The Project Gutenberg EBook of Der Todesgruss der Legionen, Zweiter Band by Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.net Title: Der Todesgruss der Legionen, Zweiter Band Author: Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow Release Date: October 6, 2004 [EBook #13658] Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TODESGRUss DER LEGIONEN, *** Produced by PG Distributed Proofreaders. Der Todesgruss der Legionen Zeit-Roman von Gregor Samarow. Zweiter Band. Berlin, 1874. Druck und Verlag von Otto Janke. Erstes Capitel. An demselben Abend befanden sich in dem Gartensalon des Hotels in der Rue Mansart, welches der Regierungsrath Meding, der Vertreter des Koenigs von Hannover bewohnte, zwei Personen im ernsten Gespraech. Herr Meding sass in einem Lehnstuhl zur Seite des runden Tisches, ueber dessen Mitte vom Plafond eine grosse Lampe mit breitem, flachem Glasschirm herabhing,--ihm gegenueber lehnte in einer Chaiselongue, welche neben dem hellen Feuer eines jener altfranzoesischen grossen Kamine stand, der Graf von Chaudordy, der fruehere Cabinetsrath unter Drouyn de L'huys, welcher jetzt als Minister plenipotentiaire zur Disposition gestellt war, sich aber stets im regen Verkehr mit der politischen Welt befand und eine neue Verwendung in der Diplomatie erwartete. "Ich bedauere," sagte der Graf, "dass aus dem Project, Ihren emigrirten Landsleuten eine Colonie in Algier zu gruenden, Nichts werden soll. Man hat sich hier allgemein so lebhaft dafuer interessirt, und den armen Leuten, welche nun doch einmal ihr Vaterland verloren haben, wuerde dort Gelegenheit geboten worden sein, sich eine neue Existenz und vielleicht einen werthvollen Besitz zu schaffen; wir aber haetten durch so fleissige und tuechtige Colonisten fuer die oeconomische Verwaltung Algiers viel gewonnen." "Ich habe noch vor Kurzem," erwiderte Herr Meding, "mit dem Herrn Fare, dem Director im Ministerium der Finanzen, unter dem die algerische Verwaltung steht, und welcher lange Zeit die Civiladministration bei dem Marschall Mac Mahon gefuehrt, ausfuehrlich gesprochen--auch der Marschall selbst, mit dem ich darueber conferirte, war, obwohl er eigentlich der civilen Colonisation Algeriens nicht besonders guenstig ist, doch bereit, Alles fuer meine Landsleute zu thun, wozu er auch vom Kaiser noch ganz besonders aufgefordert ist,--die Leute selbst wollen sehr gern nach Algerien, allein Seine Majestaet hat dennoch das Project definitiv wieder aufgegeben." "Ich begreife nicht warum," erwiderte der Graf von Chaudordy, "wenn der Koenig daran denkt, jemals wieder fuer sein Recht unter irgend welchen Constellationen zu kaempfen, so muss er sich doch vor Allem diejenigen Leute erhalten, welche im Stande sind, ihm den Kern einer Armee zu bilden, die er dann durch weitere Emigranten oder durch Werbungen ergaenzen koennte." "Es scheint," erwiderte Herr Meding, "dass im Lande Hannover selbst sehr falsche Ideen ueber das Colonisationsproject verbreitet worden sind und dass der Koenig in Ruecksicht auf die allgemeine Abneigung, welche sich dort gegen dasselbe kund giebt, davon wieder Abstand genommen hat. Ich bedauere sehr," fuhr er fort, "dass man unter diesen Verhaeltnissen die Sache ueberhaupt angeregt hat. Ich komme hier dem Kaiser und der Regierung gegenueber in eine eigenthuemliche Lage. Ich habe die Verhandlungen in Folge der vielfachen dringenden Depeschen des Grafen Platen so energisch als moeglich betrieben und nun, nachdem alle Verhaeltnisse schon fast geordnet waren, wird die Sache wieder aufgegeben und zwar--wie Graf Platen angiebt--weil die Aufstellung einer hannoeverschen Armee auf dem algerischen Territorium nicht thunlich sei. Ich verstehe eigentlich nicht, was man damit meint--doch gleichviel, die Sache ist aufgegeben, die Emigration wird aufgeloest werden und damit ist, wie ich glaube, die Sache des Koenigs und der Kampf fuer dieselbe auch zu Ende. Denn wenn einmal Diejenigen, welche in jahrelangem Exil dem Koenig treu geblieben sind, in alle Welt zerstreut werden, so wird das Volk in Hannover den Eindruck gewinnen, dass nunmehr der Koenig die neue Ordnung der Dinge anerkannt habe." "Es waere vielleicht das Beste," erwiderte der Graf von Chaudordy, "wenn der Koenig dies einfach thaete, sich in den Besitz seines grossen Vermoegens braechte und sich nach England zurueckzoege, wo er ja immer eine grosse und ehrenvolle Stellung behaelt. Ich habe Ihnen schon frueher gesagt," fuhr er fort, "dass ich wenig Chancen fuer den Koenig zu sehen vermoechte, wenn es ihm nicht gelingen koennte, in Deutschland selbst sich eine grosse und maechtige Partei zu schaffen, welche in einem gegebenen Augenblick im Stande waere, eine ernste und nachdrueckliche Bewegung fuer ihn zu organisiren. Von Seiten der Cabinette wird Nichts fuer ihn geschehen; er haette sich muessen eine Stellung schaffen, dass im Fall einer grossen Katastrophe die Regierungen gezwungen gewesen waeren, mit ihm zu rechnen." "Das ist aber Alles leider nicht geschehen," sagte Herr Meding, "alle Anlaeufe, die dazu genommen wurden, sind eben Anlaeufe geblieben und wie das leider so oft an depossedirten Hoefen der Fall ist, die ganze Thaetigkeit hat sich in kleine und kleinliche Intriguen ausgeloest. Ich bin hier schon lange in einer mehr als peinlichen Situation, um so mehr als Graf Platen--wie Sie ja wissen, den Grafen Breda hierher geschickt hat, welcher als geheimer Agent des Koenigs figurirt, obwohl Seine Majestaet mir persoenlich versichert hat, ihn gar nicht zu kennen, und dessen eigenthuemliche Thaetigkeit die Sache des Koenigs mehr und mehr discreditirt. Ich wuerde fuer meine Person nicht unzufrieden sein, wenn diese ganze Unruhe ein Ende nehme und wenn nur fuer das ganze Welfenhaus eine sichere und wuerdige Zukunft geschaffen werden koennte. Doch muesste man sich in Hietzing klar werden, was man will--Eins oder das Andere, entweder den Frieden oder einen so festen und energischen Krieg, dass man gefuerchtet bleibt und im gegebenen Augenblick die Macht des Handelns behaelt. Es scheint aber, dass ueberall in der Welt heute der Entschluss und die Thatkraft verschwindet. Denn ich muss Ihnen aufrichtig gestehen, dass ich auch hier bei Ihnen nicht mehr verstehen kann, wo man denn eigentlich hinaus will und was man beabsichtigt." Der Graf Chaudordy seufzte. "In der That," sagte er, "haeuft man hier Fehler auf Fehler. Ich fuerchte, dass sich das eines Tages bitter raechen wird; ich bin mit Herz und Seele Franzose und bin dem Kaiser und dem Kaiserreich aufrichtig ergeben, aber fuer die Dynastie sehe ich in der Art und Weise, wie man hier die Geschaefte behandelt, wenig erfreuliche Aussichten fuer die Zukunft. Unsere Fehler beginnen von 1866; nachdem sich der Kaiser damals zu keinem Entschluss aufraffen konnte, musste er dahin gedraengt werden, groessere Freiheiten zu geben. Er hat sich auch dazu nur langsam und fast zu spaet entschliessen koennen, und da er diesen Entschluss so lange hinausgeschoben hat, so wird er nun gezwungen werden endlich den Krieg zu machen, welcher der groesste Fehler sein wird." "Sie haetten also gewollt," fragte Herr Meding, "dass der Kaiser im Jahre 1866 entschieden fuer Oesterreich haette Partei nehmen sollen?" Der Graf Chaudordy blickte ihn gross an. "Nein," sagte er, "nicht fuer Oesterreich; ich habe Herrn von Bismarck immer fuer sehr stark gehalten, ich habe Preussens Ueberlegenheit ueber Oesterreich nie bezweifelt und Oesterreichs Niederlage vorher gesehen. Nach meiner Ueberlegung haette der Kaiser damals--und zwar vor dem Kriege--eine feste und entschiedene Alliance mit Preussen machen muessen, um aus derselben alle die Vortheile fuer Frankreich zu ziehen, welche das siegreiche Preussen ihm nach dem Kriege nicht mehr gewaehrte. Auch heute noch waere es das einzig Richtige, um jeden Preis eine aufrichtige Verstaendigung mit Preussen zu suchen--das ist die einzige Macht, mit welcher wir eine nuetzliche und starke Alliance schliessen koennen, und wenn wir diese Alliance nicht schliessen, so werden wir ihr und zwar in kurzer Zeit in einem furchtbaren und gewaltigen Krieg isolirt entgegentreten muessen." "Man rechnet aber doch," warf Herr Meding ein, "sehr erheblich auf Oesterreich und Italien--Sie kennen gewiss die Negotiationen, welche in diesem Augenblick im Gange sind, um einen Coalitionsvertrag mit den beiden Maechten zu schliessen. Wie man mir erzaehlt, soll die Sache sehr weit gediehen sein und man verspricht sich hier sehr viel davon." "Das wird Alles zu Nichts fuehren," sagte der Graf von Chaudordy. "Auch in dieser Richtung hin hat man einen Fehler gemacht. Man hat geglaubt, in Herrn von Beust, an dessen Erhebung zum Minister in Oesterreich der Kaiser grossen Antheil hat, einen entschiedenen Alliirten zu finden,--man hat sich getaeuscht und haette dies sogleich erkennen sollen, als die neue oesterreichische Regierung statt ihre ganze Kraft militairischen Ruestungen zu widmen, sich mit Verfassungsfragen zu beschaeftigen begann. Wie ist es denn moeglich, sich jetzt auf dieses Oesterreich zu stuetzen, welches keine Armee und kein Geld hat und uns im entscheidenden Augenblick um so mehr im Stich lassen wird, als die entscheidende Leitung der dortigen Politik taeglich mehr in die Haende Ungarns uebergeht. "Der Kaiser erkennt das Alles sehr gut," fuhr er fort, "aber er ist nicht mehr der er war und zwischen den verschiedensten, heterogensten Entschluessen hin- und herschwankend wird er endlich dahin gedraengt werden, gaenzlich isolirt und ohne alle Alliancen den Krieg zu machen, der kaum mit einem entscheidenden Siege fuer Frankreich enden wird, und der uns leicht in eine unendliche innere Verwirrung stuerzen kann, auch giebt man alle Gruende, um vernuenftiger Weise dort den Krieg vorzubereiten, aus der Hand. Man hat den Prager Frieden so lange verletzen lassen, dass es fast laecherlich sein wuerde, heute noch kategorisch dessen Erfuellung zu fordern. Jetzt laesst man die Bewegungen in Baden und Sueddeutschland wieder ohne Beachtung und Unterstuetzung,--es waere so leicht--und man hat uns darueber Mittheilungen gemacht, eine Volksbewegung in Baden gegen den von der dortigen Regierung projectirten Anschluss an Preussen zu erregen und dadurch die deutsche Frage von Neuem zum Gegenstand der Aufmerksamkeit Europas zu machen. Dann haette Frankreich einen Interventionsgrund und eine ganz vortreffliche Stellung der deutschen Nation gegenueber--laesst man die Ereignisse weiter gehen, laesst man den Widerstand der sueddeutschen Volkspartei brechen oder ermatten, dann wird man sich demnaechst nicht mehr Preussen, sondern dem ganzen Deutschland gegenueber befinden, und das wird fuer uns die schlimmste und gefaehrlichste Position sein, in der wir uns befinden koennen. Es ist in der That ein Glueck," sagte er laechelnd, "in diesem Augenblick von der Politik fern zu sein." "Aber glauben Sie nicht," sagte Herr Meding, "dass Drouyn de L'huys, dem ja der Kaiser schon mehrfach das Portefeuille angeboten hat, doch endlich die Leitung der Angelegenheiten wieder uebernehmen und groessere Festigkeit und Klarheit in die franzoesische Politik bringen werde?" Der Graf von Chaudordy schuettelte den Kopf. "Ich glaube nicht," sagte er, "dass Drouyn de L'huys sich jemals mit dem Kaiser definitiv verstaendigen wird. Drouyn de L'huys will den Frieden und der Kaiser kann sich nicht entschliessen, weder ernsthaft den Frieden zu begruenden, noch ernsthaft den Krieg zu machen--er laesst sich treiben und wird in den Krieg hineingedraengt werden, ohne es selbst zu wollen. Fuer Ihren Koenig und dessen Sache wird es jedenfalls das Beste sein, wenn er einer solchen unklaren, verworrenen Katastrophe fern bleibt, um so mehr, wenn er selbst sich nicht zu klaren Entschluessen erheben kann." Der Kammerdiener oeffnete die Thuer. Herr von Duering, Herr von Tschirschnitz und die uebrigen hannoeverschen Officiere traten ein. Nach und nach kamen noch andere Herren, auch Herr Hansen erschien. Das Gespraech wurde allgemein; man unterhielt sich ueber die Tagesereignisse. "Wissen Sie, meine Herren," sagte Herr Hansen, "dass der Process des Prinzen Pierre Bonaparte beginnen wird? Wie ich hoere, sind alle Juristen der Ansicht, dass der Prinz freigesprochen werden muss." "Ich wuesste kaum," sagte der Graf von Chaudordy, "wie man ihn verurtheilen wollte. Wenn Jemand in seinem eigenen Zimmer insultirt und angegriffen wird--und Herr Fonvielle hat ja einen geladenen Revolver bei sich gehabt--so steht ihm doch unzweifelhaft das Recht zu, sich zu vertheidigen. Ich liebe den Prinzen Peter nicht, er ist eine unruhige, unberechenbare Natur und sein ganzes Leben, wie seine Person erregt wenig Sympathie, aber in dieser Sache kann man ihm keinen Vorwurf machen--doch ist das Alles sehr unangenehm fuer die Regierung--es ist, als ob Alles zusammenkaeme, um die Stellung des Kaisers zu erschweren. Solche Processe mit oder ohne Schuld der Regierenden finden sich in der Geschichte immer vor grossen Katastrophen." "Der arme Victor Noir thut mir leid," sagte Herr Meding, "ich habe ihn gekannt, er war Redacteur an der 'Situation' und Herr Grenier hat ihn mir zuweilen geschickt, um mir Mittheilungen zu machen. Ich habe immer eine Sympathie fuer ihn gehabt, er war eine gute kindliche Natur von harmloser Naivetaet, man hat ihn zu dieser Demonstration gemissbraucht, und er ist das Opfer derselben geworden. Wie sieht es bei Ihnen aus," fragte er, sich an einen jungen eleganten Herrn mit blassem Gesicht, schwarzem Haar und zierlichem kleinem Schnurrbart wendend, welcher so eben eingetreten war, "haben Sie bald einen Koenig gefunden, oder glauben Sie es auf die Dauer mit der Republik versuchen zu koennen?" "Spanien ertraegt dauernd kaum eine Republik," erwiderte Herr Angel de Miranda, der fruehere Kammerherr der Koenigin Isabella, welcher gegenwaertig in Paris lebte und dort eine, zwar private, aber eifrige Thaetigkeit fuer die provisorische Regierung Spaniens entwickelte. "Es hat viel dazu gehoert, um die alte Monarchie zu zerstoeren, wir werden aber," fuhr er mit geheimnissvoller Miene fort, "wie ich glaube, in nicht langer Zeit einen Koenig finden und damit wird diese Revolution endlich zum Abschluss gelangen." "Ich wuensche Ihnen das von Herzen," sagte Graf Chaudordy. "Fuer das ganze westliche Europa sind diese unsichern Zustaende in Spanien vom schaedlichsten Einfluss. Sie muessen uebrigens," sagte er laechelnd, "eine kleine Neugier verzeihen, es interessirt mich in hohem Grade, wohin Sie die Blicke wohl gewendet haben koennten, um einen Herrscher fuer Ihr Land zu finden,--Sie haben da den Herzog von Montpensier, Sie haben den Prinzen von Asturien, Sie haben den Grafen von Montemolin, und wer weiss, ob nicht vielleicht der Marschall Prim, der schon einmal von einem kaiserlichen Diadem von Mexiko traeumte, auch jetzt wieder daran denkt, die Gewalt fest zu halten, welche er ja durch die Armee bereits vorzugsweise sich zu eigen gemacht hat." Angel de Miranda zuckte die Achseln. "Ich glaube kaum, dass Prim aehnliche Gedanken hegen koennte, er ist klug und weiss sehr gut, dass, wenn er vielleicht eine Zeit lang Dictator sein koennte, er doch niemals und zwar weder von der spanischen Grandezza, noch vom Volk als Koenig acceptirt werden koennte. Ich glaube viel eher, dass er eine Zeit daran gedacht hat und vielleicht auch noch ein wenig daran denkt, den Prinzen von Asturien moeglich zu machen, um dann an der Spitze einer Regentschaft als Majordomus die Macht in Haenden zu behalten. Doch das Alles ist unpractisch, wir koennen in Spanien keinen Koenig von den verschiedenen Bourbonenlinien gebrauchen, die Anhaenger des Einen wuerden sich niemals den Anhaengern des Andern unterwerfen wollen, das wuerde zu ewigen Bewegungen und Unruhen fuehren. Die einzige Moeglichkeit dauernden innern Friedens liegt darin, einen fremden Fuersten zu finden, der dem Volk sympathisch ist--" "Und der vielleicht," fiel Herr Meding laechelnd ein, "irgend wie mit dem iberischen Einheitsgedanken in Verbindung stuende." Betroffen blickte Angel de Miranda auf. "Dieser Gedanke," erwiderte er nach einem kurzen Stillschweigen, "ist heute wohl noch nicht reif. Doch liegt allerdings in ihm nach meiner Ueberzeugung die Zukunft der pyrenaeischen Halbinsel." Er trat zu einer andern Gruppe--nach einiger Zeit zog sich der Graf Chaudordy zurueck, und nach einer Stunde leerte sich der Salon von den Besuchenden--nur die hannoeverschen Officiere blieben zurueck. "Nun, meine Herren," fragte der Regierungsrath Meding, "haben Sie Nachrichten, wie Ihre Vorstellungen in Hietzing aufgenommen worden sind, und haben Sie irgend welche Beschluesse gefasst ueber die Schritte, welche Sie demnaechst thun wollen?" "Wir haben noch Nichts von Hietzing gehoert," erwiderte Herr von Tschirschnitz. "Ich kann nicht zweifeln," fuhr er fort, "dass der Koenig unsere Vorstellung ernstlich erwaegen und beruecksichtigen werde. Ich wenigstens bin fest entschlossen, bis auf den letzten Augenblick Alles aufzubieten, um das Schicksal der armen Emigrirten zu erleichtern und sie von voelliger Isolirung im fremden Lande zu retten. Ich verstehe auch durchaus nicht, wie es moeglich sein sollte, uns das zu verbieten. Die Missverstaendnisse, welche da vorliegen, muessen sich ja aufklaeren." "Man muss es hoffen," erwiderte der Regierungsrath Meding, "doch bin ich dessen nicht ganz gewiss, denn seit einiger Zeit scheinen sich um den Koenig her lauter Missverstaendnisse zu lagern. Sie erinnern sich, dass Herr von Muenchhausen bei der Conferenz ueber das algerische Colonisationsproject, zu welcher er hierher gesendet wurde, Instructionen bei sich fuehrte, welche, wie er sich selbst ueberzeugte, denjenigen, die mir ertheilt waren, vollstaendig widersprachen." Rasch wurde die Thuer geoeffnet, der Lieutenant von Mengersen, ein grosser, schlanker, junger Mann und der Lieutenant Heyse, eine ernste ruhige Erscheinung, traten ein. "Nun," rief Herr von Duering lebhaft, "Ihr seid wieder zurueck? Was bringt Ihr? Hat sich Alles aufgeklaert?" "Nichts hat sich aufgeklaert," erwiderte Herr von Mengersen mit zornig bewegter Stimme, "der Koenig hat uns gar nicht angenommen und uns den Befehl geschickt, auf der Stelle wieder zurueckzureisen." "Unglaublich," rief Herr von Duering. "Aber wahr," rief der Lieutenant Heyse im traurigen Ton, "es scheint, dass man eine vollstaendige chinesische Mauer um den Koenig gezogen hat und dass Nichts, was von uns kommt, zu ihm dringen kann. Dagegen hat er den Feldwebel Stuermann gehoert." "Den Feldwebel Stuermann," rief Herr von Tschirschnitz, "und uns, seinen Officieren, verweigert er das Gehoer! Das ist doch ein Affront fuer uns Alle, wie er staerker und kraenkender nicht gedacht werden kann." "Graf Platen ist am Tage vorher," sagte Herr von Mengersen, "bei Stuermann in seinem Gasthause in der Stadt gewesen und hat sehr lange mit ihm gesprochen, am andern Tage ist er dann nach Hietzing zum Koenig gebracht worden." "Und habt Ihr nicht gehoert, was nun weiter geschehen soll," sagte Herr von Duering. "Mit uns zu gleicher Zeit," sagte der Lieutenant Heyse, "ist der Major von Adelebsen hierher abgereist, um das Commando zu uebernehmen und die Legion aufzuloesen. Es kommt nun darauf an, dass wir uns entschliessen, was wir thun wollen fuer uns und fuer die Leute, denn auf Gehoer beim Koenig haben wir nicht mehr zu rechnen." "Wir muessen uns fest verbinden," rief Herr von Tschirschnitz, "um Alles aufzubieten, damit die armen Emigranten noch einen Anhaltspunkt erhalten und nicht vereinsamt ihrem Schicksal ueberlassen bleiben. Ich hoffe, Sie werden uns darin unterstuetzen," sprach er zu dem Regierungsrath Meding gewendet. "Ich bedauere auf das Tiefste die Wendung, welche diese Sache genommen," erwiderte dieser, "und die Unmoeglichkeit mit irgend welchen Vorstellungen bis an Seine Majestaet zu dringen,--ich bin aber hier als Vertreter des Koenigs und muss, so lange ich auf meinem Posten bin, jeden Befehl, den Seine Majestaet mir ertheilen wird, ausfuehren; und ich rathe auch Ihnen, meine Herren, dringend, keinen Widerstand gegen die Ausfuehrung der Befehle Seiner Majestaet zu leisten, doch koennen Sie auf das Festeste auf meine Unterstuetzung dafuer rechnen, dass den Emigranten nach Aufloesung des Verbandes die Moeglichkeit geboten werde, sich zu gegenseitiger Unterstuetzung zu vereinen und Unterkommen und Arbeit zu finden. Ich habe bereits in dieser Beziehung mit verschiedenen einflussreichen Personen Ruecksprache genommen und mich ihrer Geneigtheit versichert, zu einem Comite de Patronage fuer die Emigrirten zusammen zu treten. Der Baron Thenard, welcher grossen Einfluss in den Kreisen der Grundbesitzer hat und selbst ausgedehnte Gueter besitzt, hat mir bereits zugesagt, mit in dieses Comite einzutreten, ebenso Herr Bocher, welcher in industriellen Kreisen viel Gelegenheit hat, den Emigrirten Arbeit zu schaffen. Ich habe bei der Wahl der Personen wesentlich darauf Ruecksicht genommen, dass die ganze Sache gar keinen politischen Charakter habe, dass sie eine reine Wohlthaetigkeitsangelenheit sei und denke nun noch einige Damen als Patronesses hinzuzuziehen. Ich zweifle nicht, dass wir dann binnen Kurzem fuer alle unsere Landsleute vollkommen ausreichende Beschaeftigung haben werden. Auch fuer Diejenigen, welche etwa krank und arbeitsunfaehig werden, wird sich dann eine reichliche Unterstuetzung ermoeglichen lassen, wenn man einen Verband herstellt, in welchem Jeder seine Beitraege in eine Krankenkasse zahlt, fuer welche ausserdem von allen Seiten reichliche Huelfsquellen sich oeffnen werden. Lassen Sie also den Muth nicht sinken, wir werden ganz gewiss gut fuer die Leute zu sorgen im Stande sein. Sie, mein lieber Duering, und Sie, Herr von Tschirschnitz muessen dann mit mir in das Comite de Patronage eintreten und die innere Organisation des Huelfsverbandes der Emigranten uebernehmen." "Das ist eine vortreffliche Idee," rief Herr von Duering, "ich habe frueher schon etwas Aehnliches ueberdacht und dazu einen Organisationsplan ausgearbeitet, den ich seiner Zeit auch dem Koenig eingeschickt habe, den er aber wohl nicht beachtet zu haben scheint--" "Ich habe bereits dem Koenige," sagte der Regierungsrath Meding, "von diesem Plan und den fuer die Bildung des Comite de Patronage gethanen Schritten Mittheilung gemacht. Durch dies Comite koennte dann auch fuer Diejenigen, welche so gern nach Algier gehen wollen, ohne dass der Koenig irgendwie dabei betheiligt ist, dort eine vortheilhafte Niederlassung vermittelt werden; damit wuerde der Wunsch der Leute erfuellt und zugleich jede Betheiligung des Koenigs dabei ausgeschlossen, welche Seiner Majestaet wegen der Stimmung in Hannover unerwuenscht ist. Ich bitte Sie also nochmals, meine Herren, legen Sie den Schritten des Herrn von Adelebsen zur Aufloesung der Legion keine Schwierigkeiten in den Weg. Lassen Sie diesen Herrn ruhig ausfuehren, was ihm vom Koenige oder von wem es sonst sei, aufgetragen ist, und helfen Sie mir dafuer sorgen, dass unsere Landsleute, nachdem sie aus dem Verbande geschieden sind, einen Mittelpunkt finden, der ihnen Schutz und Beistand gewaehrt." "Aber wie der Koenig mit uns umgeht," rief Herr von Tschirschnitz, "so haette er ja zur Zeit des Bestandes des Koenigreichs Hannover mit keinem Officier umzugehen das Recht gehabt. Mindestens haetten wir doch Gehoer erlangen muessen,--dies ist ja geradezu asiatischer Despotismus." "Meine Herren," sagte der Regierungsrath Meding, "einem ungluecklichen Fuersten gegenueber ist die Pflicht des Gehorsams doppelt stark, und vergessen Sie vor Allem nicht, dass wir Alle Vertreter einer Sache sind, welche den Blicken der ganzen Welt ausgesetzt ist. Wir haben fuer diese Sache gefochten nach allen Kraeften,--man kann uns vorwerfen, dass es thoericht und unvernuenftig gewesen sei, aber wenigstens haben wir fuer die Sache gethan, was ueberhaupt zu thun war. Wenn diese Sache zu Ende sein soll," fuegte er noch ernster hinzu, "und ich glaube, dass sie zu Ende ist, so lassen Sie uns ihr den letzten Dienst erweisen, lassen wir sie mit Ehren untergehen, ohne dass wir der Welt das Schauspiel der inneren Zerruettung und der Faeulniss, welche sie angefressen hat, und an welcher wir wenigstens keinen Theil haben, geben. Wir werden vielleicht in der Lage sein, unsere und der Emigranten Rechte scharf und nachdruecklich zu vertheidigen, aber so lange es moeglich ist, darf auch in dieser Vertheidigung Nichts gegen den Koenig unternommen werden, auf dem die Hand des Schicksals schwer genug ruht, und der stets auf unsere Ehrfurcht Anspruch haben wird. Und sollten wir je zu den aeussersten Grenzen der Vertheidigung gedraengt werden, so muessen wir wenigstens vor der ganzen Welt beweisen koennen, dass wir dazu unwiderstehlich gezwungen worden sind." "Aber man greift unsere Ehre an," rief Herr von Mengersen, "unserer Aller Ehre, denn was in Hietzing ueber uns gesprochen wird, davon hat man gar keinen Begriff, und auch nach Hannover hin schreiben sie die unglaublichsten Dinge. Es wird gar nicht lange dauern, so wird man wo moeglich in den welfischen Zeitungen Artikel ueber uns lesen." "Seien Sie ganz ruhig, meine Herren," sagte der Regierungsrath Meding, "wenn das geschehen sollte, wenn man es wagen wuerde, unsere Ehre anzugreifen, dann werde ich der Erste sein, der alle Ruecksichten bei Seite setzt, und dann wehe Denen, die den Kampf mit uns aufnehmen. Jene werden dem Koenig gegenueber zu verantworten haben, was dann geschehen wird. Bis dahin bitte ich Sie nochmals dringend, jeden Schritt zurueck zu halten, der den Koenig verletzen koennte." "Jedenfalls," rief Herr von Duering, "werde ich meine Magazinbestaende dem Herrn von Adelebsen nicht ueberliefern, ohne eine vollgueltige Decharge vom Koenige zu bekommen, die ich bereits mehrfach verlangt und die man mir noch immer nicht gegeben hat." Der Kammerdiener meldete den Legationskanzlisten Hattensauer, und eilig, mit etwas aufgeregter Miene trat ein Mann von etwa fuenfzig Jahren von auffallender Haesslichkeit mit kleinen stechenden Augen, einer vorspringenden Stirn, einem glatten, fast kahlen Schaedel in das Zimmer. Er neigte sich mit einer gewissen linkischen Hoeflichkeit nach allen Seiten, naeherte sich dann in beinahe demuethiger, unterwuerfiger Haltung dem Regierungsrath Meding und ueberreichte ihm ein grosses, versiegeltes Schreiben. "Eine Depesche ans Hietzing, welche so eben eingegangen ist," sagte er. Gespannt blickten die Officiere auf den Regierungsrath Meding, welcher langsam das Schreiben oeffnete und den Inhalt durchlas. "Der Major von Adelebsen ist angekommen," sagte der Legationskanzlist Hattensauer, waehrend Herr Meding las, "er hat diese Depesche mitgebracht und wird Ihnen morgen seinen Besuch machen." Der Regierungsrath Meding faltete langsam das Papier, das er bis zu Ende gelesen, zusammen; ein trauriges Laecheln spielte um seinen Mund. "Nun," rief Herr von Duering, "haben Sie irgend welches Licht in der Sache erhalten?" "Der Koenig," erwiderte der Regierungsrath Meding, "findet meine Bemuehungen fuer die Herstellung eines Comite de Patronage, da dasselbe auch fuer eine Colonie in Algerien wirken koenne, nicht vereinbar mit seinen Beschluessen, nach welchen er aus militairischen Gruenden die Gruendung einer solchen Colonie abgelehnt hat. Er befiehlt mir deshalb, aus dem Comite auszuscheiden und mich sogleich nach Thun in der Schweiz zu begeben, um dort seine weiteren Befehle abzuwarten. Das Schreiben ist uebrigens," fuhr er fort, "abermals eine Antwort auf etwas durchaus Anderes, als ich geschrieben und ausserdem von einer beinah unglaublichen Stylisirung und Logik." "Unerhoert!" riefen die Officiere. "Und Sie werden diesem Befehl Folge leisten?" fragte Herr von Duering. "Ganz gewiss," erwiderte der Regierungsrath Meding, "ich stehe noch im Dienste des Koenigs und muss seinen Befehlen folgen. Ich bedaure, dass sie mich zwingen, die armen Emigranten zu verlassen, aber ich kann darin Nichts aendern, die Verantwortung fuer ihr Schicksal trifft mich nicht." "Ich habe auch noch Briefe fuer Herrn von Duering und fuer Herrn von Tschirschnitz," sagte Hattensauer, indem er sich demuethig gebeugt den beiden Herren naeherte und jedem ein Schreiben uebergab, welches dieselben schnell oeffneten und durchflogen. "Ich bin nach Bern verbannt," sagte Herr von Duering. "Und ich nach Basel!" rief Herr von Tschirschnitz laut lachend. "Die Sache wird nun geradezu komisch, man scheint sich in Hietzing fuer die Gebieter der Welt zu halten." "Haben Sie Nichts fuer mich?" rief Herr von Mengersen, zu Herrn Hattensauer sich wendend, "vielleicht hat man mich nach Sibirien verbannt." "Nun, meine Herren," sagte der Regierungsrath Meding, "so muessen wir denn die Hannoveraner ihrem Schicksal ueberlassen, ich werde noch das Moeglichste thun, um sie allen meinen Freunden hier zu empfehlen. Jedenfalls haben wir fuer sie gethan, was in unsern Kraeften stand. Und nun lassen Sie uns schlafen und ausruhen, denn ich glaube, wir koennen sagen: 'Finita la commedia'. Morgen wollen wir ueberlegen, was weiter zu thun ist, und," sagte er laechelnd zu Herrn von Duering und Herrn von Tschirschnitz, "unsere Reisevorbereitungen treffen." Zweites Capitel Der Legationsrath Bucher hatte seinen Vortrag bei dem Kanzler des Norddeutschen Bundes, Grafen von Bismarck, beendet. Der Graf sass in dem Lehnstuhl vor dem Schreibtisch bequem zurueckgelehnt, die kraftvolle markige Gestalt erschien noch breiter und voller im Militairueberrock,--die Zuege seines Gesichts waren staerker geworden und drueckten noch mehr als frueher feste, entschlossene Willenskraft aus. Das Haar an seinen Schlaefen und der volle Schnurrbart hatten sich mehr und mehr weiss gefaerbt, ohne dass dadurch sein Gesicht aelter erschien,--der frische Ausdruck seiner klaren, grauen Augen, welche bald streng und drohend, bald tief und gemuethvoll blickten, gab seiner ganzen Erscheinung einen gewissen Schimmer jugendlicher Lebendigkeit. Vor dem Grafen stand, ein Packet zusammengelegter Papiere in der Hand, der Legationsrath Bucher. Sein kraenkliches feines Gesicht mit den kalt und ernst blickenden kleinen Augen, dem fest geschlossenen Mund und der etwas scharf vorspringenden Nase, seine magere Gestalt, welche dem Grafen Bismarck gegenueber fast winzig erschien,--seine etwas gebueckte Haltung,--das Alles gab der Erscheinung dieses merkwuerdigen Mannes, der frueher seiner politischen Ueberzeugung Heimath und Existenz geopfert und nunmehr das Vertrauen des grossen deutschen Staatsmannes zu erwerben und zu erhalten gewusst hatte, einen Ausdruck, der die Mitte hielt zwischen dem Typus eines Bureaukraten und eines Professors. "Haben Sie die Schrift von Vilbort gelesen," fragte der Graf--'l'oeuvre de Monsieur de Bismarck'--es wird in Paris viel besprochen--" "Und ist auch bereits in deutscher Uebersetzung erschienen," bemerkte der Legationsrath, "es enthaelt viel Interessantes und manche sehr bemerkenswerthe Zeugnisse ueber das, was Herr Vilbort waehrend des Krieges von 1866 selbst gesehen und erlebt hat.--Ob freilich Alles das wahr ist, was Vilbort ueber die Aeusserungen mittheilt, die Eure Excellenz ihm selbst gegenueber gemacht haben, das muessen Sie selbst besser beurteilen koennen, als ich--" "Im Allgemeinen," sagte Graf Bismarck, "so weit ich das Buch zu durchblaettern Zeit gefunden habe,--giebt er meine Aeusserungen richtig wieder,--und das ist schon sehr viel.--So oft man mit einem Journalisten spricht, muss man sich gefallen lassen, dass er Alles, was man gesagt oder nicht gesagt hat, wiedererzaehlt, wie er es aufgefasst hat,--oder wie er es aufgefasst zu sehen wuenscht,--das hindert mich uebrigens nicht," fuhr er fort, "mich ganz freimuethig und offen gegen diese Herren auszusprechen, wenn ich Gelegenheit habe, einen von ihnen zu sehen;--ich halte mit dem, was ich denke und was ich will, nicht hinter dem Berge,--die aengstliche Geheimnisskraemerei der alten Diplomatie hat keinen Sinn mehr in unserer Zeit,--freilich muss ich dann auch die oeffentliche Beurtheilung dessen, was ich gesagt habe, nicht scheuen, und,--Gott sei Dank,--dafuer habe ich ganz gesunde Nerven." "Herr Vilbort," sagte der Legationsrath Bucher, "scheint mir durch die Offenheit, mit welcher Eure Excellenz sich ihm gegenueber ausgesprochen haben, etwas eitel geworden zu sein;--er haelt sich fuer einen Geschichtschreiber,--und das ist er in der That nicht,--auch geht durch sein ganzes Werk ein gewisses sentimentales Jammern ueber den Krieg, der doch, da die Conflicte einmal unloesbar geworden, eine Nothwendigkeit war." "Diese Richtung des Buches," fiel Graf Bismarck ein, "das jedenfalls in Frankreich viel gelesen werden wird, ist mir am wenigsten unangenehm,--die Franzosen koennen in der That eine Warnung vor den traurigen Folgen eines grossen Krieges brauchen,--es scheint, dass dort wieder der Chauvinismus erhitzt wird, und dass man die Geister fuer einen Krieg vorbereitet, fuer den Fall, dass man der inneren Schwierigkeiten nicht Herr werden sollte." "Glauben Eure Excellenz wirklich," fragte der Legationsrath, "dass man in Paris ernstlich an einen Krieg denken koennte,--gerade jetzt in dem Augenblicke, in welchem die Zuegel des persoenlichen Regiments gelockert sind, in dem Augenblick, in welchem Ollivier, der Mann des Friedens, Minister geworden ist?" "Die Berichte aus Paris," sagte Graf Bismarck mit leichtem Achselzucken, "sprechen von den friedlichen Dispositionen der Regierung,--ich glaube auch, dass der Kaiser, der arme kranke Mann, sich nach dem Frieden sehnt,--schon um persoenlich Ruhe zu haben,--aber Alles," fuhr er fort, "was dort geschieht, kann zu irgend einem ploetzlichen Ausbruch fuehren, auf den wir heute mehr als je gefasst sein muessen. "Sehen Sie," sprach er nach kurzem Nachdenken, waehrend er die Augen sinnend emporschlug, "dieser unglueckliche Pistolenschuss, der Victor Noir toedtete, diese lauten Anklagen von Flourens, die ungeschickte Verhaftung Rocheforts, ein Bonaparte vor Gericht, des Mordes angeklagt, das Alles bricht ueber das Kaiserreich herein,--das ist ein furchtbares Verhaengniss,--und das constitutionelle Regiment kann die immer hoeher aufwallenden Wogen nicht beschwoeren. Die Coterie des Krieges, welche durch einen ruhmvollen Feldzug den Glanz des Kaiserreichs wieder herstellen will, gewinnt an Boden,--der Kaiser ist schwach,--wird man ihn nicht eines Tages dahin bringen, das Aeusserste zu wagen, um den festen Boden wieder zu gewinnen, der ihm taeglich mehr unter den Fuessen verschwindet. Er wird vielleicht den Krieg machen aus Schwaeche, denn die Schwaeche ist tollkuehner als die Kraft. "Fuer uns," fuhr der Graf fort, "ist der Krieg um so weniger zu fuerchten, je mehr die innere Kraft Frankreichs taeglich zersetzt wird,--aber der arme Kaiser thut mir leid,--es ist doch eine gross angelegte und im Grunde gute Natur,--und fuer Europa ist das Kaiserreich eine Wohlthat,--denken Sie, wenn alle diese in den Tiefen gaehrenden Elemente in Frankreich wieder entfesselt wuerden! "Man hat mir da," fuhr er fort, indem er ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch nahm, "einen Brief Eugen Duponts mitgetheilt, in welchem dieser thaetige Agent der Internationale und Secretair von Carl Marx in London dem Comite in Genf auseinandersetzt, dass die Zeit gekommen sei, in welcher der action secrete et souterraine die allgemeine revolutionaire Schilderhebung in Europa folgen muesse. Merkwuerdigerweise," sagte er, einen Blick in das Schriftstueck werfend, "will Dupont den Ausgangspunkt dieser grossen Revolution nach England verlegen, weil in Frankreich die Regierung noch zu stark sei." "England sei das einzige Land," fuhr er fort, "in welchem eine wirkliche socialistische Revolution gemacht werden koennte, das englische Volk aber koenne diese Revolution nicht machen, Fremde muessten sie ihm machen und der Punkt, wo man zuerst losbrechen solle, sei Irland." Der Legationsrath Bucher laechelte. "Das sind Traeumereien," sagte er, "wie sie von Zeit zu Zeit sich immer wiederholen, ohne zu praktischen Resultaten zu fuehren." "Die Ideen dieses Dupont sind Traeumereien,--das ist ganz richtig," fiel Graf Bismarck ein,--"aber in Frankreich ist die Sache ernster,--dort haben die gemaessigten Mitglieder der Internationale vollstaendig die Fuehrung verloren und die extremsten Doctrinen dringen immer mehr in die Arbeiterbevoelkerung,--bei jeder unruhigen Bewegung kann die Commune proclamirt werden.--Das Alles gaehrt um den Kaiser herauf und kann ihn eines Tages dazu draengen, einen Verzweiflungscoup zu machen;--wir muessen von dort her immer auf etwas Unerwartetes gefasst sein." "Die Elemente der Gaehrung," sagte der Legationsrath, "von denen Eure Excellenz sprechen, sind aber nicht nur in Frankreich vorhanden, sondern erfuellen die ganze Welt,--auch unter den deutschen Arbeitern macht die Internationale Fortschritte,--ich glaube, dass die Regierungen zu dieser Frage Stellung nehmen muessen." "Das sagt mir auch Wagner," rief Graf Bismarck,--"aber welche Stellung soll man dazu nehmen?