frist.
65Der ist sehr arm bei grossem Gut,
Der mehr begehrt in seinem Mut.
Der hat an kleinen Dingen viel,
Der hat genug und nichts mehr will.
Hat jemand einen reichen Mut,
70Er ist nicht arm bei kleinem Gut.
Wem nicht genüget, was er hat,
Für dessen Armut ist kein Rat:
Des bösen Mannes kargem Mut
Genügt ja nicht das grösste Gut.
75Der Geiz’ge hätte stets die Fülle,
Wäre nur nicht sein böser Wille.
Wer nicht mit wenigem kann leben,
Muss seinen Leib zu eigen geben.
Der brave Mann weiss stets Bescheid
80In Reichtum und in Dürftigkeit.
Wir wenden mehr der Müh’ und List
An das, was uns nicht nötig ist,
Als an das Nötige sogar:
156Ist doch die Art sehr wunderbar.
85Man lässt zu Hause Kind und Weib
Und plagt mit Arbeit seinen Leib,
Und der Gewinn ist manchmal klein;
Es würd’ also viel besser sein,
Wenn man mit nur geringer Müh’
90Nach Tugend würbe; so gedieh’
Uns Reichtum und ein grosses Gut
(Ich meine in dem reichen Mut).
Man gibt sehr oft den eignen Leib,
Freiheit, Seele, Kind und Weib
95Um weniges, und wenn zur Stund’
Wir’s kaufen sollten für ein Pfund,
Wir liessen es ganz unberührt.
Der tör’chte Mensch zu Markte führt
Sein eignes Selbst und weiss nicht wie,
100Um lauter Sorge, Reu’ und Müh’,
Mit seinem Selbst kauft er was ein,
Und meint, das Ding nun wäre sein;
Doch mit der Zeit wird er belehrt,
Dass er vielmehr dem Ding gehört.
105Er wäre sein, wär’ nicht sein Gut;
Dermassen hat er seinen Mut,
Und seinen Sinn dem Gut gegeben
Und muss als ein Leibeigner leben.
Der, der verkauft den freien Mut,
110Erhält niemals ein gleiches Gut.
Wem sein Reichtum läufet vor,
Der folget nach ihm wie ein Tor.
Wer mit dem Gute unrecht tut,
Der unterwirft ihm seinen Mut,
115Und wer es nicht beherrschen kann,
Der ist des Pfennigs Dienstemann.
Jetzt von der Unbeständigkeit:
Von grosser Lieb’ kommt grosses Leid.
Was man erwirbt mit grosser Not,
120Man lässt es doch zurück im Tod.
Der Reichtum macht niemand gesund,
Der ruft ihn in der Krankheit Stund’.
Wer da ihn liebt mit grossem Neid,
Verlässt ihn auch mit grossem Leid;
125Und wie er sich mag wenden,
Es muss mit ihm doch enden.
Und Leid von Lieb’ entstehen mag,
Sogar auch vor dem Todestag:
Feind, Feuer, Spiel und Tod und Diebe,
157 130Die können machen Leid aus Liebe.
Drum mein’ ich, dass der Reiche tut
Das beste, wenn er gibt sein Gut
Um ein viel besseres, das heisst,
Um Gottes Huld, die allermeist
135Einträglich ist und ihm gewährt
Den Reichtum, der sich ewig mehrt,
Den kauft des Armen reiner Mut;
Drum haben sie ein gleiches Gut.
Der Arme kommt zu seinem Ziel
140Geschwinder, wenn er es nur will.
Der Reiche fährt in seiner Würde,
Der Arme mit geringer Bürde
Und ohne Sorge, wie’s ihm passt;
Der Reiche mit des Reichtums Last,
145Dazu mit Angst und argem Wahn.
Hört er nur etwas, hält er an.
Rührt sich irgendwo ’ne Maus,
Er meint, es wäre in sein Haus
Ein Dieb gekommen, und schreit “Diebe!”
150Das macht doch nur des Geldes Liebe.
Indessen dringt der Arme vor
Dem Reichen zu des Herren Tor.
Wer stets behalten will sein Gut,
Der geb’ es in des Armen Hut;
155Denn dieser bringt es an den Ort,
Wo es ihm bleibt als ew’ger Hort.
Wer seine Kammer hier will machen,
Er mag sie, wie er will, bewachen,
Verliert den Schatz, das Wort ist wahr,
160So hier wie dort auf immerdar.
Der Karge bleibt ein Nimmersatt:
Solch Wesen auch die Hölle hat;
Drum sollten beide, meine ich
Zusammenhalten ewiglich.
165Wer sich erweist der Hölle gleich,
Gehört nicht hin in Gottes Reich.
XXXI. DER STRICKER
The assumed name of a thirteenth century writer whose real name is unknown. Der Stricker probably means ‘the composer,’ ‘the poet.’ He wrote a long epic, Karl the Great, an Arthurian romance, Daniel of the Blooming Vale, and several short tales of which the best is Pfaffe Ameis. The hero is a peripatetic rogue and practical joker who plays tricks on people and makes much money. The selection is from the translation by Karl Pannier in the Reclam library.
158From ‘Pfaffe Ameis’, lines 805 ff: Ameis as doctor.
Als nun Ameis durch diesen Schlich
Gar vieles Gut erworben sich
Dort an dem Hof zu Karolingen,1
Ritt er hin nach Lotharingen
Und fragete da unverwandt,
810Bis er des Landes Herzog fand.
Dem meldete er eine Märe,
Dass nach dem Herrgott keiner wäre,
Der besser heilen könnt’ als er.
“So hat Euch Gott gesendet her,”
815Hat da das Wort der Herzog nommen;
“So bin ich froh, dass Ihr gekommen.
Ich hab’ Verwandt’ und Dienstleut’ hier,
Von deren Leiden Kummer mir
Ersteht; siech ist ein grosser Teil
820Verleiht Euch Gott ein solches Heil,
Dass Ihr sie machen könnt gesund,
Ihr werdet reich zur selb’gen Stund’.”
Ameis zu sprechen da begann:
“Ich bin ein Arzt, der solches kann.
825Die von dem Aussatz sind befreit
Und nicht durch Wunden haben Leid,
Die haben Krankheit nicht so schwer—
Und wären’s tausend oder mehr,—
Dass ich sie nicht gesunden macht’,
830Bevor der Tag entweicht der Nacht;
Geschieht dies nicht, nehmt mir das Leben.
Drum bitt’ ich Euch, mir nicht zu geben
Geschenke oder Lohn, bevor
Ihr nicht gehört mit eignem Ohr,
835Dass sie gesagt, sie sei’n gesund.
Dann tut mir Eure Gnade kund.”
Des freute sich der Herzog sehr:
“Ihr redet wohl,” erwidert’ er
Und rief die Kranken unverweilt.
840An zwanzig kamen da geeilt;
Die führt’ der Pfaff’ in ein Gemach.
“Bald hab’ ich,” er zu ihnen sprach
“Von eurer Krankheit euch befreit,
Wenn ihr mir schwöret einen Eid,
845Erst nach Verlauf von sieben Tagen
159Von meiner Red’ etwas zu sagen.
Nicht anders ich euch heilen kann.”
Als er mit solcher Red’ begann,
Da liessen sie sich bald besiegen.
850Sie schworen, dass sie es verschwiegen,
Und er zu ihnen nun begann:
“Nun gehet ohne mich hindann
Und wollt besprechen euch dabei,
Wer unter euch der kränkste sei.
855Ist er gefunden, tut’s mir kund—
Bald sollt ihr werden dann gesund.
Den kränksten will ich nämlich töten,
Um euch zu helfen aus den Nöten
Mit seinem Blute allsogleich.
860Mein Leben sei zum Pfande euch.”
Darob erschraken alle Siechen,
Und wer da kaum vermocht’ zu kriechen
Vor seiner Krankheit grimmer Not,
Der fürchtete, es sei sein Tod,
865Wenn seine Not gemerkt man hab’,
Und ging dahin gar ohne Stab,
Wo sie die Unterredung hatten.
Vernehmet jetzo, wie sie taten.
Es dachte da ein jeder Mann:
870“Wie klein ich auch behaupten kann,
Dass meiner Krankheit Leiden sei,
So redet einer doch dabei,
Das seine sei noch kleiner;
Dann redet wieder einer,
875Das seine sei zweimal so klein.
Dann sprechen alle insgemein,
Ich sei der allerkränkste hie.
So sterbe ich, geheilt sind sie.
Drum will ich mich behüten eh’r
880Und sagen, dass gesund ich wär’.”
So dachte er bei sich allein,
So dachten alle insgemein.
Und alle gaben zu verstehn,
Dass ihnen Gnade wär’ geschehn;
885Sie wären munter und gesund.
Das taten sie dem Meister kund.
Er sprach: “Ihr wollt betrügen mich.”
Da schwor ein jeder feierlich
Bei seiner Treu’, es wäre wahr,
890Nichts tät’ ihm weh, auch nicht ein Haar.
Da ward der Meister hoch erfreut.
“Geht hin nun,” sprach er, “liebe Leut’,
Und saget es dem Herzog an.”
Das wurde unverweilt getan:
895Sie gingen hin und sagten an,
Sobald sie ihren Herren sahn,
Es wär’ ein heil’ger Mann gekommen;
Der Krankheit wären sie benommen.
Darob zu staunen er begann
160 900Und fragte alle Mann für Mann,
Ob sie durch Lug ihn täuschten nicht.
Da zwang sie ihres Eides Pflicht,
Den sie Ameis, dem Pfaffen, taten,
Dass keine andre Red’ sie hatten,
905Als die: “sie wären ganz gesund.”
Da liess an Silber zu der Stund’
Dem Pfaffen hundert Mark er geben.
Und dieser kannt’ kein Widerstreben,
Liess ab sich schnell das Silber wägen
910Und forderte den Reisesegen;
Dann eilt’ hinweg er unverwandt.