--Die alten Parteibildungen beginnen sich zu zersetzen, keine der vorhandenen Parteien kann sich dazu erheben, den neuen Zeitfragen mit freiem und klarem Blick entgegen zu treten,--und gerade dieser socialen Frage gegenueber muesste doch die Regierung sich auf eine im Volke selbst wurzelnde Partei stuetzen.--Das waere eine Aufgabe fuer die Conservativen," sagte er sinnend,--"aber leider verlieren gerade diese sich immer mehr in unmoegliche und unpraktische Theorien." "Nun," fuhr er fort,--"wir muessen darueber nachdenken,--jetzt will ich ein wenig hoeren, was die auswaertige Politik macht." Er reichte mit freundlichem Kopfnicken dem Legationsrath die Hand und dieser zog sich mit einer kurzen stummen Verbeugung zurueck. "Ist Jemand im Vorzimmer?" fragte Graf Bismarck den Kammerdiener, welcher auf seinen starken Glockenzug erschien. "Der englische Botschafter, Excellenz." "Ich lasse bitten." Der Minister-Praesident erhob sich und machte einige Schritte nach der Thuer, durch welche Lord Augustus Loftus, der Botschafter Ihrer Majestaet der Koenigin Victoria am preussischen Hofe und beim Norddeutschen Bunde, in das Cabinet trat. Lord Loftus, eine durchaus englische Erscheinung, hatte in seinen Gesichtszuegen und in seiner ganzen Haltung eine gewisse feierliche Wuerde und Zurueckhaltung, welche ein wenig gegen das offene, freie Wesen des Grafen Bismarck abstach. Der Lord setzte sich dem preussischen Minister-Praesidenten gegenueber vor den grossen Schreibtisch in der Mitte des geraeumigen Cabinets, und begann, da der Graf nach einigen gleichgueltigen Begruessungsworten schweigend seine Anrede erwartete, nach einem kurzen Raeuspern: "Sie wissen, lieber Graf, wie sehr die Regierung Ihrer Majestaet darauf bedacht ist, in den Beziehungen der Cabinette unter einander alle Ursachen des Misstrauens und der Besorgnisse zu beseitigen, welche dem Frieden Europas gefaehrlich werden koennten." Graf Bismarck neigte zustimmend den Kopf und, indem er eine grosse Papierscheere ergriff und dieselbe spielend in der Hand bewegte, sagte er im hoeflichsten Ton einer gleichgueltigen Conversation: "Die Regierung Ihrer Majestaet ist in diesem Bestreben vollkommen von denselben Wuenschen geleitet, welche auch uns beseelen und welche wohl, wie ich glaube, von allen Cabinetten Europas getheilt werden. Ich freue mich, von Neuem zu constatiren, dass gerade durch diese allseitigen Wuensche die beste Garantie fuer die Erhaltung des europaeischen Friedens gewaehrt wird." Lord Loftus schien ein wenig decontenancirt. "Die guten Wuensche aller europaeischen Regierungen," sagte er, "sind gewiss eine ganz vortreffliche Garantie des Friedens. Indessen," fuhr er ein wenig zoegernd fort, "um eine wirklich praktische und vor allen Dingen dauernde Basis fuer die internationale Ruhe und Stabilitaet zu schaffen, wird es vor Allem noch noethig sein, concrete Gruende gegenseitigen Misstrauens und gegenseitiger Besorgnisse zu beseitigen." "Ich wuesste in der That nicht," sagte Graf Bismarck, den Botschafter wie erstaunt anblickend, "dass in diesem Augenblick irgend welche Fragen bestaenden, welche dem Frieden auch nur die entfernteste Gefahr zu bringen vermoechten. Ueberall ist die tiefste Ruhe, ich kann Sie versichern, dass wir wenigstens mit keinem europaeischen Cabinet in Eroerterungen stehen, welche bedenkliche und kritische Punkte beruehren." "Ich hatte bei meiner Bemerkung von vorhin," erwiderte Lord Loftus, "auch weniger diplomatische Fragen im Sinne, welche gegenwaertig zur Eroerterung staenden und zu Differenzen fuehren koennten, ich dachte vielmehr an thatsaechliche Verhaeltnisse, welche vielleicht weniger ein Grund, als ein Ausdruck gegenseitigen Misstrauens sind und deren Beseitigung im Interesse der ruhigen Entwickelung der Zukunft Europas liegen moechte." "Und welche thatsaechliche Verhaeltnisse meinen Sie?" fragte Graf Bismarck mit vollkommener Ruhe und einem leichten Anflug von Erstaunen in seinem scharfen, fest auf den Botschafter gerichteten Blick. "Es ist eine Thatsache," sprach Lord Loftus weiter, "welche offen vor Europa da liegt, dass die franzoesische Regierung in den letzten Jahren ganz besondere Anstrengungen gemacht hat, um ihre Militairmacht auf eine aussergewoehnliche Hoehe zu erheben. Das Gleiche findet bei Ihnen statt, und Sie werden mir zugeben, dass es eine gewisse Besorgniss und Beunruhigung erregen kann, wenn man zwei der bedeutendsten europaeischen Maechte bis an die Zaehne bewaffnet einander gegenueber stehen sieht." "Es liegt ja aber," fiel Graf Bismarck in demselben ruhigen, fast gleichgueltigen Ton ein, "zwischen Frankreich und uns durchaus keine Veranlassung zu irgend welchen Missverstaendnissen vor; im Gegentheil kann ich Sie versichern, dass unsere Beziehungen zu Paris die besten und freundlichsten sind." "Und doch stehen Sie sich," bemerkte Lord Loftus, "mit so uebermaessig angespannten Militairkraeften gegenueber, als ob Sie gegenseitig jeden Tag den Ausbruch irgend eines Conflictes zu besorgen haetten. Dieser Zustand," fuhr er etwas lebhafter fort, "wenn er auch den Frieden nicht unmittelbar gefaehrdet, laesst doch Europa nicht zu sicherem Bewusstsein der Ruhe kommen, und ich glaube, dass besser als alle diplomatischen Versicherungen eine ernste und nachdrueckliche Reducirung der unter den Waffen stehenden militairischen Streitkraefte alle die unruhigen Besorgnisse zerstreuen wuerde, welche angesichts des gegenwaertigen Zustandes sowohl die Cabinette, als die Geschaeftswelt erfuellen,--wenn die Armeen Frankreichs und Preussens sich nicht mehr in voller Kriegsruestung gegenueber stehen, dann wird Europa endlich aufathmen koennen, befreit von dem Druck, welcher in den letzten Jahren auf ihm lastet." Graf Bismarck schwieg einen Augenblick, seine Zuege nahmen einen ernsten Ausdruck an, er richtete den Blick seiner klaren grauen Augen scharf und durchdringend auf den Botschafter und sagte dann: "Haben Sie, mein theurer Lord, den Auftrag, die Frage, welche Sie soeben beruehrten, zwischen Frankreich und uns Namens Ihrer Regierung zur Sprache zu bringen?" "Ich habe nicht den Auftrag," erwiderte der Lord, "bestimmte Antraege zu stellen, bestimmt formulirte Wuensche auszusprechen,--doch bin ich allerdings veranlasst, die allgemeine Besorgniss, welche die militairischen Ruestungen in Frankreich und Deutschland der Regierung Ihrer Majestaet einfloessen, Ihnen nicht zu verhehlen und zugleich auch dem Gedanken Ausdruck zu geben, dass Sie sowohl als die franzoesische Regierung dem ganzen civilisirten Europa einen grossen Dienst leisten wuerden, wenn Sie sich geneigt finden liessen, im gleichen Verhaeltniss die unter den Waffen stehenden Streitkraefte zu reduciren und dadurch thatsaechlich das Vertrauen auf dauernde Erhaltung des Friedens zu erkennen zu geben. Wuerde ich bei Ihnen die Geneigtheit finden, auf diesen Ideengang einzugehen, so wuerde die Regierung Ihrer Majestaet gern bereit sein, ihre Vermittelung in einer ebenso wichtigen, als delicaten Sache zwischen zwei ihr gleich befreundeten Maechten eintreten zu lassen." "Und wissen Sie," fragte Graf Bismarck, ohne dass ein Zug seines Gesichtes sich veraenderte, "ob derselbe Gedanke, den Sie mir hier so eben auszusprechen die Guete haben, auch dem Kaiser Napoleon gegenueber von Ihrer Regierung geltend gemacht worden ist?" "Ich glaube, Ihnen mittheilen zu koennen," erwiderte Lord Loftus, "dass dies geschehen ist, und dass der Kaiser sich vollkommen bereit erklaert hat, seine kriegsbereiten Streitkraefte nach derselben Verhaeltnisszahl zu reduciren, welche von Ihnen angenommen werden moechte." Ein feines, fast unmerkliches Laecheln flog ueber das Gesicht des Grafen Bismarck. "Es wuerde dann immer die Frage sein," sagte er in leichtem Ton, "wer denn mit der Abruestung anzufangen haette--und wer dieselbe controliren koennte, Fragen, an denen oft schon aehnliche Verhandlungen gescheitert sind,--doch," fuhr er dann mit ernstem und nachdrucksvollem Ton fort, "ich will diese Frage nicht aufwerfen, denn sie wuerde keine practische Bedeutung haben, da ich Ihnen von vorn herein auf das Bestimmteste erklaeren muss, dass ich garnicht in der Lage bin, auf eine Negociation in der von Ihnen angedeuteten Weise eingehen zu koennen, und ich wuerde es bedauern, wenn ich in die Lage kaeme, der Regierung Ihrer Majestaet auf eine directe Aeusserung in jenem Sinne eine bestimmt ablehnende Antwort geben zu muessen." "So halten Sie es dennoch fuer moeglich," fragte Lord Loftus, ein wenig erstaunt ueber diese so klare und bestimmte Erklaerung, "dass aus den Fragen, welche gegenwaertig in Europa vorhanden sind, nach irgend welcher Richtung hin ein ernster Conflict entstehen koennte, der die Erhaltung einer solchen Waffenruestung fuer Frankreich und fuer Preussen noethig macht?" "Was Frankreich betrifft," erwiderte Graf Bismarck, "so habe ich darueber kein Urtheil. Glaubt der Kaiser Napoleon, den innern Verhaeltnissen gegenueber und mit Ruecksicht auf seine sonstigen europaeischen Beziehungen seine militairischen Streitkraefte vermindern zu koennen, so mag er es thun, von unserer Seite hat er am allerwenigsten irgend eine Schwierigkeit oder gar eine Feindseligkeit zu besorgen. Ich wuerde ihm indessen auf einem solchen Wege nicht folgen koennen, denn die groessere oder geringere Staerke der preussischen Militairmacht beruht nicht in dieser oder jener augenblicklichen diplomatischen Constellation, sie ist eine Grundlage des preussischen Staatslebens und kann ohne einen tiefen Eingriff in dessen wesentlichsten Existenzbedingungen nicht modificirt werden. Ich bin aber von vorn herein ueberzeugt," fuhr er fort, "dass der Koenig, mein allergnaedigster Herr, jedes Eingehen auf diese Frage, ja jede Eroerterung derselben auf das Bestimmteste ablehnen wuerde und ablehnen muesste. Um eine Verminderung und zwar eine wesentliche Verminderung der disponiblen Streitkraefte zu erreichen, muesste man die ganze Militairorganisation Preussens und des Norddeutschen Bundes aendern. Das ist schon verfassungsmaessig schwierig, ja beinahe unausfuehrbar. Ausserdem kommt aber dabei noch ein wesentlicher Gesichtspunkt in Frage, den ich Sie wohl in Betracht zu ziehen bitten muss, die preussische Militairorganisation ist nicht nur eine militairische, sondern zu gleicher Zeit auch eine politische und sociale Organisation. Sie ist eine Art von hoher Schule fuer alle Klassen der Bevoelkerung, eine Schule, in welcher die Jugend des Landes die selbstverleugnende Pflichterfuellung lernt, in welcher sie durchdrungen wird von der Hingebung fuer den Koenig und fuer das Land, in welcher der Patriotismus gekraeftigt und zu vollem klarem Bewusstsein gebracht wird. Man koennte also die Wehrverfassung nicht modificiren, ohne zu gleicher Zeit der militairischen Kraft und der nationalen Einigkeit grossen Schaden zu thun, ohne die Ueberzeugung des Volkes zu verletzen, welche in der allgemeinen Dienstpflicht und der damit zusammenhaengenden Staerke der Armee die beste Buergschaft fuer die Sicherheit und Groesse Preussens erblickt. Sie muessen begreifen, mein theurer Lord," fuhr er fort, "dass alle diese Gesichtspunkte es mir unmoeglich machen, die Idee der gegenseitigen Entwaffnung weiter zu discutiren;--so lange ich Minister bin, wuerde ich eine solche Idee dem Koenige nicht vorschlagen koennen, und jede weitere Eroerterung des Gegenstandes wuerde zu gar keinem Resultat fuehren. Ich glaube, es ist der beste Dienst, den ich Ihnen leisten kann, und der groesste Beweis aufrichtigsten Entgegenkommens gegen die Regierung Ihrer Majestaet, wenn ich sogleich und ohne Umschweife meine Stellung zu der von Ihnen angeregten Frage offen ausspreche. Ich bitte Sie, das, was ich Ihnen gesagt, als meine unbedingt feststehende Ansicht zu betrachten und auch Ihrer Regierung keinen Zweifel ueber dieselbe zu lassen." Lord Loftus verneigte sich und sprach: "Ich erkenne vollkommen das Gewicht der Gruende an, welche Sie mir angeben und werde dieselben dem auswaertigen Amt zur Kenntniss bringen. Ich bedaure," fuhr er fort, "dass Ihre Mittheilungen mich von der Unmoeglichkeit ueberzeugt haben, den auf Europa lastenden Zustand aengstlicher Besorgniss durch ein einfaches Mittel zu beseitigen." "Ich begreife nicht, mein lieber Lord," sagte Graf Bismarck, "warum Sie von Kriegsbesorgnissen sprechen? Ich kann Ihnen nur wiederholen, dass ich keine Frage sehe, welche dazu Veranlassung bieten koennte;--wenn einige chauvinistische Blaetter in Frankreich nicht aufhoeren, die Welt von Zeit zu Zeit zu beunruhigen, so kann das doch keinen Einfluss auf die Cabinette der Grossmaechte haben. Mag sich die Boerse hin und wieder darueber erschrecken, wir sollten uns dadurch doch in der That keinen Augenblick aus der Ruhe bringen lassen. Vor Allem," fuhr er mit volltoenender Stimme fort, "koennen derartige auf keinen concreten Gruenden beruhende Besorgnisse niemals der Grund sein, dass eine mit dem Ausbau ihrer innern Angelegenheiten beschaeftigte, alle Vertraege respectirende und mit aller Welt im Frieden lebende Macht ihre langjaehrige und bewaehrte Militairverfassung aendern sollte, eine Militairverfassung, auf welcher die Sicherheit beruht, die friedliche und selbststaendige innere Entwickelung noethigenfalls gegen jede Stoerung schuetzen zu koennen." "Apropos, haben Sie Nachricht vom Koenig Georg?" fragte Graf Bismarck, als Lord Loftus sich erhob, um sich zu verschieden. "Man theilt mir mit, dass er diese unglueckliche Legion in Frankreich, welche ihm so viel Geld kostet, und welche doch in der That sehr wenig geeignet ist, um Hannover wieder von uns zu erobern, jetzt auseinander schickt. Mir thun die armen Leute leid, welche durch dies ganze abenteuerliche Unternehmen ihrem Vaterlande und ihren Familien entzogen sind." "Wenn der Koenig seinen Widerstand aufgiebt," sagte Lord Loftus, "sollte es dann nicht moeglich sein, ihm den Genuss seines Vermoegens wieder zu geben, welches ihm entzogen ist? Ich weiss, dass der Herzog von Cambridge als naechster Agnat sehr viel Antheil an dieser Angelegenheit nimmt, und es waere in der That erwuenscht, wenn sie in befriedigender Weise geordnet werden koennte." "Niemand wuenscht das lebhafter als ich," rief Graf Bismarck, "wir haben im Interesse der Sicherheit Preussens dem Koenige sein Land nehmen muessen, aber sowohl mein allergnaedigster Herr wie ich selbst wuenschen gewiss auf das Dringendste, dass dem alten, hochberuehmten und edlen Welfenhause auch in seiner hannoeverschen Linie fuer die Zukunft eine grosse und wuerdige Existenz gesichert bleibe. Aber," fuhr er fort, "wenn der Koenig einfach seine Legion entlaesst, weil er sie nicht bezahlen kann, ohne mit seinen uebrigen Agitationen aufzuhoeren, ohne den Frieden mit uns zu machen, so koennen wir ihm doch wahrlich nicht die Mittel dazu in die Haende geben. Ich muss bekennen, dass mir diese Legion weniger beachtungswerth erschienen ist, als andere Agitationen des Koenigs, welche sich der Oeffentlichkeit mehr entziehen und fuer welche ich," sagte er mit entschiedener Betonung, "niemals die Mittel zur Verfuegung stellen kann. Will sich der Koenig in die Notwendigkeit der Verhaeltnisse fuegen, will er mit uns Frieden schliessen, so wird er dafuer gewiss das bereitere Entgegenkommen finden, und wenn der Herzog von Cambridge sich dafuer interessirt, so wird er dem Koenig Georg und dessen ganzem Hause gewiss den besten Dienst leisten, wenn er seinen Einfluss anwendet, um ihn zu einem definitiven und aufrichtigen Frieden zu veranlassen." "Ich werde," sagte Lord Loftus, "wenn sich mir die Gelegenheit bietet, versuchen, in diesem Sinne zu wirken,--ich glaube, dass der Herzog von Cambridge gern die Hand dazu bieten wird, doch ob mit Erfolg, das scheint mir bei dem Charakter des Koenigs zweifelhaft. Jedenfalls ist meine ganze Thaetigkeit in dieser Angelegenheit eine ausschliesslich private, hervorgehend aus dem natuerlichen Interesse, welches ich fuer den erlauchten Vetter meiner Koenigin hege; als Vertreter der englischen Regierung habe ich mit der ganzen Angelegenheit nicht das Geringste zu thun." Er erwiderte mit einer etwas steifen Verbeugung den Haendedruck des Grafen Bismarck, welcher ihn nach der Thuer hin begleitete, und verliess das Cabinet. In dem grossen Vorsaal sass in einem Lehnstuhl die schmaechtige, magere Gestalt des Grafen Benedetti mit dem bleichen, fein geschnittenen Gesicht, dessen Zuege trotz der listigen Intelligenz, welche in ihnen lag, dennoch niemals einen bestimmten Ausdruck erkennen liessen. Der Graf erhob sich und begruesste den englischen Collegen. "Nun," sagte er, "haben Sie Ihre Entwaffnungstheorie discutirt, ueber welche wir gestern sprachen, und von welcher ich ueberzeugt bin, dass sie in Paris das bereitwilligste Entgegenkommen finden wird?" "Ich habe darueber gesprochen," erwiderte Lord Loftus. "Und?" fragte Benedetti. "Jede Discussion darueber ist auf das Bestimmteste abgelehnt, man wird das in London sehr bedauern, obgleich die Gruende dafuer nicht ohne Berechtigung sind." In den kalten klaren Augen Benedetti's erschien ein leichter Schimmer von Befriedigung, er schlug jedoch sogleich den Blick zu Boden und sagte mit ruhigem, fast ausdruckslosem Ton: "Wenn die Welt sich wegen der militairischen Ruestungen in Frankreich und Deutschland beunruhigt, so wird man nun wenigstens wissen, dass wir es nicht sind, die es verweigern zur Beseitigung dieser Unruhe beizutragen, welche uebrigens," fuegte er hinzu, "nach meiner Auffassung ohne Begruendung ist." Der Kammerdiener des Grafen Bismarck naeherte sich dem franzoesischen Botschafter mit der Meldung, dass der Minister-Praesident bereit sei, ihn zu empfangen. Graf Benedetti verabschiedete sich von Lord Loftus und trat in das Cabinet. "Nun," sagte Graf Bismarck, nachdem er ihn mit offener Herzlichkeit begruesst hatte, "es scheint, dass man in Europa an den Frieden nicht recht glauben will. Man moechte aller Welt die Waffen aus den Haenden nehmen und sie in irgend einem grossen Arsenal aufbewahren, damit nur ja kein Missbrauch damit geschieht. Soeben hat mir Lord Loftus wieder von Entwaffnungsideen gesprochen, welche sich ganz wesentlich auf uns beziehen,--ich begreife das in der That nicht," fuhr er ernster fort, "glaubt man denn, dass zwei grosse Maechte nur dann im Frieden neben einander leben koennen, wenn sie Beide nicht die Macht haben, Krieg zu fuehren? Ich habe nach meiner Ansicht mehr Vertrauen zur Erhaltung des allgemeinen Friedens, wenn alle Maechte stark und kraeftig sind, sobald sie nur den aufrichtigen Willen haben, in guten Beziehungen mit einander zu leben. Ich weiss nicht, wie man bei Ihnen ueber die Moeglichkeit einer Reduction der Armee denkt, bei uns ist dies unmoeglich, und ich glaube auch, man wird an unsere friedlichen Absichten ohne Einschraenkung unserer Armee glauben." "Ich theile gewiss vollkommen Ihre Ansicht," sagte Graf Benedetti, indem er dem Minister-Praesidenten gegenueber vor dem Schreibtisch Platz nahm, "und bin weit entfernt, in einer starken Militairmacht zweier verstaendig regierten Staaten eine Gefahr fuer den Frieden zu erblicken. Indess," fuhr er fort, "koennte die Idee einer theilweisen Entwaffnung dennoch vielleicht der Beachtung nicht ganz unwuerdig sein, wenn man durch eine solche Massregel der oeffentlichen Meinung und den uebrigen Maechten neues Vertrauen in die Stabilitaet der europaeischen Ruhe und Ordnung einfloessen kann. Von diesem Gesichtspunkt aus ist, wie ich voraussetzen darf, der Kaiser nicht abgeneigt, eine Reduction der militairischen Kraefte in Erwaegung zu ziehen, wobei ausserdem noch eine wesentliche Erleichterung des Volkes in Betracht kommt, die fuer die innere Stellung der Regierungen nicht unwesentlich ist." "Diese Ruecksicht wuerde bei uns von keiner Bedeutung sein," sagte Graf Bismarck, "unsere Militair-Verfassung ist mit dem Volke verwachsen, und Niemand im Volk verlangt eine Erleichterung der auf allen Schultern gleich vertheilten militairischen Pflichten." Graf Benedetti sah einen Augenblick zu Boden, dann schlug er den Blick mit einer fast naiven Offenheit zu dem preussischen Minister-Praesidenten auf und sprach: "Ich bin natuerlich nicht in der Lage, die inneren Verhaeltnisse bei Ihnen so eingehend zu beurtheilen, wie Sie dazu im Stande sind, da ich nur als Fremder in dieselben hineinblicke,--aber doch verfolge ich Ihr oeffentliches Leben mit vielem Interesse und glaube bemerkt zu haben, dass in den Parteien Ihrer Parlamente die Frage der militairischen Lasten nicht ganz gleichgueltig behandelt zu werden scheint. Nach der Zahl der Mannschaften und nach den finanziellen Mitteln ist der Verfassung gemaess der Militairetat auf eine Periode von fuenf Jahren festgesetzt, welche im naechsten Jahr zu Ende geht; nach den Stimmen der Presse," fuhr er fort, "und nach dem, was ich hier und da ueber die Stimmung der Abgeordneten gehoert habe, scheint das Parlament, wenn ihm im naechsten Jahre das Kriegsbudget vorgelegt wird, sehr geneigt zu sein, wesentliche Reductionen zu beschliessen, welche gewissermassen einer theilweisen Entwaffnung gleich kommen wuerden. Wenn ich mich in der Beurtheilung der hiesigen Verhaeltnisse nicht taeusche," sprach er weiter, waehrend Graf Bismarck zuhoerte und von Zeit zu Zeit die Fingerspitzen an einander schlug,--"so beduerfen Sie, um das richtige Gleichgewicht zwischen der Regierung und dem Parlament zu erhalten, der Uebereinstimmung mit allen gemaessigten Nuancen der conservativen und liberalen Parteien. Wuerde es da nicht vielleicht ein gutes und willkommenes Auskunftsmittel sein, die Ruecksichten auf die inneren Verhaeltnisse und diejenigen auf die auswaertigen Beziehungen zu vereinen durch eine auf diplomatischer Uebereinkunft beruhende Armeereduction? Sie wuerden die europaeischen Maechte, England an der Spitze, verpflichten, die oeffentliche Meinung beruhigen und vielleicht einer Verlegenheit entgehen, welche immerhin erwachsen koennte, wenn im naechsten Jahr Ihr Parlament erhebliche Reductionen des Militairbudgets beschliessen sollte." "Diese Verlegenheit," sagte Graf Bismarck, "kann nicht eintreten, und die Ruecksicht, sie zu vermeiden, kann auf meine Beschluesse keinen Einfluss ueben." "So glauben Sie," sagte der Graf Benedetti, "der Zustimmung der Parlamentsmajoritaet fuer das Militairbudget auch im naechsten Jahr vollkommen sicher zu sein? Sie verzeihen," fuegte er hinzu, "dass ich ueber Ihre inneren Angelegenheiten mit Ihnen spreche; aber Sie wissen, wie sehr ich mich fuer dieselben interessire, und Sie haben mir frueher schon oefter erlaubt, mich durch die Unterhaltung mit Ihnen ueber diese Verhaeltnisse zu belehren." "Unsere inneren Angelegenheiten," erwiderte Graf Bismarck, artig den Kopf neigend, "liegen ja offen da, und es ist mir immer erfreulich und kann nur zu immer groesserer Klaerung meiner eigenen Anschauung dienen, mich mit Ihnen ueber dieselben zu unterhalten. Sie fragten also," fuhr er fort, "ob ich der Zustimmung des Parlaments zum bisherigen Militairbudget im naechsten Jahre sicher sei? Darauf kann ich Ihnen nur antworten: das weiss ich nicht, denn parlamentarische Majoritaeten sind Dinge, die sich nicht vorher berechnen lassen; doch mag dem sein, wie ihm wolle, eine Verlegenheit, wie Sie dieselbe vorher andeuteten, kann fuer mich nach dieser Richtung hin niemals entstehen. Wenn Sie unsere Verfassung genau studirt haben," sagte er mit einer kaum vernehmbaren Nuance von Ironie in seiner Stimme, "wie ich nach Ihren Bemerkungen voraussetze, so werden Sie gesehen haben, dass der Artikel 60--nach der Festsetzung der Friedensstaerke in der Armee bis zum 31. Dezember 1871--weiter bestimmt, dass fuer die Zukunft die Effectivstaerke durch die Bundesgesetzgebung bestimmt werden soll. Wenn also, was ich nicht voraussetzen will, aber auch ebenso wenig fuer unmoeglich erklaeren kann, der Norddeutsche Reichstag im naechsten Jahre das von den verbuendeten Regierungen vorgelegte Militairbudget nicht annimmt, so ist eben ein neues Gesetz nicht zu Stande gekommen, und selbstverstaendlich gilt dann das bisher bestandene Gesetz so lange, bis frueher oder spaeter ueber das an seine Stelle zu setzende zwischen den Volksvertretern und den Regierungen eine Verstaendigung erzielt ist. Sie sehen also, dass ich um mein Militairbudget nicht in Verlegenheit kommen kann, und dass, wenn Diejenigen," fuegte er mit scharfer Betonung hinzu, indem seine Gesichtszuege ploetzlich einen sehr ernsten, fast strengen Ausdruck annahmen, "welche sich ausserhalb Deutschlands vielleicht veranlasst finden moechten, eine Verminderung der Waffenmacht zu wuenschen, die zur Vertheidigung Preussens und des Norddeutschen Bundes noethig ist, sich auf gewisse parlamentarische Abneigungen gegen die Bewilligung des Militairetats glauben stuetzen zu koennen,--dass sie in solchen Voraussetzungen ihre Rechnung--ohne die Bundesverfassung und ohne mich gemacht haben." Graf Benedetti verneigte sich. "Es ist mir erfreulich," sprach er, "Ihre Ansichten so bestimmt und klar ausgesprochen zu hoeren. Der ganze Gegenstand," fuhr er mit leichtem Ton fort, "ist ja eigentlich keine Frage zwischen uns, Frankreich und Preussen koennen ihre gegenseitige Staerke ohne jedes Misstrauen ansehen, es waere nur ein Entgegenkommen gewesen, welches wir gemeinsam den uebrigen Maechten haetten zeigen koennen--" "Welche aber ihrerseits," fiel Graf Bismarck ein, "ebenfalls fortfahren, unausgesetzt zu ruesten und zwar in weit groesserem Massstabe, als wir, wie ein Blick auf Oesterreich und auf Italien zeigt. Ich glaube, es ist besser, ein fuer alle Mal diese ganze Frage der Ruestungen uneroertert zu lassen und den Frieden wesentlich auf den guten Glauben und das Vertrauen zu stuetzen, welches die Regierungen einander entgegentragen. Sie koennen mir," fuhr er fort, "wahrlich den Vorwurf nicht machen, dass ich es an solchem Vertrauen fehlen lasse, und dass ich, wenn irgend Etwas vorkommt, was die guten Beziehungen nach irgend einer oder der anderen Richtung zu verwirren im Stande waere, nicht sogleich durch offenes Aussprechen die Gelegenheit zur Aufklaerung und zur Beseitigung der Missverstaendnisse gebe." Ein leichter Ausdruck verschaerfter Aufmerksamkeit wurde in dem Blick des Botschafters bemerkbar. "Ich freue mich," sagte er, "dass diese Beziehungen gegenseitiger Offenheit und Aufrichtigkeit zwischen uns bestehen. Gerade dadurch ist es ja so oft schon moeglich gewesen, manche Wolke zu zerstreuen, welche die so guten und befriedigenden Verhaeltnisse zwischen beiden Regierungen haette trueben koennen. Gegenwaertig," sagte er mit leichtem Laecheln, "sind ja solche Wolken nach keiner Richtung hin vorhanden und--" "Ganz verschwinden sie niemals," fiel Graf Bismarck ein, "denn immer und immer wieder kommen von der einen oder der andern Seite her Mittheilungen, welche bei aengstlichen und misstrauischen Naturen, zu denen ich nicht gehoere," sagte er sich verneigend, "Bedenken und Sorgen hervorrufen koennten." Benedetti blickte ihn erstaunt und fragend an. "Schon vor laengerer Zeit," sagte Graf Bismarck in ruhigem und fast gleichgueltigem Ton, "habe ich Ihnen mitgetheilt, Herr von Usedom haette uns verschiedene Umstaende mitgetheilt, welche fast glauben lassen mussten, dass geheime Unterhandlungen zwischen Frankreich und Italien, bei welchen auch Oesterreich betheiligt sei, stattfaenden." "Ich habe damals Gelegenheit genommen," sagte Graf Benedetti schnell, "in Paris Erkundigungen einzuziehen und Ihnen die Versicherung gegeben, dass die Quelle, aus welcher Herr von Usedom jene Mittheilungen geschoepft hat, eine nicht zuverlaessige gewesen sein muesse--" "Herr von Usedom hat seine Quelle nicht angegeben," fiel Graf Bismarck ein. "Jedenfalls," sagte Graf Benedetti, "war er unrichtig berichtet oder durch den Schein getaeuscht und zu falschen Schluessen veranlasst worden." "Es sind nun," sprach Graf Bismarck weiter, "in neuester Zeit wiederholt Winke an mich gekommen, dass abermals eine sehr lebhafte Negociation zwischen den Hoefen von Paris, Wien und Florenz stattfindet, welche eine Coalition herzustellen bezweckt, die doch offenbar gegen uns keine allzu freundlichen Absichten haben koennte. Ich meinerseits," fuhr er fort, indem er Benedetti starr ansah und seine grosse Papierscheere mit der Hand rasch hin und her bewegte, "lege keinen besonderen Werth auf derartige Winke, wenn sie nicht den Nachweis bestimmter und unleugbarer Thatsachen enthalten, vielleicht auch deshalb," sagte er mit Betonung, "weil ich eine Coalition niemals fuerchten wuerde, welche sich der nationalen Entwicklung Deutschlands entgegenzustellen die Absicht haette." "Ich werde sogleich," sagte Benedetti eifrig, "nach Paris schreiben und mir bestimmte Aufklaerung ueber diese Frage erbitten. Ich bin aber im Voraus fest ueberzeugt, dass die Geruechte, welche zu Ihnen gedrungen sind, jetzt ebenso wenig wie damals Begruendung haben, denn ich kenne zu genau den dringenden Wunsch des Kaisers, den europaeischen Frieden zu erhalten und ganz besonders die so freundlichen Beziehungen mit dem Koenige Wilhelm und seiner Regierung zu pflegen." "Ich habe Sie nicht darueber interpelliren wollen, mein lieber Botschafter," sagte Graf Bismarck, "ich kam auf die Sache nur durch unser Gespraech und durch die Aeusserungen, welche Lord Loftus mir vorher gemacht hat. Denn wenn," fuhr er fort, "aehnliche Winke, wie sie an mich gekommen sind, auch nach London gelangt sein sollten, und wenn man mit solchen Winken die ganz besondere Thaetigkeit in Verbindung bringt, welche in Ihrem Militair-Departement herrscht, so wuerde in dieser Ideenassociation vielleicht ein Grund zu finden sein, warum man von England aus so dringend wuenscht, neue und concrete Garantieen fuer die Erhaltung des europaeischen Friedens zu gewinnen. Nur sucht man diese Garantieen an falscher Stelle; doch," fuhr er abbrechend fort, "ich glaube, wir haben unsere Ideen ueber den Gegenstand ausgetauscht und stimmen nunmehr im Wesentlichen ueber denselben ueberein. Besser als durch die Entwaffnung wird der Friede jedenfalls gesichert sein, wenn alle Veranlassungen vermieden werden, welche zur Entstehung solcher Geruechte beitragen koennen, wie ich sie mir so eben zu erwaehnen erlaubte." "Ganz gewiss," sagte Benedetti. "Es ist merkwuerdig," fuhr er dann fort, "wie von Zeit zu Zeit immer wieder Fragen auftauchen, welche die glatte und ruhige Oberflaeche der europaeischen Politik kraeuseln. Sie erwaehnten so eben der Geruechte ueber geheime Verhandlungen zwischen Wien, Florenz und Paris; da wir einmal damit das Gebiet der Hypothesen beruehrt haben, so darf ich vielleicht meinerseits bemerken, dass, wie man mir aus Paris ganz vertraulich schreibt, dort wieder einzelne Andeutungen vernommen worden sind ueber einen Plan, den Prinzen von Hohenzollern auf den spanischen Thron zu bringen, einen Plan, ueber welchen wir ebenfalls frueher bereits gesprochen haben und welcher, wenn er wirklich bestehen sollte, ebenfalls geeignet waere, eine gewisse Beunruhigung hervorzurufen." Graf Bismarck sah den Botschafter gross und erstaunt an. "Ich habe neuerdings," sagte er, "Nichts wieder von dieser Idee gehoert, welche mir, wie ich Ihnen bereits frueher bemerkt habe, im Ganzen ein wenig abenteuerlich zu sein schien. Ich habe heute noch wie damals die Ansicht, dass die Regierung des Prinzen Leopold in Spanien nur von sehr kurzer Dauer sein wuerde und dass sie ihn grossen Gefahren und Taeuschungen aussetzen muesste. Ich bin fest ueberzeugt, dass der Koenig, wenn die Sache jemals an ihn herantreten sollte, dem Prinzen gewiss nicht den Rath geben wuerde, den spanischen Thron anzunehmen, auch wenn die Cortes dort ihm denselben antragen sollten. Ich weiss auch, dass der Vater des Prinzen, der Fuerst Anton vollkommen diese Ansicht theilt. Er weiss," fuegte er laechelnd hinzu, "durch die Erfahrung, die er mit dem Fuersten Karl von Rumaenien gemacht hat, dass die Souverainetaet zuweilen theuer werden kann." "Der Prinz Leopold," sagte Benedetti in gleichgueltig hingeworfenem Ton, indem ein schneller forschender Blick den Grafen Bismarck traf, "wuerde ja auch uebrigens, selbst wenn ein Beschluss der Cortes ihm die spanische Krone anbieten sollte, dieselbe niemals ohne Zustimmung und Erlaubniss des Koenigs annehmen koennen, da der Koenig als Chef des Hauses bei den Entschluessen des Prinzen die letzte Entscheidung hat." "Das ist nicht der Fall," sagte Graf Bismarck, "der Prinz wuerde in letzter Linie in seinen Entschluessen doch nur von seinem Vater abhaengen, und der Koenig wuerde sich gewiss enthalten, einen bestimmenden Einfluss ausueben zu wollen,--ganz gewiss aber wird er, wie ich wiederholen muss, nach meiner Ueberzeugung dem Prinzen nicht den Rath geben, ein so gefaehrliches und unsicheres Abenteuer zu wagen. Ich glaube uebrigens kaum," fuhr er fort, "dass man so bald zur Wahl eines Koenigs in Spanien gelangen wird; die Personen, welche dort gegenwaertig die Macht in Haenden halten,--vielleicht Prim noch mehr als Serrano--werden kaum wuenschen, durch die definitive Wahl eines Koenigs dem gegenwaertigen Zustand, bei welchem sie die Herren des Landes sind, ein Ende zu machen. Die ganze Sache hat nach meiner Ueberzeugung gar keine practische Bedeutung. Man hat ja frueher schon," fuhr er im leichten, gleichgueltigen Ton fort, "den Namen des Prinzen Friedrich Karl mit der spanischen Krone in Verbindung gebracht, vielleicht waere dieser Prinz, der ein so tapferer Officier und ein so energischer Charakter ist, noch eher im Stande dieses Abenteuer zu bestehen, als es vielleicht der Prinz Leopold sein moechte. Aber alle diese Dinge sind ja Conjecturen und scheinen mir so recht keinen eigentlichen Bestand zu haben." "Ich habe den ganzen Gegenstand auch nur erwaehnt," sagte Benedetti, "weil wir einmal auf das Gebiet politischer Conjecturen gekommen waren, zu denen auch die vorhin von Ihnen erwaehnte oesterreichisch-italienische Negociation gehoert." Graf Bismarck sah den Botschafter scharf und durchdringend an, dann neigte er mit hoeflicher Zustimmung den Kopf. "Ich freue mich also von Neuem constatiren zu koennen," sagte Benedetti, indem er aufstand, "dass in unsern internationalen Beziehungen kein Punkt existirt, welcher zu Unruhe oder Besorgniss Veranlassung geben koennte, und man wird sich," fuegte er laechelnd hinzu, "in London wohl ueberzeugen, dass auch ohne Entwaffnung zwei grosse Maechte in Frieden und Freundschaft neben einander leben koennen." "Das bewaffnete Deutschland," sagte Graf Bismarck, indem er Benedetti einige Schritte zur Thuer geleitete, "ist wenigstens fuer Niemand eine Drohung--als fuer Diejenigen, welche sich seiner naturgemaessen freien und nationalen Kraftentwickelung etwa entgegenstellen moechten." Benedetti verneigte sich, drueckte die dargebotene Hand des Minister-Praesidenten und ging hinaus. Graf Bismarck schritt einige Male langsam im Zimmer auf und nieder. "Es ist etwas im Werk," sagte er,--"dieser englische Entwaffnungsvorschlag beweist, dass man in London der Ruhe nicht traut, man muss dort irgend welche Winke haben, welche Besorgnisse einfloessen, und diese erneuete Erwaehnung der Candidatur des Prinzen Leopold, einer Sache, die ich laengst vergessen habe und deren fluechtigem und voruebergehendem Auftauchen im vorigen Jahre ich niemals eine ernste Bedeutung beilegen mochte--diese Mittheilungen ueber die geheime Negociation mit Italien und Oesterreich, welche nicht ganz aus der Luft gegriffen sein koennen, --es scheint, dass da wieder irgend einer jener verborgenen Schachzuege im Werke ist, denen ich mich seit 1866 unausgesetzt gegenueber befinde. Nun," sagte er, die Brust weit ausdehnend, "moegen sie ihre geheimen Combinationen machen, sie werden diesmal ebenso wenig zu einer ernsten Gefahr fuehren, als bisher. In Italien wird man sich wohl nicht so leicht entschliessen, die einzige Stuetze aufzugeben, welche man in Europa findet. Auch der gute Kaiser Napoleon, der immer aelter wird, moechte mit jedem Jahre immer weniger geneigt sein, sich den gefaehrlichen Chancen eines Krieges auszusetzen, den wir, wenn er einmal entbrannt ist," fuegte er mit dem Ausdruck eiserner Entschlossenheit hinzu, "bis auf's Messer wuerden fuehren muessen. Freilich," sagte er dann nachsinnend, "je schwaecher und willenloser er wird, um so leichter moechte es vielleicht der kriegerischen Coterie werden, ihn in eine unueberlegte Unternehmung hineinzuziehen. Die Schwaeche des Alters koennte bei ihm zu demselben Resultat fuehren, das bei Andern durch die Verwegenheit der Jugend hervorgebracht wird. Nun," sagte er mit ruhigem Ton, "ich arbeite mit aller Macht daran, den Frieden zu erhalten--wenn es aber nicht moeglich sein sollte--wir sind geruestet und koennen jeder Eventualitaet mit dem ruhigen Bewusstsein entgegensehen, dass wir gethan haben, was an uns ist, um allen Gefahren zu begegnen. Leider, leider," sagte er nach einer Pause, "kann ich noch immer nicht dahin kommen, klar und genau zu uebersehen, was unter dieser glatten Oberflaeche der franzoesischen Politik in den Tiefen gebraut und vorbereitet wird,--wie traurig, dass man nicht ueberall selbst sein kann und dass man gezwungen ist, durch fremde Augen zu sehen und mit fremden Ohren zu hoeren." Der Kammerdiener trat ein und ueberreichte dem Grafen ein Billet. "Ein Herr wuenscht Eurer Excellenz dringend angemeldet zu werden, er behauptet, dass Eure Excellenz ihn anhoeren wuerden, wenn Sie seinen Brief gelesen, und hat darauf bestanden, denselben sofort zu ueberreichen." Graf Bismarck oeffnete schnell das Billet. Voller Erstaunen las er die wenigen Zeilen, welche es enthielt. Dann spielte ein eigentuemliches Laecheln um seine Lippen und er sagte: "Fuehren Sie den Herrn herein." "Herr Salazar-y-Mazarredo, Deputierter in den Cortes," sprach er halblaut zu sich selbst, nachdem der Kammerdiener wieder hinausgegangen war, "hat mir einen Brief des Marschall Prim zu uebergeben? Der Name ist mir vollkommen unbekannt,--es muss eine ganz besondere Angelegenheit sein, dass der Marschall sich direct an mich ohne Vermittlung der spanischen Gesandtschaft wendet."