1. Paris.
XXXII. FREIDANK.
The assumed name of a popular gnomic poet who lived in the first half of the 13th century. His fame rests on his Bescheidenheit, which means the ‘wisdom’ or ‘sagacity’ that comes of experience. The book is a miscellaneous collection of proverbial and aphoristic sayings. The titles of those given below were supplied by the translator.
1Geheimnis der Seele.Wie die Seele geschaffen sei, Des Wunders werd’ ich hier nicht frei. Woher sie komme, wohin sie fahr’, Die Strass’ ist mir verborgen gar. Hier weiss ich selbst nicht, wer ich bin; Gott gibt die Seel’, er nehme sie hin: Gleichwie ein Hauch verlässt sie mich, Und wie ein Aas da liege ich. |
2Unentbehrlichkeit der Toren.Der Weisen und der Toren Streit Hat schon gewähret lange Zeit Und muss auch noch viel länger währen; Man kann sie beide nicht entbehren. |
3Borniertheit der Toren.Der Tor, wenn er ’ne Suppe hat, Kümmert sich gar nicht um den Staat. 4Nachahmungssucht der Toren.Findet ein Tor eine neue Sitt’, Dem folgen’ alle Toren mit. |
11Rom und der Papst.Zu Rom ist manche falsche List, Daran der Papst unschuldig ist. 12Weisheit und Reichtum.Ich nähme Eines Weisen Mut Für zweier reicher Toren Gut. 13Scheinheiligkeit.Von manchem hört’ ich schon mit Neid, Er pflege grosser Heiligkeit; Und sah ich ihn, da dünkt’ es mich, Er wäre nur ein Mensch wie ich. 14Der freie Gedanke.Deshalb sind Gedanken frei, Dass die Welt unmüssig sei. 15Lebensregel.Man soll nach Gut und Ehre jagen Und Gott dennoch im Herzen tragen. 16Minneglück.Wer minnet, was er minnen soll, Dem ist mit Einem Weibe wohl; Ist sie gut, so ist ihm gewährt, Was man von allen Weibern gehrt. |
XXXIII. PLAY OF THE TEN VIRGINS
One of the earliest attempts at dramatic composition in German. There is a tradition that it was played in 1322 before the Landgrave of Thüringen and that he was so overwhelmed by its picture of Christ as stern judge that he fell into a moody despair which endured five days and ended with an apoplectic stroke from which he died three years later.
Die erste Törichte spricht also:
Herr Vater, himmelischer Gott,
Tu’ es bei deinem bittern Tod,
Den du am Kreuze hast erduldet:
Verzeih’ uns armen Jungfraun, was wir verschuldet.
5Verleitet hat uns leider unsre Torheit;
Lass uns geniessen deiner grossen Barmherzigkeit,
Und Mariens, der lieben Mutter dein,
Und lass uns zu dem Gastmahl hier herein.
Jesus spricht also:
Wer die Zeit der Reue versäumet hat
10Und auch nicht büsste seine Missetat
Und kommt zu stehn vor meiner Tür,
Der findet keinen Eintritt hier.
Die zweite Törichte spricht:
Tu’ auf, o Herr, dein Tor!
Die gnadenlosen Jungfraun stehen davor
15Lieber Herr, wir bitten dich sehr,
Dass deine Gnade sich uns zukehr’.
Jesus spricht also:
Ich weiss nicht, wer ihr seid.
Da ihr zu keiner Zeit
Mich selber habt erkannt
20Noch die Taten meiner Hand,
So bleibt euch Gnadenlosen
Das Himmelstor verschlossen.
Die dritte Törichte spricht also:
Da Gott uns Heil versagt,
Beten wir zu der reinen Magd,
25Mutter aller Barmherzigkeit,
Dass sie uns huld sei in unsrem grossen Herzeleid
Und zu ihrem Sohn flehe für uns Armen,
Dass er sich unser woll’ erbarmen.
Die vierte Törichte spricht:
Maria, Mutter und Magd,
30Uns ward gar oft gesagt,
Du seiest aller Gnade voll;
Nun bedürfen wir der Gnade wohl.
163Dies bitten wir dich sehr
Bei aller Jungfrauen Ehr’,
35Dass du zu deinem Sohn flehest für uns Armen,
Er möge sich unser gnädig erbarmen.
Maria spricht also:
Tatet ihr je mir oder meinem Kinde etwas zu Frommen,
Es müsste euch jetzt zu statten kommen.
Das tatet ihr aber leider mit nichten,
40Drum wird unser beider Bitte wenig ausrichten.
Doch will ich’s versuchen bei meinem Kinde,
Ob ich vielleicht Gnade finde.
Maria fällt auf die Kniee vor unsern Herrn und spricht:
Ach, liebes Kind mein,
Gedenke der armen Mutter dein,
45Gedenke der mannigfaltigen Not,
Die ich erlitt durch deinen Tod.
Herr Sohn, da ich dein genas,
Hatt’ ich weder Haus noch Palas,
Ganz arm war ich;
50Das hab’ ich erlitten für dich.
Ich hatte mit dir Mühe, es ist wahr,
Mehr als dreiunddreissig Jahr;
Sieh, liebes Kind, das lohne mir
Und erbarme dich dieser Armen hier.
Jesus spricht zu Maria:
55Mutter, denkt an das Wort,
Das sie finden geschrieben dort:
Wolken und Erde sollen vergehn,
Meine Worte sollen immer stehn.
Du errettest den Sünder nimmermehr,
60Weder du noch das ganze himmlische Heer.
Die erste Törichte spricht also:
Ach Herr, bei deiner Güte
Erweiche dein Gemüte
Und erzürne dich nicht so sehr.
Bei aller Jungfrauen Ehr’
65Schau’ heute unser Elend an;
Es reut uns, was wir dir zu Leid je haben getan.
Nicht wieder wollen wir uns vergehen;
Erhöre deiner Mutter Flehen
Und lass uns arme Jungfrauen
70Die Festlichkeit beschauen.
Maria, aller Sünder Trösterin,
Hilf uns zum Freudensaal darin!
Maria spricht also:
Eure Fürsprecherin will ich gerne sein.
Wäret ihr nur von Sünde frei,
75Ihr kämet desto leichter herein.
Ich will aber für euch mein Kind Jesum bitten.
Liebes Kind, lass dich meiner Bitte nicht verdriessen!
Lass heute unsre Tränen vor deinen Augen fliessen,
Und denke an das Ungemach,
164 80Das ich erlitt an deinem Todestag,
Da ein Schwert durch meine Seele ging.
Also für jene Pein, die ich um dich empfing,
Belohne mich zu gunsten dieser Armen
Und ihrer lass dich nun erbarmen.
85Du bist ihr Vater, eine jede ist dein Kind;
Denke, wie lästig sie dir auch geworden sind
In manchem Ungemache,
Und in was für einer Sache
Der Sünder dich auch geplagt,
90Er ist dennoch die Schöpfung deiner Macht.
Mein Sohn, du trauter, guter,
Erhöre deine Mutter.
Hab’ ich dir je einen Dienst getan,
So nimm dich dieser Armen an,
95Damit die jammervolle Schar
Zu Himmel ohne Urteil fahr’.
Jesus spricht also:
Nun schweiget, Frau Mutter mein;
Solche Rede mag nicht sein.
Da sie auf der Erde waren,
100Gute Werke sie nicht gebaren,
Ihnen gemäss war alle Schlechtigkeit;
Drum versag’ ich ihnen meine Barmherzigkeit,
Nach der sie dort nie suchten,
Und schicke sie zu den Verfluchten;
105Ihre späte Reue soll nichts nützen.
Zu Gericht will ich jetzt sitzen:
Geht, ihr Verfluchten an Seel’ und Leibe,
Wie ich euch von mir jetzt vertreibe.
Geht in das Feuer unter die Hut
110Des übeln Teufels und seiner Brut!
Sünder, geh von mir!
Trost und Gnade versag’ ich dir.
Kehre von den Augen mein,
Fern bleibe dir meines Antlitz’ Schein!
115Scheide von meinem Reich,
Das du, dem Toren gleich
Durch deine Sünden verloren hast;
Trage mit dir der Sünden Last!
Gehe hin und schrei’ und heul’!
120Keine Hilfe wird dir je zu teil.
XXXIV. EASTER PLAYS
The Easter plays grew out of a brief and solemn church function, which followed a Latin ritual. In time German superseded the Latin, but without replacing it entirely; the performances increased greatly in scope, took in elements of fun, buffoonery and diablerie, outgrew the churches and became great popular festivals, which were usually held in the market-place. The performance of an Easter 165 play together with a preceding passion play might occupy several hundred actors for a number of days. The texts as known to us are hardly ‘literature’ in the narrower sense. They were written by men of small poetic talent, who rimed carelessly, used the rough-and-ready language of the people, did not shrink from indecency and aimed at dramatic rather than poetic effects.
1
From the Redentin play: Christ’s descent into hell.1
Lucifer
Nun seht, ist das nicht ein wunderlich Getue,
Dass wir nicht mehr sollen leben in Ruhe?
Wir wohnen hier schon über fünftausend Jahr
Und wurden solches Unfugs noch nie gewahr,
5Wie man ihn jetzt gegen uns will treiben;
Dennoch wollen wir hier verbleiben,
So lange wir stehen noch kampfbereit,
Ob es euch allen sei lieb oder leid.
Lucifer (ad David)
David, wer ist dieser König der Ehren?
David
10Das kann ich dir wohl leicht erklären:
Er ist der starke Herr,
Mächtig im Kampf und in aller Ehr’;
Er ist’s, der alle Dinge hat erschaffen.
Lucifer
O weh, so sind unnütz all unsre Waffen
15Und all unsre Wehr,
Kommt der gewaltige König hierher.
Jesus
Ich fordre, Riegel an dieser Hölle,
Dass du dich auftuest in der Schnelle.
Ich will zerbrechen das Höllentor
20Und die Meinen führen hervor.
(et cantat: Ego sum Alpha et Omega, etc.)
Ich bin ein A und auch ein O;
Das sollt ihr wissen alle, so
Hier seid in dieser Höllenfeste.
Ich bin der Erste und auch der Letzte.