-- Die Thuer oeffnete sich Graf Bismarck trat mit artiger Hoeflichkeit, aber in gemessener, kalter Haltung einem noch jungen, eleganten Mann entgegen, dessen regelmaessiges Gesicht mit dunklem, schwarzem Haar und schwarzen lebhaften Augen den Typus der Suedlaender trug. Der Eintretende verneigte sich tief vor dem Minister und zog einen versiegelten Brief aus der Tasche seines Fracks. "Der Marschall Prim," sagte er in franzoesischer Sprache, "hat mir den ehrenvollen Auftrag ertheilt, Eurer Excellenz dies Schreiben zu ueberreichen." Graf Bismarck nahm den Brief, welchen der junge Mann ihm darbot, liess einen fluechtigen Blick ueber das Siegel und die Aufschrift gleiten und deutete dann mit der Hand auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. "Sie erlauben," sagte er, indem er sich niederliess,--er oeffnete das Siegel und las langsam das Schreiben, doch ohne dass in seinem Gesicht eine Spur des Eindrucks bemerkbar wurde, den der Inhalt auf ihn machte. Als er zu Ende gelesen, faltete er den Brief wieder zusammen und sah einen Augenblick den ihm gegenueber sitzenden jungen Mann scharf an. "Ist Ihnen der Inhalt des Schreibens des Marschalls bekannt, mein Herr?" fragte er. "Der Marschall hat die Guete gehabt, mir denselben mitzutheilen," erwiderte Herr Salazar-y-Mazarredo. "Er hat geglaubt, in dieser delicaten Angelegenheit sich zunaechst ganz persoenlich an Eure Excellenz wenden zu muessen, um Ihre ebenfalls persoenliche Ansicht zu hoeren, bevor in der Sache officielle Schritte geschehen. Der Marschall ist ueberzeugt," fuhr er fort, waehrend Graf Bismarck ruhig und unbeweglich zuhoerte, "dass der Abschluss der Revolution, in welcher sich Spanien gegenwaertig befindet, nur durch die Wiederherstellung der Monarchie moeglich ist und zwar unter einem Koenige, welcher durch jugendliche Kraft und Intelligenz die Schwierigkeiten der Lage zu ueberwinden im Stande ist und welcher zugleich durch seine persoenliche Stellung die Achtung und Sympathie des spanischen Volkes gewinnen kann, ohne mit irgend einer der im Lande bestehenden und mit den verschiedenen Praetendenten zusammenhaengenden Partheien in irgend welcher Verbindung zu stehen. Der Marschall hat geglaubt, einen solchen Fuersten, der alle diese Eigenschaften in sich vereinigt, in der Person des Erbprinzen von Hohenzollern zu finden und wuerde diese Combination um so lieber zur Ausfuehrung gebracht sehen, als dadurch die hohe Achtung, welche er fuer Deutschland, fuer den Koenig Wilhelm und Eure Excellenz hegt, ebenso wie der Wunsch mit Preussen und Deutschland in freundschaftlichen Beziehungen zu stehen, thatsaechlichen Ausdruck faende. Der Marschall glaubt, dass es leicht sein wuerde, die Cortes zur Wahl des Prinzen Leopold zu bestimmen. Doch wuenscht er nicht eher einen Schritt dazu zu thun, bevor er nicht die Ueberzeugung gewonnen hat, dass Eure Excellenz diesen Plan billigen und dass der Koenig demselben seine Zustimmung geben wuerde." Graf Bismarck blickte einen Augenblick schweigend vor sich hin. "Es ist eine eigenthuemliche Frage, welche Sie da an mich richten, mein Herr," sagte er dann. "Ich erkenne dankbar die Gesinnungen des Marschalls gegen Deutschland und gegen mich an, welche ihn zu dieser Frage veranlassen, jedoch muss ich aufrichtig gestehen, dass ich um die Antwort etwas verlegen bin. Es kann ja nur ehrenvoll fuer meine Nation sein, wenn das spanische Volk einem deutschen Fuersten vertrauungsvoll die Leitung seiner Geschicke in die Hand legen wollte, indess wird es mir sehr schwer, darueber namentlich in dem gegenwaertigen Stadium der Sache irgend eine bestimmte Meinung auszusprechen. Zunaechst wuerde doch der Entschluss und die Neigung des Prinzen Leopold in erster Linie massgebend sein. So schmeichelhaft nun auch fuer diesen Prinzen ein solcher Auftrag sein muss, so werden Sie mir doch auch zugeben, dass er durch ein Eingehen auf denselben, falls er wirklich gestellt werden sollte, eine ungeheuere Verantwortlichkeit auf sich ladet und sich moeglicher Weise grossen Gefahren und Schwierigkeiten aussetzt. Ob er das wagen will, ist seine Sache, und es wuerde unter Umstaenden darueber von Ihnen mit dem Prinzen direct verhandelt werden muessen." "Der Marschall wuenscht aber auch zu gleicher Zeit Eurer Excellenz und des Koenigs Ansicht darueber zu wissen." "Was zunaechst die meinige betrifft, so muss ich Ihnen aufrichtig sagen, dass ich der in Rede stehenden Combination eine politische Bedeutung kaum beizulegen vermag. Der Prinz Leopold ist ein ritterlicher, ehrenhafter Charakter--wuerde er je in die Lage kommen, die ihm angebotene Krone Spaniens anzunehmen. So bin ich fest ueberzeugt, dass er von dem Augenblick an sich mit allen Interessen der spanischen Nation identificiren und dass es sein aufrichtiges Bestreben sein wuerde, ganz und gar Spanier zu werden. Die Wahl des Prinzen wuerde kaum auf die Beziehungen zwischen Spanien und Deutschland,--von denen ich ebenso wie der Marschall wuensche, dass sie stets die freundschaftlichsten und besten bleiben moegen--irgend welchen Einfluss ueben koennen. Ich wuerde also auch kaum in der Lage mich befinden, als preussischer Minister dem Prinzen irgend einen Rath nach der einen oder der andern Seite zu geben-- Wenn ich nun schon," fuhr er fort, "mir eine absolute Zurueckhaltung auflegen zu muessen glaube, so scheint es mir, dass Seine Majestaet der Koenig, mein allergnaedigster Herr, noch mehr einer jeden Einwirkung auf die Entschluesse des Prinzen sich zu enthalten Veranlassung hat. Seine Majestaet ist allerdings der oberste Chef des Gesammthauses Hohenzollern, indess ist Prinz Leopold nicht preussischer Prinz und mit der koeniglichen Familie nicht verwandt, in rein persoenlichen Angelegenheiten wuerde also der Koenig zunaechst dem Prinzen und dessen Vater die voellig freie Entscheidung ueberlassen muessen. Wenn Seine Majestaet daher eintretenden Falles keine Veranlassung haben wuerde, etwaigen Neigungen des Prinzen zur Annahme der ihm anzubietenden spanischen Krone entgegen zu treten, so kann Seine Majestaet doch noch viel weniger ihm irgendwie den Rath ertheilen, ein so verantwortungs- und gefahrvolles Unternehmen zu versuchen. Ich finde mich daher nicht im Stande, im gegenwaertigen Augenblicke meinerseits die Sache dem Koenige vorzulegen,--wuerde dieselbe eine festere Gestalt annehmen und an den Prinzen durch eine spanische Autoritaet herantreten, so wuerde es immer die Sache des Prinzen selbst und seines Vaters sein, ihre Entschluesse Seiner Majestaet zu unterbreiten und des Koenigs Meinung darueber einzuholen." "Eure Excellenz," sagte Herr Salazar-y-Mazarredo, der durch die ruhige und bestimmte Erklaerung des Grafen Bismarck ein wenig niedergedrueckt zu sein schien, "wuerden also der Idee des Marschalls persoenlich Nichts entgegen zu setzen haben?" "Wie koennte ich das!" erwiderte Graf Bismarck,--"es kann ja nur, wie ich wiederhole, ehrenvoll fuer Deutschland und fuer das Haus Hohenzollern sein, wenn die spanische Nation einen Prinzen dieses Hauses zu ihrem Koenig erwaehlt. Politische Gruende _dagegen_," fuhr er fort, "kann ich als preussischer Minister ebenso wenig haben, als ich, wie ich ebenfalls bestimmt wiederholen muss, mich irgend wie _dafuer_ auszusprechen im Stande bin. Doch bin ich," fuhr er fort, "dem Marschall sehr dankbar fuer das persoenliche Vertrauen, welches er mir durch die Mittheilung seiner Idee zu beweisen die Guete gehabt hat." Er schwieg. Der spanische Deputirte schien das Gespraech nicht fuer beendet ansehen zu wollen. "Wuerden Eure Excellenz die Guete haben," sprach er, "Ihre Ansicht ueber die Sache--Ihre persoenliche Ansicht dem Marschall in Beantwortung seines Schreibens mitzutheilen?" Graf Bismarck spielte einige Augenblicke nachdenklich mit dem Brief, der vor ihm auf dem Tische lag. "Ich glaube," sagte er, "dass ich mich deutlich und klar ausgesprochen habe, und Sie werden gewiss die Guete haben, dem Marschall meine Worte zu wiederholen." "Ich glaube, Eurer Excellenz Erklaerung genau und richtig aufgefasst zu haben," erwiderte Herr Salazar-y-Mazarredo, "doch bin ich ueberzeugt, dass der Marschall besonderen Werth darauf legen wuerde, meine Mittheilungen durch ein Antwortschreiben von Eurer Excellenz selbst bestaetigt zu sehen." Abermals dachte Graf Bismarck einige Augenblicke nach. "Sie werden begreifen," sagte er, "dass eine gewisse Schwierigkeit fuer mich darin liegt, mich ueber eine Angelegenheit, welche, wie ich zu bemerken mir erlaubte, nach meiner Auffassung mit der Politik Preussens und Deutschlands Nichts zu thun hat, in einer Weise auszusprechen, welcher bei meiner Stellung doch immerhin eine Art von offizieller Bedeutung beigelegt werden koennte. Jedenfalls muesste ich die Sache nach allen Richtungen hin noch sehr reiflich ueberlegen, bevor ich den Brief des Marschalls beantworten koennte, und ich muss gestehen, dass ich dringend wuensche, der ganzen Sache so lange vollkommen fern zu bleiben, bis dieselbe etwa eine klar fassbare Gestalt annimmt und auf direct officiellem Wege an mich gelangt. Ich moechte unter diesen Umstaenden," fuegte er artig hinzu, "Sie nicht zu einem laengeren Aufenthalt in Berlin veranlassen und den Marschall bitten, mir zu einer eingehenden Ueberlegung Zeit zu lassen. Ich bin ueberzeugt, dass der Marschall die Gruende vollkommen verstehen und billigen wird, welche mich bestimmen muessen, meine Antwort noch zurueckzuhalten, um so mehr, da bei den Beziehungen persoenlichen Vertrauens, in denen Sie, mein Herr, jedenfalls zu ihm stehen, Ihre Mittheilungen ja vollstaendig die Stelle einer direkten Antwort ersetzen werden." Er verneigte sich mit einer Miene, welche bestimmt andeutete, dass die Unterredung zu Ende sei. Herr Salazar-y-Mazarredo erhob sich, indem auf seinen Zuegen eine sichtbare Enttaeuschung bemerkbar wurde. "Ich bitte Sie nochmals," sagte Graf Bismarck, "dem Marschall den Ausdruck meiner Dankbarkeit fuer sein Vertrauen und die Versicherungen meiner aufrichtigen Hochachtung und Ergebenheit zu ueberbringen. Ich habe mich herzlich gefreut," fuegte er mit verbindlicher Artigkeit hinzu, "bei dieser Gelegenheit Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben." "Eure Excellenz werden Nichts dagegen haben," sagte Herr Salazar-y-Mazarredo, "dass ich Schritte thue, um mich ueber die persoenlichen Ansichten des Prinzen Leopold zu unterrichten." "Da der persoenliche Entschluss des Prinzen, wie ich schon bemerkt habe, in erster Linie in Betracht kommt," sagte Graf Bismarck kalt und ruhig, "so scheint es mir in der Natur der Sache zu liegen, dass Sie nach dieser Richtung hin sich informiren. Uebrigens," fuegte er hinzu, "wird es ganz und gar, wie mir scheint, Ihre Aufgabe sein, die Auftraege auszufuehren, welche der Marschall Ihnen gewiss auch in dieser Beziehung ertheilt hat." Herr Salazar-y-Mazarredo verliess mit tiefer Verbeugung das Cabinet. "Es ist also doch Etwas im Gange," sagte Graf Bismarck, indem er sich wieder vor seinen Schreibtisch setzte,--"aber was kann dieser Sache zu Grunde liegen--warum diese einseitige und vertrauliche Anfrage des Marschall Prim? Fast scheint es, als sollte da Etwas hinter dem Ruecken von Serrano und der uebrigen Regierung gemacht werden, Prim wuerde bei seinen besonderen Beziehungen zum Kaiser Napoleon kaum eine solche Sache einfaedeln, wenn er nicht glaubte, demselben dadurch angenehm zu werden,--der Prinz von Hohenzollern ist mit dem Kaiser verwandt," sagte er nachsinnend mit leiser Stimme--"die Candidatur des Herzogs von Montpensier muss dem Kaiser tief verhasst sein,--sie koennte ihm unter Umstaenden gefaehrlich werden;--sollte die erneuete Anregung dieser Combination damit zusammenhaengen? "Nun,"--rief er nach laengerem, schweigendem Nachdenken,--"einmal muss die grosse Krisis dieser langsam schleichenden Krankheitszustaende doch ausbrechen,--und wenn ich sie mit noch so grosser Muehe und Vorsicht fortwaehrend wieder zu beschwoeren versuche!--Vielleicht waere es ein Glueck, wenn die Entscheidung bald kaeme,"--sagte er ernst,--"wenn sie kaeme, so lange ich noch in voller Kraft an der Spitze der Geschaefte stehe,--denn wenn in dieser Krisis mit halben Entschluessen und mit halben Mitteln operirt wird,--dann muss die Zukunft Deutschlands auf lange hinaus, vielleicht auf immer verloren sein.--Ich," rief er flammenden Blickes, indem eine eiserne Energie aus seinen Zuegen leuchtete--"ich wuerde nicht zurueckweichen, ich wuerde die Aufgabe erfassen mit der vollen Kraft, deren sie bedarf,--und--ich fuehle es,--ich wuerde siegen! "O," sagte er dann schmerzlich, "warum ist die Zukunft unserem Blick verborgen,--warum koennen wir nicht eine Ecke jenes undurchdringlichen Schleiers lueften, der das Morgen vor unsern Blicken verbirgt? "Wie viele ringende und kaempfende Geister," sagte er leise, die gefalteten Haende leise vor sich auf den Tisch stuetzend, "haben vor mir diese brennende Frage an die Vorsehung gerichtet,--wie viele werden sie nach mir aussprechen, um dieselbe Antwort zu erhalten--das ewige Schweigen! "Und doch," sprach er, den ruhigen klaren Blick aufschlagend, mit einem weichen Laecheln, das seinen festen strengen Zuegen einen eigenthuemlichen Ausdruck gab, dessen man dieses eherne Gesicht kaum fuer faehig gehalten haette, "doch giebt es eine Antwort, die durch lange Jahrhunderte so vielen zweifelnden und bangenden Herzen Frieden, Muth und Zuversicht gebracht hat--einfach, gross und erhaben wie Der, dessen Lippen sie zuerst sich entrang--Herr, nicht mein sondern Dein Wille geschehe!" Er neigte einen Augenblick das maechtige Haupt auf die Brust, dann erhob er sich, immer mit dem Ausdruck laechelnder Ruhe und Klarheit auf seinen Zuegen, nahm seinen Hut, stieg in den grossen Garten des auswaertigen Amtes hinab und ging mit grossen Schritten unter den hohen noch winterlich kahlen Baeumen in tiefen Gedanken und oft leise Worte vor sich hinsprechend auf und nieder. Drittes Capitel. In einem grossen Zimmer des Hotels zur Sonne in St. Dizier waren dreissig bis vierzig von den hannoeverschen Emigranten versammelt, theils ganz junge Maenner, theils aeltere Leute, deren Mienen und Haltung man die gedienten Militairs ansah. Sie Alle standen in Reihen an der einen Seite des Zimmers und blickten ernst und finster nach dem Tisch hin, an welchem der Major von Adelebsen, der Ordonnanzofficier des Koenigs Georg, sass und auf welchem Actenpackete und eine Anzahl von Bankbillets und Goldrollen lagen. Neben dem Major von Adelebsen sass der fruehere Lieutenant de Pottere, ein junger Mann mit dichtem, sorgfaeltig frisirtem Haar, welches tief in die auffallend niedrige Stirn herabreichte, mit grossen, etwas starr blickenden Augen und einem starken blonden Schnurrbart auf der Oberlippe des Mundes, um welchen ein gleichgueltig stereotypes Laecheln spielte. Der Lieutenant de Pottere hatte eine Namensliste der Emigranten vor sich und hielt eine Feder in der Hand bereit, die Proceduren des Majors von Adelebsen zu protocolliren. "Unterofficier Ruehlberg!" rief Herr von Adelebsen, indem er den etwas unsicheren Blick seines Auges ueber die Emigranten hingleiten liess. In militairischer Haltung trat der Unterofficier an den Tisch heran. "Ich habe Sie nunmehr aufzufordern," sagte Herr von Adelebsen, "zur Erklaerung darueber, was Sie ueber Ihre Zukunft beschlossen haben. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie die Ihnen zustehende Pension von Seiner Majestaet erhalten koennen oder aber eine einmalige Abfindungssumme, wenn Sie das vorziehen. Geben Sie mir Ihre Erklaerung, wohin Sie nachher zu gehen beabsichtigen." "Ich bitte, mich ein fuer allemal abzufinden, Herr Major," erwiderte der Unterofficier, "ich will mit einer Anzahl meiner Kameraden nach Algier gehen, um dort unser Glueck in einer Colonie zu versuchen." "Sie wollen nach Algier gehen?" fragte Herr von Adelebsen ein wenig befremdet, "Sie wissen doch, dass Seine Majestaet eine Niederlassung in Algier nicht fuer zweckmaessig erachten koennen, und dass Allerhoechstdieselben befohlen haben, den Legionairen von einer Auswanderung nach Algier abzurathen." "Zu Befehl, Herr Major," erwiderte der Unterofficier, "Herr Minister von Muenchhausen hat uns das auseinandergesetzt und uns dabei zugleich gerathen, nach Hannover zurueckzukehren, und," fuegte er mit einer gewissen Bitterkeit hinzu, "die Strafe, die man uns vielleicht dictiren wuerde, ruhig abzusitzen. Ich bin ganz ueberzeugt," fuhr er fort, "dass Seine Majestaet die besten Absichten mit uns hat, und dass Er nach den Berichten, die man ihm erstattet hat, ueberzeugt ist, dass eine Colonie in Algier uns keinen Vortheil bringen koenne. Aber ich muss Ihnen sagen, Herr Major, dass ich durchaus keine Lust habe, nach der Heimath zurueckzukehren, um mich dort einsperren zu lassen. Wenn Seine Majestaet uns eine Amnestie wuerde verschaffen koennen, so waere es etwas Anderes. Unter diesen Umstaenden muss ich aber dabei bleiben zu versuchen, meine Zukunft auf meine eigene Kraft zu gruenden; und ich bleibe daher bei meiner Erklaerung, dass ich nach Algier gehen will und bei meiner Bitte, mir die Abfindungssumme auszuzahlen." "Wenn aber doch Seine Majestaet," sagte der Lieutenant de Pottere mit einer etwas naeselnden Stimme, "eine solche Colonie nicht fuer zweckmaessig haelt--" "Der Herr Major," fiel der Unteroffizier ein, "haben uns gesagt, dass wir die voellig freie Entschliessung haetten, unsere Zukunft einzurichten, wie wir wollten. Ich habe mir die Sache reiflich ueberlegt und bleibe dabei, dass ich nach Algier gehen will. Vorzueglich," fuhr er fort, "moechte ich ein fuer allemal abgefunden sein, wohin ich mich dann wende, kann und wird ja uebrigens Seiner Majestaet ganz gleichgueltig sein." "Es ist Seiner Majestaet gewiss nicht gleichgueltig," sagte Herr von Adelebsen mit sanfter Stimme, "wie sich die Zukunft seiner frueheren Soldaten gestaltet, und deshalb--" "Darf ich bitten, Herr Major," fiel der Unterofficier, sich in strammer Haltung aufrichtend, ein, "meine Erklaerung zu Protocoll nehmen zu lassen? Mein Entschluss steht unwiderruflich fest." Herr von Adelebsen gab dem Lieutenant de Pottere einen Wink. Dieser schrieb die Erklaerung des Unterofficiers nieder und der Major zaehlte die Abfindungssumme in Banknoten und Zwanzigfrankstuecken ab und haendigte sie dem Unterofficier ein, der mit vorsichtiger Sorgfalt seinen Namen unter die ihm vorgelegte Quittung setzte und dann zu den Uebrigen zuruecktrat. "Dragoner Cappei!" rief Herr von Adelebsen. Der junge Mann trat heran. "Ihre Erklaerung?" fragte Herr von Adelebsen. "Ich wuensche, nach Hannover zurueck zu gehen," sagte Cappei. "Sie sind militairpflichtig gewesen," sagte Herr von Adelebsen. "Haben Sie es sich ueberlegt, dass man Sie vielleicht bestrafen und in die preussische Armee einstellen wird? Es laege vielleicht, wenn Sie sich dieser Gefahr nicht aussetzen wollen, in Ihrem Interesse, wie sich viele andere Ihrer Kameraden bereits entschlossen haben, nach Amerika zu gehen--" "Ich danke, Herr Major," erwiderte Cappei ruhig, "ich bin entschlossen, zu tragen, was mir in Hannover widerfahren wird, und will in die Heimath und zu meiner Familie zurueckkehren." Er empfing die ihm zukommende Summe Geldes, der Lieutenant de Pottere protocollirte seine Erklaerung und Cappei trat zurueck. Einer nach dem Andern aus der Reihe der Emigranten wurde aufgerufen, Zwei oder Drei erklaerten, dass sie nach Amerika gehen wollten, alle Uebrigen sprachen den Entschluss aus, mit dem Unterofficier Ruehlberg nach Algier auszuwandern. "Ich muss Sie Alle nochmals darauf aufmerksam machen," sagte Herr von Adelebsen, "dass, wie ich bereits dem Unterofficier bemerkt habe, Seine Majestaet nicht glauben koenne, dass Sie in Algier Ihre kuenftige Wohlfahrt finden. Sie werden dort in einem fremden Lande ohne Huelfsmittel und ohne Unterstuetzung sein und es vielleicht bereuen, dass Sie sich zu einem solchen Entschluss haben beeinflussen lassen." "Niemand hat uns beeinflusst!" riefen Mehrere der Emigranten. "Wir haben selbst schon lange ehe unsere Officiere mit uns ueber die Colonie gesprochen haben, den Gedanken gefasst, wenn der Koenig uns nicht mehr erhalten koennte, uns in Algier eine Zukunft zu gruenden." "Ich muss aber ausdruecklich bemerken," sagte Herr von Adelebsen, "dass Seine Majestaet mir befohlen haben, ganz bestimmt zu erklaeren, dass Diejenigen, welche nach Algier gehen, niemals auf irgend eine Unterstuetzung von seiner Seite zu rechnen haben. Bedenken Sie, was es heisst, in einem ganz fremden Lande unter unbekannten Verhaeltnissen sich eine Existenz zu gruenden." "Wir werden im fremden Lande," rief der Unterofficier Ruehlberg, einen Schritt vortretend, "immer noch Menschen finden, die uns mit Rath und That beistehen und Gefuehl fuer Leute haben, welche ihrem Koenig im Unglueck treu geblieben sind,--wir haben freilich nicht geglaubt, dass es so kommen wuerde, denn dann wuerden wir wohl kaum die Heimath verlassen haben, und was die Bemerkung betrifft, die der Herr Major so eben gemacht haben, so koennen Sie ganz ruhig sein, Niemand von uns wird kuenftig die Unterstuetzung der Kasse Seiner Majestaet in Anspruch nehmen. Jedenfalls werden wir immer noch besser in Algier daran sein, wo uns wenigstens die franzoesische Regierung freundlich entgegenkommt, als wenn wir ueber das weite Meer nach Amerika hinzoegen, wo wir ohne alle Huelfe sterben und verderben koennen." "In Amerika waeren wir freilich weiter fort," rief eine Stimme aus den Reihen, "und wenn wir Alle dort waeren, so waere man doch sicher, dass Niemand von uns der koeniglichen Kasse zur Last faellt." Der Major warf einen schnellen Blick von unten herauf nach der Gegend, woher diese Stimme erschallt war. Der Lieutenant de Pottere drehte seinen Schnurrbart und sagte: "Sie muessen ruhig sein und nicht durcheinander sprechen." "Ich glaube, wir sind abgefunden," rief es aus den Reihen, "und haben hier nichts mehr zu thun, gehen wir." Und sich kurz umwendend, verliessen sie Alle das Zimmer, indem sie den Refrain des alten hannoeverschen Soldatenliedes anstimmten: "Lustige Hannoveraner seien wir." Herr von Adelebsen und der Lieutenant de Pottere packten die Papiere und das uebrig gebliebene Geld zusammen und zogen sich stillschweigend in ihre Zimmer zurueck. "Nun Cappei," sagte der Unterofficier Ruehlberg zu dem jungen Dragoner, welcher schweigend und gedankenvoll mit den Uebrigen die Treppe hinabstieg, "wollt Ihr Euch nicht noch eines Bessern besinnen und mit uns nach Algier gehen. Denkt doch, wie schoen es ist, wenn wir Alle zusammen bleiben und unser Dorf nach althannoeverscher Manier einrichten, da koennen wir es doch noch zu Etwas bringen, ein freies und selbststaendiges Leben fuehren und an die alte Heimath zurueckdenken, wie sie frueher war." "Es thut mir leid, Euch zu verlassen," sagte Cappei,--"aber unsere Sache ist zu Ende, das alte Hannover ist fuer immer versunken. Was hilft es dem Einzelnen, gegen den Weltlauf anzukaempfen--ich liebe meine Heimath, und die Heimath bleibt ja doch dieselbe, mag nun dieser oder jener Koenig, dieses oder jenes Gesetz herrschen." "Nun, geht hin," sagte der Unterofficier, "Ihr werdet es noch bereuen, aber Verliebten ist keine Vernunft zu predigen. Ihr kommt doch heute Abend noch zu uns, wir wollen noch einmal lustig zusammen sein; in dieser Nacht noch wollen wir nach Marseilles reisen, um uns nach Algier einzuschiffen. Wir haben unsere Empfehlung an den Praefecten dort, und das Comite, welches unsere Officiere in Paris bilden, wird dafuer sorgen, dass wir von dort aus gut empfohlen werden. Tuechtige und rechtliche Leute, die arbeiten koennen, kann man ueberall brauchen, und wir werden unsern Weg schon machen." Die Emigranten zogen ueber den Marktplatz von St. Dizier, von den ihnen begegnenden Buergern freundlich begruesst, nach dem Restaurant hin, in welchem sie sich gewoehnlich zu versammeln pflegten. Der junge Cappei trennte sich an der Ecke des Marktplatzes von ihnen und schritt langsam dem Hause des Holzhaendlers Challier zu. Er ging ueber den grossen Hof und trat durch den Flur in das Wohnzimmer des Hauses, in welchem er so lange als ein freundlich empfangener Gast aus- und eingegangen war, und von welchem er sich nun trennen sollte, um den Kampf mit einer ungewissen Zukunft aufzunehmen. Der alte Herr Challier sass allein in seinem Lehnstuhl, die so eben ausgegebene Zeitung des kleinen Orts lesend. Er legte bei dem Eintritt des jungen Mannes das Blatt aus der Hand, erhob sich und trat ihm mit herzlichem Gruss entgegen. "Alles ist abgemacht, Herr Challier," sagte Cappei in ziemlich reinem, aber im deutschen Accent anklingenden Franzoesisch, "die Legion ist aufgeloest, wir sind Alle frei und koennen hingehen, wohin wir wollen. Und alle diese Kameraden, die nun drei Jahre lang Freud und Leid mit einander getheilt haben, werden sich wohl schwerlich jemals wieder zusammenfinden." "Das ist recht traurig," sagte der alte Herr Challier, langsam den Kopf schuettelnd. "So ist also die Sache Ihres Koenigs aufgegeben,--das thut mir aufrichtig leid, denn ich habe immer so viel Sympathie fuer sein Schicksal und fuer Sie Alle gehabt; und wir Buerger von St. Dizier nehmen gewiss ganz besondern Antheil an Allem, was den Koenig betrifft, seit er unserer Stadt die Ehre erzeigt hat, der Pathe des Kindes eines unserer Mitbuerger zu sein. Ich bin ein alter Bragars," sagte er, indem seine dunklen Augen in lebhaftem Feuer aufleuchteten, "und ich haette mich von Herzen gefreut, wenn ich Sie haette ausziehen sehen koennen, um fuer Ihren Koenig und sein Recht zu fechten,--das Schicksal geht seinen eigenen Weg,--es hat nicht sein sollen. Wir verlieren alle liebe Freunde mit ihnen," fuhr er fort, "und mir wird es in meinem Hause recht leer vorkommen, wenn ich Sie nicht mehr sehe. Haben Sie Ihren Entschluss fest gehalten," fragte er, "nach Ihrem Vaterlande zurueckzukehren?--Ich wuerde mich kaum dazu entschliessen koennen," sagte er, "wenn ich mich in Ihre Lage denke, in einem Lande zu leben, in welchem eine fremde Herrschaft alle Erinnerungen an eine ruhmvolle Vergangenheit begraben hat." Ernst erwiderte der junge Mann: "Es liegt fast ein Vorwurf in Ihren Worten fuer mich, Herr Challier, und doch kann ich nicht anders handeln.--Sie sind Franzose und wenn es moeglich waere, dass Ihr Vaterland ein Schicksal traefe wie das meinige, so wuerde Ihr Gefuehl natuerlich sein. Bei mir, da ist es etwas Anderes, Hannover ist ein kleines Land, ein kleiner Theil jenes grossen Deutschlands, das ja doch das gemeinsame Vaterland fuer uns Alle ist. Wir Hannoveraner lieben unsere Eigenart und Selbstaendigkeit, wir haben mit fester Treue an den Fuersten gehangen, die so lange ueber uns geherrscht haben. Wir beklagen und empfinden tief den Verlust unserer Selbststaendigkeit, aber wir sind doch immer nur ein Glied des Ganzen,--die neue Regierung, welche ueber uns herrscht, ist ja auch eine deutsche, und Deutsche bleiben wir auch unter den neuen Verhaeltnissen. Sollen wir uns darum von dem grossen ganzen Vaterlande ausschliessen, weil wir nicht weiter leben koennen, wie wir es bisher gewohnt waren? Fuer das Recht unseres Koenigs konnten wir kaempfen, wenn der Koenig aber dies Recht aufgiebt, wie koennten wir in ungewoehnlichem Hass den andern Deutschen gegenueber stehen! Uebrigens," fuhr er fort, "werde ich vielleicht nicht immer in meiner Heimath bleiben, nachdem ich meine Verhaeltnisse dort geordnet und meine Stellung klar gemacht habe,--und darueber," fuegte er etwas zoegernd hinzu, "moechte ich mit Ihnen, Herr Challier, bevor ich scheide, noch ein ernstes Wort sprechen. Sie haben mich mit vaeterlicher Guete aufgenommen, ich will Ihnen klar und ohne Rueckhalt meine Gedanken ueber die Zukunft mittheilen. Billigen Sie dieselben nicht," sagte er seufzend, "so werde ich meine Plaene aendern und Hoffnungen aufgeben, welche mir die liebsten und schoensten sind." Herr Challier blickte ihn ein wenig erstaunt an und sagte im herzlichen Ton: "Sie wissen, mein junger Freund, dass mein Rath und meine Erfahrung, wenn ich Ihnen mit denselben nuetzen kann, Ihnen stets zu Gebote stehen." Er setzte sich in seinen Lehnstuhl und lud den jungen Mann ein, in einem Sessel neben ihm Platz zu nehmen. Dieser jedoch blieb vor dem alten Herrn stehen, senkte einen Augenblick nachdenkend den Kopf, wie um seine Gedanken zu ordnen, und sprach dann mit bewegter Stimme: "Sie haben mich kennen gelernt, Herr Challier, als heimathlosen Fluechtling, und dennoch haben Sie mir freundlich Ihr Haus geoeffnet. Sie haben mich in den Kreis Ihrer Familie aufgenommen und ich darf annehmen, dass Sie Vertrauen zu mir haben, obgleich Sie nie vorher Etwas von mir gehoert, obgleich Sie nicht wissen, woher ich stamme und welches meine Vergangenheit war." "Ich habe Ihnen vertraut," erwiderte Herr Challier, "weil Sie hergekommen sind als der Diener eines edlen und ungluecklichen Fuersten. Man dient dem Unglueck nicht, wenn man nicht ein edles und treues Herz hat, darum habe ich Sie aufgenommen, wie man einen braven und rechtschaffenen Mann aufnimmt, und," fuegte er mit der den Franzosen so eigentuemlichen Hoeflichkeit des Herzens hinzu, "ich habe mich in meinem Urtheil und meinem Vertrauen nicht getaeuscht, denn nun Sie uns verlassen, fuehle ich, dass ein Freund von uns scheidet." "Ich gehe in mein Vaterland zurueck," erwiderte Cappei, "um so bald es mir moeglich ist, wieder vor Sie hintreten zu koennen, nicht mehr als der heimathlose Unbekannte, sondern als ein Mann, der Ihnen nachweisen kann, woher er stammt, was er war und was er ist, als ein Mann, der einen, wenn auch kleinen, aber sichern Besitz hat, und der es darum wagen kann, Ihnen eine Bitte auszusprechen, von der sein ganzes Lebensglueck abhaengt,--die Bitte," fuegte er mit zitternder Stimme hinzu, "mir das Schicksal Ihrer Tochter Luise anzuvertrauen, welche ich liebe mit aller Waerme und Treue, die das Erbtheil unseres Stammes sind--deren Glueck ich alle Kraft meines Lebens widmen werde und ohne welche meine Zukunft oede und freudlos sein wuerde." Der alte Herr Challier hatte ruhig und ernst zugehoert. Sein Auge ruhte einen Augenblick mit liebevoller Theilnahme auf dem jungen Mann; dann sprach er mit milder freundlicher Stimme: "Ich habe Ihnen gesagt, Herr Cappei, dass ich volles Vertrauen zu Ihnen habe, dass ich Sie fuer einen Ehrenmann halte,--daraus folgt, dass ich, was Ihre Person betrifft, keine Bedenken trage, Ihnen das Glueck meiner Tochter anzuvertrauen,--ich bin nicht reich," fuhr er fort, "aber ich habe nur die einzige Tochter und besitze genug, um ihr, auch wenn die Wahl ihres Herzens auf einen armen Mann faellt, eine sichere Existenz begruenden zu koennen. Ob Sie Vermoegen besitzen oder nicht, ist deshalb nicht entscheidend fuer die Beantwortung Ihrer Frage, aber," fuhr er fort, "die Grundlage einer sorgenfreien Existenz fuer die Zukunft meiner Tochter liegt in dem Geschaeft, das ich hier betreibe. Wuerde ich es verkaufen, so wuerde der Kaufpreis in Geld nicht den Werth repraesentiren, den es in der Hand eines geschickten und fleissigen Mannes hat. Deshalb habe ich stets den Wunsch gehegt, dass der Mann, den meine Tochter einst sich zum Gefaehrten ihres Lebens erwaehlt, mein Geschaeft fortsetzt. Ich fuehle es vollkommen," fuhr er fort, "was es heisst, sein Vaterland zu verlassen,--aber in Ihrer Heimath sind die Verhaeltnisse so veraendert, und die jetzigen Zustaende koennen Ihnen so wenig erfreulich sein, dass es vielleicht Ihren eigenen Wuenschen entsprechen koennte, hierher zurueck zu kommen. Haben doch auch viele meiner Landsleute Frankreich verlassen und in Deutschland eine neue Heimath gefunden, warum sollten Sie nicht in unserer Mitte auch Ihre kuenftige Heimath begruenden koennen? Koennten Sie diesen meinen sehnlichsten Herzenswunsch erfuellen, so wuerde ich kein Bedenken hegen, die Zukunft meines Kindes Ihnen anzuvertrauen, vorausgesetzt, dass meine Tochter die Gefuehle theilt, welche Sie fuer sie hegen,--worueber Sie," fuegte er laechelnd hinzu, "vielleicht ein wenig unterrichtet sind." "Ich glaube," sagte Cappei mit leiser Stimme, "dass Fraeulein Luise mir nicht abgeneigt ist--" Die Thuer oeffnete sich, die Tochter des Herrn Challier trat ein. Sie hatte eine Freundin besucht und trug einen einfachen kleinen Hut, mit Rosenknospen garnirt, und ein leichtes Tuch um die Schultern. Ihr frisches Gesicht war vom Gang leicht geroethet, ihre glaenzenden Augen richteten sich einen Augenblick wie fragend auf ihren Vater und auf den jungen Hannoveraner. Sie eilte auf den alten Herrn zu, bot ihm mit anmuthiger Bewegung ihre Wange zum Kuss dar und reichte dann Cappei mit freundlichem Gruss die Hand. "Du kommst eben recht," sagte Herr Challier, "um eine Frage zu beantworten, welche ich soeben an unsern jungen Freund hier richtete, und ueber welche er sich ganz klar auszusprechen zu scheuen schien." Luise blickte zuerst verwundert auf, ihr Auge suchte das ihres Geliebten,--sie schien zu verstehen, um was es sich handelte, und senkte tief erroethend den Kopf auf die Brust nieder. "Herr Cappei," sagte der alte Herr, "hat mir soeben mitgetheilt, dass er, wenn seine Angelegenheiten in seiner Heimath geordnet sein werden, zu uns zurueckkommen will, um Dir seine Hand anzutragen, nachdem Du, wie es scheint, bereits in dem Besitz seines Herzens bist. Ich habe die Entscheidung darueber von Deiner Entschliessung abhaengig gemacht,--was wuerdest Du sagen, wenn unser junger Freund hier seinen Antrag nunmehr auch an Dich richtetet?" Einen Augenblick blieb das junge Maedchen mit gesenktem Kopf stehen, ein fluechtiger, halb scheuer, halb vertrauensvoller Blick traf den jungen Mann, dann richtete sie sich empor, trat mit festem Schritt an die Seite des jungen Mannes und sprach: "Ich bin eine Tochter der Bragars von St. Dizier, mein Vater, ich verstehe nicht, meine Gefuehle zu verbergen,--moegen Andere es fuer schicklich halten, zu verhuellen, was ihr Herz bewegt,--ich sage offen, was ich empfinde,--ich liebe ihn," fuhr sie mit strahlenden Blicken fort, "mein Herz gehoert ihm und wird ihm ewig gehoeren. Und Du, mein Vater, weisst, dass ich meine Liebe keinem Unwuerdigen schenke." Der Alte blickte mit stolzer Freude auf seine Tochter. "Brav, mein Kind," sagte er, "das ist recht und tapfer gesprochen, und ebenso offen will ich Dir ohne Umschweife antworten. Ich gebe dem Bunde Eurer Herzen mit Freuden meinen Segen." Cappei breitete die Arme aus, das junge Maedchen sank an seine Brust und er drueckte seine Lippen auf ihr glaenzendes Haar. "Gehen Sie nach Ihrer Heimath zurueck, ordnen Sie Ihre Angelegenheiten und," fuegte er hinzu, "kommen Sie bald zurueck,--ich verlange nicht als unerlaessliche Bedingung, dass Sie Ihre kuenftige Heimath hier in unserm Frankreich waehlen; ein Mann muss am besten wissen, was er zu thun hat, und ein Weib muss dem Manne ihres Herzens folgen. Ich muss es mir ja gefallen lassen, mein Kind von mir gehen zu sehen,--das ist der Lauf der Natur, aber," fuhr er fort, indem seine Lippen bebten und seine Stimme leicht zitterte, "Sie kennen den Wunsch meines Herzens, Sie wissen, wie gluecklich es mich machen wuerde, zu denken, dass mein Kind einst an meinem Sterbebette stehen wird, und dass ich ihr und meinen Enkeln das alte Haus ueberlassen kann, in welchem so viele meiner Vorfahren seit einer Reihe von Generationen gelebt haben." Luise sagte Nichts, langsam hob sie den Kopf von der Brust ihres Geliebten empor und sah den jungen Mann mit ihren grossen glaenzenden Augen fragend und bittend an. "Ich kehre zurueck," sagte dieser rasch mit entschlossenem Ton, "um meine Heimath da zu begruenden, wo ich das Glueck meines Herzens gefunden habe. Ich wuerde wahrlich lieber garnicht fortgehen, aber ich muss in die Heimath, um meine Angelegenheiten zu ordnen, und mein kleines Vermoegen zu sichern. Denn," fuegte er mit fester Stimme hinzu, "nicht dem heimathlosen Bettler soll Ihre Tochter ihre Hand reichen." Ein glueckliches Laecheln erhellte das Gesicht des alten Herrn, er streckte seine beiden Haende aus,--die jungen Leute ergriffen sie und beugten sich zaertlich zu ihm herab. Einen Augenblick blieben alle Drei in inniger Umarmung, sie hoerten nicht, dass die Thuere sich oeffnete, und erst der Ton rascher Schritte liess sie aufblicken. Herr Vergier war eingetreten,--starr und bleich stand er in der Mitte des Zimmers, seine Lippen bebten, seine scharfen, stechenden Augen blickten mit unheimlich spaehendem Feuer auf die Gruppe vor ihm. Die beiden jungen Leute waren zur Seite getreten, der alte Herr erhob sich, ging Herrn Vergier entgegen und sprach, indem er ihn mit kraeftigem Haendedruck begruesste: "Sie sind ein alter Freund meines Hauses, und als solchen will ich Ihnen vor allen Andern zuerst sagen, welches fuer meine Familie so wichtige Ereigniss hier so eben sich vollzogen hat." Er theilte mit kurzen Worten Herrn Vergier, dessen blitzende Augen mit hoehnischen, feindlichen Blicken auf den beiden jungen Leuten ruhten, welche Hand in Hand hinter ihrem Vater standen, die Verlobung seiner Tochter mit. "Sie wissen," sagte Herr Vergier, als der Alte geendet, mit zitternder, rauh klingender Stimme, indem seine Gesichtszuege vor heftiger Aufregung zuckten, "wie tiefen Antheil ich an Allem nehme, was Ihr Haus betrifft,--aber die Gefuehle, welche mich bei der Mittheilung erfuellen, die Sie mir so eben gemacht, koennen nicht erfreulich sein," fuegte er mit bitterm Ton hinzu. "Ich hatte Hoffnungen gehegt, welche durch das, was Sie mir sagen, auf immer zerstoert worden sind. Fraeulein Luise," fuhr er mit brennendem Blick fort, "kannte diese Hoffnungen, sie hat mir dieselben bisher nicht genommen. Sie hatte ein Jahr verlangt, um mir eine bestimmte Antwort zu geben, und nun sehe ich, dass sie nur eine so kurze Frist gebraucht hat, um sich ueber die Wahl ihres Herzens zu entscheiden." Muehsam nach Fassung ringend, stuetzte er sich auf die Lehne eines Stuhls. Luise sah ihn mit einem weichen Blick aus ihren offenen klaren Augen an. Rasch trat sie zu ihm und reichte ihm die Hand. "Niemand ist Herr der Gefuehle seines Herzens," sagte sie--"Sie waren der Freund meiner Kindheit, bleiben Sie mein Freund fuer mein kuenftiges Leben und verzeihen Sie mir, wenn ich die Gefuehle nicht erwidern konnte, die Sie mir entgegen trugen,--Sie werden das vergessen," fuegte sie freundlich hinzu,--"Sie werden gewiss, wie ich es Ihnen von ganzem Herzen wuensche, bei einer andern Wahl mehr Glueck finden, als ich Ihnen haette bieten koennen." Herr Vergier hatte nur zoegernd die Hand des jungen Maedchens einen Augenblick ergriffen. "Es ist nicht nur der Schmerz um den Verlust meiner Liebe," sagte er mit einer noch immer vor Aufregung halb erstickten und unsichern Stimme, "welche mich bewegt, aber ich bin Franzose, und es schneidet mir in's Herz, dass ich die Tochter meines Freundes, deren Glueck mir theuer ist, wie mein eigenes, sich ihrem Vaterlande entfremden sehe. Der Krieg mit diesem Preussen, das drohend an unsern Grenzen steht, ist nur eine Frage der Zeit. Er wird vorbereitet von beiden Seiten, er muss kommen, Jedermann in Frankreich fuehlt das, man hat schon mehrfach deutsche Spione bei uns entdeckt. Und schon sind Stimmen laut geworden," fuhr er immer eifriger fort, indem sein Gesicht vor Aufregung zuckte, und seine Blicke sich wie Dolchspitzen auf den jungen Emigranten richteten--"schon sind Stimmen laut geworden, welche behaupten wollen, dass diese hannoeversche Legion, welche so ploetzlich auseinandergeht, nur der Deckmantel gewesen sei, um genaue Kundschaft ueber die inneren Verhaeltnisse unseres Landes zu erhalten.--Und wenn ich denken sollte," rief er, seiner nicht mehr maechtig, indem ein leichter Schaum auf seine Lippen trat,--"dass meine Geliebte ein Werkzeug werden sollte in der Hand eines Feindes Frankreichs----" Eine helle Zornroethe flammte aus dem Gesicht des jungen Hannoveraners auf, mit einem raschen Schritt trat er zu Herrn Vergier hin, mit einer drohenden Bewegung erhob er die Hand-- Luise warf sich ihm entgegen; bittend faltete sie die Haende, ihre Augen richteten sich mit magnetischer Gewalt auf ihren Geliebten. Dieser liess langsam den Arm sinken, der Ausdruck seines Gesichts wurde ruhig, beinahe sanft und milde. "Ich habe Ihnen, ohne es zu wollen, wehe gethan, mein Herr," sagte er, "ich bin stoerend eingetreten in die Hoffnungen Ihres Herzens, ich verstehe Ihren Schmerz und Ihre Aufregung,--ich muss Ihnen viel vergeben,--aber Worte, wie Sie so eben ausgesprochen, sollte niemals ein Mann von Ehre einem Andern sagen. Ich bin nach Frankreich gekommen," fuhr er fort, "im Dienst meines Koenigs und als ein Feind jener Macht, welche wie Sie glauben, mit Ihrem Vaterland in Kampf treten soll. Dies allein sollte mich vor einem so elenden und niedrigen Verdacht schuetzen, wie Sie ihn gegen mich ausgesprochen, aber ich glaube, Herr Challier und Fraeulein Luise kennen mich genug, und auch Sie sollten mich genug kennen, um zu glauben, dass auch wenn ich nicht als Hannoveraner und als Legionair des Koenigs Georg hergekommen waere, ich doch unfaehig sein wuerde, in solcher Weise Vertrauen und Gastfreundschaft zu taeuschen. Wenn Sie ruhig darueber nachdenken, werden Sie mir Gerechtigkeit widerfahren lassen und," fuegte er mit offener Herzlichkeit hinzu, "ich hoffe, Sie werden vergessen, was ich Ihnen, ohne es zu wollen, Boeses gethan und dahin kommen, die Freundschaft, welche Sie fuer Herrn Challier und seine Tochter gehegt, auch mir zu schenken; seien Sie ueberzeugt, dass ich Alles thun werde, um mich derselben wuerdig zu machen." Luise dankte mit einem innigen Blick ihrem Geliebten fuer seine Worte. Herr Vergier hatte mit gewaltiger Anstrengung seine tiefe Aufregung bemeistert. Er zwang seine zuckenden Lippen zu einem freundlichen Laecheln, er schlug seine Augen nieder und reichte Cappei die Hand. "Verzeihen Sie mir," sagte er mit tonloser Stimme, indem seine Worte nur einzeln und abgebrochen hervordrangen, "verzeihen Sie mir meine kraenkende Aeusserung. Mein augenblickliches Gefuehl riss mich hin,--ich bin Franzose und misstrauisch gegen alle Fremden. Ich will die Vergangenheit und die Taeuschung meiner Hoffnungen zu vergessen suchen; vielleicht wird die Zeit uns in Freundschaft zusammenfuehren." Cappei ergriff Herrn Vergiers dargebotene Hand. Diese Hand war feucht und kalt wie Eis, sie erwiderte den Druck des Hannoveraners nicht und erschrocken liess dieser sie wieder los. "Erlauben Sie, dass ich mich zurueckziehe," sagte Herr Vergier, "ich passe in diesem Augenblick nicht in Ihre Gesellschaft." Und mit einer fluechtigen Verbeugung sich empfehlend, eilte er hinaus. "Der Arme thut mir leid," sagte der alte Herr Challier, ihm nachblickend, "er ist eine so heftige, leicht erregbare Natur, er wird sehr leiden--" "Ich haette ihn doch nicht lieben koennen," sagte Luise, indem sie mit leichtem Kopfschuetteln vor sich niederblickte. "Wenn mein Herz nicht gesprochen haette," fuegte sie, ihrem Geliebten die Hand reichend, hinzu, "wenn ich ihm vielleicht ohne Liebe meine Hand gegeben haette, so waeren wir Beide ungluecklich geworden."-- Lange noch sassen die beiden jungen Leute beisammen. Freundlich hoerte der alte Herr ihr Geplauder und ihre Plaene fuer die Zukunft an. Es wurde beschlossen, dass der junge Cappei schon am naechsten Morgen abreisen sollte.-- Luise erhob keine Einwendungen gegen diesen Beschluss. "Je schneller er fortgeht," sagte sie laechelnd, "um so schneller wird er wiederkehren, und um so schneller werden wir zu einem ruhigen und dauernden Glueck kommen, das dann Nichts mehr stoeren wird."---- Am spaeten Abend brach der junge Mann auf, um noch einmal seine Landsleute, welche um Mitternacht abreisen wollten, zu sehen und mit ihnen die letzten Augenblicke zu verleben. Sinnend und gedankenvoll schritt er durch die lange Hauptstrasse der Stadt nach dem Marktplatz hin. An der Ecke desselben befand sich der Restaurant, in dessen Saal die Legionaire versammelt waren. Die Hannoveraner sassen hier um einen grossen Tisch--zahlreiche Freunde aus der Stadt waren bei ihnen, um die letzten Augenblicke mit den ihnen lieb gewordenen Gaesten zu verbringen, die so lange unter ihnen geweilt hatten. Auf dem Tische stand eine grosse Punschbowle, welcher jedoch heute nur sehr maessig zugesprochen wurde,--alle Gesichter waren ernst und oft stockte die Unterhaltung. Alle diese einfachen Leute, welche die grossen Erschuetterungen der Zeit hier im fremden Lande zusammengefuehrt hatten, fuehlten, dass heute die Vergangenheit, welche sie in liebevoller Erinnerung im Herzen trugen, fuer immer abgeschlossen werde, dass das letzte Band, welches sie hier in der gemeinsamen Verbannung mit der alten Heimath und Allem, was sie Liebes in sich schloss, noch verband, nun fuer immer zerriss und dass sie nun als Fremde allein und vereinsamt hinaustreten muessten in ein schweres feindliches Leben, um auf ihre eigene Kraft die Zukunft zu erbauen in muehevoller Arbeit. Der junge Cappei trat ein.--Traurig ueberblickte er diese Versammlung seiner Kameraden, welche so oft hier heiter und froehlich beisammen gewesen waren und welche nun auseinander gehen sollten, um sich schwerlich jemals in dieser Welt vereinigt wieder zu begegnen. Er setzte sich schweigend neben den Unterofficier Ruehlberg. "Was koenntet Ihr Euch fuer eine schoene Zukunft machen," sagte dieser, indem er dem jungen Manne ein Glas Punsch reichte,--"wenn Ihr mit uns gingt,--Ihr seid noch jung und kraeftig,--geschickt zu aller Arbeit und habt mehr gelernt, als wir Alle,--Ihr wuerdet ein schoenes Vermoegen in Algier erwerben,--das Euch hundertmal den kleinen Hof daheim ersetzen wuerde,--von dem Ihr noch gar nicht einmal wisst, ob Ihr ihn erhaltet,--ich sage Euch noch einmal,--geht mit uns,--lasst die Phantasie im Stich, die Ihr Euch in den Kopf gesetzt habt,--es hat noch nie zu etwas Gutem gefuehrt, wenn junge Leute von der Liebe sich den Kopf verdrehen lassen." "Ich bitte Euch, Ruehlberg," sagte Cappei sanft aber bestimmt--"lasst mich,--mein Entschluss ist gefasst,--versprecht mir," fuhr er abbrechend fort, "Nachricht zu geben, wie es Euch und den Andern geht--ich muss Euch sagen, dass ich nicht viel Vertrauen zu Eurem Unternehmen habe,--haette der _Koenig_ die Sache gemacht durch einen Vertrag mit der franzoesischen Regierung, so waere es etwas Anderes gewesen,--aber so,--Ihr werdet vielleicht spaeter einsehen, dass es besser gewesen waere, gleich nach der Heimath zurueckzukehren.--Doch Jeder hat seinen Entschluss gefasst und muss ihm folgen." Er wendete sich zu seinem Nachbar auf der anderen Seite. Es verging noch eine halbe Stunde,--dann zog der Unterofficier die Uhr und sagte tief aufathmend: "Es ist Zeit, Leute,--wir muessen aufbrechen!" Alle erhoben sich. Ruehlberg ergriff sein Glas. "Wir sind heute zum letzten Male beisammen," sprach er mit etwas unsicher klingender Stimme,--"und wir wollen auch dies letzte Mal von der alten Sitte hannoeverscher Soldaten nicht abweichen,--ein Glas auf das Wohl unseres Koenigs zu leeren. Sonst haben wir das mit lautem Hurrah gethan,--das wird uns heute nicht mehr frei aus der Brust herauskommen, heute ist unsere Vergangenheit, unsere alte Heimath, unser Koenig fuer uns gestorben--leeren wir ein stilles Glas zum Andenken an unsern Kriegsherrn, an unsre Armee, an unsere Heimath." Alle tranken schweigend und so manches ehrliche treu blickende blaue Auge verschleierte sich mit feuchtem Schimmer,--mancher blinkende Thraenentropfen fiel in die Glaeser, welche die treuen Soehne Niedersachsens in dieser Stunde des letzten Abschieds von der Vergangenheit dem Andenken ihres Koenigs weihten. Dann brach man auf. Jeder nahm sein kleines Gepaeck,--viel hatten sie nicht, diese armen Soldaten des Exils--und in schweigendem Zug ging man durch die dunkeln, leeren Strassen der Stadt nach dem kleinen Bahnhofe. Die letzten Augenblicke vergingen unter Abschiednehmen der Soldaten unter einander und von ihren franzoesischen Freunden, deren sich noch mehrere am Bahnhof eingefunden hatten,--auch Herr Vergier war gekommen und stand bleich und finster unter den Uebrigen auf dem Perron, schweigend die Haendedruecke der Scheidenden erwidernd. Da begann in der kleinen Kirche von der baumbekraenzten Anhoehe ueber der Stadt her eine Glocke zu laeuten. Es war die Sterbeglocke, welche die Gebete begleitete, die die Priester fuer einen aus dem Leben geschiedenen Buerger der Stadt zum Himmel sendeten. Die einfachen durch die Nacht her klingenden Toene ergriffen maechtig alle diese ernst und traurig gestimmten Menschen. Die Franzosen nahmen die Huete ab und sprachen ein stilles Gebet fuer die Seele des Gestorbenen,--auch die Hannoveraner falteten die Haende--Niemand wusste, welchem Todten dies Gelaeut galt,--aber auch ihnen starb ja heute fuer immer, was sie so lange im Herzen getragen und so sehr geliebt hatten,--ihre Heimath und ihr Koenig. Der Zug brauste heran,--noch ein Haendedruck,--ein letztes Abschiedswort--und die Hannoveraner stiegen ein in die Waggons, welche sie ihrer neuen unbekannten Zukunft entgegenfuehren sollten. --"Adieu--adieu--bonne chance!" toente es aus den Gruppen der Buerger von St. Dizier--Cappei mit den wenigen Emigranten, welche sich zur Ueberfahrt nach Amerika entschlossen hatten, standen schweigend, mit feuchten Blicken schauten sie auf die Scheidenden hin,--fast zog es den jungen Mann einen Augenblick denen nach, deren Schicksal so lange mit dem seinigen verbunden gewesen war, und die nun ohne ihn hinauszogen zu einem Leben voll Abenteuer und Gefahren--da trat das Bild Luisens mit ihren sanften und liebevollen Augen vor seine Seele--rasch naeherte er sich noch einmal dem Waggon und streckte dem Unterofficier Ruehlberg, der am Schlage sass, die Hand hin. "Gott befohlen!" sagte er mit erstickter Stimme,--"und--auf froehliches Wiedersehn!" "Das wird schon kommen," erwiderte der Unterofficier mit einem etwas gezwungenen Lachen, hinter dem er seine innere Bewegung zu verbergen trachtete, "Ihr werdet zur Einsicht kommen--wir werden Euch einen Platz offen halten." Die Schaffner eilten an den Zug,--die Locomotive pfiff und langsam begannen die Raeder zu rollen. Noch einmal winkten die Zurueckblickenden mit den Haenden, mit leisem aber klar durch die naechtliche Stille dringenden Ton schallte das Sterbegloecklein von der alten Kirche herueber,--die Legionaire auf dem abfahrenden Zug begannen ihr traditionelles Soldatenlied: "Wir lustigen Hannoveraner sind alle beisammen--" aber die Toene erklangen in langsamerem Rhythmus als sonst und wie der Zug so immer mehr sich entfernend in die Nacht hinausfuhr, vom klagenden Glockenton begleitet,--da klang das Lied, das sonst so froehlich in Lager und Feld erschallt war, wie ein Grabgesang an der Bahre eines Todten, den man zur letzten Ruhe hinausfuehrt. Noch einige Augenblicke und Alles war in der dunkeln Ferne verschwunden,--weithin verklang das Schnauben der Maschine und das Rollen der Raeder. Cappei trennte sich von den Uebrigen und ging langsam zur Stadt zurueck. In einer ziemlichen Entfernung folgte ihm Herr Vergier, der sich ebenfalls sogleich nach der Abfahrt des Zuges isolirt hatte. Seine Blicke hefteten sich unbeweglich auf den jungen Mann vor ihm und seine Augen schienen in gruenlichem Feuer durch die Nacht zu leuchten, waehrend seine Zuege von Grimm und Hass entstellt waren. Cappei machte einen Umweg und ging an Herrn Challiers Haus vorbei, das in tiefer Ruhe und Dunkelheit da lag. Einen Augenblick blieb er dort vor dem grossen geschlossenen Thor stehen,--er drueckte beide Haende an die Lippen und warf einen Kuss nach dem Hause hin. "Gute Nacht, meine suesse Geliebte," fluesterte er,--und schritt dann rasch weiter nach seiner in der Naehe des Marktplatzes belegenen Wohnung. Herr Vergier war ihm langsam folgend ebenfalls bis in die Naehe des Challier'schen Hauses gekommen. Hier blieb er stehen und blickte dem jungen Hannoveraner, der bereits in der Dunkelheit verschwand, nach. "Haette ich eine Waffe bei mir," fluesterte er mit zischender Stimme, "so koennte ein Druck meines Fingers diesen Feind meines Landes,--diesen Raeuber meiner Liebe vernichten!" --"Aber geh' nur hin," sagte er, die geballte Faust zum naechtlichen Himmel erhebend,--"es giebt noch andere Waffen als die Kugel und den Stahl,--ich werde Dich vielleicht besser und sicherer treffen, geh' nur hin,--Du sollst nicht hierher zurueckkehren auf den heiligen Boden Frankreichs,--den Du als Verraether betreten,--Du sollst nicht zurueckkehren, um eine holde Blume meines Vaterlandes zu pfluecken und mir das Glueck meines Lebens zu stehlen." Noch einmal sah er mit flammendem Blick dem gehassten Fremden nach,--dann wendete er sich um und schritt durch die stille Nacht seinem Hause zu. Viertes Capitel Die schoene Tochter des Commerzienraths Cohnheim hatte seit dem Ball bei ihren Eltern still und traurig ihre Tage verbracht. Sie sass in tiefen Gedanken versunken an ihrem Fenster, oft sank die Stickerei, mit welcher sie sich beschaeftigte, auf ihren Schooss, waehrend sie auf die noch winterlichen Baeume des Thiergartens hinausblickte. Doch war sie nicht traurig, oft umspielte ein stilles, glueckliches Laecheln ihren Mund, und hoher Muth und freudige Hoffnungen leuchteten aus ihren Augen. Ihre Mutter liess keine Gelegenheit voruebergehen, um sie in trockner und wenig liebevoller Weise darauf aufmerksam zu machen, wie unpassend es sei, wenn sie, die Tochter des reichen Commerzienraths, der zu den ersten Finanzgroessen der Residenz gehoere, mit Nichts bedeutenden untergeordneten Officieren von der Linie den Cotillon tanze und Herren von Stellung und Distinction zurueckweise. Ihre Mutter betrachtete das Alles nur als eine Frage der aeusseren Ruecksichten auf die Stellung des Commerzienraths. Aus ihren Reden ging hervor, dass sie sich nicht die entfernteste Moeglichkeit traeumen liesse, ihre Tochter koenne wirklich in einem armen und unbedeutenden Offizier etwas Anderes finden, als einen guten angenehmen Taenzer. Und Fraeulein Anna, hoerte alle muetterlichen Ermahnungen ruhig mit gleichgueltigem Laecheln an--sie wartete ihre Zeit ab und wusste, dass, wenn dieselbe gekommen, sie die Kraft und Willen genug haben wuerde, dem Zorn ihrer Mutter zu trotzen. Der Commerzienrath hatte viel mit dem Baron Rantow verkehrt und oft hatte er bei Tische erzaehlt, wie vortrefflich das Geschaeft sei, welches er in Gemeinschaft mit dem Baron zu machen im Begriff stehe. Er hatte seiner Frau, welche aufmerksam, mit grossem Interesse seinen Mittheilungen folgte, auseinandergesetzt wie hoch der Gewinn sein wuerde, welchen die Gesellschaft, welche er gegruendet, aus der auf den Guetern des Barons eingefuehrten Industrie ziehen muesse und um wieviel sich zugleich durch diese Combination das Vermoegens des Barons und das dereinstige Erbtheil seines einzigen Sohnes vergroessern werde. Er hatte dabei die persoenliche Liebenswuerdigkeit des jungen Herrn von Rantow und seine Aussichten auf eine brillante Carriere ganz besonders hervorgehoben, indem er mit listigem Schmunzeln einen forschenden Blick auf seine Tochter warf. Aber jedesmal, wenn es geschehen war, hatte Fraeulein Anna ihn so kalt und streng zurueckweisend angesehen, hatte seine Bemerkungen mit einem so unverbruechlichen eisigen Schweigen aufgenommen, dass der alte Herr, welcher seine Tochter abgoettisch liebte und ihr gegenueber stets nur schwache Versuche machte, seinen Willen durchzusetzen, schnell auf ein anderes Gespraechsthema uebergegangen war. Dann war die ganze Familie einmal bei dem Baron von Rantow zum Thee eingeladen worden. Man hatte dort einige aeltere Herren, Freunde des Barons, gefunden, welche sehr vornehme Namen trugen und sehr vornehme Manieren hatten, und die Commerzienraethin hatte in diesen Kreisen noch steifer, noch wuerdevoller als je dagesessen und mit einem unzerstoerbaren Laecheln auf den Lippen an der Unterhaltung nur durch kurze sentenzenhafte Bemerkungen Theil genommen, welche die strengsten aristokratischen Grundsaetze aussprachen. Der Commerzienrath war lebendiger, beweglicher und gespraechiger als je gewesen, er hatte den Baron mehrere Male "mein verehrter Freund", einmal sogar "mein lieber Freund" genannt. Er hatte seine finanziellen Ideen unter grosser Aufmerksamkeit der Zuhoerer entwickelt, er hatte von den Hunderttausenden erzaehlt, die er in diesem und in jenem Geschaeft engagirt habe; er hatte die Bezugsquellen seiner vortrefflichen Weine mitgetheilt, und ein alter Graf hatte ihn sogar freundlich auf die Schulter geklopft und ihm versprochen, ihn einmal zu besuchen, um seinen Chateau Lafitte zu probiren. Kurz Herr und Frau Cohnheim waren gluecklich und befriedigt ueber diese intime Soiree bei dem Baron. Der Referendarius von Rantow hatte seine ganze Aufmerksamkeit Fraeulein Anna gewidmet, ohne indess etwas Anderes erreichen zu koennen als einige hingeworfene, gleichgueltige, oft sogar etwas sarkastische Bemerkungen. Als man wieder nach Hause gekommen, hatte die Frau Commerzienraethin ihrer Tochter abermals eine Vorlesung ueber ihr abstossendes Benehmen gegen den jungen Rantow gehalten, ohne etwas Anderes zu erzielen, als ein tiefes Schweigen ihrer Tochter. Der Commerzienrath hatte einen schwachen Versuch gemacht, seine Frau zu unterstuetzen, er hatte einige Andeutungen fallen lassen, was der junge Herr von Rantow fuer eine gute Partie sei, und wie die Damen der hoechsten Aristokratie gluecklich sein wuerden, wenn seine Wahl auf sie fallen sollte, aber schnell hatte er sich vor dem ernsten abweisenden Blick seines Lieblings zurueckgezogen und seiner Frau allein die Sorge ueberlassen, eine Idee, welche er mit besonderer Liebe in sich trug, dem jungen Maedchen annehmbar zu machen. Fraeulein Anna hatte nach dieser Soiree eine schlaflose Nacht zugebracht, sie hatte seit jenem Ball von dem Lieutenant von Buechenfeld Nichts wieder gehoert. Er hatte in dem Hause des Commerzienraths einen Besuch gemacht zu einer Zeit, wo er gewiss war, Niemand zu Hause zu treffen; obgleich Anna fast den ganzen Tag an ihrem Fenster sass und auf die lebhafte Thiergartenpromenade herabsah, hatte sie doch niemals den erblickt, den ihre Augen suchten, nach dem ihr Herz sich sehnte. Sie sass nachdenkend auf dem Divan in ihrem eleganten Schlafzimmer, das durch eine Haengelampe mit dunkelblauem Schirm erleuchtet war. Ihr schoener Kopf war auf ihre zarte, schlanke Hand gestuetzt und ihre aufgeloesten Haare fielen ueber den weissen Arm nieder, von welchem der weite Aermel ihres faltigen Schlafrockes von grauer Seide herabgesunken war. "Er liebt mich," fluesterte sie leise vor sich hin,--"das hat mein Herz lange empfunden, er hat es mir gesagt, und wenn er das sagt, so ist es wahr, denn fuer ihn ist die Liebe kein Spiel, und seine Worte sind ein Felsen, dem ich unbedingt vertraue. Aber warum ist er verschwunden," fuhr sie fort, "warum hat er seit jenem Tage, der alle fremden Schranken zwischen uns haette hinwegraeumen sollen, der uns gegenseitig unsere Herzen geoeffnet hat, Nichts mehr von sich hoeren lassen? Warum hat er einen ceremoniellen Besuch gemacht, als er wusste, dass er uns nicht finden konnte? Ich kann das nicht ertragen," rief sie, leicht mit dem zierlichen Fuss auf den Boden tretend, "diese unklare, peinliche Lage muss ein Ende nehmen. Meine Mutter verfolgt mich mit diesem Herrn von Rantow,--es ist ein Plan vorhanden, in den ich nicht einwilligen werde! Auch mein Vater scheint aehnliche Gedanken zu haben. Nun," sagte sie trotzig die Lippen aufwerfend--"das beunruhigt mich nicht, mein Vater wird mir gegenueber nicht den Tyrannen spielen,--aber ein Ende muss das nehmen, klar muss Alles werden! Doch wie," sprach sie sinnend, "was soll ich meinen Eltern sagen, wenn sie mit directen Vorschlaegen an mich herantreten? Soll ich ihnen sagen, ich liebe einen Mann, der es nicht der Muehe werth haelt, sich mir zu naehern?" Sie sann lange nach. "Sollte ich ihn gekraenkt haben," fluesterte sie leise--"er ist empfindlich und leicht verletzt. Doch nein, nein," rief sie dann, "ich erinnere mich jedes Wortes das ich ihm gesagt habe, und alle meine Worte sprachen deutlicher vielleicht, als ich es haette thun sollen, meine Liebe zu ihm aus. Nein," rief sie, "er kann nicht zweifeln, dass mein Herz ihm gehoert. Es ist nur sein Stolz, sein harter unbeugsamer Sinn, der ihn von mir zurueckhaelt. Und hat er," fuhr sie fort, indem ihre Augen sanft und weich vor sich hinblickten, "hat er nicht Recht, so stolz zu sein, er ist arm und die Macht des Geldes beherrscht die Welt, und doch fuehlt er seinen eigenen Werth. Und darum gerade," rief sie leidenschaftlich, "darum liebe ich ihn--aber soll ich ihn verlieren, weil mein Vater reich und er arm ist, darf ich ihn so vielleicht fuer immer von mir gehen lassen--es klang wie ein Abschied in seinen letzten Worten. Fuerchtet er, mich wieder zu sehen, um sich selbst nicht untreu zu werden? Ich muss ihn sehen," sagte sie aufspringend, "ich muss ihn sprechen, ich muss mit ihm Hand in Hand vor meinen Vater hintreten und laut das Gefuehl meines Herzens bekennen. Oh," sagte sie, sich hoch aufrichtend, "diesem Baron von Rantow gegenueber und all den Herren gegenueber, die mich umschwaermen, die da glauben, dass sie gestuetzt auf ihre grossen Namen und ihre Stellung nur die Hand ausstrecken duerfen, um mit der Tochter des reichen Commerzienraths ein grosses Vermoegen zu erwerben,--ihnen gegenueber fuehle ich den Stolz einer Koenigin in mir, es reizt mich, ihnen zu zeigen, dass ich mich hoeher achte, als sie Alle. Aber ihm gegenueber, ihm, den ich liebe, diesem edlen, reichen und treuen Herzen gegenueber will ich demuethig sein. Er soll sehen, wie ich Alles, was ich ihm bieten kann, fuer Nichts achte und wie ich gluecklich bin, dass er mich seiner Liebe werth gefunden, ihn will ich bitten, mich nicht zu verlassen, ihm gegenueber will ich keinen Stolz haben, und so will ich ihn zwingen, auch seinen Stolz aufzugeben." Sie oeffnete ein zierliches Etui von rothem Leder, nahm einen kleinen Bogen goldgeraendertes Briefpapier aus demselben und schrieb hastig, waehrend ihre Wangen sich mit dunklem Purpur faerbten, einige Zeilen. Dann las sie dieselben durch. "Es ist etwas Ungewoehnliches, was ich da thue," sagte sie, "jedem andern Manne gegenueber wuerde es eine Selbsterniedrigung sein--aber er wird mich verstehen, er wird fuehlen, dass er kein Recht mehr hat, seinem stolzen Eigenwillen zu folgen, wenn ich mich so vor ihm beuge, wenn ich mich so in seine Haende gebe." Rasch faltete sie den geschriebenen Brief zusammen verschloss ihn in eine Enveloppe und setzte die Adresse auf dieselbe. "Es wird Licht werden," sagte sie dann, "ich werde den Brief zur Post tragen, Niemand wird etwas davon erfahren und er wird sicher meiner Bitte folgen." Die bange Unruhe verschwand aus ihrem Gesicht, langsam entkleidete sie sich, die Gedanken an den Geliebten begleiteten sie in ihren Schlummer und gestalteten sich zu schoenen und lieblichen Traeumen kuenftigen Glueckes. * * * * * Der Lieutenant von Buechenfeld hatte seit seiner Erklaerung mit Fraeulein Cohnheim viel mit sich selbst gekaempft. Er war nach einer ziemlich einsamen Jugend im stillen Hause seines Vaters bei seiner Anwesenheit in Berlin zum ersten Mal in die groessern Kreise der Welt eingetreten, und die Liebe zu dem jungen Maedchen hatte mit uebermaechtiger Kraft sein tief empfindendes, in sich selbst zurueckgezogenes Herz erfuellt, ein ganz neues Leben war ihm aufgegangen, und sein ganzes Wesen war durchdrungen von dem tiefen Gefuehl, das ihn erfuellte. Die starren Begriffe von Ehre und maennlicher Wuerde, welche die Erziehung seines Vaters in ihn gelegt, kaempften gegen diese Liebe an, und sein Blut empoerte sich bei dem Gedanken, dass man seiner Bewerbung um die Tochter des reichen Commerzienraths materielle Motive unterlegen koennte, sein Stolz baeumte sich auf, wenn er sich die Moeglichkeit dachte, dass er kalt und hochmuethig zurueckgewiesen werden koennte, und selbst wenn es ihm gelingen wuerde, seine Geliebte zu erringen, so schauderte er vor dem Gedanken zurueck, seine Lebensstellung auf das Vermoegen seiner Frau zu begruenden. Er hatte sich eine Zeit lang von seinen Gefuehlen hinreissen lassen, er war dem jungen Maedchen naeher und naeher getreten, endlich aber hatte er mit dem festen Entschluss sich von allen Illusionen zu trennen sich gegen sie aussprechen wollen, um zugleich fuer immer von ihr Abschied zu nehmen. Da hatte sie in wunderbarer Offenheit ihm ihr Herz geoeffnet, er hatte mit Entzuecken, aber fast auch mit Schrecken gesehen, dass seine Gefuehle so stark und so warm erwiedert wuerden. Im ersten Augenblick hatte der Glanz dieses Glueckes ihn geblendet, aber am anderen Tage war der Stolz wieder in ihm maechtig geworden, er hatte den festen Entschluss gefasst, einsam durch das Leben zu gehen und nur auf seine eigene Kraft seine Zukunft zu begruenden, und er wollte, um den Kampf siegreich zu bestehen, Fraeulein Cohnheim nicht wiedersehen, so lange sein Commando in Berlin noch dauerte. Oft zog es ihn nach dem Thiergarten hin, um wenigstens von ferne die geliebten Zuege zu erblicken, die so tief in sein Herz gegraben waren, aber mit eiserner Willenskraft hielt er sich zurueck und vermied sorgfaeltig alle Kreise, in denen er Fraeulein Cohnheim haette begegnen koennen. Nur am spaeten Abend ging er hinaus und blickte aus der tiefen Dunkelheit zu dem erleuchteten Fenster, durch welches er zuweilen die Umrisse der schlanken Gestalt seiner Geliebten entdecken konnte. Lange stand er dort an einen Baum gelehnt, in schmerzliche Traeumerei versunken, aber sein Entschluss blieb fest, am Tage betrat er niemals die Gegend, in welcher er so oft seine schmerzlichen Seufzer zum naechtlichen Himmel sandte. Er wurde in seiner stolzen Zurueckhaltung noch bestaerkt durch die Bemerkungen, welche sein Vater ihm ueber sein Gespraech mit dem Baron von Rantow gemacht hatte. Der alte Herr hatte sich sehr zornig gegen seinen Sohn darueber geaeussert, dass sein Jugendfreund, ein alter Edelmann aus bester Familie sich zu industriellen Geschaeften mit dem Commerzienrath associirt habe, und dass er, wie es schien, sogar die Idee nicht als unmoeglich verwerfe, die beiden durch das gemeinsame Unternehmen noch immer weiter zu vermehrenden Vermoegen durch eine Heirath seines Sohnes mit dem Fraeulein Cohnheim mit einander zu verbinden. Mit traurig bitterm Laecheln hatte der junge Mann den unwilligen Worten seines Vaters zugehoert. Der alte Herr hatte in diesem Laecheln eine Zustimmung zu seinem so missfaelligen Urtheil ueber die moderne Handlungsweise seines Freundes zu finden geglaubt und, indem er seinen Sohn auf die Schulter klopfte, laut ausgerufen: "Wir wuerden so Etwas nicht thun, die Buechenfelds moegen kein so vornehmes und kein so beguetertes Geschlecht sein, wie die Freiherren von Rantow, aber mit den Boersenspeculanten wuerden wir weder unsere Geschaefte, noch unser Blut vermischen." Unbeschreibliche Gefuehle hatten das Herz des jungen Mannes bei diesen Worten seines Vaters zusammengeschnuert, ohne zu antworten, war er aufgestanden und hatte das Zimmer verlassen. Einige Tage spaeter hatte ihm der alte Herr nach einem Besuch bei dem Herrn von Rantow in hoechster Entruestung mitgetheilt, dass nicht nur das Geschaeft zwischen dem Baron und dem Commerzienrath zur industriellen Ausbeutung der Rantow'schen Erbgueter beschlossen sei, sondern dass er nun auch schon die Verbindung des jungen Rantow mit dem Fraeulein Cohnheim zu seinem tiefen Schmerz als gewiss ansaehe. Immer fester war nach solchen Mittheilungen der Entschluss des jungen Mannes geworden, das junge Maedchen nicht wieder zu sehen, der alle Regungen seines Herzens gehoerten und welche doch von ihm durch alle Hemmnisse und Schranken getrennt war, welche die Verhaeltnisse der Welt zwischen zwei Menschenherzen aufzurichten im Stande sind. Immer eifriger hatte er sich in seine Studien vertieft,--er suchte durch die Arbeit den Schmerz zu besiegen, der so verzehrend sein ganzes Wesen durchdrang, er suchte mit aller Kraft seines Geistes, mit aller Anstrengung seines Willens sich durch eine unausgesetzte Thaetigkeit fuer eine grosse und wirkungsvolle Carriere vorzubereiten. Er wollte durch den Ehrgeiz die Liebe toedten, denn einer grossen und maechtigen, Alles beherrschenden Regung bedurfte er fuer sein inneres Leben, dem das gleichgueltige Einerlei eines zwecklosen Vegetirens nicht genuegte. An dem Tage, an dessen Vorabend Fraeulein Anna in naechtlicher Stille den Entschluss gefasst hatte, alle Zweifel ihres Herzens einer entscheidenden Loesung zuzufuehren, war der junge Officier um die Mittagsstunde von der Kriegsschule zurueckgekehrt und trat in das Zimmer seines Vaters, in welchem der alte Diener des Oberstlieutenants, der lange Jahre sein Bursche gewesen und nach dem Abschied seines Herrn in dessen Privatdienst geblieben war, so eben das bescheidene Diner servirte, welches der alte Herr fuer sich und seinen Sohn aus einem nahe gelegenen kleinen Hotel holen liess. "Du siehst bleich aus," sagte der alte Herr, indem er seinen Sohn mit sorgenvoller Theilnahme ansah, "ich fuerchte, Du arbeitest zu viel. Es ist zwar sehr gut, wenn man etwas recht Tuechtiges lernt, aber man darf darum kein Kopfhaenger werden. Du gehst nicht mehr aus, Du bist fast jeden Abend zu Hause, Du besuchst keine Gesellschaften mehr--Du darfst Dich nicht zu sehr anstrengen. Zu meiner Zeit," sagte er, sich den Schnurrbart streichend, "waren wir jungen Officiere anders, wenn es keine Gesellschaften gab, so gingen wir wenigstens in die Natur hinaus und machten froehliche Streifzuege durch Wald und Feld. Damals haetten wir es nicht fuer die Aufgabe des Soldaten gehalten, hinter den Buechern zu sitzen und zu lesen und zu arbeiten wie ein Student." "Sei ruhig, lieber Vater," sagte der Lieutenant mit einem etwas gezwungenen Laecheln, "ich werde gewiss nicht ueber meine Kraefte arbeiten; wenn ich viel zu Hause geblieben bin, so liegt es nur daran, dass ich keine Freude in dem hiesigen weitlaeufigen Gesellschaftsleben finde. Wenn ich erst wieder in meiner Garnison sein werde unter meinen Kameraden, unter den alt gewohnten Verhaeltnissen, so wird es anders werden." "Nun," sagte der alte Oberstlieutenant, seinem frueheren Gedankengang folgend, "es treten ja jetzt auch ganz andere Aufgaben an einen Officier heran. Die heutige Tactik ist eine viel complicirtere, und man muss heute die Kriege ebenso sehr mit dem Kopfe als mit dem Arm fuehren. Das ist Alles ganz gut, aber zum Kopfhaenger darf darum der Soldat doch nicht werden.--Dass Dir uebrigens das Gesellschaftsleben hier in Berlin nicht gefaellt," fuhr er fort, "verstehe ich, und dass Du gluecklicher in den einfachen Verhaeltnissen Deiner kleinen Garnison bist--freilich," sagte er dann wehmuethig seufzend, "wird dann Dein alter Vater hier wieder ganz allein sein, doch das ist ja das Loos des Alters--Ihr marschirt in die Welt hinein, wir gehen aus derselben hinaus. Da koennen ja unsere Wege nicht zusammenlaufen." Er setzte sich zu Tisch, sein Sohn nahm ihm gegenueber Platz, und der alte Diener servirte in militairischer Haltung die etwas blasse und duenne Bouillon. Der Oberstlieutenant fuellte die Weinglaeser fuer sich und seinen Sohn aus einer bereits angebrochenen Flasche St. Julien und stiess mit dem Lieutenant, wie er das stets zu thun pflegte, auf den kuenftigen Feldmarschallstab an. Waehrend der junge Mann schweigend seinem Vater zuhoerte, welcher von alten Zeiten erzaehlte und manche schon oft wiederholte Geschichte noch einmal ausfuehrlich vortrug, hoerte man ein starkes Klingeln an der aeussern Eingangsthuer der kleinen einfachen Wohnung. Der alte Diener ging hinaus und kehrte nach einigen Augenblicken mit einem kleinen zierlichen Brief in der Hand zurueck. "Ein Brief fuer den Herrn Lieutenant," sagte er, indem er in dienstlicher Haltung das Billet dem jungen Mann ueberreichte. Dieser nahm es mit gleichgueltiger Miene, oeffnete es, und liess die Augen ueber den Inhalt gleiten. Eine dunkle Roethe flog ueber sein Gesicht, mit starrem Erstaunen, fast mit dem Ausdruck eines jaehen Schreckens las er die wenigen Zeilen, langsam sank seine Hand mit dem Papier auf seinen Schooss herab, indem seine Augen fortwaehrend unbeweglich auf den Worten ruhten, die er so eben gelesen. "Mein Gott," rief der alte Oberstlieutenant unruhig, "was ist das? Du hast doch keine boese Nachricht bekommen--doch nicht etwa eine Ehrensache?" Mit gewaltiger Anstrengung suchte der junge Mann seine Fassung wieder zu gewinnen. "Es ist Nichts," sagte er, das Papier zusammenfaltend und es in seine Uniform steckend, indem er mit einer gewissen Muehe die Worte hervorbrachte, "ein Bekannter ladet mich ein, mit ihm den Abend zu verbringen." "Aber Du bist doch so erschrocken," sagte der alte Herr forschend, "Du bist ja ganz roth geworden, Du zitterst." "Ich habe den ganzen Vormittag ueber Nichts gegessen," sagte der Lieutenant, "die warme Suppe und das Glas Rothwein haben mich ein wenig echauffirt,--es ist wirklich nichts, gar Nichts Unangenehmes. Es war ein leichter Schwindel, der bereits vorueber ist."