25Der Schlüssel Davids bin ich gekommen,
Um zu erlösen meine Frommen.
Satanas
Wer ist dieser Mann mit dem roten Kleide,
Der uns so vieles tut zu Leide?
Eine Unanständigkeit ist das
30Und beleidigt uns in hohem Mass.
Jesus
Schweig’, Satan, und sei bange!
Schweige, verdammte Schlange!
Spring auf, du Höllentor!
Die Seelen sollen hervor,
35Die darin sind gefangen.
Ich habe am Galgen gehangen
Für die, die taten den Willen mein.
Ich habe gelitten grosse Pein
In meines Leibs fünf Wunden.
40Damit soll Lucifer sein gebunden
Bis an den jüngsten Tag:
Ihm ewige Pein und ein grosser Schlag.
(Tunc cum vehemencia confringit infernum)
Weichet von hier geschwinde,
All ihr Höllengesinde!
(et arripit Luciferum)
45Lucifer, du böser Gast,
Du trägst fortan dieser Ketten Last,
Nicht mehr treibst du dein schändlich Wesen;
Meine Lieben sollen vor dir genesen.
(Chorus cantat: Sanctorum populus —Anime cantant: Advenisti —Jesus cantat: Venite benedicti —cum ricmo:)
Kommt her, meine Benedeiten!
50Not sollt ihr nicht mehr leiden.
In meines Vaters Reich begleitet ihr mich,
Um dort euch zu freuen ewiglich
Im lauteren Glanz der Seligkeit,
Die euch ohn’ Ende stehet bereit.
(et arripit Adam manu dextra)
55Adam, gib mir deine rechte Hand!
Heil und Glück sei dir bekannt!
Ich vergebe dir,
Was du verbracht zu Leide mir.
Adam
Lob sei dir und Ehr’,
60Du Weltgebieter hehr!
Ich und all mein Geschlecht
Waren verdammt mit Recht.
Doch wolltest du in deiner Barmherzigkeit
Uns erlösen aus solcher Jämmerlichkeit.
65Eva! Eva!
Selig Weib, komm mal her ja!
(et cantat: Te nostra vocabant suspiria—)
Jesus
Du warst an deinen Sünden gestorben;
Nun hab’ ich sterbend dich wieder erworben
167Und will dich führen zu des Vaters Thron.
Eva
70O Herr Jesus, Gottes Sohn,
Ich habe gesündigt gegen dich,
Indem ich liess betrügen mich
Und Trotz bot deinem Worte.
Drum wohn’ ich hinter der Höllenpforte
75Wohl fünftausend Jahr!
Nun bin ich erlöset offenbar.
2
From the Vienna play: The quacksalver scene.2
(Nun kommen die Personen und singen.)
Allmächtiger Gott, Vater der höchste,
Der Engel Trost, der aus der Not
Uns rettete und Trost uns bot—
Die zweite Person
Vater, allmächtiger Gott,
5Dem die Engel stehn zu Gebot,
Was soll uns Armen nun geschehen,
Da wir dich nicht mehr sollen sehen?
Wir haben den verloren,
Der uns zum Troste ward geboren,
10Jesus Christus,
Der reinen Jungfrau Sohn,
Der der Welt Hoffnung war.
O, wie gross ist unser Schmerz!
Wir haben verloren Jesus Christ,
15Der aller Welt ein Tröster ist,
Mariens Sohn, den reinen;
Drum müssen wir beweinen
Bitterlich seinen Tod,
Da er uns half aus grosser Not.
Die dritte Person
20Wir wollen dahin, wo er im Grabe liegt,
Und ihn betrauern, der den Tod besiegt
Für uns, und salben ihm die Wunden sein;
O weh, wie gross ist unsre Herzenspein!
Geliebte Schwestern beide,
25Wie sollen wir leben in unserm Leide,
Wenn wir entbehren müssen
Jesus den süssen?
Drum gehen wir und kaufen Salben,
Damit wir ihm allenthalben
30Bestreichen seine Wunden
In diesen frühen Stunden.
168(Der Kaufmann ruft dem Knechte)
Rubein! Rubein! Rubein!
(Rubinus kommt gelaufen)
Was wollt Ihr denn, Herr Meister mein?
Mercator
Rubein, wo hast du so lange gesteckt?
35Du tust deinen Dienst nicht recht.
Du solltest hier kaufen und verkaufen
Und die Leute schinden und täuschen.
Rubinus
Herr, ich besuchte jene alten Weiber;
Ich wollte auftreten als Harnsteinschneider.
Mercator
40Rubein, es wird wohl nächstens tagen.
Ich hör’ ein jämmerlich Klagen
Von drei Frauen, die singen;
Uns mag jetzt wohl gelingen,
Ein gut Geschäft zu machen mit Ehr’;
45Geh und rufe sie hierher.
Rubinus
Herr, welche meinest du?
Soll ich sie alle rufen herzu?
Mercator
Doch nicht! Rufe nur die allein,
Die am Wege klagen und schrein.
(Rubinus geht zu den Schwestern)
50Gott grüss’ euch, Frauen, zu jeder Zeit.
Ich sehe wohl, dass ihr betrübet seid.
Was euch mag immer schmerzen,
Ihr seufzt mit schwerem Herzen.
Es tut mir leid, das glaubet mir,
55Dass so betrübt ihr stehet hier.
Die Personen sagen:
Gut Kind, Gott lohn’ es dir!
Wir haben ein schwer Gemüt allhier.
Rubinus
Das bessere Gott in seiner Güte
Und euch vor allem Leid behüte!
60Ausser Trost hättet ihr was gern,
So geht und fragt bei meinem Herrn.
Die zweite Person
Gott segne dich, du guter Knabe,
Und lass gedeihen deine Habe!
Unser Leid ist verborgen.
65Wir wollen dir gerne folgen;
Nicht länger wollen wir hier stehn,
Wir wollen gerne mit dir gehn.
Mercator canit:
Ihr Frauen, seid mir höchst willkommen!
Ich hoffe zu fördern euer Frommen.
169 70Ist etwas hier, was ihr begehrt,
Es wird euch gern von mir gewährt.
Ich habe die besten Salben,
Die da allenthalben
Im Lande werden zu finden sein,
75In Ysmodia und in Neptaleim.
So wahr ich mir den Korb und Stab
Mitgebracht habe aus Arab;
So wahr mein schönes Weib Antonie
Mit mir kam von Babylonie,
80So muss euch diese recht gedeihen,
Denn ich brachte sie von Alexandreien.
Die dritte Person
Guter Mann, ich hab’ in der Hand
Drei schöne Gulden von Byzant.
Gib uns dafür reichlichermassen,
85Und möge Gott dich leben lassen!
Mercator
Da ihr beim Kauf nicht feilschen wollt,
Will ich verdienen euer Gold.
Nehmt also erstens diese Büchse,
Die besser ist als andre fünfe.
90Und nehmet diese auch dabei,
Die besser ist als andre zwei.
Und diese Büchse nehmet, so
Noch besser ist als andre zwo.
Tertia Persona
Nun sage uns, du guter Mann,
95Sollen wir mit dieser Salbe gahn?
Mercator
Ja, Frau, und wär’ ich rotes Gold,
Ihr sollt sie tragen, wohin ihr wollt.
Die Ärztin spricht zornig:
Ihr Frauen, lasst die Büchsen stehn!
Ihr sollt damit von hier nicht gehn,
100Sie kosteten mir allzuteuer;
Die macht’ ich neulich überm Feuer.
Geht schnell von meinem Krame ab,
Sonst schlag’ ich euch mit einem Stab.
Der Krämer spricht zu ihr:
Wie doch, Ihr böse Haut!
105Wie dürft Ihr immer werden laut?
Wollt Ihr tadeln mein Verkaufen,
Ich will Euch schlagen, will Euch raufen.
Mercatrix
Wie ist der Flachsbart doch so dreist!
Du bist ein rechter Plagegeist.
110Der Geier soll dich schänden
Hier unter meinen Händen!
Mercator
Frau, lasst ab von Eurem Schwatzen,
Sonst fühlt Ihr nächstens meine Tatzen.
Mercatrix
Ich schweige nicht, das sag’ ich dir!
115Wenn du kommst von deinem Bier,
Bist du betrunken wie ein Schwein.
Mög’ es dir nimmermehr gedeihn!
Mercator
Schweigt, Frau, sonst rollt Ihr bald zu Hauf.
Mercatrix
Da drüben geht der Vollmond auf.
Mercator
120Schweigt, oder ich geb’ Euch einen Schlag.
Mercatrix
Klotz, da er hier besoffen lag!
Mercator
O du altes Redefass!
Ich trug dir doch niemals Hass.
Nun geb’ ich dir eins auf den Kopf,
125Dass es summt dir unterm Schopf.
Und eins noch kriegst du auf den Rücken,
Das weh tun soll in allen Stücken.
Mercatrix
Ach, ach, ach und leider!
Sind das doch die neuen Kleider,
130Die du zu Ostern mir gesandt.
Wärst du nur ins Feuer gerannt!
Gott gebe dir Geschwür’ im Magen,
Dass du krepierst in wenig Tagen!
Wärst du nicht zu Wien entgangen,
135Man hätte dich schon längst gehangen.
Du hast auch einen roten Bart
Und bist ein Kobold schlimmster Art.
Mercator
Fraue, liebe Fraue mein,
Möget Ihr immer selig sein!
140Vergib mir, dass ich dich geschlagen,
Aber du hast so viel zu sagen.
Die Klage machst du mannigfalt,
Und daran tust du mir Gewalt.
Du hast ein wunderlich Gebärde,
145Und willst mich bringen unter die Erde.
Mercatrix
Ja, ich vergebe dir die Schläge
Am Tag, wo ich dich ins Grab hinlege.
Mercator (zu Rubin)
Hinweg mit den Pulvern!
Hier kann ich nicht mehr bleiben.
150Hebe auf Korb und Stab,
Und laufen wir nach Arab
Weithin von diesem Lande:
Sonst kämen wir vielleicht zu Schande.