-- Der alte Herr sah ihn ein wenig enttaeuscht an. Der Lieutenant, welcher bisher schweigend dagesessen hatte, begann mit einer etwas gewaltsamen Heiterkeit auf seine Erzaehlungen einzugehen, Erinnerungen anzuregen, von denen er wusste, dass sie seinem Vater lieb waeren, so dass dieser bald den kleinen Vorfall vergass und in aeusserst zufriedener Stimmung noch eine zweite Flasche St. Julien bringen liess, sehr vergnuegt darueber, dass sein Sohn so lebendig wie lange nicht an seinen Gespraechen Theil nahm. Als das Diner beendet, und das einfache Gedeck von dem Diener abgeraeumt war, setzte sich der Oberstlieutenant in einen grossen altmodischen Lehnstuhl, plauderte noch ein wenig, immer langsamer und langsamer sprechend mit seinem Sohn, deckte ein grosses seidenes Tuch ueber seinen Kopf und versank in seinen gewohnten Nachmittagsschlaf, welcher heute tiefer war als sonst und ihm in freundlichen aber verworrenen Bildern die Zukunft seines Sohnes zeigte, wie dieser mit militairischen Wuerden und Auszeichnungen geschmueckt den Namen derer von Buechenfeld zu immer hoehern Ehren brachte. Als der alte Herr eingeschlafen war, zog sich der Lieutenant in sein kleines Zimmer zurueck, setzte sich vor seinen grossen Tisch von weissem Holz, der mit Buechern, Plaenen und Karten bedeckt war, zog das kleine Billet aus seiner Uniform hervor und versenkte sich abermals in die Lectuere desselben. "Mein Gott," sagte er endlich mit tief bewegtem, fast schmerzlichem Ton, "mein Entschluss stand so fest, ich glaubte Alles ueberwunden, ich glaubte mit der Vergangenheit und all ihren suessen Lockungen abgeschlossen zu haben,--da dringt diese Botschaft zu mir, welche alle meine Entschluesse wieder umwirft, welche mich von Neuem in Kampf, in Unruhe und Zweifel versenkt-- "Mein lieber Freund." Las er, die Augen starr auf das Papier gerichtet. "Nach unserm letzten Gespraech glaube ich es mir und Ihnen schuldig zu sein, volle Klarheit zwischen uns zu schaffen. Die Verhaeltnisse machen eine Erklaerung zwischen uns nothwendig. Ich muss Sie sehen und sprechen,--gehen Sie heute Nachmittag fuenf Uhr in der Naehe unseres Hauses auf der Thiergartenpromenade auf und nieder. Ich werde Ihnen dort begegnen und Nichts wird uns verhindern, uns in hellem Tageslicht und vor den Augen aller Welt gegen einander auszusprechen." "Ein angefangenes Wort ist ausgestrichen," sagte er, immerfort sinnend das Papier betrachtend,--"ein einfaches A. ist die Unterschrift.--Ich habe niemals Anna's Handschrift gesehen," fuhr er fort, "aber es ist kein Zweifel, dieser Brief muss von ihr kommen. Was kann sie mir sagen wollen? Nach den Mittheilungen meines Vaters soll ihre Verbindung mit dem jungen Rantow so gut wie abgemacht sein--nach ihren letzten Worten freilich," sagte er, den Kopf in die Hand stuetzend, "musste ich glauben, dass ihr Herz sich mir zuneigte. Sie wollte das Opfer meiner Liebe nicht annehmen, sie gab mir Hoffnung,--oh, eine so suesse Hoffnung, welche ich mit so schwerer Ueberwindung aus meinem Herzen gerissen habe. Waere es moeglich"--ein Schimmer von Glueck und Freude erleuchtete sein Gesicht, in einer unwillkuerlichen Bewegung hob er das Papier empor, drueckte seine Lippen auf die Schriftzuege, dann sprang er auf und ging in heftiger Erregung in seinem Zimmer auf und nieder.-- "Sei es, was es will," rief er, "es waere unritterlich und feige, der Aufforderung einer Dame nicht zu folgen, einer Dame, der ich gesagt habe, dass ich sie liebe--und welche dieses Gestaendniss so guetig und freundlich aufgenommen, wie sie es gethan.-- Aber," fuhr er dann mit finsterm Ausdruck und dumpfer Stimme fort, "wenn sie mir sagen will, dass Alles zu Ende sei, wenn sie den Traum beenden will, von dem ich ihr voreilig und unvorsichtig vielleicht gesprochen? Nun," fuhr er mit entschlossenem Ton nach einem langen Schweigen fort, "auch das waere ein Zeichen, dass ich mich nicht in ihr getaeuscht habe, ein Zeichen, dass sie meiner Liebe werth war, und dass sie es auch verdient, dass ich diese Liebe ihrer Ruhe und ihrem Glueck opfere. Jedenfalls muss ich hingehen, soll es ein letzter Abschied sein, so wird ja nur das geschehen, wozu ich selbst fest entschlossen war, und dieser schoene Traum wird einen um so schoenern Abschluss finden, und," sagte er leise mit weichem Blick, dessen Ausdruck zwischen Schmerz und Glueck die Mitte hielt, "sollte der Kampf meiner Pflicht und meines Stolzes gegen meine Liebe sich erneuern--ich will und darf keinen Kampf scheuen! Das waere ein Misstrauen auf die eigene Kraft,--ich muss hingehen und werde stark genug sein, um Alles zu ertragen, was dieser verhaengnissvolle Augenblick mir bringen kann." Er blickte auf seine Uhr. "Noch ueber eine Stunde," sagte er,--"dass doch die Zeit oft so langsam vergeht, wenn man ihr Fluegel wuenscht und so rasch dahin schwindet, wenn man sie fesseln moechte." Er ergriff ein Buch und begann zu lesen, aber seine Gedanken waren nicht bei seiner Lectuere, in kurzen Zwischenraeumen sah er nach der Uhr, deren Zeiger kaum vorzuruecken schien; in zitternder Unruhe bewegte er sich hin und her; in schnellem Wechsel wurde sein Gesicht bald tief blass, bald gluehend roth; ein leichter Schweiss perlte an der Wurzel seiner Haare; und trotz aller Willenskraft, die er aufwendete, um ruhig zu bleiben, fand er sich nach Ablauf einer Stunde in jenem Zustand fieberhafter Aufregung, welchen der innere Kampf der Gefuehle und Gedanken bei aeusserer Unthaetigkeit stets hervorruft und welcher bei kraeftigen und nervoesen Naturen immer eine Folge des Wartens ist, dieses unertraeglichsten Zustandes unter allen Leiden, an denen das arme gequaelte Menschenleben so reich ist. Endlich war der Augenblick gekommen, er steckte den Degen ein, setzte die Muetze auf und verliess, ohne das Zimmer seines Vaters noch einmal zu betreten, das Haus. * * * * * Fraeulein Anna hatte in nicht geringerer Unruhe und Aufregung den Tag verbracht. Es war ihr nicht schwer geworden, einen Vorwand zu finden um zu der Stunde, welche sie ihrem Geliebten angegeben, allein auszugehen. Sie war ueberhaupt gewohnt, stets ganz nach den Eingebungen ihres eigenen Willens zu handeln, welchen ihre Mutter aus ueberlegener Gleichgueltigkeit, ihr Vater aus Zaertlichkeit selten ein Hinderniss in den Weg gelegt hatten. Noch einmal hatte sie sich Alles ueberdacht, was sie dem jungen Manne sagen wollte. Ihr Herz schlug in ungeduldiger Sehnsucht dem Augenblick entgegen, in welchem sie ihn wiedersehen wuerden. Es war ja unmoeglich, dass sein harter Sinn ihrer Liebe widerstehen koennte, da sie doch wusste, dass sein Herz ihr gehoerte. Mit bangem Zittern, aber mit einem gluecklichen, hoffnungsvollen Laecheln auf den Lippen verliess sie kurze Zeit vor der festgesetzten Stunde ihre Wohnung und begann auf der Thiergartenpromenade vor dem Hause ihrer Eltern auf- und abzugehen, wie sie es oefter um diese Zeit zu thun pflegte um frische Luft zu schoepfen. Unruhig forschend tauchte sich ihr Blick in die Ferne, aber unter all den alten Damen mit kleinen Huendchen in zierlichen blauen oder rothen Maenteln, unter all den Herren, welche in dem regelmaessig abgemessenen Spaziergang Erholung fuer die im Staub der Bureaus aller Arten verbrachten Morgenstunden suchten, entdeckte sie Denjenigen nicht, dem ihr Herz entgegenflog. Langsam, in tiefe Gedanken versunken, schritt sie weiter. "Guten Tag, Fraeulein Anna," ertoente ploetzlich eine Stimme unmittelbar neben ihr, und rasch aufblickend sah sie den Referendarius von Rantow, welcher sein Lorgnon vor den Augen, den Hut abnahm und sie zwar mit einer tiefen und artigen Verbeugung, aber doch mit der Vertraulichkeit eines alten Bekannten begruesste, welche sie um so unangenehmer beruehrte, als ihr diese Begegnung gerade im gegenwaertigen Augenblick ungemein unerwuenscht war. Mit einer kalten und abweisenden Miene erwiderte sie den Gruss des jungen Mannes, und wollte ihren Weg fortsetzen. Herr von Rantow blieb an ihrer Seite. "Ich habe Sie in den letzten Tagen in mehreren Gesellschaften vergeblich gesucht, mein gnaediges Fraeulein," sagte er, "in denen ich Ihnen sonst zu begegnen gewohnt war. Ich hoffe, Sie sind nicht leidend gewesen, Ihre bluehende Farbe sollte mich beruhigen. Wo solche Rosen auf den Wangen bluehen und solches Feuer aus den Augen leuchtet, kann Krankheit und Leiden keinen Platz finden," fuegte er mit hoeflich gleichgueltigem Ton hinzu, indem sein Blick oberflaechlich ueber das Gesicht und die Gestalt des jungen Maedchen hinglitt. "Ich danke, Herr von Rantow," sagte Anna mit dem Ton einer gewissen Verlegenheit, "ich befinde mich ganz wohl und war nur etwas nervoes verstimmt,--deshalb bin ich nicht in Gesellschaft gegangen und moechte jetzt einen kleinen Gang in der freien Natur machen, um _einsam_ meinen Gedanken nachzuhaengen." "Das sollten Sie nicht thun," erwiderte Herr von Rantow, ohne den ziemlich deutlichen Wink der Entlassung zu bemerken, welcher ebenso sehr in ihren Mienen, als in ihren Worten lag. "Die Einsamkeit ist kein Heilmittel fuer angegriffene Nerven, eine heitere gemuethliche Plauderei leistet viel bessere Dienste, ich will ein wenig versuchen, Ihr Arzt zu sein." "Sie sind zu guetig," erwiderte sie in leicht gereiztem Ton, "Jeder muss am besten wissen, was seiner Natur bei nervoesen Verstimmungen gut thut, und fuer mich ist ein _einsamer_ Spaziergang in der freien Luft," fuegte sie mit noch schaerferer Betonung hinzu, "das beste Heilmittel." "Fast darf ich Ihnen nach diesen Worten," erwiderte Herr von Rantow mit einem leichten Laecheln, waehrend er durch sein Glas in eine Seitenallee hinabsah, "meine Begleitung nicht weiter aufdraengen, und doch wird es mir schwer Sie zu verlassen. Wenn es aber Ihr Ernst ist, durchaus allein sein zu wollen--" "Mein voller Ernst," rief Anna schnell, indem eine dunkle Roethe ihr Gesicht ueberflog,--sie hatte wenige Schritte vor sich den Lieutenant von Buechenfeld bemerkt und machte eine unwillkuerliche Bewegung, als wolle sie ihm entgegen eilen. Herr von Rantow sah sie etwas befremdet an und folgte dann der Richtung ihres Blickes. "Ah, da ist Herr von Buechenfeld, ich habe ihn lange nicht gesehen! Auch ein Einsamer," fuegte er mit einem schnellen Seitenblick auf das junge Maedchen hinzu. "Waere die Einsamkeit ein Ding, das man theilen koennte, so wuerde ich vorschlagen, dass wir uns zu Dreien ihrem Genuss hingeben." Anna hoerte nicht, was er sprach, ihre Blicke waren unverwandt auf den jungen Officier gerichtet. Peinliche Verlegenheit malte sich in ihren Zuegen, unschluessig hielt sie ihre Schritte an, so dass sie fast neben Herrn von Rantow stehen blieb. Der Lieutenant von Buechenfeld hatte bei ihrem Anblick zunaechst in freudiger Bewegung einen Schritt vorwaerts gemacht, dann bemerkte er den jungen Herrn von Rantow, welcher in anscheinend vertraulichem Gespraech neben Fraeulein Anna herging. Eine tiefe Blaesse bedeckte ploetzlich seine Zuege, seine Augen oeffneten sich weit und blickten starr auf das Paar hin, welches vor ihm stehen blieb,--ein bitteres hoehnisches Laecheln verzog seine fest verschlossenen Lippen zu fast krampfhafter Entstellung, ein tiefer Athemzug hob seine Brust, schnell wandte er sich seitwaerts, und mit raschen Schritten ging er an den beiden jungen Leuten vorbei, mit kalter Hoeflichkeit Fraeulein Cohnheim militairisch gruessend. Das junge Maedchen zitterte in heftiger Bewegung, ihre Augen richteten sich mit magnetischem Glanz auf den schnell vorueberschreitenden jungen Officier; ein tiefer Seufzer, fast wie ein leiser angstvoller Schrei, rang sich aus ihrem Munde hervor, sie machte eine Bewegung, als wolle sie die Haende ausstrecken. "Um Gottes Willen Herr von Buechenfeld!" rief sie. Aber ihre Stimme war von tiefer, innerer Erregung so zusammengepresst, dass ihre Worte kaum vernehmbar nur zu dem Ohr des unmittelbar neben ihr stehenden Herrn von Rantow drangen. Im hoeflichen Diensteifer wandte sich dieser um. "Buechenfeld!" rief er, "so hoere doch,--wie unhoeflich, so vorbei zu laufen,--Fraeulein Cohnheim ruft Dich." Er hatte den jungen Officier eingeholt, legte die Hand auf seinen Arm und zwang ihn, still zu stehen. Mit starrem Blick, immer jenes hoehnische, bittere Laecheln auf den Lippen, kehrte er, von Herrn von Rantow gefuehrt, zu dem jungen Maedchen zurueck, das ihn zitternd erwartete. "Ich habe Sie so lange nicht gesehen, Herr von Buechenfeld," stammelte sie mit unsicherm Ton, "ich wollte Ihnen sagen,--dass--" sie blickte auf Herrn von Rantow, der mit einem artigen Laecheln auf den Lippen neben ihr stand, und dann schlug sie die Augen nieder,--sie schien nach Worten zu suchen, zornig biss sie ihre glaenzenden Zaehne auf die Lippen und trat heftig mit dem Fuss auf den Boden. "Es ist sehr freundlich, dass Sie sich meiner erinnern," sagte der Lieutenant von Buechenfeld mit kalter, schneidender Hoeflichkeit. "Ich bin unendlich erfreut, Ihnen hier begegnet zu sein, zu meinem tiefen Bedauern muss ich aber um Verzeihung bitten, dass ich mich keinen Augenblick aufhalten kann,--der unerbittliche Dienst ruft mich." Er gruesste militairisch, neigte leicht den Kopf gegen Herrn von Rantow, und eilte dann mit schnellen Schritten davon. Anna athmete tief auf, sie machte eine Bewegung, als wolle sie ihm nacheilen, doch das waere vergeblich gewesen, er entfernte sich in immer schnellerem Gang, sie--sah ihm mit brennendem Blick nach. Ein Zug tiefer schmerzlicher Trauer erschien auf ihrem Gesicht. "Ich begreife nicht," sagte Herr von Rantow, "was er haben kann, er sah ja ganz verstoert aus. Sollte er dienstliche Unannehmlichkeiten gehabt haben?" Fraeulein Anna sah ihn mit zornfunkelnden Augen an, in ihren Wimpern zeigte sich ein feuchter Thraenenschimmer. "Ich bedaure sehr, Herr von Rantow," sagte sie mit kaltem Ton, "dass ich nicht laenger das Vergnuegen Ihrer Gesellschaft haben kann, die Luft greift mich an, ich will nach Hause zurueckkehren." Bevor der junge Mann antworten konnte, hatte sie sich mit einem leichten Gruss abgewendet und schritt schnell dem Hause ihrer Eltern zu. "Wir gehen denselben Weg," sagte er ganz erstaunt, "ich will so eben zu meinen Eltern." Aber bereits war sie weit entfernt, ohne seine Worte zu hoeren. Erstaunt blickte er ihr nach. "Was geht denn da vor!" sprach er kopfschuettelnd vor sich hin. "Sollte da eine ernste Herzensangelegenheit spielen,--das wuerde mir nicht zu meinen Absichten passen, ich kann kaum eine bessere Partie finden, das Alles fuegt sich so vortrefflich,--nun, ich glaube kaum, dass es ein ernstes Hinderniss sein wird," sagte er dann, sich leicht den Schnurrbart streichend, "dieser Buechenfeld mit seinen altfraenkischen Anschauungen wird kaum an eine ernste Bewerbung denken, und der alte Cohnheim wird auch wenig Lust haben, sein einziges Kind einem Officier zu geben, der Nichts weiter besitzt als seinen Degen." Langsam schritt er dem weit vorausgeeilten jungen Maedchen nach und trat einige Zeit spaeter als sie in das Haus des Commerzienraths, dessen Parterre seine Eltern bewohnten. Der Lieutenant von Buechenfeld war in schmerzlicher Erregung dem Brandenburger Thor zugeschritten. Er blickte starr vor sich hin, kaum die Voruebergehenden beachtend und nur mit seinen finstern Gedanken beschaeftigt. "Das also ist es gewesen," fluesterte er, "sie hat mir zeigen wollen, dass Alles zwischen uns aus sein soll, dass Alles fuer sie nur das fluechtige Spiel einer augenblicklichen Laune war. Ein Abschied hat es sein sollen, aber nicht ein freundlicher Abschied, welcher mit seinem sanften Strahl das kuenftige Leben erleuchtet und den Schmerz der Trennung verklaert. Nein, dieser Abschied war fast ein Hohn auf die Vergangenheit, sie wollte sich mir auf meinem einsamen Wege an der Seite Desjenigen zeigen, der das Glueck besitzen soll, das ich vergeblich ersehnte.-- "Das Glueck?" sagte er, indem er die Augen fragend emporschlug,--"kann es ein Glueck geben an der Seite eines Wesens, das so herzlos mit den edelsten Gefuehlen spielt, das auf solche Weise eine Liebe von sich weisen kann, deren Tiefen sie kaum zu ermessen verstehen mag,--und sie haette es ja nicht noethig gehabt," sprach er, grimmig die Lippen auf einander pressend, "sie haette es nicht noethig gehabt, mir so meinen Abschied zu geben. Ich habe sie doch wahrlich mit meiner Liebe nicht verfolgt, ich habe mich still und schweigend zurueckgezogen. Warum hat sie mich nicht ruhig meiner Wege gehen lassen? Ach, wie tief habe ich mich in ihr getaeuscht! Wie Recht hatte mein Vater, dass in diesen Kreisen der reich gewordenen Parvenus es kein Herz und kein Gefuehl giebt." Er sah sich ploetzlich von mehreren Kameraden umringt, deren Annaeherung er nicht bemerkt hatte, und welche ihm lachend den Weg vertraten. "Endlich trifft man ihn einmal, diesen verkoerperten Fleiss," rief ein junger Dragonerofficier. "Er bereitet sich zum Chef des grossen Generalstabs vor und macht Tag und Nacht die Plaene zu den Schlachten, die er kuenftig gewinnen will. Aber jetzt haben wir ihn, jetzt soll er mit uns kommen. Es ist heute Hohensteins Geburtstag," sagte er, auf einen Husarenofficier deutend, "wir sind es ihm aus Freundschaft schuldig, diesen wichtigen Tag zu feiern. Buechenfeld darf sich nicht zurueckziehen, wenn er nicht ein schlechter Kamerad ist. Wir wollen zu Borchard gehen, dort ist ein vortrefflicher Romanee mousseux, dessen Bekanntschaft er machen soll. Ein ganz ausgezeichneter Stoff, etwas schwer,--aber wo man den Geburtstag eines guten Freundes feiert, darf man ja nicht ganz kalt und nuechtern bleiben." Er ergriff den Arm des Lieutenants von Buechenfeld und zog ihn fort. Die Andern folgten. "Es ist wahr," rief Buechenfeld flammenden Blickes, "ich habe zu viel gearbeitet, zu viel nachgedacht und gegruebelt, ich will mir einmal den Kopf frei machen von allen Gedanken. Koennte ich Vergessenheit trinken," sagte er leise vor sich hin,--"wie die Alten mit dem Wasser des Flusses der Unterwelt alle Erinnerungen an die Leiden des Lebens aus ihrer Seele fortspuelten!" Unter heitern und froehlichen Gespraechen schritten die Officiere die Linden entlang und begaben sich in das elegante, altbewaehrte Local von Borchard in der Franzoesischen Strasse. Der alte Kellner mit dem kraenklichen, klug blickenden Gesicht, welcher so genau seine Gaeste zu classificiren verstand und den Geschmack und die Gewohnheiten eines Jeden stets scharf im Gedaechtniss behielt, brachte die dickbaeuchigen Flaschen in den eisgefuellten Kuehlern. Die Pfropfen wurden entfernt, und das edle, dunkelrothe Getraenk mit dem weissen Schaum ergoss sich in die zierlichen Krystallkelche. Der Lieutenant von Buechenfeld, welcher ernst und mit finsterm Schweigen sich der Gesellschaft der Uebrigen angeschlossen hatte, stuerzte ein Glas des purpurnen Getraenkes nach dem andern hinunter,--eine wilde Heiterkeit schien sich seiner zu bemaechtigen, seine Augen flammten, seine Wangen gluehten, ganz seiner sonstigen Gewohnheit entgegen begann er mit spruehendem Witz an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Aber dieser Witz war nicht wohlthuend, belebend und erheiternd,--er war scharf, schneidend, Alles in den Staub herabziehend, was dem ernsten Sinn des jungen Mannes sonst unantastbar gewesen war. Seine Freunde sahen sich ganz erstaunt an. "Buechenfeld muss etwas sehr Glueckliches passirt sein," sagte der Dragonerofficier, "so habe ich ihn noch nie gesehen." "Oder," sagte der Husar lachend, "er steht im Begriff, sich todtzuschiessen. Das ist ja der reine Galgenhumor, der aus ihm spricht." "Weder das Eine noch das Andere," meinte ein Dritter, "es ist einfach dieser ausgezeichnete Rebensaft von Burgund, der unsern stillen Freund so gespraechig macht." "Oder sollte er etwa verliebt sein," sagte der Dragoner, "das waere ja das Allermerkwuerdigste, das man erleben koennte,--er, der bis jetzt gar keine Augen fuer ein weibliches Wesen zu haben schien und nur seinen Studien gelebt hat." "Ja, ja," rief der Lieutenant von Buechenfeld laut lachend, "Du hast es getroffen, ich bin verliebt. Das ist doch wahrlich werth," sagte er, ein neues Glas herunterstuerzend, "aus seiner gewohnten Ruhe herauszutreten. Nein, nein," fuhr er dann mit schneidendem Hohn fort, "wenn ich verliebt waere, dann waere mir doch wirklich besser, dass ich mich auf ein Pulverfass setzte und in die Luft sprengte. Denn was ist die Liebe?" sagte er ploetzlich duester;--"die unwuerdige Fessel, welche den Willen, den Muth und die Kraft eines Mannes an die fluechtige Laune einer Frau kettet und den hohen Flug edler Seelen herabzieht in den Staub und sie zum Spott Derer werden laesst, die sie nicht begreifen koennen!" Immer lauter, immer lustiger wurde die Unterhaltung; immer hoeher gluehten die Wangen des Herrn von Buechenfeld, und bereits begannen seine Freunde mit einiger Besorgniss zuzusehen, wie er fortwaehrend sein Glas fuellte, um es augenblicklich wieder zu leeren. Es war dunkel geworden, die Gasflammen waren angezuendet. Einige einzelne Herren hatten an kleinen Tischen in dem vordern Theil des Zimmers Platz genommen, in dessen Hintergrunde die jungen Officiere sich befanden. Der Referendar von Rantow trat herein, liess durch sein Lorgnon den Blick durch das grosse Zimmer gleiten und naeherte sich dann der Gruppe der Officiere, die ihm saemmtlich bekannt waren. Er wurde von Allen freundlich begruesst, rasch reichte man ihm einen gefuellten Kelch und stellte einen Sessel fuer ihn in den Kreis der Uebrigen. Der Lieutenant von Buechenfeld war in die Ecke eines Divans zurueckgesunken, sein etwas starrer Blick ruhte mit unbeschreiblichem Ausdruck auf dem Baron von Rantow, ein veraechtliches Laecheln zuckte um seine Lippen. "Sieh da, Buechenfeld," sagte der Referendarius, ihm freundlich zunickend, "ist Deine Dienstzeit zu Ende? Du warst vorhin ja so wild und unzugaenglich nicht nur gegen mich, sondern auch gegen eine Dame, die Dich rief und gern mit Dir sprechen wollte,--das war nicht hoeflich." "Ihm muss ueberhaupt etwas ganz Ausserordentliches passirt sein," sagte der Husarenofficier,--"er ist heute in einer Laune, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Sehr amuesant freilich, aber ich moechte ihn so nicht in fremde Gesellschaft gehen lassen, sonst koennte wohl morgen Einer von uns das Vergnuegen haben, ihm zu secundiren." Herr von Buechenfeld warf dem Sprechenden einen fluechtigen Blick zu, stuerzte abermals ein Glas hinunter und sagte mit etwas unsicherer Stimme: "Das wuerde nicht zu besorgen sein,--ich bin im Gegentheil in sehr friedlicher Stimmung,--sehr friedlich--und sehr vergnuegt.--Du hast Recht, mir ist etwas sehr Gutes, ein grosses Glueck widerfahren, ich bin einer grossen Gefahr entronnen,--ich stand im Begriff einen tiefen Fall zu thun,--einen tiefen, tiefen Fall," sagte er mit dumpfem, allmaelig immer leiser und leiser verklingendem Ton;--dann sank sein Haupt auf die Brust nieder, er schwieg und schien nun in Gedanken seinen Satz zu beenden. Die Officiere wechselten bedeutungsvolle Blicke unter einander. "Ich fuerchtete schon," sagte Herr von Rantow laechelnd, "dass Du mir boese sein wuerdest, und dass ich die Ursache Deines schnellen Fortlaufens gewesen sei. Ich habe neulich schon so Etwas bemerkt,--sollten wir Nebenbuhler sein? Das waere nicht huebsch," fuegte er hinzu, "gute Freunde muessen sich ueber so Etwas verstaendigen." "Nebenbuhler?" riefen die Officiere neugierig,--"so haben wir doch Recht, so ist er doch verliebt. Es musste ja auch etwas ganz Ausserordentliches sein, was ihn so veraendern konnte." Herr von Buechenfeld richtete langsam den Kopf empor, seine mueden geschlossenen Augen oeffneten sich weit und blickten mit sonderbarem Ausdruck im Kreise umher. "Nebenbuhler," rief er dann mit lautem Lachen, sich zu Herrn von Rantow wendend, "waeren wir jemals Nebenbuhler gewesen, jetzt kannst Du ganz ruhig sein, ich trete Dir wahrhaftig nicht in den Weg. Ich schaetze dieses kindische Gefuehl, das man die Liebe nennt, nach ihrem wahren Werth; und ihr Werth ist sehr gering," fuegte er achselzuckend hinzu,--"ueber Dergleichen duerfen sich Maenner nicht entzweien. Wahrlich," fuhr er mit einer Stimme fort, die bald hoch anschwoll, die bald wieder zu leisem Ton herabsank, "staende hier eine Roulette zwischen uns, ich wuerde kaum einen Louisd'or gegen alle Liebeshoffnungen und Liebesansprueche der Welt setzen." "Das ist ein guter Gedanke," rief der Dragonerofficier, der ebenso wie die ganze Gesellschaft sich bereits unter dem Einfluss der Wirkung des feurigen Weines befand, "ein guter Gedanke, wenn Ihr Nebenbuhler seid, setzt Eure Chancen gegen einander. Das ist ein viel besserer Weg, zur Klarheit zu kommen, als sich die Haelse zu brechen. Eine Roulette ist nicht hier, spielt eine Partie Ecarte um Eure Schoene--" "Vortrefflich, vortrefflich!" riefen die Andern jubelnd,--"ein ausgezeichneter Gedanke!" "Unglueck im Spiel, Glueck in der Liebe!" rief der Husarenofficier. "Wer das Spiel gewinnt, muss seine Liebesansprueche aufgeben--" "Warum nicht," rief Herr von Buechenfeld, dessen Blicke sich immer verschleierten, "gebt die Karten her!" Herr von Rantow schien ein wenig verlegen zu sein, er wollte einige Bemerkungen machen, die Uebrigen liessen ihn nicht zu Worte kommen. Bereits hatte Einer von ihnen zwei Spiele Ecartekarten gebracht, man raeumte eine Ecke des Tisches vor Herrn von Buechenfeld leer und zog Herrn von Rantow zu dem jungen Officier hin. "Ich setze hundert Louisd'or," sagte dieser, indem er den Blick forschend auf Herrn von Buechenfeld richtete, wie es schien in der Hoffnung, durch diesen hohen Einsatz den jungen Mann zum Nachdenken zu bringen. "Ich nehme an," sagte dieser, starr vor sich hinblickend, und schnell leerte er noch ein Glas. "Wer gewinnt," rief der Dragonerofficier, "zahlt also hundert Louisd'or und hat das alleinige Recht der Dame, um die es sich handelt, die Cour zu machen. Der Andere darf auf sein Ehrenwort nie wieder mit ihr sprechen." Fragend blickte Herr von Rantow, welcher die Karten noch immer nicht ergriffen hatte, auf Herrn von Buechenfeld. "Angenommen," sagte Dieser, griff mit einer etwas unsicheren Bewegung nach dem Spiel und hob ab. "Drei," sagte Herr von Rantow,--dann coupirte und zeigte ein Ass. "Du giebst," sagte der Lieutenant immer in demselben dumpfen Ton. Das Spiel begann. In rascher Folge legte Herr von Rantow mehrere Male den Koenig auf, und nach wenigen Abzuegen hatte er die Partie gewonnen. Hoehnisch lachte Herr von Buechenfeld laut auf. "Du hast das schoene Fraeulein Cohnheim gewonnen!" rief er, die Karten durcheinander werfend,--"ich gratulire Dir!"--er sank auf seinen Stuhl zurueck, sein Haupt fiel muede auf die Brust nieder. Herr von Rantow zuckte zusammen. Trotz der mehr als heiteren Stimmung, die in dem ganzen Kreise herrschte, trat ein tiefes Schweigen ein. Die Officiere sahen sich mit verlegenen Blicken an. "Ich habe gewonnen, nach der Verabredung muss ich den Einsatz bezahlen," sagte Herr von Rantow mit einer Miene, welche ausdrueckte, dass er dieser peinlichen Scene so schnell als moeglich ein Ende machen wollte. Er zog einige Goldstuecke aus seinem Portemonnaie, fuegte aus seinem Portefeuille einige Bankbillets dazu, legte das Geld vor Herrn von Buechenfeld auf den Tisch und erhob sich. Der Lieutenant von Buechenfeld richtete den Kopf auf, streckte die Hand aus und streute das Geld auf dem Tisch umher. "Der Einsatz ist zu hoch," sagte er mit rauher Stimme in abgebrochenen Worten, "Du bist betrogen, der Gegenstand ist so hohen Spiels nicht werth, ich kann das nicht annehmen." Und abermals sank er in seinen Stuhl zurueck, seine Augen schlossen sich, sein Haupt fiel matt gegen die Lehne. Rasch wurde an einem der Seitentische ein Stuhl zurueckgeschoben. Einer der dort sitzenden Herren erhob sich, ergriff seinen Hut und rief den Kellner. Herr von Rantow blickte hin und erkannte den Commerzienrath, der Alles mit angehoert hatte. "Wie peinlich, wie unangenehm," sagte er, waehrend die ernst gewordenen Officiere schweigend um ihn her standen. "Meine Herren," fuhr er fort, "ich glaube nicht, dass es moeglich ist, mit Herrn von Buechenfeld heute noch ein Wort zu sprechen. Sie werden ihm einen grossen Dienst leisten, wenn Sie dafuer sorgen, dass er so bald wie moeglich nach Hause zurueckkehrt. Leben Sie wohl, morgen wollen wir weiter darueber reden." Und schnell ging er dem Commerzienrath nach, welcher bereits seine Rechnung bezahlt und das Zimmer verlassen hatte. Die heitere und uebermuethige Weinlaune der Officiere war verschwunden, sie Alle fuehlten, dass hier etwas Ernstes sich vollzogen habe, das schwere Folgen nach sich ziehen muesse. Sie brachen auf, der Lieutenant von Buechenfeld liess sich ruhig und ohne weiter ein Wort zu sprechen nach einer herbeigeholten Droschke fuehren. Zwei seiner Kameraden begleiteten ihn nach Hause und erzaehlten dem alten Oberstlieutenant, dass sein Sohn in einer kleinen Gesellschaft ein wenig von der allgemeinen Heiterkeit mit fortgerissen sei. Der alte Herr laechelte ganz vergnuegt darueber und freute sich im Stillen, dass die jugendliche Lebenslust bei seinem Sohne einmal den Sieg ueber seine Neigung zu einsamem Gruebeln davon getragen habe. Fuenftes Capitel. Fraeulein Anna war in einem Sturm widersprechender Gefuehle nach Hause zurueckgekehrt, sie hatte in das Verhaeltniss zu ihrem Geliebten Licht und Klarheit bringen wollen, statt dessen war durch ein unglueckseliges und verhaengnissvolles Zusammentreffen der Umstaende eine neue und noch groessere Verwirrung entstanden. Unmuthig warf sie ihren Hut von sich und riss hastig die Handschuhe von den zitternden Haenden. "Welch ein unglueckseliges Zusammentreffen," rief sie heftig, "ich haette daran denken sollen. Aber wie ist es moeglich, dass er mich nicht einmal anhoeren wollte. Einige Worte haetten Alles aufgeklaert. Es ist ja schon ganz widersinnig, dass er von einer so eifersuechtigen Leidenschaft erfasst werden kann, nachdem ich ihm gestern geschrieben." Sie warf sich auf ihren Divan und blickte in rathloser Unschluessigkeit zu der Decke des Zimmers empor. Sie zuernte sich selbst, sie zuernte ihrem Geliebten, der so hart und ruecksichtslos ihr jede Erklaerung abgeschnitten hatte, vor Allem aber zuernte sie dem Herrn von Rantow, welcher so unberufen und stoerend in ihre Combinationen eingegriffen hatte. "Es ist unerhoert," rief sie, "wenn er mir zutrauen kann, dass ich mit dem jungen Baron in irgend welchen Beziehungen staende--aber," fuhr sie fort, "sein Charakter ist so misstrauisch, er ist so geneigt, Alles schwarz zu sehen. Es ist unmoeglich, eine andere Erklaerung fuer sein Benehmen zu finden. Was soll ich thun?--Ihm noch einmal schreiben?--Er wuerde mir nicht glauben! Er wuerde nicht noch einmal zu mir kommen, nachdem er im Stande gewesen, trotz meiner Bitte, trotz der Bekuemmerniss und der Unruhe, die er in meinen Blicken hat lesen muessen, mir das Gehoer zu versagen! Er ist hart wie Stein," rief sie, in heftiger Erregung die Bandschleifen ihres Kleides zerknitternd, "aber gerade darum liebe ich ihn! Er ist nicht wie all' die andern jungen Herren, die weich und elastisch wie Gummi sich hin und her ziehen lassen; hinter dieser harten Schale liegt ein edler und weicher Kern. Aber wie zu ihm gelangen? Wie den Weg finden zu diesem mit siebenfachem Erz umguerteten Herzen?" Sie dachte lange nach. In fieberhafter Unruhe bildete sie Plaene auf Plaene, um sie alle wieder zu verwerfen. "Es giebt nur einen Weg," rief sie endlich mit festem entschlossenen Ton, "Licht in all dieses Dunkel zu bringen. Ich will mit meinem Vater sprechen. Er kann," fuegte sie unwillkuerlich laechelnd hinzu, "meinen ernsten Bitten auf die Dauer nicht widerstehen. Er muss es uebernehmen, diesem unerbittlichen Stolz Genugthuung zu geben. Er wird mir das Glueck meines Lebens nicht versagen, wenn er sich auch mit anderen Plaenen tragen sollte." Dieser Entschluss schien sie zu beruhigen; nachdem sie noch laengere Zeit ueber die Ausfuehrung desselben nachgedacht hatte, ging sie in den Salon ihrer Eltern, wo ihre Mutter sie bereits am Theetisch erwartete. Die Frau Commerzienraethin ergriff abermals die Gelegenheit, ihrer Tochter eine kleine Vorlesung darueber zu halten, was sie der Stellung ihres Vaters schuldig sei, und wie sie ihrerseits stets daran denke, fuer sie eine passende Verbindung zu finden, so muesse auch Anna darauf bedacht sein, in ihrem Verkehr mit der jungen Herrenwelt nur solchen Personen eine Annaeherung zu erlauben, welche durch ihr Vermoegen und ihre gesellschaftliche Stellung im Stande waeren, sich in die Reihe der Bewerber um die Tochter des grossen Finanzmannes zu stellen, welcher bestimmt sei, noch weit hoehere Stufen auf der Leiter der Gesellschaft zu ersteigen. Fraeulein Anna hoerte schweigend die Auseinandersetzungen ihrer Mutter an, an welche sie sich seit einiger Zeit als etwas Unabaenderliches gewoehnt hatte, und welche ihr, da sie darauf zu erwidern nicht fuer noethig hielt, die erwuenschte Gelegenheit gaben, ihren Gedanken nachzuhaengen. Dies tete-a-tete zwischen Tochter und Mutter hatte bereits laengere Zeit gedauert, als der Commerzienrath in grosser Aufregung in das Zimmer trat. Er vergass, was er sonst stets mit einer etwas forcirten Galanterie zu thun pflegte, seiner Frau die Hand zu kuessen, und beachtete auch den freundlichen Gruss seiner Tochter kaum, welche ihm entgegen gegangen war und ihm Hut und Stock abgenommen hatte. Er ging mit kurzen unruhigen Schritten auf und ab, bewegte die Haende in lebhaften Gesticulationen und fluesterte abgebrochene Worte vor sich hin. Erstaunt sah ihm die Commerzienraethin eine Zeit lang zu, dann sagte sie in etwas vorwurfsvollem Ton, in dem sich jedoch ein Anklang unruhiger Besorgniss beimischte: "Du scheinst unsere Gesellschaft nicht zu beachten und vollstaendig in Deinen geschaeftlichen Combinationen vertieft zu sein. Vielleicht waere es besser, die Berechnungen ueber Deine Geschaefte in Deinem Zimmer vorzunehmen und hier Dich ein wenig der Unterhaltung mit Deiner Familie zu widmen--oder," fuhr sie fort, "hast Du so peinliche und unangenehme Nachrichten erhalten, dass Dich ernste Sorgen selbst hierher verfolgen?" "Es ist unerhoert," sprach der Commerzienrath halb zu sich selber, "es ist eine sehr unangenehme Geschichte,--es waren noch verschiedene Personen dabei; morgen wird vielleicht ganz Berlin davon sprechen! Was kann man thun? Wie kann man dem Scandal vorbeugen?" "Aber ich bitte Dich," sagte die Commerzienraethin, welche jetzt ernstlich beunruhigt zu sein schien, "so sage uns doch endlich, was Dich so aufregt--wovon kann morgen ganz Berlin sprechen? Deine Unternehmungen und Deine financielle Stellung sind doch nicht auf den Zufall begruendet? Es kann doch keine Katastrophe Dein Haus und Dein Geschaeft vernichtend treffen?" "Haus und Geschaeft," rief der Commerzienrath achselzuckend, indem er noch immer unruhig und hastig auf- und niederschritt, "das kommt nicht in Betracht--aber meine gesellschaftliche Stellung, der Name meiner Tochter--was wird man dazu sagen? Wie werden alle meine Feinde mich verhoehnen!" Jetzt wurde auch Fraeulein Anna aufmerksam. "Du hast von mir gesprochen, lieber Papa," sagte sie. "Ich bitte Dich, was giebt es--so erzaehle uns doch." "Ich muss Dich jetzt sehr ernstlich bitten," sagte die Commerzienraethin im strengen Ton, "uns mitzutheilen, was Dich so sehr in Unruhe versetzt, denn nach Deinen letzten Worten geht es mich doch ebenso sehr an als Dich, ja vielleicht mehr, denn unsere gesellschaftliche Stellung aufrecht zu erhalten," sagte sie, den Kopf erhebend, "und ueber den Ruf meiner Tochter zu wachen, das ist doch vorzugsweise meine Aufgabe." "Was es giebt," rief der Commerzienrath, indem er an den Theetisch herantrat,--"etwas sehr Unangenehmes, etwas sehr Boeses, meine Tochter ist beleidigt,--oeffentlich beleidigt, verhoehnt im Restaurationszimmer bei Borchard vor einer Menge von Officieren, vor verschiedenen unbekannten Herren, welche die Geschichte natuerlich so schnell als moeglich weiter tragen werden. Wie werden alle meine Feinde triumphiren, welche mich schon so lange beneidet haben und gewiss so sehnlich wuenschen, endlich einmal Gelegenheit zu finden, um sich an mir raechen zu koennen." "Was ist geschehen," fragte jetzt auch Fraeulein Anna ernst und dringend, "wer hat mich beleidigt und wie? Ich muss es wissen." "Wer?" sagte der Commerzienrath, "Du wirst ihn kaum kennen, ein ganz unbedeutender, junger Officier von irgend einem Linienregiment, dem ich die Ehre erwiesen habe, ihn in mein Haus einzuladen, eigentlich nur, weil ich ihn bei meinem Freunde, dem Baron von Rantow, einmal begegnete, ein kleiner Lieutenant von Buechenfeld." Anna wurde bleich wie der Tod, ihre grossen Augen starrten mit entsetztem Ausdruck auf ihren Vater. Sie stuetzte die Hand auf den Tisch, ihre ganze Gestalt schwankte unsicher hin und her. "Lieutenant von Buechenfeld," sprach sie leise mit fast tonloser Stimme, waehrend ihre Mutter einen schnellen forschenden Blick auf sie warf, indem ein leichtes hoehnisches Laecheln um ihren hochmuethig aufgeworfenen Mund zuckte. "Er war," sprach der Commerzienrath eifrig,--"Du musst es ja doch wissen, damit Du danach Dein Benehmen einrichten kannst,--er war in Gesellschaft mehrerer Officiere und schien mir schon, als ich in das Zimmer trat und von Jenen unbemerkt in der Naehe an einem Tische Platz nahm, um eine kleine Erfrischung zu mir zu nehmen, sehr aufgeregt,--die Herren mochten wohl schon lange bei einander gesessen und viel getrunken haben. Der junge Herr von Rantow kam ebenfalls zu ihnen, und es fielen zwischen ihm und Herrn von Buechenfeld einige anzuegliche Redensarten von Nebenbuhlerschaft, von einer Dame und so weiter, auf die ich nicht besonders Acht gab. Der Lieutenant von Buechenfeld machte einige sehr wegwerfende Bemerkungen ueber die fragliche Dame und sagte, er wuerde ihre Liebe im Ecarte gegen einen Louisd'or versetzen. Die heitere Gesellschaft griff diesen Gedanken auf, man brachte Karten, Herr von Rantow, der ein vortrefflicher Cavalier ist, gab sich die groesste Muehe, das Spiel zu verhindern und schien nur darauf einzugehen, um in der sehr erregten Gesellschaft nicht noch groesseren Eclat herbeizufuehren. Herr von Buechenfeld, welcher kaum noch seiner Sinne maechtig schien, verspielte das Recht seiner Bewerbung um die fragliche Dame gegen hundert Louisd'or,--ich ahnte noch immer nichts Boeses,--dann warf er die Karten mit den lauten Worten hin:--Du hast das schoene Fraeulein Cohnheim gewonnen, ich wuensche Dir Glueck dazu, aber der Einsatz ist zu hoch, ich kann ihn nicht annehmen.