Rubinus (dicit)
Herr, ich packe ein recht gerne
155Und laufe mit in weite Ferne.
1. The original, in the Middle Low German of Mecklenburg (Redentin is a village near Wismar) is printed in Kürschner’s Deutsche Nationalliteratur, Vol. 14. —Upon coming to life in the tomb and escaping the guards stationed by Pilate, Christ descends into hell to release the ‘fathers.’ Lucifer’s first speech—he is the over-lord of hell and Satan his first lieutenant—is addressed to the devils in view of the rumored approach of the King of Glory.
2. The original is printed in the Fundgruben of Hoffmann von Fallersleben, 1837. The ‘Personen’ are the three Marys, who go at break of day to anoint the body of the buried Christ. On the way they are taken in by a peripatetic quacksalver who has a cantankerous wife and a scapegrace clerk named Rubin.
XXXV. REYNARD THE FOX
A humorous poem, with incidental satire, which enjoyed the favor of all medieval Europe. The earliest German attempt to weave a continuous narrative out of the animal-stories that had previously been current in Latin, and to some extent in French, was that of an Alsatian poet, Heinrich der Glichezare, who wrote about 1180 and drew upon French sources. With the exception of a badly preserved fragment this poem is lost. It was called Isengrines Not and described the pranks played by the cunning fox on the stupid wolf. Half a century later it was worked over by an unknown rimester who changed the title to Reinhart Fuchs. This is the High German version from which the first of the selections below is translated. More important in a literary way is the Low German version, of which the earliest print dates from 1498. A specimen of this is given in Simrock’s translation.
1
From the High German ‘Reinhart Fuchs,’ lines 663 ff: Reynard initiates the wolf as a monk and teaches him to catch fish.
“Gevatter,” sprach Herr Isengrin,
“Gedenkst du stets als Mönch hierin
665Zu wohnen bis zu deinem Tod?”
“Ja wohl,” sprach er, “es tut mir not:
Du wolltest ohne meine Schuld
Mir versagen deine Huld
Und nehmen wolltest du mein Leben.”
670Sprach Isengrin: “Ich will’s vergeben,
Hast du mir je ein Leid getan,
Wenn ich nun mit dir wohnen kann.”
“Vergeben? Mir?” sprach da Reinhart,
“Mein Leben sei nicht mehr bewahrt,
675Tat ich je was zu Leide dir.
Wüsstest du mir Dank dafür,
Ich gäbe dir zwei Stücke Aal,
Den Rest von meinem letzten Mahl.”
Herr Isengrin war hoch erfreut.
680Er öffnete das Maul sehr weit.
172Und Reinhart warf sie ihm in Mund.
“Ich bliebe immermehr gesund,”
Sprach Isengrin mit blödem Sinne,
“Wär’ ich nur einmal Koch da drinne.”
685Reinhart sprach: “Ist bald getan.
Willst du hier Brüderschaft empfahn,
So wirst du Meister über die Braten.”
Dem war es recht, wie ihm geraten.
“Das tu’ ich,” sagte Isengrein.
690“Also steck deinen Kopf herein,”
Sprach Reinhart. Jener war bereit,
Und eilig nahte sich sein Leid.
Er tat hinein die Schnauze gross,
Und Bruder Reinhart ihn begoss
695Mit heissem Wasser, das ist wahr,
Und brachte ihn um Haut und Haar.
Isengrin sprach: “Weh tut das mir.”
Reinhart sagte: “Wähnet Ihr
Den Himmel mühlos zu gewinnen?
700Ihr seid doch nicht so ganz von Sinnen?
Gern mögt Ihr leiden diese Not,
Gevatter, wenn Ihr läget tot:
Die Brüderschaft habt Ihr empfahn,
Und alle Tage von nun an
705Habt Ihr an tausend Messen teil,
Was sicherlich Euch bringt zum Heil.”
Isengrin meint’, es wäre wahr;
Er klagte nicht um Haut und Haar,
Die er nun nicht mehr nannte sein.
710Er sprach: “Jetzt, Bruder, sind gemein
Die Äle, die noch drinne sind,
Da ich wie du ein Gotteskind.
Wer mir ein Stück davon versagt,
Wird vor dem Abte angeklagt.”
715Reinhart sprach: “Nie tät’ es not;
Euch steht das Unsrige zu Gebot
In brüderlicher Minn’ und Ehr’,
Doch hier sind keine Fische mehr.
Ich will Euch aber führen gleich
720Zu unserm klösterlichen Teich,
In dem so viele Fische gehen,
Dass niemand mag sie übersehen.
Die Brüder taten sie hinein.”
“Lasst uns nur hin,” sprach Isengrein;
725Da gingen sie; gleich ohne Zorn,
Der Teich war aber überfrorn.
Sie begannen nachzuschauen;
Es war ein Loch im Eis gehauen,
Wo man sich Wasser herausnahm,
730Was Isengrin zu Schaden kam.
173Sein Bruder trug ihm grossen Hass
Und einen Eimer nicht vergass;
Reinhart war froh, als er ihn fand
Und an den Schwanz dem Bruder band.
735Da sprach Herr Isengrein:
“In nomine patris! Was soll das sein?”
“Senkt hier den Eimer,” Reinhart sprach,
“Und wartet ruhig und gemach
Indem ich treibe sie hierher;
740Nicht lange bleibt Ihr magenleer,
Weil ich sie sehen kann durchs Eis.”
Herr Isengrin war nicht sehr weis’.
Er sprach: “Sagt mir in Bruderminne,
Gibt es denn wirklich Fisch’ hierinne?”
745“Ja Tausende hab’ ich gesehn.”
“Wohl denn, es kann uns Glück geschehn.”
Isengrin hatte dummen Sinn;
Bald fror der Schwanz ihm fest darin.
Die Nacht ward schrecklich kalt am Ort,
750Doch Reinhart schwieg nur immerfort.
Herr Isengrin fror mehr und mehr;
Er sprach: “Der Eimer wird mir schwer.”
“Ich zähle drin, bei meiner Ehr’,
Der Äle dreissig,” sprach Reinhart;
755“Dies wird uns eine nütze Fahrt.
Steht nur noch wenig Zeit in Ruh’,
Es kommen hundert noch dazu.”
Nachher, als es begann zu tagen,
Sprach Reinhart: “Leider muss ich sagen,
760Mir bangt des grossen Reichtums wegen.
Ich bin in hohem Grad verlegen,
Weil so viel Fische uns gegönnt,
Dass Ihr sie gar nicht heben könnt.
Versucht’s doch, ob es Euch gelingt,
765Dass Ihr heraus den Eimer bringt.”
Herr Isengrin fing an zu ziehen,
Doch all umsonst war sein Bemühen;
Den Eimer musst’ er lassen stehen.
Reinhart sprach: “Ich will jetzt gehen
770Zu den Brüdern, dass sie kommen;
Es soll der Fang uns allen frommen.”
Bald kam herauf die helle Sonn’,
Und Reinhart machte sich davon.
2
From the Low German ‘Reinke de Vos,’ Book 2: Reinke under the Pope’s ban; Martin the Ape offers to assist him.
Als Martin der Affe das vernommen,
Reinke wolle zu Hofe kommen,
Zu reisen gedacht’ er just nach Rom.
Er ging ihm entgegen und sprach: “Lieber Ohm,
5Fasst Euch ein Herz und frischen Mut.”
Den Stand seiner Sache kannt’ er gut,
Doch frug er nach ein und anderm Stück.
Reineke sprach: “Mir ist das Glück
In diesen Tagen sehr zuwider.
10Gegen mich klagen und zeugen wieder
Etliche Diebe, wer es auch sei,
Das Kaninchen ist und die Krähe dabei.
Der eine hat sein Weib verloren,
Der andre die Hälfte von seinen Ohren.
15Könnt’ ich selber vor den König kommen,
So sollt’ es beiden wenig frommen.
Was mir am meisten schaden kann,
Ist dies: Ich bin in des Papstes Bann.
Der Probst hat in der Sache Macht,
20Aus dem der König selber viel macht.
Warum man in den Bann mich tat,
Ist, weil ich Isegrim gab den Rat,
Da er ein Klausner war geworden,
Dass er weglief’ aus dem Orden,
25In den er bei Clemar sich begeben.
Er schwur, er könne nicht mehr leben
In solch hartem, strengem Wesen,
So lang zu fasten, so viel zu lesen.
Ich half ihm weg; das reut mich jetzt,
30Zumal er mich zum Dank verschwätzt:
Er feindet mich beim König an
Und tut mir Schaden, wo er kann.
Geh’ ich nach Rom, so setz’ ich fürwahr
Weib und Kinder in grosse Gefahr,
35Denn Isegrim wird es nicht lassen,
Ihnen nachzustellen und aufzupassen
Mit andern, die mir zu schaden trachten
Und schon manches wider mich erdachten.
Würd’ ich nur aus dem Bann gelöst,
175 40So wär’ mir Mut ins Herz geflösst;
Ich könnte getrost mit besserm Gemache
Sprechen für meine eigne Sache.”
Martin sprach: “Reineke, lieber Ohm,
Ich bin eben auf dem Weg nach Rom;
45Da will ich Euch helfen mit schönen Stücken,
Ich leide nicht, dass sie Euch unterdrücken.
Als Schreiber des Bischofs, könnt Ihr denken,
Versteh’ ich was von solchen Ränken.
Ich will den Probst nach Rom citieren
50Und will so gegen ihn plädiren;
Seht, Ohm, ich schaff’ Euch Excusation
Und bring’ Euch endlich Absolution,
Und wenn der Probst sich vor Ärger hinge.
Ich kenn’ in Rom den Lauf der Dinge,
55Und was zu tun ist, weiss ich schon.
Da ist auch mein Oheim Simon,
Der sehr mächtig ist und hochgestellt
Und jedem gerne hilft fürs Geld.
Herr Schalkefund steht auch da hoch,
60Dr. Greifzu und andre noch,
Herr Wendemantel und Herr Losefund,
Die sind da all mit uns im Bund.
Ich habe Geld voraus gesandt,
Mit Geld wird man am besten bekannt.
65Ja, Quark, man spricht wohl von Citieren;
Sie wollen nur, man soll spendieren.
Wär’ eine Sache noch so krumm,
Man biegt mit Geld sie um und um.
Wer Geld bringt, mag sich Gnade kaufen;
70Wer das nicht hat, den lässt man laufen.
Seht, Ohm, seid ruhig um den Bann,
Ich nehme mich der Sachen an
Und bring’ Euch frei, Ihr habt mein Wort.
Geht dreist zu Hof, Ihr findet dort
75Frau Riechgenau, mein Ehgemahl.
Der König liebt sie, und zumal
Auch unsre Frau, die Königin,
Denn sie hat klugen, behenden Sinn.
Sprecht sie an, sie liebt die Herrn
80Und verwendet sich für Freunde gern.
Sie ist Euch zu jedem Dienst erbötig.
Das Recht hat manchmal Hilfe nötig.
Bei ihr sind ihrer Schwestern zwei,
176Dazu auch meiner Kinder drei
85Und viel andre noch von Euerm Geschlecht,
Die gern Euch helfen zu Euerm Recht.
Kann Euch denn sonst kein Recht geschehn,
So lass’ ich meine Macht Euch sehn.
Macht es mir nur gleich bekannt.
90Alle, die wohnen im ganzen Land,
Den König und alle, Weib und Mann,
Die bring’ ich in des Papstes Bann
Und schick’ ein Interdict so schwer,
Man soll nicht begraben noch taufen mehr,
95Und keine Messe lesen noch singen.
Drum, lieber Ohm, seid guter Dingen!
Der Papst ist ein alter, schwacher Mann,
Er nimmt sich keiner Sache mehr an;
Drum hat man sein auch wenig acht.
100Am Hofe übt die ganze Macht
Der Kardinal von Ohnegenügen,
Ein rüstiger Mann, der weiss es zu fügen.
Ich kenn’ ein Weib, die hat er lief,
Die soll ihm bringen einen Brief.
105Mit der bin ich sehr wohl bekannt,
Und, was sie will, geschieht im Land.
Sein Schreiber heisst Johann Partei,
Der kennt wohl Münze alt und neu.
Horchgenau ist sein Kumpan,
110Der ist des Hofes Kurtisan.
Wendundschleich ist Notarius,
Beider Rechte Baccalaureus;
Übt der ein Jahr noch seine Tücken,
So wird er Meister in Praktiken,
115Moneta und Donarius halten jetzt
Die Richterstühle dort besetzt;
Wem sie das Recht erst abgesprochen,
Dem ist und bleibt der Stab gebrochen.
So gilt in Rom jetzt manche List,
120Daran der Papst unschuldig ist.
Die muss ich alle zu Freunden halten:
Sie haben über die Sünden zu schalten
Und lösen das Volk all aus dem Bann.
Oheim, vertraut Euch mir nur an!
125Der König hat es schon vernommen,
Dass ich Euch will zu Hilfe kommen.
Er weiss auch, dass ich der Mann dazu bin;
Drum kommt Ihr nicht zu Ungewinn.
177Bedenkt alsdann der König recht,
130Wie viele vom Affen- und Fuchsgeschlecht,
In seinem geheimsten Rate sitzen.
Geh’s wie es will, das muss Euch nützen.”
Reineke sprach: “Ich bin getröstet;
Ich dank’ Euch’s gern, wenn Ihr mich löstet.”
XXXVI. PETER SUCHENWIRT
The most gifted verse-writer of the poetically barren 14th century. He was a ‘wandering singer’ who depended for his livelihood upon the patronage of princes and spent the most of his life in Austria. He died about 1400. The selection is a translation of his Red’ von der Minne.
XXXVII. BRANT’S SHIP OF FOOLS
A famous satire published at Basel in 1494, with numerous excellent woodcuts. Its author, Sebastian Brant, was born at Strassburg in 1457, took his degree in law, became city clerk of his native place and died in 1521. The Ship of Fools, which consists of disconnected sections describing the various kinds of fools—over a hundred of them—who have embarked in the ship for Fool-land, was translated into Latin, into French three times and into English twice. It was Germany’s first important contribution to world literature. The selections are from the modernization by Simrock, Berlin, 1872.
180
1Von Geiznarren.Wer sich verlässt auf zeitig Gut, Drin Freude sucht und guten Mut, Der ist ein Narr mit Leib und Blut.1 Der ist ein Narr, der sammelt Gut 5Und hat nicht Freud’, und guten Mut Und weiss auch nicht, wem er’s wird sparen, Wenn er muss zum düstern Keller fahren. Noch törichter ist, wer vertut In Üppigkeit und Frevelmut 10Was Gott ins Haus ihm hat gegeben. Er nur verwalten soll sein Leben Und Rechenschaft drum geben muss Wohl schwerer als mit Hand und Fuss. Ein Narr häuft den Verwandten viel; 15Die Seel’ er nicht bedenken will, Sorgt, ihm gebrech’ es in der Zeit, Und fragt nicht nach der Ewigkeit. O armer Narr, wie bist du blind! Du scheust den Ausschlag, kriegst den Grind. 20Erwirbt mit Sünden mancher Gut Und brennt dann in der Hölle Glut, Des achten seine Erben klein: Sie hülfen ihm nicht mit einem Stein, Lösten ihn kaum mit einem Pfund, 25Wie tief er läg’ im Höllenschlund. Gib weil du lebst, ist Gottes Wort: Ein andrer schaltet, bist du fort. Kein weiser Mann trug je Verlangen Mit Reichtum auf der Welt zu prangen. 30Er trachtet nur sich selbst zu kennen; Den Weisen mag man steinreich nennen. Das Geld am Ende Crassus trank; Danach gedürstet hatt’ ihn lang. Crates sein Geld warf in das Meer, 35So stört’s im Lernen ihn nicht mehr. Wer sammelt, was vergänglich ist, Begräbt die Seel’ in Kot und Mist. |
181
2Selbstgefälligkeit.Den Narrenbrei ich nie vergass, Seit mir gefiel das Spiegelglas: Hans Eselsohr mein Herz besass.2 Der rührt sich wohl den Narrenbrei, 5Der wähnt, dass er sehr witzig sei, Und gefällt sich selber gar so wohl, Dass er in den Spiegel guckt wie toll Und doch nicht mag gewahren, dass Er einen Narren sieht im Glas. 10Und sollt’ er schwören einen Eid, Spricht man von Zucht und Artigkeit, Meint er, die hätt’ er ganz allein, Seinsgleichen könnt’ auch nirgends sein, Der aller Fehler ledig wär’. 15Sein Tun und Ruhn gefällt ihm sehr. Des Spiegels er drum nicht enträt, Wo er sitzt und reitet, geht und steht, Wie es Kaiser Otho hat gemacht, Der den Spiegel mitnahm in die Schlacht 20Und schor die Backen zwier am Tag, Mit Eselsmilch sie wusch hernach. Dem Spiegel sind die Fraun ergeben; Ohne Spiegel könnte keine leben. Eh’ sie sich recht davor geschleiert 25Und geputzt, wird Neujahr wohl gefeiert. Wem so gefällt Gestalt und Werk, Ist dem Affen gleich zu Heidelberg.3 Dem Pygmalion gefiel sein Bild, Vor Narrheit ward er toll und wild. 30Sah in den Spiegel nicht Narciss, Lebt’ er noch manches Jahr gewiss. Mancher sieht stets den Spiegel an, Der ihm doch nichts Schönes zeigen kann. Wo du solch närrisch Schaf siehst weiden, 35Das mag auch keinen Tadel leiden, Es geht in seinem Taumel hin, Und kein Verstand will ihm zu Sinn. |
1. These three lines, which are a sort of motto, precede a picture representing a rich man seated at a table which is loaded with money and plate. Two poor travelers approach and look covetously upon the wealth. All three men wear the fool’s cap.
2. The picture shows a fool stirring porridge and looking into a mirror.
3. A note by Simrock states that upon the old bridge at Heidelberg was formerly to be seen an emblematic ape, with the verses:
Was hast du mich hier anzugaffen?
Sahst du noch nie den alten Affen?
Zu Heidelberg sieh hin und her;
Du findest meinesgleichen mehr.
XXXVIII. FOLK-SONGS OF THE FIFTEENTH CENTURY
A large number of folk-songs originated in the 15th and still more in the 16th century. From the nature of the type they can seldom be exactly dated unless they relate to a known historical occurrence. The following selections are taken from Erk and Böhme’s admirable Deutscher Liederhort, 3 volumes quarto, Leipzig, 1893-4. As any translation into smooth modern verse would destroy a part of the characteristic flavor of the songs, they are printed as in Erk and Böhme, but with occasional modernizations of spelling and grammar.
In this chapter, textual notes are shown alongside the poems, as in Part II.
1
Reigen um das erste Veilchen.1
1. A song for the ring-dance about the earliest spring violet; Erk and Böhme, II, 713.
Der Maie, der Maie
Bringt uns der Blümlein viel;
Ich trag’ ein frei’s Gemüte,
Gott weiss wohl, wem ich’s will.
Ich will’s ei’m freien Gesellen,
Derselb’ der wirbt um mich,
Er trägt ein seiden Hemd an,
2. M.H.G. brîsen, equivalent to modern schnüren.
Darein so preist2 er sich.
Er meint, es säng’ ein’ Nachtigall,
Da war’s ein’ Jungfrau fein:
Und kann er mein nicht werden,
Trauret das Herze sein.
2
Burschenleben.3
3. An old student song, found in a manuscript of the year 1454; Erk and Böhme, III, 484.
Ich weiss ein frisch Geschlechte,
Das sind die Burschenknechte,
Ihr Orden steht also:
Sie leben ohne Sorgen
5Den Abend und den Morgen,
Sie sind gar stätiglich froh.
Du freies Burschenleben!
4. The holy Grail as symbol of something very precious.
Ich lob’ dich für den Gral;4
Gott hat dir Macht gegeben
10Trauren zu widerstreben,
Frisch wesen überall.