--Ich war wie vom Schlage getroffen, ich wusste kaum, was ich sagen und was ich thun sollte, nur mit Muehe behielt ich die Fassung, um mit einigem Anstand das Zimmer zu verlassen." Anna schwankte wie gebrochen zu einem Sessel und sank auf denselben nieder, das Gesicht mit den Haenden bedeckend und krampfhaft schluchzend. Der Commerzienrath eilte zu ihr hin und streichelte mit besorgter Miene ihr schoenes glaenzendes Haar. "Ja, es ist schrecklich, mein armes Kind, so ganz unschuldig beleidigt und gekraenkt zu werden. Aber troeste Dich, rege Dich nicht zu sehr auf. Verschweigen konnte ich es ihr ja doch nicht," sagte er, zu seiner Frau gewendet, "sie musste es ja doch erfahren." "Das kommt davon," sagte die Commerzienraethin, indem sie mit kaltem strengem Blick zu ihrer Tochter hinuebersah, "wenn man nicht vorsichtig in der Auswahl der Personen ist, die man in seiner Gesellschaft zulaesst,--der Lieutenant von Buechenfeld, glaube ich, war der junge, mir unbekannte Officier, mit welchem Du neulich den Cotillon tanztest, den Du Herrn von Rantow abgeschlagen hattest, das kommt davon; solche Leute setzen sich dann Dinge in den Kopf, fassen Hoffnungen, und da ihnen der Takt der vornehmen Gesellschaft mangelt, so begehen sie schliesslich irgend eine Niedrigkeit zum Dank fuer Wohlwollen und Freundlichkeit." "O, wie waere es moeglich gewesen," rief Fraeulein Anna, ohne die Worte ihrer Mutter zu beachten und nur mit ihren eigenen Gedanken beschaeftigt, "wie waere es moeglich gewesen, so Etwas zu denken, an eine solche Schlechtigkeit und Erbaermlichkeit zu glauben,--und das, nachdem--" sie bedeckte abermals das Gesicht mit den Haenden und sank still weinend in sich zusammen. "Nun, mein Kind," sagte der alte Commerzienrath, den die heftige Erregung seiner Tochter tief zu beunruhigen begann, "so uebermaessig ernsthaft muss man die Sache auch nicht nehmen. Es laesst sich immer noch ein Weg finden, das Alles auszugleichen, und vielleicht ein sehr guter, ein sehr ehrenvoller Weg. Ich bin," fuhr er fort, "mit dem Herrn von Rantow nach Hause gegangen, welcher mir gleich nachfolgte, als ich das Lokal verlassen hatte. Wir haben ein sehr ernstes Gespraech mit einander gefuehrt, das sich auf den Fall bezog, und das ich Dir eigentlich erst morgen mittheilen wollte," sprach er weiter,--"indess, da ich mich nun einmal habe hinreissen lassen, die ganze Sache zu erzaehlen, so ist es besser, wenn wir darueber auch heute gleich sprechen." Fraeulein Anna blickte erwartungsvoll ihren Vater an, der einige Male rasch im Zimmer auf- und niederging; dann vor einem Tische stehen bleibend und mit einem schnellen Seitenblicke auf seine Frau, welche sich in einen Lehnstuhl gesetzt hatte und grade aufgerichtet, mit strenger Miene die weitere Entwickelung dieser Scene erwartete, begann er, eine gewisse wuerdevolle Wichtigkeit in seinen Ton legend: "Der junge Herr von Rantow, der ein ganz vortrefflicher Cavalier ist, und der ganz genau weiss, was in der grossen Welt und in der feinsten Gesellschaft sich schickt und passt--" "Besser als andere Leute," fiel die Commerzienraethin ein, "welche sich in die Gesellschaft eindraengen, und welche man nie haette aufnehmen sollen--" "Der Herr von Rantow," fuhr der Commerzienrath fort, indem er die Brust hervorstreckte und versuchte, durch einen imponirenden Blick die Zwischenreden seiner Frau abzuschneiden, "hat mir gesagt, wie leid es ihm thaete, dass diese Scene stattgefunden habe,--er habe alles Moegliche gethan, um sie zu vermeiden, und habe es schliesslich fuer das Beste gehalten, auf den Scherz der aufgeregten Gesellschaft einzugehen, um so schnell als moeglich von der ganzen Sache abzukommen. Er habe natuerlich nicht im Entferntesten ahnen koennen, dass der Herr von Buechenfeld in so unglaublicher Weise den Namen einer Dame unter solchen Umgebungen und solchen Verhaeltnissen nennen wuerde. Nachdem das vorgefallen, hat er mir gesagt," fuhr der Commerzienrath mit etwas gedaempfter Stimme fort, "werde ihm Nichts uebrig bleiben koennen, als fuer die Ehre der Dame, die in seiner Gegenwart und in Beziehungen auf ihn so unerhoert beleidigt sei, persoenlich einzutreten." Die Commerzienraethin lehnte sich steif zurueck, indem ein befriedigtes Laecheln auf ihrem Gesicht erschien. Anna richtete flammenden Blickes den Kopf empor. "Warum bedarf es eines fremden Armes, um uns zu vertheidigen,--oh," fuhr sie fort, indem ihre Lippen bebten und ihre Haende sich krampfhaft verschlangen, "warum ist man wehrlos gegen solche Niedrigkeit und Erbaermlichkeit?" "Du bist nicht wehrlos, mein Kind," sagte der Commerzienrath, indem er zu ihr herantrat und ihr leicht mit der Hand ueber den Kopf strich, "der junge Herr von Rantow wird morgen schon, wenn dieser Lieutenant von Buechenfeld wieder fuer vernuenftige Worte zugaenglich ist, ihn zu einer oeffentlichen und bestimmten Ehrenerklaerung auffordern, und, wenn er sich weigert, so wird er ihn zwingen," sagte er mit stolzem und wichtigem Ausdruck, "ihm mit den Waffen in der Hand Rechenschaft zu geben." "Damit er womoeglich noch verwundet oder erschossen wird," rief Fraeulein Anna, veraechtlich die Achseln zuckend, "und ich noch mehr der Gegenstand des oeffentlichen Gespraeches und des oeffentlichen Spottes werde." "Des Spottes niemals, mein Kind," sagte die Commerzienraethin mit einem ruhigen kalten Ton, "wenn ein Cavalier wie Herr von Rantow zu Deiner Vertheidigung auftritt, so wird es Niemand wagen, Dich zu verspotten." "Nun," rief Anna, "mag es sein, wie es will, ich bin Herrn von Rantow dankbar, dass er mich in Schutz nimmt gegen diese elende, niedrige Beleidigung, ich bin, weiss Gott, unschuldig an dem, was daraus entstehen kann." "Herr von Rantow hat sich benommen als ein ganz vortrefflicher junger Mann von der besten Erziehung und dem feinsten Gefuehl. Er hat mir weiter gesagt, dass es fuer eine junge Dame immer peinlich sei und unangenehm, wenn zwei Herren ihretwegen eine Ehrensache miteinander haetten, und wenn sie namentlich von Jemand vertheidigt werden muesste, der in keinen weiteren Beziehungen zu ihr staende--das braechte sie immer in eine schiefe Stellung dem Publikum gegenueber und gebe Anlass zu allen moeglichen Voraussetzungen und Gespraechen. Er habe nun,--hat er mir weiter gesagt,--schon seit laengerer Zeit den Wunsch in sich getragen, in naehere Beziehung mit meiner Familie zu treten, nachdem sein Vater mit mir so nahe geschaeftliche Verbindungen eingegangen sei und unsere Interessen auf Jahre hinaus sich verbunden haetten. Er habe Dir, mein Kind, aber erst Gelegenheit geben wollen, ihn genauer kennen zu lernen, bevor er es habe wagen wollen, bei mir um Deine Hand anzuhalten. Dieses zufaellige und ploetzliche, so unangenehme Ereigniss aber mache ihm den Muth und lege ihm fast die Pflicht auf, jetzt mit seinen Wuenschen hervorzutreten. Man werde ueber die Sache viel sprechen und wenn er zu einem Rencontre mit Herrn von Buechenfeld gezwungen werden sollte, so werde die Welt seinen Namen ohnehin mit dem Deinigen in Verbindung bringen. Wenn Du deshalb nach Deiner kurzen Bekanntschaft mit ihm Dich entschliessen koenntest, ihm Dein Leben und Deine Zukunft anzuvertrauen, so glaubt er, dass Alles sich besser gestalten und allen peinlichen Eroerterungen die Spitze abgebrochen werden koenne, da er dann auch vollkommen berufen und berechtigt sei, fuer Dich gegen Deinen Beleidiger aufzutreten." "Der junge Mann," sagte die Commerzienraethin, "hat wirklich ein feines und richtiges Gefuehl, und ich theile ganz seine Ansicht, dass unter diesen Verhaeltnissen eine schnelle Erledigung einer Sache, die uns ja nicht ganz unerwartet kommt, am besten sei." "Das ist ja ganz wie in alten Ritterromanen," sagte Anna mit schneidendem Hohn, "der Baron von Rantow will sich seine Dame mit dem Degen in der Hand erobern--aber" fuhr sie fort "das ist doch wenigstens ritterlicher Sinn, wenigstens ist es wahrlich besser, als auf so plumpe Weise ein wehrloses Maedchen zu beleidigen. Wenn Herr von Rantow diesen Preis fuer seine Vertheidigung verlangt,--so soll er ihn haben--er ist ja eine vortreffliche Partie" fuhr sie bitter fort, "und ich muss ja gluecklich sein, dass ich aus dieser ganzen traurigen Geschichte noch mit einem so guten Abschluss davon komme. Sage dem Baron," sprach sie in kaltem Ton zu ihrem Vater gewendet, "dass ich seine Bewerbung annehme, da er so muthig und selbstverleugnend meine Vertheidigung uebernommen hat." Mit befriedigtem Ausdruck neigte die Commerzienraethin den Kopf. Herr Cohnheim eilte auf seine Tochter zu und kuesste sie zaertlich auf die Stirn. Anna stand auf. "Doch muss ich," sprach sie, "bitten, dass er mich einige Tage von seinen Besuchen dispensirt. Diese ganze Sache hat mich natuerlich angegriffen und aufgeregt, und ich wuensche, mich zu sammeln. Auch bin ich nicht im Stande ihn zu sehen, bevor diese Angelegenheit mit Herrn von Buechenfeld"--sie sprach diesen Namen mit unendlicher Verachtung aus--"geordnet ist, ich kann doch unmoeglich meinen kuenftigen Gemahl selbst in den Kampf mit seinem Gegner schicken." Ohne eine Antwort abzuwarten, verliess sie schnell das Zimmer. "Ich bin sehr erfreut," sagte die Commerzienraethin, "dass diese so aeusserst unangenehme Sache doch einen so befriedigenden Ausgang nimmt. Ich fuerchtete schon, dass die romantischen Grillen, zu welchen Anna so viel Neigung zeigt, unsern Plaenen Schwierigkeiten entgegenstellen wuerden. So wird sich ja aber Alles ganz vortrefflich ordnen, und wenn sie, wie ich einen Augenblick besorgte, eine thoerichte Neigung fuer diesen jungen unbedeutenden Officier gehabt haben sollte, so ist ja jetzt Alles auf's Beste geordnet. Hoffentlich wird auch die Affaire keine ernsten Folgen haben," fuegte sie nachlaessig hinzu. "So etwas kommt ja so oft zwischen diesen jungen Herren vor," sagte der Commerzienrath, "und wie selten hoert man, dass es wirklich lebensgefaehrlich wird. Es laesst sich ja auch jetzt gar nicht aendern, und wir muessen das Beste hoffen. Ich glaube uebrigens nicht," fuegte er hinzu, "dass dieser junge Buechenfeld es wirklich zum Aeussersten kommen lassen wird. Die anderen Officiere schienen mir ebenfalls durch sein Betragen sehr unangenehm beruehrt, ich glaube, dass die Sache mit einer Ehrenerklaerung erledigt werden wird--der alte Herr von Rantow ist, so viel ich weiss, ein Freund von dem Vater des Lieutenants und wird ebenfalls darauf hinwirken koennen. Damit ist ja denn Alles gut, und alle boshaften Gespraeche ueber uns und unsere Tochter, welche dieser Vorfall hervorrufen wird, werden auf der Stelle niederschlagen, wenn wir ihre Verlobung mit Herrn von Rantow sogleich proclamiren." Er setzte sich behaglich in seinen Lehnstuhl und nahm eine Tasse Thee. Noch lange sass das Ehepaar beisammen, Plaene fuer die Zukunft besprechend, welche sich durch die Verbindung mit dem vornehmen Hause so glaenzend gestalten wuerden. Fraeulein Anna war ruhig und gefasst in ihr Zimmer gegangen, als sie die Thuer hinter sich geschlossen, sank sie wie gebrochen in sich zusammen,--lange stand sie schweigend, die Haende in einander gefaltet, die Blicke starr auf den Boden geheftet. "Wie schnell," sprach sie mit dumpfer Stimme, "sind die Traeume verflogen, die mich hier gestern noch so suess umgaukelten, wie schnell sind all die Liebesbluethen meines Herzens geknickt, aus denen ich einen reichen Kranz fuer mein Leben zu winden hoffte." Sie blickte um sich her, als ob ihr der gewohnte Raum, in dem sie sich befand, fremd sei, als ob sie ihre Gedanken sammeln muesse, um sich klar zu werden, wo sie sich befaende, und was mit ihr vorgegangen sei. Dann zuckte wieder gluehender Zorn ueber ihr Gesicht. "Oh, dass es so enden muss! Haette ich ihn verloren, haette sich selbst seine Liebe von mir abgewendet, es waere ein edler Schmerz gewesen, ein Schmerz, der die Seele haette beugen, aber nicht erniedrigen koennen. Aber das Bewusstsein, dass ich das edelste und reinste Gefuehl meines Herzens unwuerdig weggeworfen habe, dass ich der Gegenstand des Spottes, des Hohnes, der Verachtung habe sein koennen,--und warum?"--rief sie, die Haende ringend,--"weil ich einen Schritt gethan habe, der nicht gewoehnlich ist, weil ich mich vor seinem Stolz habe demuethigen wollen, weil ich geglaubt habe, dass er einen solchen Schritt verstehen und wuerdigen koenne. Oh, das ist hart, sehr hart! Ich kann alle meine Hoffnungen auf Lebensglueck vergessen, ich werde es zu tragen wissen, wie so viele Frauen eine glaenzende Existenz fuehren, beneidet von der Menge, aber kalt und oede in ihrem Innern. Aber das werde ich nie ueberwinden, dass meine Liebe verachtet, verhoehnt und mit Fuessen getreten ist, dass Der, dem ich den letzten Tropfen meines Blutes haette opfern moegen, mich oeffentlich hat beleidigen koennen zum Ergoetzen seiner Kameraden in ihrer Weinlaune." Mit einer raschen Bewegung trat sie an einen kleinen Tisch von antik geschnitztem Eichenholz und oeffnete mit einem zierlichen goldenen Schluessel, den sie an ihrer venetianischen Uhrkette trug, eine mit Elfenbein und Gold incrustrirte Cassette. "Da liegen die Reliquien meiner Traeume," sprach sie mit dumpfem traurigem Ton, aus ihren grossem brennenden Augen fiel eine Thraene auf den Inhalt des kleinen Kaestchens. "Hier ist das erste Bouquet, das er mir gegeben," sagte sie leise, indem sie einen kleinen vertrockneten Blumenstrauss emporhob, "vertrocknet wie diese Blumen sind meine Gefuehle, welche gestern noch so schoen und hoffnungsreich erbluehten,--wie oft haben meine Lippen auf diesen Blumen geruht! Vorbei! Vorbei!" Und wie vor der Beruehrung des kleinen Bouquets zurueckschaudernd, warf sie dasselbe mit einer raschen Wendung in den Kamin, dessen Feuer langsam in Kohlengluth zusammenzusinken begann. Die trockenen Blumen flammten hoch auf und blieben dann als ein Haeuflein dunkler Asche auf den gluehenden Kohlen liegen. Sie presste die Haende auf ihr Herz und sah starr diesem Zerstoerungswerk zu. Dann nahm sie den ganzen uebrigen Inhalt der Cassette, ebenfalls kleine Bouquets, mehr oder weniger verwelkt, verschiedene andere Cotillongeschenke und warf Alles in die Gluth, welche einen Augenblick aufflackernd, mit hellem Schein das Zimmer erhellte. "Die Vergangenheit ist vorbei," sagte sie schmerzlich, "meine Zukunft wird wie diese Kohlen mehr und mehr Licht und Waerme verlieren, bis endlich Alles in todte Asche zusammensinkt. Oh, koennte ich mein Herz ebenfalls zu Asche werden lassen! Aber wenn auch seine Liebe gestorben ist, fuer das Leiden wird es immer noch Gefuehle der Empfindung behalten." Sie sank auf ihren Divan nieder, drueckte den Kopf in die Haende, und ihr starrer Jammer loeste sich in einem Strom wohltaetiger Thraenen.-- --Auch der Lieutenant von Buechenfeld hatte fast in starrer Bewusstlosigkeit die Nacht zugebracht. Seine heftige, innere Erregung, die unnatuerliche Spannung aller seiner Gefuehle, und die Wirkung des schweren Weines hatten ihn bis zum Morgen in einem Zustand gehalten, welcher weder Schlaf noch Wachen war, und in welchem die Bilder der Erinnerungen wild durch einander wogten, ohne sich selbst auch nur in den unklaren Gestalten des Traumes festhalten zu lassen. Langsam erwachte er aus diesem lethargischen Zustande am andern Morgen, und allmaelig begann es ihm mehr und mehr klar zu werden, was am Tage vorher mit ihm vorgegangen. Das erste Gefuehl, dessen er sich vollkommen bewusst wurde, war ein tiefer, bitterer Schmerz ueber die Taeuschung seiner Liebe, welche trotz seines lange gefassten Entschlusses gestern bei der Botschaft seiner Geliebten wieder einen Augenblick mit frischen Hoffnungen sich bekraenzt hatte. "Warum hat sie mir nicht gleich Alles geschrieben," fluesterte er, ohne von seinem Lager sich zu erheben--"oder warum ist sie nicht allein gekommen, warum hat sie mir in Gegenwart des Mannes, dem sie das Andenken an mich geopfert, den Abschied geben wollen? Sollte das eine absichtliche Kraenkung, ein absichtlicher Hohn sein, oder bin ich ihr so gleichgueltig gewesen, dass sie nach der Kaelte ihrer Gefuehle die meinigen bemessen hat?" Lange lag er schweigend da unter dem Eindruck dieses schmerzlichen Gedankens, dann tauchte die Erinnerung der weiteren Ereignisse des Tages deutlicher in ihm auf. Er entsann sich des Spiels, das er gemacht, er entsann sich, dass er den Namen des Fraeulein Cohnheim laut und mit bitteren Bemerkungen genannt habe. Ein Gefuehl der Scham und Reue ueberkam ihn. "Das war nicht wuerdig, nicht maennlich, nicht edel!" rief er, indem er sich auf sein Lager aufsetzte und mit beiden Haenden seinen schmerzenden Kopf hielt. "Das haette ich nicht thun muessen, ich haette in meiner heftigen Erregung die Gesellschaft fliehen und Nichts trinken duerfen.--Oh," rief er nach einer Pause, "welch' ein elendes, jaemmerliches Ding ist diese so viel gepriesene Liebe! Erst laesst sie so schwer und so bitter leiden, und dann treibt sie zu unwuerdigen, zu niedrigen Handlungen. Oh, ich schwoere es," rief er die Hand erhebend, "ich schwoere, dass ich dieses Gefuehl fliehen will wie die Suende, und dass nie wieder das Bild eines Weibes mein Herz erfuellen soll! Ich will frei sein, stark und ruhig und meiner wuerdig bleiben!" Der alte Diener trat ein und meldete, dass das Fruehstueck im Zimmer des Oberstlieutenants bereit sei, zugleich zeigte er dem Lieutenant an, dass zwei Officiere ihn zu sprechen wuenschten und ihn bei seinem Vater erwarteten. Der Lieutenant sprang empor, kuehlte seinen brennenden Kopf mit frischem Wasser und machte in hastiger Eile seine Toilette. Als er in das Zimmer seines Vaters trat, welcher ihn bereits voellig angekleidet, frisch und munter erwartete, fand er dort die beiden Officiere von den Dragonern und den Husaren, welche Zeugen des gestrigen Abends gewesen waren, in ruhiger Unterhaltung mit dem alten Herrn begriffen. Beide Officiere traten dem Lieutenant nicht mit der sonst gewohnten herzlichen Unbefangenheit und Vertraulichkeit entgegen, sondern begruessten ihn mit einer gewissen kalten und gezwungenen Hoeflichkeit. "Du hast lange geschlafen," sagte der Oberstlieutenant heiter, "es war wohl eine scharfe Sitzung gestern Abend,--die Herren hier sind ja auch dabei gewesen, aber das hat sie nicht verhindert, schon fruehe auf zu sein. Das ist Recht, man muss sich niemals aus der Ordnung bringen lassen, und fast muss ich mich meines Sohnes schaemen, dass er ein solcher Weichling ist, der am andern Morgen noch spuert, wenn er am Abend vorher ein paar Flaschen den Hals gebrochen. Habt Ihr etwa heute Morgen schon wieder eine Partie vor?" fragte er, den Schnurrbart drehend, "damit wuerde ich nicht einverstanden sein,--erst der Dienst und dann das Vergnuegen." Die beiden Officiere standen in einiger Verlegenheit schweigend da. "Wir haben mit Dir zu sprechen," sagte der Dragoner mit einem Seitenblick auf den alten Herrn, "und moechten es sogleich." "Geniren Sie sich nicht vor mir," sagte der Oberstlieutenant mit heiterm Laecheln, "ich bin nicht mehr im Dienst, ich bin ja nur ein alter gutmuethiger Herr," fuegte er mit einem leichten Anflug von Wehmuth hinzu, "der auch jung war und weiss, was man in der Jugend treibt." "Wir moechten aber," sagte der Husarenofficier--"Dich einen Augenblick allein sprechen. Es handelt sich um eine Ehrensache," fuegte er mit gedaempftem Ton hinzu, doch nicht so leise, dass es der Oberstlieutenant nicht verstanden. Der alte Herr wurde ernst, warf einen forschenden Blick auf seinen Sohn und die beiden Officiere und sagte dann: "Ich lasse Dich mit den Herren einen Augenblick allein." "Halt, lieber Vater," rief der Lieutenant von Buechenfeld, "ich bitte Dich, zu bleiben. Ihr erlaubt," sagte er, "dass ich Euch bitte, vor meinem Vater zu sprechen. Er ist Officier wie wir, und ich weiss kein kompetenteres Urtheil in allen Ehrensachen, als das seinige. Er wird es mir nicht abschlagen, vorlaeufig mein Zeuge zu sein und sein Urtheil darueber abzugeben, was ich zu thun habe." Die beiden Officiere gruessten den Oberstlieutenant militairisch. "Es wird uns eine grosse Ehre sein," sagte der Husar, "wenn der Herr Oberstlieutenant als Dein Zeuge unsere Erklaerung mit anhoeren will." Der alte Herr bat die Officiere mit einer stummen Handbewegung Platz zu nehmen und setzte sich dann grade und aufrecht neben seinen Sohn. "Ich bitte Sie also, meine Herren," sagte er mit ernster, fast feierlicher Stimme, "zu sagen, um was es sich handelt." Der Dragonerofficier erzaehlte mit kurzen Worten den Vorgang, welcher am Abend vorher in dem Restaurationslokal von Borchard stattgefunden hatte. Schweigend hoerte der Oberstlieutenant zu, finstere Falten legten sich auf seine Stirn. "Hat sich der Fall so zugetragen, wie die Herren erzaehlen? Erinnerst Du Dich, gethan und gesprochen zu haben, was sie so eben mittheilen?" "Ja," sagte der Lieutenant. Sein Vater schuettelte langsam den Kopf. "Der Referendarius von Rantow", fuhr der Dragonerofficier zu dem Lieutenant von Buechenfeld gewendet fort, "hat uns als Augenzeugen des Vorfalls aufgetragen, von Dir eine buendige Ehrenerklaerung zu verlangen."-- Eine dunkle Roethe flammte auf dem Gesicht des Lieutenants auf, sein Auge blickte stolz zu seinen Kameraden hinueber, seine Lippen zuckten hoehnisch.--"Oder wenn Du dieselbe verweigerst,"--sprach der Dragoneroffizier weiter,--"Dir seine Forderung auf fuenf Schritt Barriere mit gezogenen Pistolen zu ueberbringen." "Angenommen," sagte der Lieutenant, "ich werde in einer Stunde meine Secundanten zu Euch senden." Die Officiere erhoben sich und wollten gruessend das Zimmer verlassen. Der Oberstlieutenant trat ihnen in den Weg. "Ich bitte Sie, einen Augenblick zu bleiben, meine Herren," sagte er. "Mein Sohn hat gewuenscht, dass ich sein vorlaeufiger Zeuge in dieser Sache sei, und Sie haben mich als solchen angenommen. Nicht nur in dieser Eigenschaft, sondern auch als sein Vater muss ich darauf sehen, dass Alles genau so zugehe, wie es seine Ehre als Officier und als Traeger meines Namens erfordert. Sie erlauben daher, dass ich meine Meinung ausspreche." Die beiden Herren verneigten sich schweigend. Der Lieutenant sah seinen Vater etwas erstaunt und erwartungsvoll an. Dieser richtete ernst und streng seinen Blick auf ihn und sprach: "Hat die junge Dame, um welche es sich handelt, Dir jemals durch ihr Benehmen gegen Dich irgend welche Veranlassung gegeben, in solchem Ton, wie Du es gethan, von ihr zu sprechen? Bist Du berechtigt, ihr irgend einen Vorwurf zu machen?" Der Lieutenant wurde bleich, im heftigen inneren Kampf presste er die Lippen aufeinander, sein Auge senkte sich zu Boden, einige Augenblicke stand er schweigend, ein leises Beben erschuetterte seine Gestalt, dann schlug er den Blick zu seinem Vater wieder auf, er schien seiner kaempfenden Gefuehle Herr geworden zu sein und mit fester entschlossener Stimme sagte er: "Nein, niemals!" "Dann," sagte sein Vater, "ist es Deine Pflicht als Ehrenmann, die Erklaerung zu geben, welche man von Dir verlangt, insofern die Ausdruecke derselben Nichts gegen Deine eigene Ehre enthalten. Wenn Du," fuhr er fort, "was ich tief beklage, Dich hast hinreissen lassen, eine Dame, der Du keinen Vorwurf zu machen hast, oeffentlich zu beleidigen, so hast Du nicht das Recht, ihrem Ruf durch den Eclat eines Duells noch mehr zu nahe zu treten, Du hast nicht das Recht, Demjenigen das Leben zu nehmen, der berechtigt ist oder sich verpflichtet fuehlt, als der Vertheidiger jener Dame aufzutreten." "Herr von Rantow ist der Verlobte des Fraeulein Cohnheim," sagte der Dragonerofficier, "also ihr natuerlicher und berufener Vertheidiger." "Um so weniger," sagte der alte Herr, waehrend der Lieutenant abermals tief erbleichend die Hand einen Augenblick auf sein Herz drueckte, "darf diese Sache ernste und gefaehrliche Folgen haben. Haette die Dame Dir jemals einen Grund zu Deinen Aeusserungen gegeben, so waerst Du berechtigt, die Waffen zu ergreifen gegen Denjenigen, der von Dir Rechenschaft darueber fordert--so aber darfst Du es nicht, Du bist verpflichtet, durch Deine eigene Erklaerung die Beleidigung zurueckzunehmen--um so mehr," sagte er mit ernstem Blick auf seinen Sohn, "da man eigentlich niemals das Recht hat, eine Dame zu beleidigen. Du bist frei," fuhr er fort, "Du bist erwachsen, Du bist Officier, Du wirst thun, was Du verantworten kannst. Ich aber sage Dir als Dein Vater, als Edelmann und Officier, der stets auf das schaerfste die feinsten Grenzen der Ehre beobachtet hat, dass Du nach meiner innigsten Ueberzeugung verpflichtet bist, die verlangte Ehrenerklaerung zu geben." "Wir haben dieselbe aufgeschrieben," sagte der Dragoner, indem er ein Blatt Papier aus der Uniform hervorzog und es dem Lieutenant uebergab. Dieser reichte es schweigend, ohne einen Blick darauf zu werfen, seinem Vater. Der Oberstlieutenant ueberlas das Blatt langsam und sorgfaeltig mehrere Male; dann reichte er es seinem Sohn zurueck. "Diese Erklaerung ist in wuerdiger Form abgefasst," sagte er, "sie enthaelt nur dasselbe Anerkenntniss, das Du so eben vor mir und vor diesen Herren ausgesprochen hast und spricht das Bedauern aus, dass Du in der Erregung in einer bewegten Gesellschaft Dich zu Deinen Aeusserungen hast hinreissen lassen. Du kannst dieselbe unterzeichnen,--nach meiner Ueberzeugung musst Du sie unterzeichnen. Ich hoffe, dass die beiden Herren meiner Meinung sein werden." "Es ist eigentlich nicht unsere Sache," erwiderte der Dragonerofficier, "hier eine solche Meinung auszusprechen oder zu discutiren, indessen nehme ich in diesem besonderen Fall keinen Anstand, es auszusprechen, dass nach meiner Ueberzeugung durch die Unterzeichnung dieser Erklaerung die Sache auf eine fuer alle Theile befriedigende und ehrenvolle Weise beigelegt sein wird." Der Husarenofficier stimmte der Ansicht seines Kameraden bei. "Ich werde unterzeichnen," sagte der Lieutenant von Buechenfeld, nahm das Papier und begab sich in sein Zimmer. "Ob ich ihr einen Vorwurf zu machen habe," fluesterte er vor sich hin, waehrend er sich an seinen Schreibtisch setzte und die Feder eintauchte,--"oh, wenn er wuesste,"--ein schneller zorniger Blick leuchtete in seinem Auge auf, rasch oeffnete er das Schubfach des Tisches und zog aus demselben das kleine Blatt hervor, welches er am Tage vorher von Fraeulein Anna erhalten hatte. Mit einem raschen Zuge setzte er seinen Namen unter die Ehrenerklaerung, faltete dieselbe zusammen, legte das Billet dazu und erhob sich, in das Zimmer seines Vaters zurueckkehrend. "Nein," sagte er dann, indem er ploetzlich sinnend stehen blieb--"das waere unedel,--mag sie ruhig ihrer Wege gehen, sie ist todt fuer mich, meine Augen werden sie nie wieder sehen, und mein Herz wird das Leid vergessen, das sie mir angethan." Er nahm das kleine Billet, riss es in tausend kleine Stuecke und streute dieselben in die Luft, dann kehrte er ruhigen festen Schrittes in das Zimmer seines Vaters zurueck und uebergab das Papier den beiden Officieren. "Gott sei Dank," sagte der Dragoner, indem er dem Lieutenant von Buechenfeld herzlich die Hand schuettelte, "dass die Sache so gut zu Ende gefuehrt ist. Ich habe sonst Nichts gegen einen kleinen Kugelwechsel, wenn ein vernuenftiger Grund dazu vorhanden ist, aber in diesem Falle haette es mir doch wahrhaftig wehe gethan, wenn wegen dieser Geschichte, zu der wir halb und halb Veranlassung gegeben haben, Blut haette fliessen sollen." Die beiden Officiere gruessten ehrerbietig den Oberstlieutenant und entfernten sich augenscheinlich leichtern und froehlichern Herzens, als sie gekommen waren. "Ich bin nicht mit Dir zufrieden mein Sohn," sagte der Oberstlieutenant in ernstem, aber mehr traurigem, als strengem Ton, "Du hast Dich hinreissen lassen, Etwas zu thun, was ein wahrer Edelmann niemals thun soll." Der Lieutenant warf sich im Ausdruck eines lang unterdrueckten Gefuehls in die Arme seines Vaters. "Verzeihe mir, mein Vater," sagte er mit erstickter Stimme, "verzeihe mir, ich habe Unrecht gehabt, aber ich habe es auch hart gebuesst." Der alte Herr schuettelte verwundert den Kopf. "Nun, nun," sagte er, "Jeder macht einmal einen dummen Streich, nimm Dich kuenftig mehr in Acht und thu so Etwas nicht wieder." "Da ist Etwas nicht klar, die Sache ist nicht in Ordnung," sprach er dann leise vor sich hin, indem er von einem Seitentisch eine frisch gestopfte Pfeife nahm und dieselbe anzuendete. "Ich fuerchte, ich bin in Gefahr gewesen, Etwas zu erleben, was ich neulich bei meinem Freunde Rantow so scharf getadelt habe. Vielleicht muss ich Gott danken, dass die Sache so gekommen ist." Er setzte sich an den Fruehstueckstisch und schenkte den duftenden Kaffee aus der spiegelblank geputzten messingenen Sturzmaschine in seine grosse Mundtasse. Sechstes Capitel. In der Zwischenzeit, waehrend der Berathungen ueber zwei verschiedene Gegenstaende in dem franzoesischen Gesetzgebenden Koerper, war die Salle des Pas perdus in dem Gebaeude des Corps legislativ, woselbst sich die Deputirten zu begegnen und in Privatgespraechen miteinander zu verstaendigen pflegten, mit zahlreichen lebhaft sich unterhaltenden Gruppen angefuellt. So eben war die Nachricht verbreitet worden, dass das Plebiscit eine beschlossene Sache sei, und dass die liberalen Minister Chevandier de Valdrome, der Graf Daru, der Finanzminister Buffet und der Marquis von Talhouet ihre Entlassung gegeben haetten. Allgemein war die Bewegung und mit der lauten Lebhaftigkeit, welche dem franzoesischen Charakter eigenthuemlich ist, aeusserten die Deputirten ihre Meinungen ueber dieses Ereigniss, welches die seit einiger Zeit von dem Kaiser eingeschlagene Richtung des oeffentlichen Lebens wieder vollstaendig veraenderte. In der Mitte einer Gruppe stand der Graf von Keratry, eine schlanke Gestalt mit einem charakteristischen Kopf, dessen unruhig umher blickende Augen einen beweglichen feurigen, aber nicht sehr geordneten Geist verriethen. "Es ist Alles bereits vorbereitet," sagte er, "so eben habe ich erfahren, dass den Praefecten befohlen worden ist, ihre ganze Thaetigkeit auf die Vorbereitungen fuer das Plebiscit zu richten, und dass sie zugleich ermaechtigt sind, den Gemeinden zu erklaeren, dass die Executivgewalt die Maires kuenftig stets den Vorschlaegen der Gemeinderaethe entsprechend auswaehlen werde." "Das ist unerhoert," rief der Deputirte Picard, ein Mann mit einem blassen, scharfen und ein wenig verbissenem Gesicht, "das ist eine vollstaendige Corruption des oeffentlichen Votums. Will man eine Volksabstimmung, so soll man wenigstens sie frei sich vollziehen lassen. Auf diese Weise aber wird die Sache eine reine Comoedie. Wenn die Praefecten mit der ganzen Autoritaet ihrer Stellung in die Sache eingreifen, wenn man den Gemeinden zugleich Versprechungen macht, von denen man," fuegte er hoehnisch hinzu, "gewiss nicht die Absicht hat, sie je zu erfuellen, so macht man sich einer moralischen Bestechung schuldig. Man wird die oeffentliche Meinung Frankreichs vor den Augen von ganz Europa faelschen, um sich dann auf diese oeffentliche Meinung stuetzen zu koennen, wenn man beginnen wird, die abenteuerlichsten Massregeln des Absolutismus durchzufuehren." Jules Favre trat hinzu, seine grosse volle Gestalt hatte eine etwas schwerfaellige Haltung, und seine Bewegungen zeigten ein wenig jene stereotype theatralische Wuerde, welche die Advokaten vor den Gerichtshoefen anzunehmen pflegen, wenn sie mit dem Aplomb tiefer Ueberzeugung durch den persoenlichen Eindruck das Gewicht ihrer Gruende zu verstaerken trachten. Sein starkes Gesicht mit den regelmaessigen, angenehmen Zuegen, den grossen, geistvollen und klar blickenden Augen, dem langen, ueberhaengenden zurueckgestrichenen Haar und vollen Bart, der sich an einzelnen Stellen fast weiss faerbte, zeigte ein gewisses selbstzufriedenes ueberlegenes Laecheln, und mit seiner vollen und tiefen Stimme sprach er: "Wir muessen uns organisiren, meine Herren, wir muessen unsererseits Comites bilden, welche dafuer wirken, dass dem ganzen Volk klar gemacht werde, wie die freiheitliche Entwickelung nur gesichert werden koenne, wenn man sich massenhaft von der Theilnahme am Plebiscit enthaelt--, wenn wir es erreichen koennen, die abgegebenen Stimmen auf ein Minimum zu reduciren, so wird der moralische Eindruck der Volksabstimmung vollstaendig verschwinden, der sonst nicht nur im Auslande, sondern auch in Frankreich selbst zu einer bedeutenden Verstaerkung der moralischen Macht des Kaiserreiches beitragen muss. Lassen Sie uns heute zusammentreten und an die Bildung dieses Comites denken." "Das ist sehr gut," rief Herr Picard, "allein wie sollen wir, die wir doch erst einen Organismus schaffen muessen und nur langsam vorgehen koennen, die wir allen Hemmungen und Hindernissen ausgesetzt sind, welche die Macht uns bereiten wird, wie sollen wir dem concentrirten und wohl geleiteten Einfluss der Praefecten gegenueber etwas ausrichten?" "Nein," rief der Graf von Keratry, "wir muessen laut unsere Stimmen erheben, um gegen diese ungesetzliche Einwirkung der Regierungsautoritaet auf die freie Abstimmung des Volkes zu protestiren. Das scheint mir sicherer, als in die Wahlagitation einzutreten, bei welcher wir zu spaet kommen muessten. Koennen wir nachweisen, dass die Abstimmungen durch die Praefecten gemacht sind, so wird das Plebiscit ebenfalls seine Bedeutung vor der liberalen oeffentlichen Meinung Europas vollstaendig verlieren." "Es giebt noch ein Mittel," sagte Herr Barthelemy St. Hilaire, ein schlanker Mann von elegantem Aeussern, dessen Mienen und Haltung ein wenig an den gelehrten Professor erinnerten, "wir muessen darauf dringen, dass das Plebiscit nur einen Tag dauert, das wird eine grosse Massenbetheiligung unmoeglich machen. Ich werde einen solchen Antrag stellen, und bitte Sie, meine Herren, ihn zu unterstuetzen." Der Advokat Gambetta, eine kleine schmaechtige Gestalt, mit leicht gekruemmten Schultern, wenig elegant, fast ein wenig unsauber in seiner Erscheinung, hatte schweigend die verschiedenen Aeusserungen mit angehoert. Er stand da, das ausdrucksvolle, haessliche Gesicht mit dem schlecht gepflegten Haar und Bart, mit dem kalt und hoehnisch laechelnden Munde, leicht auf die Seite geneigt, sein sehendes Auge richtete sich mit einem duestern, fast unheimlich drohenden Ausdruck auf eine Gruppe von Herren, welche in der Naehe standen, waehrend das andere des Lichts beraubte Auge unter dem herabhaengenden Lide verborgen war. "Dort steht ja," sagte er mit einer rauhen, etwas schwerfaellig klingenden Stimme, "der grosse Regenerator des Kaiserreichs, unser alter Freund Ollivier, dem es so leicht wird, taeglich eine andere Gestalt anzunehmen, und neben ihm Herr Chevandier de Valdrome. Fragen wir ein wenig diese Herren, es wird immerhin gut sein, wenn wir uns vorher etwas orientiren, um genau zu wissen, was wir bei den oeffentlichen Debatten zu thun haben." Er naeherte sich den Ministern und begruesste sie mit einer artigen, aber ein wenig linkischen Verbeugung, die uebrigen folgten ihm und umgaben die beiden Minister, um welche sich sehr bald noch mehrere der im Saale anwesenden Deputirten gruppirten. "Es scheint, dass das Plebiscit beschlossen ist," sagte Herr Gambetta zu Ollivier gewendet, der in etwas gezierter, an die gesuchte saubere Einfachheit Robespierres erinnernder Haltung da stand, und dessen eigenthuemlich geformtes Gesicht, mit der schmalen Stirn, den stark schielenden von einer feinen Brille beschatteten Augen und dem grossen, ueber dem zurueckstehenden Kinn stark hervortretenden Munde, in lebhafter Bewegung zitterte. "Ich habe keinen Grund," erwiderte der Grosssiegelbewahrer des Kaiserreiches, indem er die Begruessung des Herrn Gambetta mit kalter, abwehrender Hoeflichkeit erwiderte, "mich nicht ueber die Situation auszusprechen. Ja, meine Herren," fuhr er fort, "das Plebiscit