Sie können auch nit hauen
Des Morgens in dem Taue
Die schönen Wiesen breit;
5. In the sense of modern aber.
15Sonder5 die schönen Frauen
Die können sie wohl schauen
Die Nacht bis an den Tag.
Das macht ihr frei’s Gemüte
Der schönen Frauen klar;
20Gott selber sie behüte
Durch seine milde Güte,
Die minnigliche Schar!
Wie selten sie auch messen
6. For Korn, i.e. ‘grain.’
7. The miller’s ‘toll’ (part of the grist taken in payment for grinding).
8. Gerwel reiden, ‘turn the hand-mill.’
9. Ohne Dank, ‘reluctantly.’
Das Koren,6 das sie essen,
25Und was der Metzen7 gilt!
Die Bauern müssen schneiden
Und dazu Gerwel reiden8
183Viel gar ohn’ ihren Dank.9
Du feines Burschenleben!
30Ich lob’ dich für den Gral;
Gott hat dir Macht gegeben
Trauren zu widerstreben,
Frisch wesen überall.
3
Mädchenkunde eines fahrenden Sängers.10
10. An elderly minstrel joins in the dance and sings the praise of girls that he has seen in different German lands; Erk and Böhme, II, 712.
11. Des besten . . . kann, equivalent to so gut ich kann.
12. ‘To sing,’ or perhaps ‘singing.’
13. Habe.
Ich spring’ an diesem Ringe
Des besten, so ich’s kann,11
Von hübschen Fräulein singen,12
Als ich’s gelernet han.13
5Ich ritt durch fremde Lande,
Da sah ich mancherhande,
Da ich die Fräulein fand.
Die Fräuelein von Franken
Die seh’ ich allzeit gern;
10Nach ihn’ stehn mein’ Gedanken,
Sie geben süssen Kern.
Sie sind die feinsten Dirnen,
Wollt’ Gott, ich sollt’ ihn’ zwirnen,
14. Lernen.
Spinnen wollt’ ich lern.14
15. Über die Lehre, ‘surpassing their instruction,’ ‘outdoing their teachers.’
16. Nit geringe, ‘smart.’
15Die Fräuelein von Schwaben
Die haben golden Haar,
Sie dürfen’s frischlich wagen,
Sie spinnen über Lahr;15
Wer ihn’ den Flachs will schwingen,
20Der muss sein nit geringe,16
Das sag’ ich euch fürwahr.
Die Fräuelein vom Rheine
17. Sehr.
Die lob’ ich oft und dick:17
Sie sind hübsch und feine
25Und geben freundlich Blick.
Sie können Seide spinnen,
Die neuen Liedlein singen,
Sie sind der Lieb’ ein Strick.
Die Fräuelein von Sachsen
30Die haben Scheuern weit;
18. Equivalent to klopft, ‘beats.’
19. Liegt.
Darin da posst18 man Flachse,
Der in der Scheuern leit.19
Wer ihn’ den Flachs will possen,
Muss haben ein’ Flegel grosse,
35Dreschend zu aller Zeit.
Die Fräuelein von Baiern
Die können kochen wohl,
Mit Käsen und mit Eiern
Ihr’ Küchen die sind voll.
40Sie haben schöne Pfannen
Weiter denn die Wannen,
Heisser denn ein’ Kohl’.
20. ‘Court.’
21. ‘Soon.’
22. Es wird . . . Tag, equivalent to Tag reiht sich an Tag. The sense is: The time comes fast when one must turn from girls to wine, as I am even now doing.
Den Fräuelein soll man hofieren20
Allzeit und weil man mag,
184 45Die Zeit die kommet schiere,21
Es wird sich alle Tag’;22
Nun bin ich worden alte,
Zum Wein muss ich mich halten
Alldieweil ich mag.
4
Anweisung zum Raubritterberuf.23
23. A robber knight greets the spring-time as good for his business, and expresses his lordly contempt of the peasantry; Erk and Böhme, II, 23.
Der Wald hat sich belaubet,
Des freuet sich mein Mut.
Nun hüt’ sich mancher Bauer,
24. ‘Secure.’
Der wähnt, er sei behut!24
5Das schafft des argen Winters Zorn,
Der hat mich beraubet,
Das klag’ ich heut und morn.
Willst du dich ernähren,
Du junger Edelmann,
10Folg’ du meiner Lehre,
25. Bann here means the robber’s lurking-place.
Sitz’ auf und trab’ zum Bann!25
Halt’ dich zu dem grünen Wald,
Wenn der Bauer ins Holz fährt,
So renn’ ihn frischlich an!
15Erwisch’ ihn bei dem Kragen,
Erfreu’ das Herze dein,
Nimm ihm, was er habe,
Spann’ aus die Pferdlein sein!
Sei frisch und dazu unverzagt,
26. Keinen mehr.
27. So russ . . . ab, ‘cut his throat.’
20Wann er nummen26 Pfennig hat,
So russ ihm d’ Gurgel ab.27
Heb’ dich bald von dannen,
Bewahr’ dein’ Leib, dein Gut!
28. Schanden.
Dass du nit werdest zu Schannen,28
25Halt’ dich in stäter Hut!
Der Bauern Hass ist also gross;
Wenn der Bauer zum Tanze geht,
So dünkt er sich Fürstengenoss.
29. ‘Wench.’
Er nimmt die Metze29 bei der Hand,
30Die gibt ihm einen Kranz;
Er ist der Metze eben
30. ‘Pig’s tail,’ figuratively for ‘dirty clown.’
31. ‘Agreeable.’
32. Conz, or Kunz, contemptuously for a country lubber.
Derselbe Ferkelschwanz.30
Die Tölpel trippeln hinten nach,
Das ist der Metze eben31
35Und dem Conzen32 auch.
Ich weiss ein’ reichen Bauern,
Auf den hab’ ich’s gericht’;
Ich will ein’ Weile lauern,
33. Geschicht, for geschieht. The sense is: I’ll lurk for him and see what comes of it.
Wie mir darum geschicht.33
40Er hilft mir wohl aus aller Not,
Gott grüss’ dich, schönes Jungfräulein,
Gott grüss dich, Mündlein rot!
5
Ritter und Schildknecht.34
34. Erk and Böhme, I, 374. Imagine the story thus: A faithless wife instigates her husband’s squire to kill him. When the murder is reported to her she is at first pleased, then touched with remorse. She rides forth to find the body of her husband, and the lilies—symbols of purity—bow in shame as she passes. At sight of her dead husband’s face, she resolves to enter a convent.
Es ritt ein Herr und auch sein Knecht
Wohl über eine Heide, die war schlecht, ja schlecht,
Und alles, was sie red’ten da,
War alles von einer wunderschönen Frauen,
5Ja Frauen.
“Ach, Schildknecht, lieber Schildknecht mein,
Was redest du von meiner Frauen, ja Frauen?
Und fürchtest nicht mein’ braunen Schild,
Zu Stücken will ich dich hauen,
10Vor meinen Augen!”
35. Wenig.
36. Fräulein here in the sense of ‘young wife’; um des Fräuleins Güte, ‘to gain the young wife’s favor.’
“Euern braunen Schild, den fürcht’ ich klein,35
Der lieb’ Gott wird Euch wohl behüten, behüten.”
Da schlug der Knecht sein’ Herrn zu Tod,
Das geschah um des Fräuleins36 Güte,
15Ja Güte.
“Nun will ich heimgehn landwärts ein,
Zu einer wunderschönen Frauen, ja Frauen.”
“Ach Fräulein, gebt mir’s Botenbrot,
37. Und der is pleonastic.
Eu’r edler Herr und der37 ist tot,
20So fern auf breiter Heide,
Ja Heide.”
“Und ist mein edler Herre tot,
Darum will ich nicht weinen, ja weinen;
Der schönste Buhle, den ich hab’,
25Der sitzt bei mir daheime,
Mutteralleine.
186Nun sattle mir mein graues Ross!
Ich will von hinnen reiten, ja reiten.”
Und da sie auf die Heide kam,
38. Täten sich neigen, ‘did bow’; täten being indicative.
30Die Lilien täten sich neigen,38
Auf breiter Heide.
Auf band sie ihm sein’ blanken Helm
Und sah ihm unter die Augen, ja Augen;
“Nun muss es Christ geklaget sein,
35Wie bist du so zerhauen
Unter dein’ Augen.
39. Lan, for lassen.
40. Durch meinen Willen, ‘for my sake.’
41. Addressed to the husband; he is not to accuse her before God.
Nun will ich in ein Kloster ziehn,
Will den lieben Gott bitten, ja bitten,
Dass er dich ins Himmelreich woll’ lan,39
40Das gescheh’ durch meinen Willen!40
Schweig stille!”41
6
Tannhäuser.42
42. Erk and Böhme, I, 40. The Venus of the folk-song represents the German Frau Holde, a love-goddess who holds her court in a mountain and infatuates men to the peril of their souls. Just how and when the saga attached itself to the historical minnesinger Tannhäuser is not known. Urban IV, referred to in the last stanza, was pope from 1261 to 1265.
Nun will ich aber heben an
Von dem Tannhäuser singen,
Und was er Wunders hat getan
Mit Venus, der edlen Minne.
5Tannhäuser war ein Ritter gut,
Wann er wollt’ Wunder schauen,
Er wollt’ in Frau Venus Berg,
Zu andern schönen Frauen.
“Herr Tannhäuser, Ihr seid mir lieb,
10Daran sollt Ihr gedenken!
Ihr habt mir einen Eid geschworn,
Ihr wollt von mir nit wenken.”
43. A form of the old negative particle; en nit = nicht.
44. Jemands . . . Ihr, ‘any one but you.’
“Frau Venus, das en43 hab ich nit,
Ich will das widersprechen;
15Und red’t das jemands mehr denn Ihr,44
Gott helf’ mir’s an ihm rächen!”
18745. Bleiben.
“Herr Tannhäuser, wie red’t Ihr nun?
Ihr sollt bei mir beleiben;45
Ich will Euch mein’ Gespielin geben
20Zu einem stäten Weibe.”