ist beschlossen, und ich begreife nicht, wie Sie und Ihre Freunde," fuegte er hinzu, indem sein unsicherer Blick leicht ueber die Gruppe hinglitt, welche ihn umgab, "ich begreife nicht, wie Sie Alle gegen diesen Gedanken sein koennen. Die unmittelbare Berufung des Volkes in wichtigen Verfassungsangelegenheiten des Landes entspricht ja so vollkommen den Grundsaetzen einer wahren und vernuenftigen Demokratie, zu welcher Sie sich bekennen, welchen ich meinerseits stets treu geblieben bin, und welchen auch diese neue Massregel einen verstaerkten Ausdruck geben wird." Ein hoehnisches Laecheln umzuckte die Lippen Gambetta's. "Darf ich Sie vielleicht fragen," fuhr er fort, "wie lange die Volksabstimmung dauern soll und ob bei derselben das Vereinsrecht zur Ausuebung kommen werde, welches der Bevoelkerung gestattet, sich vorher ueber die der Frage gegenueber einzunehmende Haltung zu verstaendigen." "Zweifellos," erwiderte Herr Ollivier, "werden oeffentliche Versammlungen Statt finden duerfen, und das Volk wird von allen seinen verfassungsmaessigen Rechten Gebrauch machen koennen--doch," fuhr er fort, "liegt es in der Natur der Sache, dass solche Versammlungen, da es sich ja hier nur um die ganz einfache Beantwortung einer einfachen Frage handeln wird, nicht so lange werden dauern koennen, als dies zum Beispiel bei den Wahlen zum Gesetzgebenden Koerper erlaubt ist. Jeder soll nach seiner freien Ueberzeugung eine sehr klar gestellte Frage beantworten, und dazu sind in der That keine langen Debatten und keine langen Vorbereitungen erforderlich." "Aber die Regierung, meine Herren," rief der Graf Keratry in heftigem und gereiztem Ton, "haelt es nicht fuer unnuetz, solche Vorbereitungen in dem ausgedehntesten Masse zu treffen. So eben habe ich den Herren hier mitgetheilt, dass ich erfahren, die Praefecten seien angewiesen, mit aeusserster Energie das Plebiscit vorzubereiten und sogar den Gemeinden Versprechungen in Betreff der Maires zu machen--es scheint also doch, dass man es fuer wichtig haelt, die Autoritaet der Macht in die Wagschale zu werfen, wenn die Mittheilungen," fuegte er hinzu, den scharfen stechenden Blick auf Herrn Chevandier de Valdrome richtend, "die mir gemacht, richtig sind." Der Minister des Innern, ein vornehm aussehender, etwas gleichgueltig blickender Mann von matten, nervoesen Gesichtszuegen, liess seinen Blick von oben herab ueber den Grafen Keratry hingleiten, ein kaltes, feindliches Laecheln spielte um seine Lippen und in kurzem, wenig verbindlichem Ton erwiderte er: "Ja, ich habe die Praefecten instruirt, wie ich das fuer mein Recht und meine Pflicht halte, ich habe ihnen befohlen, die aeusserste Thaetigkeit zu entwickeln, um die Enthaltung von der Abstimmung zu verhindern. Ich trage die persoenliche Verantwortlichkeit fuer meine Anweisungen,--welche uebrigens ganz und gar Verwaltungsmassregeln sind." "Ich begreife nicht," rief Picard, "wie der Herr Minister des Innern das Plebiscit als die freie Abstimmung des Volkes ueber die wichtigsten Fragen, die sein oeffentliches Leben betreffen, eine Verwaltungsmassregel nennen kann. Wenn es jedoch nun," fuegte er mit ironischem Laecheln hinzu, "eine Verwaltungsmassregel sein soll, so wuerde es fuer uns gewiss von grossem Interesse sein, den Inhalt der Schreiben kennen zu lernen, welche in dieser Beziehung an die Praefecten erlassen worden sind." "Die innern Massregeln der Verwaltung," erwiderte Herr Chevandier de Valdrome in kurzem Ton, "sind kein Gegenstand von Diskussionen mit der Vertretung des Landes, sie sind ein ausschliessliches und unbestreitbares Recht der Regierung." Rasch fiel Herr Ollivier ein, indem er ein wenig die Hand erhob und jenen etwas salbungsvollen Ton annahm, der seiner Rede auf der Tribuene so oft die unmittelbare Wirksamkeit nahm: "Und wenn Sie auch nicht das formelle Recht dazu haben, so will ich Ihnen doch am wenigsten die moralische Berechtigung bestreiten, unsere Anweisungen kennen zu lernen. Interpelliren Sie mich in der Sitzung, und ich werde von der Tribune Ihnen unsere Instructionen mittheilen." "Wenn der Herr Minister der Justiz statt meiner spricht," sagte Herr Chevandier de Valdrome in trockenem Ton, indem er sich gegen seinen Collegen verbeugte, "so habe ich ja nicht noethig, mich laenger an dieser Unterhaltung zu betheiligen," und rasch sich abwendend, entfernte er sich von der Gruppe. "Ich habe keinen Grund," fuhr Herr Ollivier fort, "unsern Standpunkt und unsere Massregeln zu verhuellen, wir haben den Praefecten einfach geschrieben: "Sichern Sie die Freiheit der Abstimmungen, wenden Sie weder Drohungen, noch Druck, noch Versprechungen an, vergessen Sie aber nicht, dass Sie den Umtrieben der Wahlenthaltung gegenueber stehen und wenden Sie die verzehrendste Thaetigkeit an, nur jeden Buerger zur Abstimmung zu draengen." "Nun wohl," rief Herr Picard lachend, "diese aufreibende Thaetigkeit und dieses Draengen der Buerger zur Abstimmung sind die deutlichen Zeichen, dass die so traurige Praxis der amtlichen Candidaturen auch in dieser Frage eben so ruecksichtslos wie frueher geuebt werden soll. Die Enthaltung von der Abstimmung ist ein unzweifelhaftes Recht eines jeden Buergers vor allen Dingen dann, wenn doch Niemand im Stande ist, ohne Gefahr frei seine Meinung zu aeussern; wenn Jedermann sich scheuen muss nein zu sagen, so muss ihm wenigstens die Freiheit bleiben, nicht ja sagen zu duerfen. Das Alles ist nichts als Possenspiel" fuegte er achselzuckend hinzu. "Hier ist von keinem Possenspiel die Rede," rief Herr Ollivier in lebhafter Erregung, "deutlich und unverhuellt wird die Frage an das Volk gestellt werden. Die einzige Thaetigkeit der Regierung wird sich nur darauf richten, Jeden dahin zu fuehren, dass er die deutlich gestellte Frage eben so deutlich beantworte." "Durch die Anweisung, deren Inhalt uns so eben im Allgemeinen mitgetheilt ist," sagte Herr Jules Favres ruhig und langsam, "ist das Cabinet seinem liberalen Programm untreu geworden--das Misstrauen ist also wohl berechtigt. Moegen die Herrn Minister," sagte er mit einer leichten Verbeugung gegen Ollivier, "es auch ehrlich meinen, die andern Beamten werden dennoch die Abstimmungen faelschen." "Das wird Niemand wagen," rief Herr Ollivier heftig erregt, "die Minister koennen wohl das Vertrauen verlangen, dass sie den Massregeln, zu denen sie sich ehrlich bekennen, auch von Seiten ihrer Untergebenen eine ebenso ehrliche und rueckhaltslose Durchfuehrung zu sichern im Stande sein werden. Uebrigens," fuhr er fort, "kommt das Cabinet und seine Existenz bei der ganzen Sache garnicht in Frage. Es handelt sich einfach um eine Sanctionirung der Verfassungsbestimmungen, welche die Minister mit den Vertretern des Landes bereits gutgeheissen haben. Die Kammern selbst sind also ebenso betheiligt, als das Ministerium." "Das sind Wortklaubereien," rief Picard entruestet, "Regierung ist Regierung, es ist traurig genug, dass man nicht im Stande ist, dem Ministerium, das sich mit liberalen Reformen einfuehrte, dauerndes Vertrauen zu schenken." "Das thut mir sehr leid," rief Herr Ollivier zitternd vor zornigem Eifer, "schenken Sie uns Ihr Vertrauen, schenken Sie es uns nicht, das ist Ihre Sache--das kann uns nicht abhalten, unsre Pflicht zu thun, seien Sie ueberzeugt, dass uns Ihre Meinung ganz gleichgueltig ist." Ein dumpfes Murren liess sich unter der Gruppe vernehmen. "Welch ein Ton der Conversation," rief Jules Favres, "man sollte doch meinen, sich hier in der Gesellschaft von gebildeten Leuten zu befinden." "Der Herr Minister ist sich gewiss ueber die Bedeutung seiner Worte nicht klar geworden," sagte Herr Picard kalt und hoehnisch, "die Sorgen fuer die Verbreitung des Plebiscit haben, wie es scheint, seine sonst so eminente Faehigkeit, die Redewendungen richtig abzuwaegen, gelaehmt." Herr Ollivier schien selbst ein wenig bestuerzt ueber seinen heftigen Ausbruch zu sein. "Ich bin mir ueber meine Worte vollkommen klar," sagte er, "und habe mit denselben," fuegte er sich leicht verneigend hinzu, "durchaus keine persoenliche Verletzung beabsichtigt. Ich habe nur sagen wollen, dass eine Regierung, welche sich vollkommen klar ist ueber das, was sie nach reiflicher Ueberlegung fuer ihre Pflicht erkannt hat, sich nicht dadurch irre machen lassen darf, ob ihre Beschluesse und Massnahmen bei der einen oder bei der andern Partei beifaellige oder tadelnde Beurteilung finde; und ich kann nur wiederholen, dass die Regierung es fuer ihre Pflicht haelt, mit aller Energie gegen das System der Stimmenenthaltung aufzutreten. Das Kaiserthum und der Kaiser stehen nicht in Frage," fuhr er mit fester Stimme fort, "wie hier so eben bemerkt wurde, die Frage ist nur die, ob es gut sei, das Kaiserthum der Autoritaet und des persoenlichen Regiments in ein liberales Kaiserthum umzuwandeln; dass die Feinde des Kaiserthums ueberhaupt das Letztere nicht wollen, begreife ich," fuegte er mit scharfer Betonung hinzu, "ob sie aber damit dem Vaterlande einen Dienst leisten, ob sie nicht ihre Parteiruecksichten hoeher stellen, als das Wohl der Nation, das will ich, meine Herren, ihrem eigenen Gewissen ueberlassen." Und mit einer kurzen Verneigung wandte er sich ab und verliess das Zimmer. Ein Theil der Abgeordneten kehrte in den Saal zurueck, wo man ueber einzelne Paragraphen des neuen Pressgesetzes debattirte. Die Meisten aber entzogen sich dieser Debatte, praeoccupirt wie sie durch die ganze politische Situation waren, verliessen sie das Palais des Gesetzgebenden Koerpers, um in Privatzusammenkuenften bei den Parteifuehrern sich ueber die zu fassenden Entschliessungen zu berathen. Herr Ollivier durchschritt langsam die Corridore und stieg vor dem Palais in sein sehr einfaches und unscheinbares Coupe, indem er dem in dunkle Livree gekleideten Kutscher zurief: "Nach den Tuilerien." Kurze Zeit darauf fuhr er in den innern Hof des alten Koenigspalastes ein, er hielt vor dem grossen Eingang, ueber welchem das von Lanzen getragene Zeltdach sich ausdehnte. Er fand den Dienst thuenden Ordonnanzofficier im Vorzimmer; dieser fuehrte ihn sogleich in das Cabinet des Kaisers ein. Napoleon III war frischer als sonst, zwar hingen seine Zuege mit dem Ausdruck des Leidens und koerperlicher Schmerzen schlaff herab, aber in seinem Blick machte sich eine gewisse an die vergangenen Tage seiner Jugend erinnernde Energie bemerkbar, als er mit seinem langsamen, etwas unsicheren Gang dem Minister entgegentrat, welcher es uebernommen, das Steuer des Staatsschiffes, welches so lange die feste Hand des Herrn Rouher gefuehrt hatte, durch die bedenklichen Klippen verschiedener Neuerungen zu fuehren. "Ich habe gewuenscht, Sie noch vorher zu sprechen, mein lieber Herr Ollivier," sagte der Kaiser, indem er mit verbindlichem Gruss dem Grosssiegelbewahrer die Hand reichte, "bevor ich den gesammten Ministerrath hoere, in welcher Weise die Ereignisse geleitet werden muessen, damit wir das grosse Ziel erreichen, das oeffentliche Vertrauen in die Regierung vollstaendig wieder herzustellen,--welches bereits so sehr wieder gewachsen ist," fuegte er mit einer leichten Neigung des Kopfes hinzu, "seitdem Sie mir mit Ihrem Rath zur Seite stehen." "Das Vertrauen Eurer Majestaet macht mich sehr gluecklich," erwiderte Herr Ollivier, indem er auf den vom Kaiser ihm bezeichneten Sessel sich niederliess. "Wenn die oeffentliche Meinung mir mit einem gewissen sympathischen Gefuehl entgegenkommt," fuhr er mit einem selbstbefriedigten Laecheln fort, "so wird mir meine Aufgabe sehr wesentlich durch die hochherzige Offenheit erleichtert, mit welcher Eure Majestaet mich unterstuetzen." Der Kaiser richtete einen eigentuemlichen Blick aus seinen schnell sich entschleiernden und dann wieder in ausdruckslose Gleichgueltigkeit zuruecksinkenden Augen, waehrend er mit der Hand ueber den Schnurrbart streichend ein unwillkuerlich seine Lippen bewegendes Laecheln verbarg. "Sie glauben also," sagte er dann, "dass das Plebiscit der Regierung guenstig ausfallen werde?" "Jedenfalls," erwiderte Herr Ollivier, "die Stimmung ist allgemein sehr wenig befriedigt ueber das Verhalten der unversoehnlichen Opposition. Man will Ruhe fuer die Geschaefte, man will Schutz gegen die herandraengende sociale Bewegung, und man wird dem liberalen Kaiserreich um so mehr mit begeisterter Waerme seine Stimme geben, als es die Freiheit mit der Kraft und der Ordnung vereinigt. Die Opposition fuehlt dies, und ihr Bestreben geht nicht mehr danach, ein negatives Votum der Volkscomitien zu erreichen, sondern vielmehr eine massenhafte Stimmenenthaltung durchzusetzen, ein Bestreben, in welchem sie durch die Indolenz der Massen wesentlich unterstuetzt werden moechte. "Eure Majestaet werden es gewiss billigen, dass wir auf die energischste Weise den Praefecten aufgetragen haben, vor allen Dingen besonders in den laendlichen Kreisen gegen die Enthaltung von der Abstimmung zu wirken." "Gewiss, gewiss," sagte der Kaiser wie zerstreut, "man muss alle Mittel anwenden, um diesen Herren von der Opposition zu zeigen, dass das Volk von Frankreich sie verwirft und fest hinter mir steht,--doch," fuhr er fort, "wie ist es mit Daru und Buffet? Bestehen sie darauf, dass die Kammern zunaechst ueber das Plebiscit befragt werden und werden sie daraus eine Cabinetsfrage machen?" "Ich glaube, Sire," sagte Herr Ollivier, "dass meine beiden Kollegen sehr geneigt sind, sich darueber zu verstaendigen; sie wollen gern ihre Kraefte unter dem liberalen Kaiserreich und unter Eurer Majestaet erleuchteter und ruhmvoller Fuehrung dem Wohle Frankreichs widmen. Indess halten sie es fuer unmoeglich, so ganz und gar von dem Prinzip abzuweichen, das sie mit voller Ueberzeugung vertreten. Es laesst sich vielleicht," fuhr er fort, "ein Weg finden, um im Wesentlichen die Meinungen Eurer Majestaet aufrecht zu erhalten, und dennoch die Minister, welche bei den verschiedenen Parteien Vertrauen haben zu conserviren. Man koennte die Absicht, ein Plebiscit vorzunehmen, ohne sich einem constitutionellen Beschluss der Vertretung des Landes zu unterwerfen, dem Corps legislativ einfach durch eine Botschaft mittheilen, worauf denn eine Antwortsadresse erfolgen wuerde. Auf diese Weise liessen sich die verschiedenen Standpunkte vielleicht vereinigen, und es ist allerdings richtig, dass bei dem Plebiscit es von Wichtigkeit sein koennte, dem Volk zu zeigen, dass die Regierung und die regelmaessige constitutionelle Vertretung ueber den wichtigen Act in voller Uebereinstimmung sich befinden." Der Kaiser senkte den Kopf und strich mehrere Male nachdenklich ueber seine Stirn. "Damit wuerde eigentlich," sagte er, "dem Plebiscit die wahre Spitze abgebrochen, und ich bin, wie ich Ihnen aufrichtig sagen muss, nicht sehr geneigt, einen solchen Weg zu gehen. Halten Sie," fragte er, Herrn Ollivier ploetzlich voll und scharf anschauend, "diesen Weg prinzipmaessig fuer richtig, oder wuerden Sie ihn nur vorschlagen, um die Personen der Minister zu conserviren?" "Die Minister haben, wie ich Eurer Majestaet zu bemerken die Ehre hatte," fuhr der Grosssiegelbewahrer fort, "ein gewisses Vertrauen, ihr Ruecktritt koennte einen unguenstigen Eindruck machen. Dies ist wesentlich der Grund, wesshalb ich einen Kompromiss suchen moechte." "Mein lieber Herr Ollivier," sagte der Kaiser, indem er sich ein wenig herueberneigte, "nach meiner Ueberzeugung beruht das Vertrauen, welches das Ministerium bei der Bevoelkerung geniesst, weder auf Herrn Buffet, noch auf dem Grafen Daru, noch auf irgend einem der andern Personen, welche gegenwaertig das Cabinet bilden, sondern vielmehr lediglich auf der Achtung und Sympathie, welche man Ihnen entgegentraegt, Sie sind der Pfeiler, auf welchem gegenwaertig meine Regierung ruht. Der Respect vor Ihrem Charakter, die Bewunderung fuer Ihre grossen Talente bilden einen Nimbus um Sie, dessen Strahlen auch auf die uebrigen Minister fallen, sie werden aber ebenso gut auch auf jeden Andern fallen, der das Glueck haben wird, mit Ihnen zusammen ein Cabinet zu bilden. Die Ruecksicht also," fuhr er fort, "auf das Vertrauen, welches jene Herren im Lande geniessen, und den persoenlichen Einfluss, welchen sie ueben koennen, wuerde mich niemals bestimmen koennen, von einem als richtig anerkannten Prinzip abzugehen, lediglich um ihre Personen zu conserviren. Etwas Anderes," fuhr er nachdenklich fort, indem aus dem Winkel seines fast geschlossenen Auges ein schneller, scharf beobachtender Blick auf Herrn Ollivier hinueberflog, "etwas Anderes ist es freilich mit ihrer Ersetzung in den Geschaeften. Buffet ist ein vortrefflicher Finanzminister, es wird nicht leicht sein, Jemanden an seine Stelle zu setzen--Segris vielleicht--man muesste sich mit ihm darueber verstaendigen--noch schwieriger aber ist die Sache bei Daru. Woher kann man so schnell einen auswaertigen Minister finden? Namentlich, da es sich darum handeln wuerde, die Stellung ein wenig zu modificiren, welche wir dem Concil und Rom gegenueber eingenommen haben. Die Minister der auswaertigen Angelegenheiten," fuhr er fort, anscheinend immer tiefer im Nachsinnen versinkend, "wachsen nicht aus der Erde hervor. Ja, wenn," sagte er, den Blick wie fragend auf Herrn Ollivier richtend--"wenn es moeglich waere, dass eines Menschen Kraft die Last allein truege, welche schon auf drei Schultern vertheilt nicht leicht ist, so waere schnell eine Abhuelfe zu finden." Er lehnte den Kopf wie tief nachdenkend auf den auf sein Knie gestuetzten Arm. Das Gesicht Olliviers zuckte in lebhafter Bewegung, seine Augen schienen einem ploetzlich vor ihm auftauchenden Bilde zu folgen, ein Schimmer hoher Befriedigung erleuchtete seine Zuege und rasch mit athemloser Stimme sprach er: "Eure Majestaet meinen--Eure Majestaet haben irgend eine Idee ueber das Ressort des auswaertigen Amtes?" "Ich fuerchte," sagte Napoleon, indem er wie in schmerzlicher Resignation die Achseln zuckte, "dass die Idee, welche mir einen Augenblick als moeglich vorschwebte, der Wunsch, den ich einen Augenblick hegte, Unmoeglichkeiten sind. Ich hatte mir gedacht, wie rasch sich das Alles arrangiren liesse, wenn Sie, mein lieber Herr Ollivier, mir das Opfer bringen koennten, fuer einige Zeit das Ministerium der auswaertigen Angelegenheiten zu fuehren. Ich weiss," fuhr er fort, "die Repraesentation, welche gerade mit diesem Ministerium mehr als mit andern verbunden ist, wuerde Ihnen laestig sein. Die Last der Arbeiten wuerde selbst Ihrem der Thaetigkeit so gewoehnten Geist zu viel werden. Lassen wir also die Sache, es ist doch vielleicht besser, einen Kompromiss zu suchen, welcher uns den Grafen Daru und Herrn Buffet erhaelt." Herr Ollivier hatte in einer gewissen Unruhe, die Haende in leichtem Zittern bewegend, das Ende der Bemerkungen des Kaisers erwartet. Als Napoleon schwieg, sagte er rasch, indem er seine Brille zurecht schob: "Ew. Majestaet duerfen ueberzeugt sein, dass mir fuer Ihren Dienst und fuer das Wohl Frankreichs kein Opfer zu gross ist. Wohl widerstrebt meinem einfachen buergerlichen Sinne," sagte er, "die grosse und vielseitige Repraesentation, wohl moechte ich auch fuer meine Familie leben und fuer meine Gesundheit ein wenig Musse gewinnen, dennoch aber kann ich keinen Augenblick anstehen, wenn es der Dienst Eurer Majestaet, wenn es das Wohl Frankreichs erfordert, auch diese neue Last auf mich zu nehmen, und ich traue mir ohne Ueberschaetzung dennoch die Kraft zu, sie tragen zu koennen. Ich bin an die Thaetigkeit gewoehnt, Sire, und will wenigstens versuchen, Eurer Majestaet auch diesen Beweis meiner Ergebenheit zu geben." Napoleon schlug wie durch eine unerwartet guenstige Wendung der Dinge freudig ueberrascht die Haende zusammen. "Aber, mein lieber Herr Ollivier," sagte er, "dann ist uns ja geholfen, dann haben wir ja garnicht noethig, noch einen Kompromiss zu suchen, wenn Graf Daru wirklich heute abgeht und Sie bereit sind, an seine Stelle zu treten. So befinde ich mich ja nicht nur in keiner Verlegenheit, sondern ich werde sogar meine Lage wesentlich verbessern, denn Sie werden mir die Bemerkung erlauben, dass ein jedes Portefeuille bei Niemanden, und waere er der Geschickteste und Bewaehrteste, so gut aufgehoben sein kann, als in Ihren Haenden. Wenn Sie also wirklich bereit waeren, an die Stelle des Grafen Daru zu treten, und wenn Ihre Kraft eine so uebermaessige Last zu ertragen im Stande ist, dann waeren wir ja, wie ich glaube, vollstaendig einig ueber den Gang, den wir den Ereignissen zu geben haben." "Wenn Eure Majestaet," sagte Herr Ollivier, "die Gnade haben wuerden, mir das Portefeuille des Auswaertigen zu uebertragen, so sehe ich allerdings nicht ein, warum in der Frage des Plebiscits ein keinem Prinzip vollkommen entsprechender Ausweg gesucht werden sollte." "Nun," sagte der Kaiser, indem er sich erhob, "ich sehe, wir verstehen uns vollkommen,--welche Freude wird es mir machen, mit Ihnen die Fragen der auswaertigen Politik zu besprechen und aus Ihrem so erleuchteten Geiste immer neue Gedanken zu der Beurtheilung derselben zu ziehen." Herr Ollivier verneigte sich mit gluecklichem zufriedenem Laecheln. "Ich glaube, wir werden vollstaendig darin uebereinstimmen," sagte der Kaiser leichthin mit gleichgueltigem Ton, "dass der roemischen Frage auf dem Concil gegenueber die Haltung, welche der Graf Daru in der letzten Zeit eingenommen hat, modificirt werden muss. Die katholische Kirche und der Klerus ist ein sehr maechtiger Factor in Frankreich, dessen freien und rueckhaltslosen Beistand wir uns sichern muessen. Und ausserdem," fuhr er fort, "widerstrebt auch meinem religioesen Gefuehl eine Erkaltung der Beziehungen zwischen meiner Regierung und dem heiligen Stuhl." "Eure Majestaet haben vollkommen Recht," sagte Herr Ollivier schnell, "Frankreich ist gut katholisch. Ich bin es auch," fuegte er hinzu, "und die Ruecksicht auf die Gefuehle des Volkes ebenso wie auf den Einfluss des Klerus gebieten uns eine aeusserst vorsichtige Stellung Rom gegenueber einzunehmen, und nichts zu thun, was die Beziehungen zur Kurie irgend wie trueben koennte. Ich fuerchte," fuhr er fort, "der Graf Daru hat sich in dieser Sache ein wenig zu sehr von Doctrinen leiten lassen und hat zu wenig die concreten Verhaeltnisse in Betracht gezogen; auch moechten vielleicht seine Beziehungen zu Guizot, der entschieden Protestant ist, nicht ohne Einfluss auf seine Anschauungen geblieben sein." Der Kaiser, welcher sehr aufmerksam den Worten seines Ministers zugehoert hatte, schlug sich leicht mit der Hand vor die Stirn, als ob er durch die Aeusserungen des Herrn Ollivier besonders frappirt sei. "In der That, mein lieber Minister," sagte er, "Sie bringen mich da auf einen Gedanken, der mir Manches aufklaert,--sollten Sie, wie ich glaube, Recht haben, so ist es um so noethiger, unsere Stellung Rom gegenueber zu modificiren, denn protestantische Anschauungen koennen doch gewiss niemals die Politik Frankreichs, dieses so tief katholischen Landes leiten. Welch eine Freude ist es doch," sagte er tief aufathmend, "so vollstaendiges Verstaendniss zu finden und mit einem Mann zu arbeiten, der uns stets neue Gesichtspunkte oeffnet." Er bewegte die Glocke. "Sind die Herren Minister versammelt," fragte er den eintretenden Kammerdiener. "Zu Befehl, Majestaet." "Wollen Sie mich in einen Augenblick im Conferenzzimmer mit den andern Herren erwarten," sagte der Kaiser zu Herrn Ollivier, "ich werde Ihnen sogleich folgen--wir wissen ja, was wir zu thun haben." Der Grosssiegelbewahrer verneigte sich mit zustimmender Miene und verliess das Kabinet des Kaisers. "Er wird thun, was ich will," sagte Napoleon ihm laechelnd nachblickend, "und ich werde die vortreffliche Stellung haben, keinerlei Initiative zu ergreifen; nicht meine Meinung,--sondern diejenige des Herrn Ollivier wird durchdringen, und man wird nicht wieder vom persoenlichen Regiment und vom autocratischen Einfluss sprechen koennen." Er trat zu einem kleinen Schrank, nahm daraus ein Flaeschchen mit einer roethlichen Fluessigkeit, zaehlte in ein Glas Wasser, das der Kammerdiener ihm reichte, eine Anzahl von Tropfen und trank dann schnell den Inhalt, der ihn fast augenblicklich wohlthaetig zu beleben schien. "So," sagte er mit einem tiefen Athemzug, "das wird mir fuer eine Stunde wieder Kraft und Elasticitaet geben. Jetzt will ich meine Herren Minister anhoeren." Und mit etwas lebhafterem festerem Gang als vorhin begab er sich durch die schnell geoeffnete Fluegelthuer nach dem Conferenzzimmer, einem grossen hellen Gemach, in dessen Mitte ein runder gruener Tisch, von ebenfalls dunkelgruenen Fauteuils umgeben, stand. In diesem Zimmer waren die Minister bereits versammelt, sie trugen saemmtlich, wie der Kaiser, schwarze Morgenanzuege und verneigten sich tief beim Eintritt des Souverains. Da war neben Ollivier, der, aufgeregt, aber von innerer Befriedigung strahlend, hinter seinem Stuhl stand, Herr Chevandier de Valdrome mit seinem etwas cavalieren Ausdruck; der Graf Daru mit seinem kalten, etwas misstrauischen Blick; Herr Buffet, der Finanzminister, eine bureaucratische Erscheinung mit eigensinnig doctrinairem Ausdruck; Herr Segris, der Minister des Unterrichts, ein wenig an das Aeussere eines Professors erinnernd; dann der Marquis von Talhouet, der Minister der oeffentlichen Arbeiten, eine schoene, elegante Erscheinung, trotz seines Alters von beinahe fuenfzig Jahren, noch jugendlich und frisch, der wahre altfranzoesische grand Seigneur;--Herr Maurice Richart, fuer welchen sein Freund Ollivier das Ministerium der schoenen Kuenste geschaffen hatte, ein gutmuethiger, sorgloser Lebemann; dann der Kriegsminister, Marschall Leboeuf, eine militairisch kraeftige Erscheinung, das volle, ein wenig aufgeschwemmte und regelmaessige Gesicht hatte durch den grossen Bart auf der Oberlippe und dem Kinn einen etwas martialischen Ausdruck, der jedoch durch den gleichgueltigen und oberflaechlichen Blick der etwas vorstehenden Augen wieder abgeschwaecht wurde; endlich der Admiral Rigault de Genouilly, dessen feines und intelligentes Gesicht mit dem Ausdruck verschlossenen Nachdenkens stets einen nicht ausgesprochenen Hintergedanken zu verstecken schien. Der Kaiser setzte sich auf seinen Lehnstuhl in der Mitte des Tisches, und die Minister nahmen um ihn her Platz, Herr Ollivier zu seiner Rechten, Graf Daru zu seiner Linken; die Uebrigen nach der Reihenfolge ihres Ranges; die Minister des Krieges und der Marine dem Kaiser gegenueber. "Ich habe Sie berufen, meine Herren Minister," sprach der Kaiser mit ruhiger, fast ausdrucksloser Stimme, indem er einen der auf dem Tische liegenden Bleistifte ergriff und einige unbestimmte Linien auf dem vor ihm bereit liegenden Papierbogen zeichnete, "ich habe Sie berufen, um Sie zu ersuchen, die Frage des Plebiscits, ueber welche ich bereits mit Jedem von Ihnen einzeln conferirt habe, nunmehr noch einmal gemeinschaftlich zu discutiren und dann darueber einen definitiven Beschluss zu fassen. Es handelt sich darum, die neue Institution, welche ich dem Kaiserreich geben zu sollen geglaubt habe und zu deren Befestigung Sie Alle so bereitwillig mir die Hand geboten haben, nochmal durch ein Votum der ganzen Nation, auf welchem ja das Kaiserreich selbst und seine fruehere Verfassung beruhen, sanctioniren zu lassen. Und ich bitte Sie mit Ihrer gewohnten und von mir stets so hoch gewuerdigten Freimuethigkeit mir Ihre Meinung darueber zu sagen." Er wandte sich mit einer leichten Neigung des Kopfes zu Herrn Ollivier. "Sire," erwiderte dieser in einem Ton, welcher an den gleichfoermigen Pathos erinnerte, der eine Eigenthuemlichkeit seiner Reden auf der Tribuene war--"Eure Majestaet wissen, dass ich aus voller Ueberzeugung dem grossen Gedanken zugestimmt habe, welchen Sie so eben aussprachen. Eine Regierung, welche so offen und rueckhaltslos wie wir die Verfassung im Sinne der Freiheit ausbaut, darf sich nicht scheuen ihr Werk der Pruefung und Genehmigung des ganzen Volkes vorzulegen. Wir treten vor die Nation, nicht um zu fordern, sondern nur zu geben, und sind der dankbaren Zustimmung der grossen Mehrheit der Buerger Frankreichs sicher; das Gewicht ihres Votums wird die Autoritaet und Macht des Kaiserreichs den innern und aeussern Feinden gegenueber von Neuem kraeftigen, und alle die Elemente, welche in der letzten Zeit so vermessen an der Entwickelung des gesellschaftlichen Lebens gearbeitet haben, werden vor dem fest und klar ausgesprochenen Willen der ganzen Nation schwinden. Ich habe die Form des Plebiscits ausgearbeitet. Der Herr Minister des Innern hat die Praefecten mit ausfuehrlichen Instruktionen versehen, um die von der unversoehnlichen Opposition beabsichtigte massenhafte Enthaltung von der Abstimmung zu verhindern, und ich erlaube mir, Eurer Majestaet vorzuschlagen, dass so wie das Senatuskonsult festgestellt ist, das Plebiscit ohne weitere Verzoegerung vorgenommen werde, denn jeder Tag, um den dasselbe noch hinausgeschoben wird, giebt den Gegnern Gelegenheit, sich zu organisiren und ihre Agitationen immer mehr ueber das Land zu verbreiten. Die Form des Plebiscits wuerde nach meiner Ueberzeugung sehr einfach sein, sie wuerde sich auf wenige Zeilen reduciren, und ich werde meinen Entwurf bei meinen Herren Collegen circuliren lassen, um ihn dann mit ihren Zustimmungen oder etwa mit ihren Gegenvorschlaegen Eurer Majestaet zu unterbreiten." Der Kaiser wandte sich mit einem verbindlichen Wink seiner Hand zu dem Grafen Daru. Der Minister der auswaertigen Angelegenheiten hatte ruhig und unbeweglich den Worten Olliviers zugehoert; ebenso ruhig sprach er jetzt mit seiner etwas leisen, aber durch die scharfe Accentuirung der Worte deutlichen Stimme: "Ueber die Form des Plebiscits, Sire, wird, wie ich glaube, unter uns kaum eine Meinungsverschiedenheit bestehen koennen. Es kann ja eben nur eine ganz einfache mit ja oder nein zu beantwortende Frage sein. Dagegen aber kann ich nicht unterlassen, Eurer Majestaet noch einige sehr ernste und gewichtige Bedenken gegen die Sache selbst auszusprechen." Der Kaiser blickte nicht auf, mit voellig ausdrucksloser Miene sah er auf das Papier nieder und zeichnete grosse krumme Linien, welche in einander greifend sich zu dem Bilde eines Adlerfluegels vereinigten. "Eure Majestaet," fuhr Graf Daru fort, "haben vorhin bemerkt, dass das Kaiserreich auf dem freien Votum der ganzen Nation beruhe, wie das ja auch mit der Herrschaft des ersten Kaisers der Fall war. Das Volk hat seinen Willen ausgesprochen und sich nach einer Zeit innerer Unruhen und Kaempfe eine feste Staatsform und eine consolidirte Regierung gegeben, welche wir nunmehr dem Willen Eurer Majestaet gemaess zu freierer, innerer Entwicklung zu fuehren haben. Da die Existenz des Kaiserreichs, der Grund seines Bestehens auf dem Plebiscit beruht, so halte ich es fuer bedenklich, der Sicherheit des Staatsgebaeudes und vor allen Dingen auch der Dynastie Gefahr bringend, wenn man ohne eine absolute Nothwendigkeit auf die Grundfundamente der Monarchie wieder zurueckgreift. Ich glaube nicht,--verzeihen mir Eure Majestaet, dass eine Dynastie wirklich auf die Dauer feste und unzerstoerbare Wurzeln schlagen kann, wenn bei jeder Gelegenheit derjenige Faktor, der ihr das Leben gegeben, wieder in die oeffentliche Bewegung hineingezogen wird; das Volk durch unmittelbares Plebiscit hat einmal gesprochen und das Kaiserreich begruendet--die weitere Entwicklung desselben muss nun seinen verfassungsmaessigen Vertretern ueberlassen werden. Das Kaiserreich selbst darf nicht wieder in Frage gestellt werden. Denken Eure Majestaet, in welche gefaehrliche Lage, in welche falsche Position ein Souverain kommen muesste, der wie Eure Majestaet es stets mit gerechtem Stolz gethan und wie Ihre Nachfolger es ohne Zweifel ebenfalls thun werden, sich den Erwaehlten der Nation nennt, wenn das Votum dieser Nation in einem spaetern Plebiscit ihm unguenstig waere? Ein abfaelliges Votum des Corps legislativ greift nur das Ministerium an, ein abfaelliges Plebiscit aber wuerde das Kaiserthum und die Dynastie selbst in Frage stellen."