“Und nähm’ ich nun ein ander Weib,
Ich hab’ in meinem Sinne:
So müsst’ ich in der Hölle Glut
Auch ewiglich verbrinnen.”
25“Ihr sagt mir viel von der Hölle Glut,
Habt es doch nie empfunden;
Gedenkt an meinen roten Mund,
Der lacht zu allen Stunden.”
“Was hilft mich Euer roter Mund?
46. Equivalent to gleichgültig.
30Er ist mir gar unmäre;46
Nun gebt mir Urlaub, Fräulein zart,
Durch aller Frauen Ehre!”
“Herr Tannhäuser, wollt Ihr Urlaub han,
Ich will Euch keinen geben;
35Nun bleibt hie, edler Tannhäuser,
Und fristet Euer Leben.”
“Mein Leben das ist worden krank,
Ich mag nit länger bleiben;
Nun gebt mir Urlaub, Fräulein zart,
40Von Eurem stolzen Leibe!”
“Herr Tannhäuser, nit reden also,
Ihr tut Euch nit wohl besinnen;
So gehn wir in ein Kämmerlein
Und spielen der edlen Minne.”
45“Eu’r Minne ist mir worden leid,
Ich hab’ in meinem Sinne:
Frau Venus, edle Fraue zart,
Ihr seid ein’ Teufelinne.”
“Herr Tannhäuser, was red’t Ihr nun,
50Und dass Ihr mich tut schelten?
Nun, sollt Ihr länger hierinnen sein,
Ihr müsst’ es sehr entgelten.”
“Frau Venus, das en will ich nit,
Ich mag nit länger bleiben.
55Maria Mutter, reine Maid,
Nun hilf mir von dem Weibe!”
“Herr Tannhäuser, Ihr sollt Urlaub han,
Mein Lob das sollt Ihr preisen,
Wo Ihr in dem Land umfahrt;
47. The legendary old man, faithful Eckart, who warns of danger and rebukes sinners.
60Nehmt Urlaub von dem Greisen!”47
188Da schied er wieder aus dem Berg,
In Jammer und in Reuen:
“Ich will gen Rom wohl in die Stadt
Auf eines Papstes Treuen.
65Nun fahr’ ich fröhlich auf die Bahn,
Gott müss’ sein immer walten!
Zu einem Papst, der heisst Urban,
Ob er mich möcht’ behalten.”
“Ach Papste, lieber Herre mein,
70Ich klag’ Euch hie mein’ Sünde,
Die ich mein’ Tag’ begangen hab’,
Als ich Euch’s will verkünden.
Ich bin gewesen auch ein Jahr
Bei Venus, einer Frauen.
75So wollt’ ich Buss’ und Beicht’ empfahn,
Ob ich möcht’ Gott anschauen.”
Der Papst hat ein Stäblein in seiner Hand,
Das war sich also dürre:
“Als wenig das Stäblein grünen mag,
80Kommst du zu Gottes Hulde!”
“Und sollt’ ich leben nur ein Jahr,
Ein Jahr auf dieser Erden,
So wollt’ ich Beicht’ und Buss’ empfahn
Und Gottes Trost erwerben.”
85Da zog er wied’rum aus der Stadt
In Jammer und in Leiden:
“Maria Mutter, reine Magd,
Muss ich mich von dir scheiden!”
Er zog nun wied’rum in den Berg
90Und ewiglich ohn’ Ende:
“Ich will zu meiner Frauen zart,
Wo mich Gott will hin senden.”
“Seid gottwillkommen, Tannhäuser!
48. For entbehrt.
Ich hab’ Eu’r lang entboren;48
95Seid gottwillkommen, mein lieber Herr,
Zu einem Buhlen auserkoren.”
Das währet an den dritten Tag,
Der Stab hub an zu grünen.
Der Papst schickt’ aus in alle Land:
100Wo der Tannhäuser wär’ hinkommen?
Da war er wieder in den Berg
Und hatt’ sein Lieb erkoren;
Des muss der vierte Papst Urban
Auf ewig sein verloren!
XXXIX. LATE MEDIEVAL RELIGIOUS PROSE
Prior to Luther the most noteworthy prose is found in the sermons of Berthold von Regensburg, the great 13th century preacher, and in the somewhat later writings, largely sermons, of the mystics Eckhart, Seuse, Tauler and Meerschwein. Their interest is rather more religious than literary. The earliest example of imaginative prose is the so-called Farmer of Bohemia, written in 1399, in which a bereaved husband discourses of his lost wife with Death. The 15th century shows a considerable body of prose literature in the form of sermons, chronicles, translations, paraphrases, but nothing of great artistic distinction.
1
From a Sermon of Berthold von Regensburg ‘On the Angels.’1
Wir begehen heute das Fest der grossen Fürsten, der heiligen Engel, die der ganzen Welt ein überaus grosses Wunder sind, und an denen der allmächtige Gott viele Wunder und grosse Wunder geschaffen hat. Und wollte ein Mensch nicht aus anderm Grunde in den Himmel kommen, so könnte er doch gerne darum in den Himmel kommen, nur damit er sähe, was für Wunder und Wunder da sind. Und des Wunders kann niemand zu Ende kommen, das Gott in den heiligen Engeln an den Tag gelegt hat. Und sie sind unseres Herrn Boten, denn Engel heisst auf Griechisch ein Bote. Unser Herr hatte grosse Freude, da er ohne Anfang war, wie er auch auf immer ohne Ende ist. Ich rede von der Gottheit, von der Krone; ehe er etwas erschuf, wie wir jetzt sind, da hatte er gar grosse Freude in sich selbst und mit sich selbst. Da gedachte er zu machen, er wollte zwei Kreaturen machen, zweierlei Kreaturen, damit diese seiner Freude teilhaftig würden, er selbst aber darum nicht weniger Freude hätte. Und wie grosse Freude er auch ihnen gab, hatte er doch selbst darum nicht mindre Freude, recht wie der Sonnenschein. Wie viel die Sonne uns auch alle Tage ihres Lichtes gibt, hat sie selbst um nichts weniger. Und also machte Gott zwei Kreaturen: das waren der Mensch und der Engel. Da machte Gott ein Ding,2 und das war das allerbeste Ding unter allen Dingen, die Gott je gemacht hat. Und nie machte er ein Ding so gut unter allen Dingen, die Gott gemacht hat, [wie dieses, das er machte,] damit 190 Mensch und Engel seiner Freude teilhaftig würden, da es so nütze und so gut war. Und also machte es Gott, dass Menschen und Engel davon immermehr Freude haben sollten. Und wie ausserordentlich nütze das Ding auch war, und wie viel Ehre und Seligkeit auch daran liegt, so waren doch etliche Engel im Himmel, die das Ding nicht behalten wollten, und diese wurden verstossen aus den ewigen Freuden und wurden in die ewige Marter geworfen. Und alle, die das Ding behielten, die blieben bei dem allmächtigen Gott in den ewigen Freuden, weil sie das Ding behielten, das so gut ist, unter allen Dingen das beste . . . .
Und also begeht man heute das Fest der Engel, die bei Gott blieben und aushielten, dass sie nicht fielen. Und also begeht man heute das Fest Sankt Michaels und der heiligen Engel. Und dass man das Fest der heiligen Engel nicht oft im Jahre begeht, daran tat unser Herr gar weislich und wohl; wie billig es auch wäre, dass man ihr Fest dreimal im Jahre beginge, so tat unser Herr gar weislich und wohl daran, und es ist besser, dass man es nicht oft begeht. Warum? Seht, aus diesem Grunde. Wenn man ihr Fest mit Singen und Lesen beginge, müsste man auch von ihnen predigen. Und wenn wir also oft von den Engeln predigen müssten, so käme vielleicht ein Frevler und würde vielleicht so frevelhaft sein, dass er von den heiligen Engeln Ketzerei predigen könnte. Denn unser Herr hat so viel Wunders an den Engeln gemacht, dass wir es nicht alles sicherlich wissen. Er hat etliche Wunder an den Engeln gemacht, wovon wir nicht genau wissen sondern nur vermuten. Und wer ein Ding vermutet, der weiss es nicht sicherlich. So hat auch unser Herr manches Ding an ihnen gemacht, das wir wohl wissen. Wer daher die Dinge predigen wollte, die wir vermuten, der könnte vielleicht Ketzerei predigen. Also soll niemand etwas predigen als das, was man sicherlich weiss.
2
From Eckhart’s tractate ‘On the Nature and Dignity of the Soul.’3
Die Seele hat zwei Füsse, das Verständnis und die Minne; und je mehr sie versteht, desto mehr minnet sie. Und wer kann sie 191 fällen, da der sie erhält, der alle Kreaturen erhält? Denn die Gnade reizet die Begierde und ziehet die Seele aus sich selber heraus, so dass sie mit der Gnade und in der Gnade in Gnade kommt, und über die Gnade in Gott, ihren ersten Ursprung kommt, wo es ihr wohler als je wird in wonnesamer Einigung. Denn da verstummen alle Sinne, und der Seele Wille und der Wille Gottes fliessen ineinander, so dass die zwei Willen sich minnesam umfangen in rechter Einigung. Und da kann die Seele weder mehr noch minder denn göttliche Werke hervorbringen, und zwar deshalb, weil an ihr nichts mehr als Gott lebet. Darum spricht die Seele in dem Buch der Minne: Ich habe den Kreis der Welt umlaufen und konnte nicht zu dessen Ende kommen; deshalb habe ich mich in den einzigen Punkt meines einzigen Gottes versenkt, weil er mich verwundet hat mit seinem Anblicke. Und wen dieser Anblick nicht verwundet hat, dessen Seele ist von der Minne Gottes nie verwundet worden. Darum sagt Sankt Bernhard: Welcher Geist den Anblick empfunden hat, der vermag ihn nicht zu beschreiben, und wer ihn nicht empfunden hat, der vermag nicht daran zu glauben. Denn da wird ein Pfeil ohne Zorn geschossen, und man empfindet es ohne Schmerzen; denn da wird der lautere und klare Brunnen der Arzenei der Gnade aufgetan, der die inneren Augen erleuchtet, so dass die Seele mit einem wonnesamen Anschauen den Wollust der göttlichen Heimsuchung empfindet, in dem man unerhörte Dinge geistlichen Gutes gewahrt, die nie gehört noch gepredigt wurden und in keinem Buche geschrieben stehen.
3
From Seuse (Suso): The Prelude to the Silent Mass.4
Er ward gefragt, was er damit meinte, als er Messe sang und vor der stillen Messe das Präludium anhub: Sursum corda. (Denn nach ihrer gewöhnlichen Bedeutung meinen die Worte auf Deutsch: Saust auf in die Höhe, alle Herzen, zu Gott!). Die Worte kamen recht begehrlich aus seinem Munde, so dass die Menschen, die sie hörten, auf einen sonderbaren Andacht haben daraus schliessen können. Auf 192 diese Frage antwortete er mit einem minniglichen Seufzer und sprach also:
“Wenn ich diese lobreichen Worte sursum corda in der Messe sang, geschah es gewöhnlich, dass mein Herz und meine Seele zusammenflossen von göttlicher Qual und Begierde, die mein Herz sofort aus sich selbst entrückten; denn es erhoben sich gewöhnlich drei hochentzückende Vorstellungen, in denen ich zu Gott aufgeschwungen ward, und durch mich alle Kreaturen. Die erste einleuchtende Vorstellung war also: Mich selbst nach allem, was ich bin, nahm ich vor meine inneren Augen mit Leib und Seele und allen meinen Kräften und stellte um mich herum alle Kreaturen, die Gott je erschuf im Himmel und auf Erden und in den vier Elementen, waren es Vögel der Luft, Tiere des Waldes, Fische des Wassers, Laub und Gras des Erdreiches, oder der unzählige Sand am Meer, und dazu all das kleine Gestäube, das im Glanz der Sonne schimmert, und alle die Wassertröpflein, die vom Tau oder vom Schnee oder vom Regen je gefallen sind oder fallen werden, und wünschte, es hätte deren jegliches ein süsses, aufdringendes Saitenspiel, wohlgenährt vom Safte meines innigsten Herzens, und dass also ein neues, hochherziges Lob dem geminnten, zarten Gott aufklänge von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und dann zertrennten und zerteilten sich auf eine fröhliche Weise die minnereichen Arme der Seele gegen die unsägliche Zahl aller Kreaturen, und es war ihr Gedanke, sie alle darin eifrig zu machen, recht wie ein freier, wohlgemuter Vorsänger die singenden Gesellen anspornt, fröhlich zu singen und ihre Herzen zu Gott aufzubieten: Sursum corda!”
“Die zweite Vorstellung,” sprach er, “war also: Ich nahm in meine Gedanken mein Herz und aller Menschen Herzen und überlegte, welche Lust und Freude, was für Glück und Frieden die geniessen, die ihr Herz Gott allein geben, und dagegen was für Schaden und Leiden, was für Qual und Unruhe vergängliche Minne ihren Untertanen einträgt, und ich rief dann mit grosser Sehnsucht zu meinem Herzen und den andern Herzen, wo sie auch sein möchten in allen Enden dieser Welt: Wohlauf, ihr gefangenen Herzen, aus den engen Banden vergänglicher Minne! Wohlauf, ihr schlafenden Herzen, aus dem Tode der Sünde! Wohlauf, ihr üppigen Herzen, aus der Lauheit 193 eures trägen, lässigen Lebens! Hebt euch auf mit einer gänzlichen ledigen Umkehr zu dem minniglichen Gott: Sursum corda!”
4
From the ‘Farmer of Bohemia,’ Chapter 3: A bereaved husband expostulates with Death for taking away his wife.5
Ich bin genannt ein Ackermann; von Vogelweid’ ist mein Pflug.6 Ich wohne im Böhmer Land. Gehässig, widerwärtig und widerstrebend soll ich Euch [o Tod] immer mehr sein, denn Ihr habt mir den zwölften Buchstaben,7 meiner Freuden Hort, gar grausam aus dem Alphabet entrückt. Ihr habt meiner Wonne lichte Sommerblume mir aus des Herzens Anger auf ewig ausgerodet. Ihr habt meines Glückes Inbegriff, meine auserwählte Turteltaube, arglistig entfremdet; Ihr habt unwiederbringlichen Raub an mir getan. Erwägt es selber, ob ich nicht billig zürne, wüte und klage; bin ich doch von Euch freudenreichen Wesens beraubt, täglicher guter Lebtage verlustig gemacht, und aller wonnebringenden Freuden benommen. Froh und freudig war ich ehemals zu jeder Stunde; kurz und lustig war all meine Zeit Tag und Nacht in gleichem Mass, beide freudenreich, überschwenglich reich. Jedes Jahr war für mich ein gnadenreiches Jahr. Nun wird zu mir gesagt: Vorbei! bei trübem Getränk, bei dürrem Ast, betrübt, schwarz und zerstört, bleib’ und heul’ ohne Unterlass! Also treibt mich der Wind; ich schwimme durch des wilden Meeres Flut; die Wogen haben überhand genommen, mein Anker haftet nirgends. Darum will ich schreien ohne Ende: Tod, seid verflucht!
From the same, Chapter 12, in which Death makes reply.
Könntest du richtig messen, wägen, zählen oder aus dem Kopfe dichten, hieltest du nicht solche Rede. Du fluchst und bittest unvernünftig 194 und ohne alle Notdurft. Was taugt solcher Unsinn? Wir haben früher gesagt: kunstreich, edel, ehrhaft, fruchtreich, artig,—alles, was lebet, muss von unsern Händen zu Ende kommen. Doch schwatzest du und klagst, all dein Glück sei an deinem frommen Weib gelegen. Soll nach deiner Meinung Glück an Weibern liegen, wollen wir dir wohl raten, dass du immer bei Glück bleibest. Warte nur, ob es dir nicht in Unglück gerät! Sage uns: Da du zuerst dein löblich Weib nahmst, fandst du sie fromm oder machtest du sie fromm? Hast du sie fromm gefunden, so suche vernünftiglich: du findest noch viele fromme Frauen auf Erden; von denen eine dir zur Ehefrau werden mag. Hast du sie aber fromm gemacht, so freue dich: du bist der lebendige Meister, der noch ein frommes Weib und eine Frau auferziehen kann. Ich sage dir noch mehr: je mehr dir Liebes wird, desto mehr Leides widerfährt dir. Hättest du dich des Lieben enthalten, würdest du jetzt des Leiden entbehren. Je mehr Liebes zu erfahren, desto mehr Leides in Entbehrung des Lieben. Lieb’, Weib, Kind, Schatz und alles irdisch Gut muss am Anfang etwas Freude und am Ende mehr Leides bringen. Alles irdische Lieb muss zu Leide werden: Leid ist Liebes Ende; der Freude End’ ist Trauer; nach Lust muss Unlust kommen; Willens Ende ist Unwillen. Zu solchem Ende laufen alle lebendigen Dinge. Lern’ es besser, willst du von Klugheit prahlen.
5
From a sermon of Johann Geiler von Kaiserberg.8
Der Mensch, der Gott lieb hat und ihm anhängt allein darum, dass er ihm das Himmelreich gebe, der hat Gott nicht recht lieb. Warum? Darum: sein Gedanke an Gott ist nicht lauter; er denkt an sich selbst; er sucht seinen eignen Nutzen. Ich sage nicht, dass du das Himmelreich nicht begehren solltest, oder dass du Gott nicht darum bitten, ihm nicht darum dienen solltest. Nein, ich verwerfe das nicht; die Schrift ist voll davon, dass man Gott um das Himmelreich bitten sollte. Du sollst das Himmelreich begehren, sollst Gott darum bitten; aber du sollst nicht da stehen bleiben, dass du 195 Gott allein darum dienest, und ihn allein darum liebhabest, damit er dir das Himmelreich gebe, und anders nicht. Das heisst nicht rechte Liebe; das ist Freundschaft um Freundschaft, wobei einer dem andern eine Freundlichkeit tut, damit er es ihm wiedervergelte; wie wenn du einem andern eine Wurst schenktest, damit er dir dagegen eine Seite Speck schenke. Du tust ihm eine Freundlichkeit; erwartetest du aber keine Freundlichkeit dagegen, du tätest ihm auch keine. Das heisst nicht rechte Liebe: es ist Freundschaft um Freundschaft. Aber das heisst rechte Liebe, dass einer einen lieb hat nicht um der Gabe willen, oder weil er etwas von ihm erwartet; sondern er hat ihn eben lieb; er gönnet ihm Gutes; er fördert seinen Nutzen; er wendet Schaden von ihm ab, wo er kann und mag, ohne dass er Wiedervergeltung erwartet. Der hat den andern recht lieb. Also tut der Mensch, der Gott recht lieb hat, allein um dessentwillen, weil er solch ein grosser Herr ist, dass er es würdig wäre; weil er der Höchste und das beste Gut ist.
1. Pfeiffer’s edition of Berthold von Regensburg, Vienna, 1862, vol. ii, page 174.
2. The ‘thing,’ as explained further on, is die Tugend.
3. Pfeiffer’s edition of Meister Eckhart, Leipzig, 1857, page 401.
4. Kürschners Deutsche National-Litteratur, Vol. 122, page 210.
5. Kürschners Deutsche National-Litteratur, Vol. 122, page 145, with comparison of Knieschek’s edition, Prag, 1877. The work consists of thirty-two chapters in which, alternately, the widower complains and Death replies. Then God, as judge, decides in favor of Death: the body must die that the soul may live. The whole ends with a fervid and eloquent prayer for the repose of the dead wife’s soul.
6. It is conjectured that the author was a schoolmaster who chose to call himself symbolically an Ackermann, that is, a ‘sower of seed.’ Hence he says that his ‘plow’ comes from the birds; in other words, it is a pen.
7. The letter M with which the dead wife’s name (Margareta) began.
8. Kürschners Deutsche National-Litteratur, Vol. 122, page 265.