-- "So weit wir aber die Stimmung im Lande kennen," fiel Herr Ollivier ein, waehrend der Kaiser fortwaehrend ganz theilnahmlos weiter zeichnete--"ist garnicht an die Moeglichkeit zu denken, dass die allgemeine Abstimmung unguenstig ausfalle, vielmehr wird sie auf's Neue die Wurzeln des Kaiserreichs und der Dynastie kraeftigen und immer tiefer in das nationale Bewusstsein dringen lassen." "Ich zweifle nicht an dem Ausfall der Abstimmungen," erwiderte Graf Daru, indem fluechtig und fast unbemerkbar ein Zug feiner Ironie auf seinem kalten bleichen Gesicht erschien, "auch spreche ich nicht von der Thatsache, sondern von dem Prinzip, und im Prinzip muss ich dabei bleiben, dass ein wiederholtes Plebiscit gefaehrlich fuer die Dynastie ist, um so gefaehrlicher, wenn man jetzt etwa auf einen guenstigen Ausfall desselben einen besonderen Werth zu legen beabsichtigt. Je mehr Bedeutung man dem zustimmenden Votum giebt, um so mehr gefaehrlicher wuerde eines Tages eine feindliche Abstimmung werden koennen. Ausserdem bin ich des Erfolges noch nicht so vollkommen sicher. Die Majoritaet Derjenigen, welche stimmen, wird mit ja stimmen, daran zweifle ich nicht, ob es aber der Opposition nicht gelingen werde, eine sehr grosse Majoritaet fuer die Stimmenenthaltung zu gewinnen, darueber bin ich noch nicht vollkommen beruhigt; und der Eindruck einer solchen Enthaltung wuerde nicht nur in Frankreich, sondern auch im Auslande ein sehr bedenklicher sein muessen." Herr Ollivier, welcher sich unruhig hin und her bewegt hatte, wollte mit einer Bemerkung einfallen. Der Graf Daru erhob leicht mit einer artigen, aber bestimmten Wendung die Hand gegen ihn und fuhr fort. "Wenn ich schon aus Ruecksicht auf das Kaiserthum selbst und auf die Dynastie der Meinung bin, dass ein erneutes Plebiscit nur im Augenblick einer oeffentlichen Gefahr oder gewaltiger nationaler Anstrengungen vorgenommen werden darf, so bestaerkt mich in dieser Ansicht noch mehr die Ruecksicht auf die freie und verfassungsmaessige Entwicklung des oeffentlichen Lebens, deren Sicherung unsere Aufgabe ist. Wenn es als ein Grundsatz des oeffentlichen Rechts anerkannt wird, dass die Regierung in jedem Augenblick und ohne bestimmte zwingende und in der Verfassung vorgesehene Gruende sich an das Volk wenden kann, so wird jedes constitutionelle Leben ueberhaupt eine Unmoeglichkeit, denn die Regierung hat es in der Hand, bei jedem Conflict mit den Gesetzgebenden Koerperschaften durch ein Plebiscit das ganze verfassungsmaessige Leben in Frage zu stellen. Dass Eure Majestaet niemals einen solchen Gedanken haben werden," sagte er, sich gegen den Kaiser verneigend,--"davon bin ich ueberzeugt, indessen bei der Beurtheilung oeffentlicher Rechtsprinzipien darf man nicht an die Person, sondern an die Sache und an die voellig objectiv gestellte Frage denken. Fuer mich spricht also sowohl die Ruecksicht auf die Stabilitaet und die Unantastbarkeit der monarchischen Staatsform und der Dynastie als diejenige auf die wahre Freiheit des oeffentlichen Lebens gegen eine Wiederholung des Plebiscits." "Sie wuerden also, mein lieber Graf," sagte der Kaiser, indem er einen Augenblick fluechtig aufblickte und dann wieder in die Betrachtung des auf dem Papier vor ihm nunmehr deutlich erkennbaren Adlerfluegels versank, "Sie wuerden also einer Berufung an das Volk Ihre Stimme nicht geben und wollen?" "Ich habe meine prinzipmaessigen Gruende gegen das Plebiscit ausgesprochen," erwiderte der Graf. "Ich bin indessen ebenfalls ueberzeugt, dass beim absolut starren Festhalten an den Prinzipien practisch nicht regiert werden kann. Und da Eure Majestaet und die meisten meiner Kollegen die Volksabstimmung fuer zweckmaessig halten, so wuerde ich mich derselben nicht unbedingt entgegenstellen." Der Kaiser zog seine Linien weiter und weiter. Ein zweiter Adlerfluegel begann sich an der Seite des ersten zu zeigen. Auf Herrn Olliviers Gesicht erschien bei den letzten Worten des Grafen Daru eine ziemlich erkennbare Verstimmung. Der Minister der auswaertigen Angelegenheiten sprach weiter: "Die Bedenken, welche ich gegen eine Wiederholung des Plebiscits so eben ausgesprochen und motivirt habe, koennen nach meiner Ueberzeugung auf eine sehr einfache Weise zum grossen Theil beseitigt werden: Wenn naemlich der Grundsatz festgehalten wird, dass die Berufung an die unmittelbare Volksabstimmung nur Statt finden duerfe, wenn sich die Regierung und die Gesetzgebenden Koerperschaften darueber verstaendigt haben. Dadurch wuerde nach beiden Richtungen die Garantie gegen den Eintritt derjenigen Gefahren gegeben, welche ich vorhin bezeichnete, und so wuerde die Absicht Eurer Majestaet erreicht. Ich glaube, dass der Herr Grosssiegelbewahrer," sagte er, sich an Ollivier wendend, "einer Verstaendigung in der von mir angedeuteten Richtung nicht abgeneigt ist, wenigstens habe ich bei meiner frueheren Unterredung ueber diesen Gegenstand bei ihm die Geneigtheit bemerkt, auf meine Prinzipien einzugehen, und auf Grund derselben den Bestand des Cabinets zu sichern," sagte er mit fester Stimme, sich gegen den Kaiser verneigend. Dieser hob ein wenig den Kopf empor und richtete den Blick seines vollstaendig verschleierten Auges auf Herrn Ollivier. "Der Gedanke des Grafen Daru," sagte er ruhig, "scheint mir eine sehr gute Grundlage fuer die Ausgleichung der entgegenstehenden Ansichten zu bieten. Es waere gewiss sehr wuenschenswerth, eine solche Verstaendigung zu erreichen, wenn dies nach Ihrer Ueberzeugung moeglich ist." Herr Ollivier richtete sich grade empor, liess den unsichern Blick ueber seine in schweigender Zurueckhaltung da sitzenden Kollegen gleiten und begann dann mit nachdruecklicher Betonung: "Ich glaube nicht, dass der Gedanke des Herrn Ministers der auswaertigen Angelegenheiten ausfuehrbar sei, wenn man sich die wahre staatsrechtliche Natur der Frage klar macht. Das Volk," fuhr er fort, "die franzoesische Nation ist, Eure Majestaet werden mir darin beistimmen," sagte er, sich gegen den Kaiser verneigend--"der eigentliche, in letzter Instanz definitiv ueber die Geschicke Frankreichs entscheidende Souverain. Die Vertreter im Corps legislativ sind nur Delegirte. Es entspraeche nicht der Wuerde der Nation selbst, wenn Derjenige, an welchen sie ihre Souverainetaet deligirt haette, erst die Genehmigung der lediglich fuer die gesetzgeberische Arbeit abgeordneten Vertreter einholen muesste, um sich in grossen Nationallebensfragen an das Volk selbst wenden zu duerfen. Zwischen dem Kaiser, das heisst dem General-Mandatar der souverainen Nation und dem Volk selbst darf kein untergeordneter Faktor stehen. Sie muessen frei, wenn es nothwendig ist, miteinander verkehren koennen, und der Kaiser muss das Recht haben, auch ohne die Zustimmung der parlamentarischen Koerperschaften an das Volk selbst sich wenden zu koennen. Jede zufaellige Majoritaet der Kammer wuerde ja sonst die Macht haben, die Berufung an das Volk zu verhindern. Ich fuer meine Person," schloss er mit bestimmtem Ton, "wuerde lieber dafuer stimmen, das Plebiscit ueberhaupt aufzugeben, als es auf diese Weise von der Zustimmung einer Kammer abhaengig zu machen, die vielleicht garnicht den Willen des ganzen Volkes und sein wahres Interesse vertritt." Graf Daru hatte Herrn Ollivier ein wenig erstaunt angesehen, dann flog abermals jener Zug feiner Ironie ueber sein Gesicht, und als der Grosssiegelbewahrer geendet, sprach er, waehrend auf dem Papier des tief gebueckt dasitzenden Kaisers sich nunmehr zwischen den beiden Fluegeln auch der Kopf eines Adlers zu entwickeln begann: "Ich bedaure, dass ich die Absicht des Herrn Grosssiegelbewahrers bei unserer letzten Unterredung so falsch oder unklar aufgefasst habe. Waere mir damals seine Meinung so bestimmt erschienen, wie ich sie jetzt verstehe, so haette ich schon frueher alle Hoffnungen und alle Versuche zu einer Verstaendigung zu gelangen, aufgegeben. Ich muss Eurer Majestaet aufrichtig erklaeren, dass wenn das Plebiscit ohne vorherige Verstaendigung mit der Kammer beschlossen werden sollte, ich nicht im Stande sein wuerde, laenger ein Mitglied des Kabinets zu bleiben." "Ich schliesse mich der Erklaerung des Herrn Grafen Daru vollstaendig an," sagte der Finanzminister Buffet mit rauhem und kurzem Ton. "Ich glaube, dass die Wiederholung der Plebiscite die freie Bewegung des konstitutionellen Lebens unmoeglich macht und den Staat fortwaehrend mit der Wiederkehr absoluter Autocratie bedroht. Ich bitte Eure Majestaet, wenn das Plebiscit nach der Anschauung des Herrn Grosssiegelbewahrers beschlossen werden sollte, meine Entlassung zu genehmigen." "Und was meinen die uebrigen Herren Minister," fragte der Kaiser, unter dessen Bleistift sich nunmehr auch ein grosser Adlerkopf bildete. "Ich stimme Herrn Ollivier bei," sagte Segris. "Ich wuerde um der Einheit des Bestandes des Cabinets willen," sagte der Marquis von Talhouet, "wuenschen, dass auf dem Boden des vom Grafen Daru ausgesprochenen Gedankens eine Verstaendigung erzielt werde. Indessen kann ich nicht mein Verbleiben im Cabinet von dieser Frage abhaengig machen, und ich hoffe," fuegte er verbindlich sich gegen den Grafen von Daru verneigend, hinzu, "dass auch unser verehrter Kollege von diesem aeussersten Entschluss zurueckstehen werde." Graf Daru schuettelte schweigend den Kopf. "Ich habe," rief Herr Ollivier rasch, "wahrlich fuer die Freiheit und die Rechte des Volkes gesprochen und gekaempft. Niemand wird mir dies Zeugniss versagen koennen. Jetzt aber ist es auch meine Pflicht, die Rechte der Krone zu vertreten und zu vertheidigen, und ich wuerde in einer solchen Anschauung der kaiserlichen Initiative, wie sie der Graf Daru vorschlaegt, eine sehr gefaehrliche und bedenkliche Schmaelerung der kaiserlichen Rechte erblicken." Der Marschall Leboeuf und der Admiral Rigault de Genouilly stimmten in kurzen Worten dem Herrn Ollivier bei; ebenso Herr Maurice Richart und Herr Chevandier de Valdrome. Zu den Fluegeln und dem gekroenten Kopf des Adlers war auf dem Papier des Kaisers bereits noch eine Kralle hinzugetreten, auf welcher ein kleiner Reichsapfel ruhte. Der Kaiser richtete ein wenig den Kopf auf, ohne dass sein Bleistift aufhoerte in langsamer, anscheinend fast unwillkuerlicher Bewegung Linie an Linie zu reihen. "Ich hoere also," sagte der Kaiser, "dass die Mehrzahl meiner Herren Minister dem Herrn Grosssiegelbewahrer vollstaendig beipflichten, welcher sich fuer die schleunige Ausfuehrung des Plebiscits und zwar ohne vorherige Verstaendigung mit den Kammern ausgesprochen hat. Haetten die Herren Minister gegen das Plebiscit ueberhaupt Bedenken gehabt, so haette ich meinerseits kaum einen Grund gehabt, dasselbe durchaus zu wuenschen, so sehr ich auch ueberzeugt bin, dass es den Institutionen des Kaiserreichs neue Kraefte geben werde. Da aber die grosse Majoritaet meiner Minister das Plebiscit fuer zweckmaessig und nothwendig haelt, da sie zu gleicher Zeit die Modalitaet, welche der Graf Daru vorgeschlagen, nicht zu acceptiren geneigt sind, so bleibt mir nichts anderes uebrig, als nochmals Sie, Herr Graf, zu bitten, aus der Sache keine Cabinetsfrage zu machen und Sie, Herr Minister," sagte er, sich an Herrn Ollivier wendend, "reiflich zu ueberlegen, ob Sie nicht im Stande waeren, eine Kombination zu finden, welche sich dem Grafen Daru naehert, und es ihm moeglich macht, Mitglied des Cabinets zu bleiben, in welches ich ihn mit so vielem Vertrauen berufen habe, und aus welchem ich ihn nur mit aufrichtigem Schmerz wuerde scheiden sehen." Es war fast ein aengstlicher Ausdruck, mit welchem Herr Ollivier den Kaiser bei den letzten Worten ansah. "Eure Majestaet wissen," sagte er schnell, "wie hohen Werth ich auf die Freundschaft und Mitwirkung des Grafen Daru und auf sein Verbleiben in dem Ministerium lege; indessen meine Anschauung und Ueberzeugung steht fest, und wie ich niemals im politischen Leben von derselben abgewichen bin, so kann ich es auch jetzt nicht, selbst auf die Gefahr hin, die bisher so fruchtbare und hoch erfreuliche gemeinschaftliche Arbeit mit dem Herrn Grafen zu unterbrechen. Meine Ueberzeugung steht fest," sagte er, die Hand auf die Brust legend, "und da auch die meisten meiner Kollegen dieselbe theilen, so kann ich um so weniger in einer so hoch wichtigen Frage auf irgend einen Kompromiss eingehen." "Ich habe also," sagte der Graf Daru, ohne dass irgend eine Bewegung auf seinem Gesicht bemerkbar wurde, "Eure Majestaet nochmals bestimmt um meine Entlassung zu bitten, da ich nicht im Stande bin, der von der Mehrzahl meiner Kollegen beschlossenen Massregel meine Zustimmung zu geben." "Ich muss die gleiche Bitte an Eure Majestaet richten aus dem gleichen Grunde," sagte Herr Buffet. Der Adler auf dem Papier des Kaisers hatte eine zweite Kralle erhalten. "Ich kann," sagte Napoleon, "da ich ja nicht mehr der persoenliche Autokrat bin," fuegte er laechelnd hinzu, "gegen den Beschluss meiner Minister nichts thun. Ich bitte Sie indess, meine Herren," fuhr er fort, sich an die uebrigen Minister wendend, "dass Sie sich der Aufgabe unterziehen moegen, in privater Besprechung und durch persoenliche Einwirkung ein Einverstaendniss zwischen dem Grafen Daru und Herrn Ollivier zu ermoeglichen. Ich bin ueberzeugt," fuhr er fort, indem er mit der linken Hand ueber seinen Bart fahrend den Mund verdeckte, waehrend seine Rechte in der Kralle des Adlers vor ihm ein grosses, hoch aufragendes Schwert erscheinen liess, "dass Herr Ollivier ebenso wie ich das Ausscheiden des Grafen aus dem Cabinet beklagen wuerde, dass er Alles aufbieten wird, um eine Verstaendigung herbeizufuehren. In einem Punkt bin ich jedoch vollkommen der Meinung, welche sich die meisten Herren hier angeeinigt haben, dass naemlich schnell gehandelt werden muesse, um der Opposition nicht die Zeit zu lassen, die Stimmenenthaltung zu organisiren. Ich hoffe also," sagte er aufstehend, indem er den Bleistift neben dem nunmehr vollendeten und maechtig bewehrten Adler niederlegte, "dass Sie mir morgen die Mittheilung von Ihrer allseitigen Verstaendigung machen werden, dass wir Alle miteinander gemeinschaftlich bei der Durchfuehrung des begonnenen Werkes weiter arbeiten werden." Er verneigte sich mit verbindlicher Hoeflichkeit nach allen Seiten und verliess das Konferenzzimmer, in welchem die Minister noch fast eine Stunde zurueckblieben, auf alle moegliche Weise versuchend, das Einverstaendniss zwischen Herrn Ollivier und dem Grafen Daru herzustellen. Alle Versuche scheiterten jedoch an der kalten Ruhe, mit welcher der Graf Daru an seiner Ansicht festhielt und an der pathetischen wuerdevollen Unbeugsamkeit, mit welcher Herr Ollivier erklaerte, auch nicht in einem Punkt von seiner Ueberzeugung abgehen zu koennen. Siebentes Capitel. Napoleon war in sein Cabinet zurueckgekehrt, heiter und zufrieden laechelnd rieb er sich leicht die Hand, waehrend er einige Male langsam auf- und niederging. "Alles geht vortrefflich, Drouin de L'huys hat vollkommen Recht, diesen Ollivier kann man Alles thun lassen, was man will, ein wenig Balsam fuer seine Eitelkeit, ein wenig Koeder fuer seinen Ehrgeiz, und er lancirt sich gesenkten Hauptes in jede Bahn, auf welcher man seiner bedarf. Die Dinge fuegen sich so gut, wie ich es nur irgend wuenschen kann, das Plebiscit wird gemacht,--und ich bedarf des Plebiscits," sagte er sinnend vor sich hinblickend, "um diesen unversoehnlichen Rednern der Kammer zu zeigen, dass sie nicht mich angreifen, sondern den Willen der Gesammtnation, und dass nicht sie die Vertreter der Anschauungen Frankreichs sind, sondern ich selbst,--ich bedarf es dem Auslande gegenueber, um den europaeischen Cabinetten zu zeigen, dass ich noch heute so unumschraenkt wie frueher ueber die Macht Frankreichs gebiete,--das Plebiscit wird gemacht werden, und zwar bin nicht ich es, der es macht, sondern meine Minister unter der Fuehrung dieses hoechst liberalen und konstitutionellen Herrn Ollivier. Und wenn dieser zweifelhafte Graf Daru und dieser schwer zu behandelnde Buffet aus dem Cabinet ausscheiden, so werde nicht ich sie entlassen haben, sondern sie werden es sein, die sich von der Majoritaet der Minister trennen. Alles ist ja konstitutionell und verfassungsmaessig," sagte er laechelnd, "und doch geschieht es wie ich will. Vielleicht," sprach er nachdenklich, "laesst sich mit dieser konstitutionellen Maschine noch besser regieren, als wenn man allein steht und ganz allein auch alle Verantwortlichkeit tragen muss." Er liess sich langsam in seinen Lehnstuhl nieder, bereitete sich sorgfaeltig aus dem auf einem kleinen Tisch daneben stehenden tuerkischen Taback eine Cigarrette, entzuendete dieselbe an der brennenden Kerze und bewegte eine kleine Handglocke. "Bereiten Sie Alles vor," sagte er dem eintretenden Kammerdiener, "ich will meine militairische Promenade machen, in einer Stunde habe ich eine Revue abzuhalten." Der Kammerdiener entfernte sich durch die Thuer, welche in das Toilettenzimmer des Kaisers fuehrte. "Der Graf Bismarck," sagte der Kaiser, indem er mit vergnuegtem Gesicht die blauen Wolken des aromatischen Tabacksrauchs in die Luft blies, "hat Recht mit dem Rath, den er mir einst gab, je mehr ich die konstitutionelle Doctrin in die Regierung einfuehre, um so mehr muss ich meine militairische Macht staerken und das persoenliche Band zwischen mir und der Armee fester ziehen, damit habe ich das Correctiv in der Hand, und wenn die Wellen jemals zu hoch gehen sollten, so wird es leicht sein, sie wieder auf das richtige Niveau zurueckzufuehren. Bis jetzt sind sie noch leicht zu leiten und traegt das Schiff das Kaiserreich ruhig in der Richtung fort, welche ich vorgezeichnet habe,"--und sich bequem auf den Stuhl zuruecklehnend schloss er halb traeumend die Augen, indem er in grossen Zuegen den duftigen Rauch seiner Cigarrette einsog. Nach einiger Zeit oeffneten sich die Fluegel der Thuere, und die Kaiserin schritt schnell, noch bevor der Huissier sie anmelden konnte, an demselben vorueber in das Zimmer. Ihre Mienen zeigten Unruhe und lebhafte Bewegung, sie eilte auf den Kaiser zu, welcher sich langsam erhob, drueckte ihn sanft wieder in seinen Lehnstuhl zurueck und sagte, indem sie sich ihm gegenueber setzte: "Ich hoere, dass die Ministerconferenz zu Ende ist und bin unendlich gespannt, was das Resultat derselben sei,--sobald die Meinungsdifferenzen ausgeglichen, wird das Plebiscit ohne Schwierigkeit durchgefuehrt werden?" "Das Plebiscit ist beschlossen," sagte der Kaiser, indem er den Rest seiner Cigarrette fortwarf, "die grosse Majoritaet meiner Minister waren darueber einig, nur," fuegte er mit einem schnellen Blick auf seine Gemahlin und einem fast unwillkuerlichen Laecheln hinzu, "Graf Daru und Herr Buffet koennen sich der Ansicht der Uebrigen nicht anschliessen. Ich werde sie verlieren," fuegte er wie bedauernd den Kopf schuettelnd hinzu, "ich habe ihnen die Entlassung, um die sie gebeten, nicht verweigern koennen, da sie sich nicht im Einklang mit den Uebrigen befinden." Die Kaiserin schlug ihre schlanken weissen Haende gegen einander, ein Blitz triumphirender Freude spruehte in ihren Augen auf. "Wir sind Daru los," rief sie aus, "diesen verkappten Orleanisten, diesen Freund des Protestanten Guizot, der uns mit dem heiligen Stuhl haette brouilliren moegen. Welch ein Glueck,"--fuhr sie nach einer kleinen Pause fort,--"haben Sie schon darueber nachgedacht, wer sein Nachfolger in den auswaertigen Angelegenheiten sein soll?" "Das ist eine sehr schwierige Frage," sagte Napoleon langsam,--"eine sehr schwierige Frage, welche ein tiefes und eingehendes Nachdenken erfordert. Ich glaube, da das ganze Interesse sich in diesem Augenblick auf die inneren Fragen concentrirt und wir eigentlich gar keine auswaertige Politik machen, so wird es am besten sein, das Provisorium einige Zeit lang bestehen zu lassen--Ollivier ist bereit, dasselbe zu fuehren." Immer strahlender und heiterer wurde das Gesicht der Kaiserin. "Ollivier," rief sie, "das Provisorium des auswaertigen Ministeriums! Louis," rief sie, ihm die Hand reichend, welche er galant an die Lippen fuehrte, "ich bewundere Sie, das ist ein Meisterstreich! Dieser Ollivier ist ein Schleier, den man ganz Europa gegenueber ueber unsere Politik wirft, und hinter diesem Schleier wird man thun und vorbereiten koennen, was man will, ohne dass irgend Jemand, er selbst am wenigsten," sagte sie lachend, "eine Idee davon hat. Aber spaeter," sagte sie dann--"nach Ollivier, denn Ollivier kann doch nur so lange Minister sein, bis--" sie unterbrach sich-- "bis wir es fuer zweckmaessig finden werden," ergaenzte der Kaiser ihren Satz, "unserer auswaertigen Politik einen bestimmten Stempel aufzudruecken, und dann wird die Wahl der Person doch immer von dem System abhaengig sein muessen, welches dann zu befolgen fuer nothwendig erscheinen sollte." "Ich habe Ihnen neulich von Grammont gesprochen," sagte Eugenie mit einem forschenden Blick auf den Kaiser, "der mir alle Eigenschaften in sich zu vereinigen scheint, welche Ihr auswaertiger Minister in einem entscheidenden Augenblick haben muesste, und der Ihnen persoenlich und unserer Dynastie tief ergeben ist, indem er die monarchischen Traditionen seiner legitimistischen Familie nunmehr auf das Kaiserreich uebertraegt, nachdem er sich dem Dienst desselben gewidmet hat. Grammont kennt besonders genau die Verhaeltnisse Oesterreichs, das doch fuer unsere auswaertige Politik und fuer unsere auswaertige Action," fuegte sie mit besonderer Betonung hinzu, "einer der wichtigsten Factoren ist." "Es wuerde nur darauf ankommen," sagte der Kaiser, ohne den Blick seiner Gemahlin zu erwidern, "welche Politik man nach Aussen inauguriren wird, nachdem diese inneren Angelegenheiten zum Abschluss gebracht sind. Unter gewissen Verhaeltnissen wuerde allerdings Grammont eine sehr geeignete Persoenlichkeit sein." "Unter allen," sagte die Kaiserin, "Grammont ist ebenso geschickt und geschmeidig, als ergeben." "Nun," sagte der Kaiser, "man koennte ihn ja dann wieder hierher kommen lassen. Ich habe frueher ausfuehrlich mit ihm ueber die Lage der Verhaeltnisse gesprochen und wuerde persoenlich sehr gern mit ihm verkehren. Es kaeme aber darauf an, ob er sich mit den uebrigen Fuehrern des Cabinets verstaendigen koennte, denn wir haben ja jetzt ein constitutionelles Regiment--" Die Kaiserin zuckte die Achseln. "Namentlich," fuhr Napoleon fort, "ob er mit Ollivier zu harmoniren im Stande waere!" "Ollivier," rief die Kaiserin, "dieser spartanische Buerger wird uebergluecklich sein, in einem Cabinet mit einem Herzoge aus dem alten Hause der Guiche und der Grammont sich zu befinden."-- "Wir wollen weiter darueber sprechen, wenn das Plebiscit vollendet sein wird," sagte der Kaiser. Die Kaiserin liess einen Augenblick mit einer anmuthigen Beugung ihres schlanken Halses den Kopf auf die Brust sinken. "Er hat einen Hintergedanken," fluesterte sie unhoerbar. Dann blickte sie den Kaiser mit ihren grossen, klaren Augen ruhig und gleichgueltig an. "Man hat in diesen Tagen," sagte sie, "wieder von einer Combination gesprochen, welche, wie ich glaube, schon im vorigen Jahre einmal fluechtig eroertert wurde, von einer Candidatur des Prinzen von Hohenzollern fuer den spanischen Thron"-- Der Kaiser warf schnell einen fluechtigen Blick auf seine Gemahlin hin-- --"vielleicht waere es gut, wenn sich das machen liess," fuhr Eugenie fort, "ich bedaure die unglueckselige Koenigin Isabella auf's tiefste und wuerde vor allen Dingen wuenschen, dass ihr oder ihrem Sohn der spanische Thron gerettet werden koennte, allein, wie die Verhaeltnisse stehen und bei den so unschluessigen und politisch unklaren Rathgebern, mit denen sie umgeben ist, scheint mir leider zu meinem tiefen Bedauern dazu wenig Aussicht zu sein. Wenn es nun moeglich waere, die fuer Frankreich und fuer uns unguenstigste Chance auszuschliessen,--die Candidatur des Herzogs von Montpensier, welcher der Orleanistischen Agitation in Spanien einen festen Halt geben wuerde, so waere es vielleicht nicht unerwuenscht, einen jungen, uns befreundeten und verwandten Prinzen, der ausserdem gut katholisch ist, auf diesem spanischen Thron zu wissen." "Der Prinz von Hohenzollern," sagte der Kaiser in demselben gleichgueltigen Ton, in welchem seine Gemahlin gesprochen hatte, "steht dem preussischen Hause sehr nahe, und seine Thronbesteigung in Spanien wuerde einen Einfluss des Berliner Cabinets im Sueden der Pyrenaeen begruenden, der den Interessen Frankreichs nicht zu entsprechen scheint. Ich habe deshalb, als im vorigen Jahre die Sache angeregt wurde, erklaeren lassen, dass die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern eine antinationale sei, waehrend diejenige des Herzogs von Montpensier nur meiner Dynastie feindlich ist. So sehr ich daher," fuhr er fort, "an dem einmal ausgesprochenen Prinzip festhalte, der spanischen Nation gegenueber, was ihre Entschliessungen fuer die Zukunft betrifft, die strengste Zurueckhaltung zu beobachten, so habe ich doch auch nicht verhehlt, dass eine Candidatur des Prinzen von Hohenzollern auf eine Zustimmung von Frankreich nicht zu rechnen habe. Seit jener Zeit," sagte er, die Achseln zuckend, "habe ich nichts wieder davon gehoert, moeglich, dass die Sache noch einmal wieder aufgenommen wird. Ich stehe noch auf demselben Standpunkt wie damals und ich glaube nicht, dass Frankreich einen preussischen Prinzen auf dem spanischen Thron sich ruhig gefallen lassen koennte." "Sie wuerden also," sagte die Kaiserin, "noch lieber Montpensier als den Erbprinzen von Hohenzollern in Madrid regieren sehen?" "Unbedingt," erwiderte der Kaiser mit festem Ton, "denn ich werde stets die Interessen meiner Person und meines Hauses denjenigen Frankreichs nachstellen." "Nun," sagte die Kaiserin, "dann wird aus der Sache nichts werden, denn ich glaube nicht, dass Prim etwas thun wird, wovon er weiss, dass Sie es nicht billigen." "Ich habe keine Veranlassung gehabt," sagte der Kaiser, "ueber diese Frage mit Prim meine Gedanken auszutauschen, und es ist in der That nicht nur eine Phrase, wenn ich versichere, dieser ganzen spanischen Angelegenheit voellig fern bleiben zu wollen.--Sie wollen mich nicht zu der Revue begleiten, die ich auf dem Carousselplatz abhalten will," sagte er abbrechend, "ich habe die Garde de Paris und die Pompiers, auch eine Schwadron Seine-Gendarmerie zu der Truppenaufstellung hinzugezogen. Es ist in dieser Zeit immer gut, wenn man auch diesen Corps moeglichst viel militairisches Gefuehl einfloesst." "Ich danke," erwiderte die Kaiserin, "ich habe verschiedene Audienzen zu geben. Au revoir," fuegte sie hinzu, indem sie aufstand und ihrem Gemahl die Wange reichte. "Ich wuensche Ihnen nochmals Glueck, diesen heimlichen Orleanisten aus Ihrem Rath entfernt zu haben." Der Kaiser geleitete seine Gemahlin zur Thuer und kehrte dann nachdenklich und ernst in sein Zimmer zurueck. "Es geht etwas mit dieser spanischen Candidatur Hohenzollerns vor," fluesterte er vor sich hin, "man moechte diesen Fall zu einer Kriegsfrage zurecht machen--ich durchschaue das Alles sehr gut, man will sich versichern, dass ich mich wirklich einer solchen Candidatur ernstlich und energisch widersetzen wuerde, um in diesem Falle die Ereignisse danach gestalten zu koennen. Ich lasse das Alles gehen," sagte er laechelnd, "diese Candidatur des Prinzen Leopold, die man da so unvermuthet als einen ploetzlichen und unabwendbaren Kriegsfall vor mich hinstellen moechte, kann mir vielleicht sehr gute Dienste leisten und mir die Handhabe bieten, die ganze Lage der Dinge, ohne diese laermende und unsichere Entscheidung der Waffen zu meinen Gunsten zu gestalten. Ich glaube nicht," sagte er nachdenklich, "dass das Cabinet von Berlin oder der Koenig von Preussen auf diese Hohenzollernsche Candidatur einen besondern Werth legen wird,--Benedetti glaubt, dass der Graf Bismarck ihm nicht seinen letzten und innersten Gedanken ausgesprochen habe,--mir scheint, Benedetti taeuscht sich, vielleicht moechte es eher dem preussischen Stolz widerstreben, einen Prinzen, der in vielen Beziehungen mit dem dortigen koeniglichen Hause zusammenhaengt, sich auf einen Weg begeben zu sehen, der zu einem aehnlichen Schicksal fuehren kann, als es den Herzog Maximilian in Mexico erreichte. Wenn diese Candidatur wirklich eine ernste Form gewinnt, so wird die Gelegenheit da sein, ein kraeftiges und volltoenendes Wort zu sprechen und die Zurueckziehung derselben vor dem uebrigen Europa als einen moralischen Sieg ueber Deutschland und Preussen erscheinen zu lassen. Damit wird eine grosse Sache gewonnen sein--die Wiederherstellung des franzoesischen erschuetterten Selbstgefuehls und des Vertrauens in die Ueberlegenheit der kaiserlichen Regierung. Lassen wir also die Dinge immerhin gehen,--ich glaube, sie gehen einen guten Weg, und ich werde dahin kommen, mich aus allen Verlegenheiten, die mich umringen, ohne eine kriegerische Entscheidung, welche ich in den Leiden meiner Krankheit mehr als je vorher scheue--zu entziehen." Der Huissier oeffnete die Thuer und meldete: "Seine kaiserliche Hoheit der Prinz Napoleon." Der Kaiser seufzte und zuckte unwillkuerlich die Achseln mit einer Miene, welche anzudeuten schien, dass ihm dieser Besuch nicht allzu erfreulich sei, indessen neigte er zustimmend den Kopf und ging mit freundlichem Gruss dem Prinzen die Hand reichend, seinem Vetter entgegen, welcher raschen und unruhigen Schritts in das Cabinet trat. "Ich bin erfreut, Dich zu sehen, mein lieber Vetter," sagte der Kaiser, "indessen habe ich nur wenige Augenblicke, da die Truppen bereits auf dem Carousselplatz aufgestellt sind und die Stunde der Revue geschlagen hat." Der Prinz Napoleon war eine eigenthuemliche Erscheinung, welche man kaum haette vergessen koennen, wenn man ihm einmal begegnet war. Sowohl in seiner Figur, als in seinem olivenfarbenen scharf geschnittenen bartlosen Gesicht mit dem kurzen schwarzen Haar zeigte er eine sehr charakteristische Aehnlichkeit mit seinem grossen kaiserlichen Oheim;--waehrend indess auf den Zuegen des Letzteren jene edle, antik klassische Ruhe lag, welche die Koepfe aus der grossen Kaiserzeit des alten Roms charakterisirt, waehrend die Augen des weltbeherrschenden Imperators tief sinnend vor sich hinblickten oder weltentzuendende zorngewaltige Blitze schleuderten,--lag in dem ganzen Wesen des Prinzen eine zerfahrene Unruhe und fieberhafte Hast, welche mit dem antiken Schnitt seines Gesichts durchaus nicht vereinbar schienen und seiner ganzen Erscheinung den Ausdruck wohlthaetiger Ruhe und Harmonie raubten; seine Augen blickten unstaet hin und her, seine Lippen zuckten in fortwaehrend bewegtem Mienenspiel, und in kurzen Zwischenraeumen oeffnete sich sein Mund zu einem unwillkuerlichen, krampfhaft nervoesen Gaehnen. Auch seine Gestalt war staerker und gedrungener als die des grossen Kaisers, und wenn er mit heftigen Gesticulationen seine Worte begleitete, so brachten seine Bewegungen fast einen komischen Ausdruck hervor. Der Prinz trug einen schwarzen Civilmorgenanzug, einen hohen Cylinderhut in der Hand, die grosse Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch. "Ich will Eure Majestaet nur einen Augenblick aufhalten," sagte er, mit einer gewissen rauhen Betonung die Worte hervorstossend, "es draengt mich, von Eurer Majestaet selbst zu hoeren, ob die Geruechte, welche die Stadt zu durchlaufen beginnen, wahr sind. Eure Majestaet," fuhr er fort, "kennen die tiefe Ergebenheit, welche ich fuer Sie hege als fuer den Chef meiner Familie und fuer den liebevollen Freund meiner Jugend,--bei dieser tiefen Ergebenheit muessen die Geruechte, welche so eben bis zu mir gedrungen sind, mich mit tiefer Unruhe erfuellen." "Und welche Geruechte meinst Du," fragte der Kaiser ruhig und kalt, indem er sich in seinen Lehnstuhl niederliess und den vollen Blick seines gross geoeffneten Auges auf den Prinzen richtete, welcher vor ihm stehen blieb und vor diesem scharfen forschenden Blick mit leichter Verlegenheit die Augen zu Boden schlug. "Ich meine das Geruecht von dem Grafen Daru," sagte der Prinz rasch und heftig, "ganz Paris spricht bereits davon. Man erzaehlt, dass Du," fuhr er immer lebhafter fort, indem er die ceremonielle Haltung, welche er bei seinem Eintritte angenommen hatte, vergass,--"das Plebiscit unter allen Umstaenden durchfuehren willst, und dass deswegen Graf Daru, der in der That nicht zu meinen Freunden gehoert, aber der dadurch in diesem Augenblick populaer werden wird, sich von den Geschaeften zurueckziehen will." "Es handelt sich um keine Differenz zwischen dem Grafen Daru und mir," erwiderte der Kaiser. "Der Graf befindet sich in Meinungsverschiedenheit mit Ollivier und den uebrigen Ministern, es ist eine vollstaendig constitutionelle Krisis," fuegte er mit leichtem Laecheln hinzu, "in welche ich einzugreifen ausser Stande bin." "Eine constitutionelle Krisis," rief der Prinz lebhaft, indem er laut auflachte und dann die Hand einen Augenblick vor den Mund hielt, um einen Gaehnkrampf zu verbergen, der ihn erfasste,--"eine Meinungsdifferenz mit Ollivier? Hat denn dieser Ollivier," fuhr er fort, "eine Meinung, die nicht die Deinige ist?--Doch darum handelt es sich nicht, es handelt sich nicht um die augenblickliche Situation," sprach er rasch weiter,--"ob Daru bleibt oder geht, ist mir in der That sehr gleichgueltig,--aber der Grund dieser Krisis--der Grund dieses Plebiscits--was willst Du mit dem Plebiscit machen--wozu diese fortwaehrenden Revuen in einer Zeit, in welcher alle militairischen Fragen so vollstaendig in den Hintergrund treten,--Du hast einen Plan, Du willst den Krieg, Du willst unter der Maske dieses Ollivier, unter dem Schein des Constitutionalismus die Dictatur wieder herstellen, um ploetzlich hervorbrechen zu koennen und den europaeischen Staatsstreich, wie man es nennt, auszufuehren, oder vielleicht," fuhr er fort, indem sein stechender Blick sich mit dem Ausdruck des Hasses und des Zorns erfuellte, "oder vielmehr Andere wollen dies. Man will Dich dahin bringen, es auszufuehren." Der Kaiser hatte voellig unbeweglich ohne jeglichen Ausdruck auf seinem Gesicht den heftigen Worten des Prinzen zugehoert, ein wenig auf die Seite geneigt, liess er langsam die Spitzen seines Schnurrbarts durch die Finger gleiten und sagte mit einem unendlich naiven Ton: "Du glaubst?" "Ja," rief der Prinz zornig, mit dem Fusse stampfend, "ich glaube es und ich glaube auch, dass Du auf einen Weg gehst, der Frankreich, Dich und uns Alle in's Verderben stuerzen wird,--wir koennen nicht schlagen,--ich weiss es,--man taeuscht Dich,--Deine grosssprechenden Generale, dieser Leboeuf an der Spitze, glauben, dass man mit Phrasen den Kampf gegen eine so furchtbare Macht wie Preussen aufnehmen kann. Sie Alle haben gar keine Idee von dem, was man zum Kriege noethig hat--selbst Niel waere nach meiner Ueberzeugung noch nicht fertig fuer einen so gewaltigen Kampf, aber diese--die Dich jetzt umgeben, haben das Werk Niels nicht nur nicht fortgesetzt, sie haben es wieder zu Grunde gerichtet. Deine Armee ist in Unordnung, die Festungen sind nicht im gehoerigen Stand, die Magazine sind nicht gefuellt, die Organisation der Militairverwaltung ist mehr als mangelhaft, und wenn Du Dich zu diesem Kriege hinreissen laesst, so wirst Du,--ich wiederhole es--uns Alle zu Grunde richten." Der Kaiser blieb fortwaehrend unbeweglich. "Ich begreife nicht, mein lieber Vetter, wie Du auf diese Idee kommst,--es ist ja nicht die kleinste Wolke am politischen Himmel, und es handelt sich ja in diesem Augenblick ganz ausschliesslich nur um innere Fragen. Was uebrigens unsere Armee und die Militairverwaltung betrifft, so ist die Ansicht sehr bewaehrter Generale eine andere als die Deinige und," fuegte er mit einem mehr gutmuethigen als ironischen Laecheln hinzu, "jenen steht vielleicht eine groessere praktische Erfahrung als Dir zur Seite." "Es gehoert nicht eine allzu grosse praktische Erfahrung dazu," erwiderte der Prinz in entruestetem Ton, "um das zu sehen, was Jedermann sehen kann und was man Dir allein mit Erfolg zu verbergen sucht, da Dein zu grosses Vertrauen Dich verhindert, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich bitte Dich, untersuche wenigstens, bevor Du Dich zu gefaehrlichen Unternehmungen hinreissen laesst, genau den Zustand der Armee,--untersuche ganz besonders den Zustand der Flotte, dieser ist noch bedenklicher als der der Landtruppen." "Mein liebes Kind," sagte der Kaiser in einem vaeterlichen freundlichen Ton, "Du agitirst Dich ohne Grund, glaube mir, die Absichten, die Du voraussetzest, bestehen nicht." "Sie bestehen nicht?" rief der Prinz. "Sie bestehen vielleicht bei Dir nicht, aber sie bestehen rings um Dich her, und man wird Dich so umgarnen, man wird alle Verhaeltnisse so drehen und wenden, dass Du schliesslich nicht anders koennen wirst, als die Plaene derer auszufuehren, welche in ihrer Verblendung dazu bestimmt scheinen, Dich und uns Alle in's Unglueck zu stuerzen. Die Kaiserin--" Der Kaiser stand auf; fuer einen Augenblick schien er vollkommen Herr ueber die Schwaeche zu sein, welche seine Haltung gewoehnlich unsicher und schwankend erscheinen liess. Er richtete den Kopf hoch empor, seine Augen oeffneten sich weit und leuchteten im tiefen Glanz auf, aus seinen Zuegen strahlte eine wunderbare Hoheit und Ueberlegenheit, und mit einer vollen, metallisch klingenden Stimme sprach er: "Mein lieber Vetter, ich bin das Haupt unserer Familie und das erwaehlte Oberhaupt der franzoesischen Nation, ich trage die Verantwortlichkeit fuer meine Entschliessungen und bin mir dieser Verantwortlichkeit vollkommen bewusst,--auf meine Entschliessungen aber hat Niemand Einfluss, als die ruhige Erwaegung und die richtige Beurtheilung der Verhaeltnisse, Niemand," wiederholte er mit strenger Betonung, "und auch kein Glied meiner Familie--kein Glied derselben ohne Ausnahme." Er schwieg einen Augenblick, dann fuegte er mit milderem Ton hinzu, indem er dem Prinzen die Hand reichte: "Ich danke Dir fuer Deine Theilnahme an dem Geschick Frankreichs und an dem Meinigen und bin ueberzeugt, dass, wenn ernstere Ereignisse eintreten sollten, wozu in diesem Augenblick nicht die geringste Veranlassung vorliegt, Du an dem Platz, an welchem ich Dich dann zu stellen beschliessen werde, mit voller Hingebung und Selbstverleugnung Deine Schuldigkeit thun wirst. "Ich bin," sagte er mit hoeflichem, aber bestimmtem Ton, "bereit, mit Dir in ruhigen Augenblicken diese Unterhaltung fortzusetzen; fuer jetzt muss ich Dich bitten, mich zu entschuldigen, denn die Stunde der angesagten Revue ist bereits vorueber, und Du weisst, dass selbst unser grosser Oheim den unumstoesslichen Grundsatz hatte, die Truppen niemals warten zu lassen, sondern ihnen stets das Beispiel genauester Puenktlichkeit zu geben." "Du willst mich nicht hoeren," rief der Prinz heftig,--"Du kannst Dich noch immer nicht gewoehnen, in mir den reifen Mann zu sehen, Du glaubst also den Fremden mehr--als mir, der ich Dir doch wahrlich am naechsten stehe. Nun, ich werde nicht muede werden, auch auf die Gefahr hin, Dir zu missfallen, bis zum letzten Augenblick Dir meine Meinung zu sagen." "Und ich werde Dich immer mit Aufmerksamkeit und mit der alten Liebe anhoeren, die ich Dir stets bewiesen habe," sagte der Kaiser, indem er seinem Vetter die Hand reichte, "auf Wiedersehen!" Der Prinz drueckte die Hand des Kaisers so heftig, dass dieser sie schnell zurueckzog. Seine Lippen oeffneten sich, es schien, als wolle er noch Etwas sagen, doch er verneigte sich nur schweigend und sich schnell umwendend, stuermte er aus dem Cabinet hinaus. "Welch' ein unregelmaessiger Geist," sagte der Kaiser, ihm nachblickend, "wie schade ist es um all' die vortrefflichen Eigenschaften, welche er besitzt, um all' die grossen Keime, welche unerschlossen in ihm ruhen oder welche nach falscher Richtung hin sich entwickelt haben.--Was meine Verwandten betrifft," sagte er dann mit einem halb ironischen, halb wehmuethigen Laecheln, "so koennten die Prinzen der aeltesten und legitimsten Dynastie ihrem Souverain kaum mehr Verlegenheit bereiten, als meine Herren Vettern es mir thun,--dieser unglueckliche Pierre, der Victor Noir erschossen,--Murat, der diesen kleinen Lecomte gepruegelt--und dieser Napoleon, der seinen reichen Geist und seine wirklich tiefen Kenntnisse nur dazu benutzt, um ueberall Verwirrungen zu stiften,--vielleicht sollte ich strenge gegen ihn sein, ich sollte ihn mehr fuehlen lassen, dass ich der Chef des Hauses und der Souverain Frankreichs bin, denn zuweilen ueberschreitet er wirklich die Grenzen des Erlaubten. Aber," sagte er, den Kopf sinnend auf die Brust senkend, "ich habe eine Schwaeche fuer ihn,--ich habe ihn ein wenig mit erzogen,--in seinen Adern rollt das Blut des grossen Kaisers, und dann--er ist der Bruder dieser so edlen und so grossherzigen Mathilde,--die unter Allen meine treueste Freundin ist." Er faltete die Haende und blieb laengere Zeit in tiefem Sinnen stehen, dann fuhr er auf, strich mit der Hand ueber die Stirn, als wolle er Bilder und Erinnerungen verscheuchen, die vor ihm aufgestiegen waren, warf einen raschen Blick auf seine Uhr und begab sich schleunigst in sein Toilettenzimmer. Auf dem Carousselplatz innerhalb des grossen Vierecks, welches die durch den Kaiser vereinigten Palaeste der Tuilerien und des Louvre bildeten, war eine Division Infanterie aufgestellt, darunter das zweite Regiment der Grenadiere der Garde mit den gewaltigen Baerenmuetzen, welche man auf den Schlachtenbildern des ersten Kaiserreichs erblickt und welche noch bis zu jener Stunde den Stolz der alten Garde bildeten; die langbaertigen Sappeurs mit ihren weissen Schurzfellen, ihren hohen Stulphandschuhen und ihren blitzenden Beilen an der Spitze der Bataillone--daneben acht Batterien der Artillerie mit der an die deutschen Husaren erinnernden Uniform, den Dolmans und Colpacks,--die Garde de Paris und die Seine-Gendarmerie zu Pferde, welche fast unveraendert die Uniform der Grenadiere a Cheval des ersten Kaiserreichs trugen; neben diesen standen die Pompiers, diese militairische Feuerwehr mit ihren blitzenden Helmen. Eine grosse Menschenmenge umringte, von den Sergeants de Ville zurueckgehalten, die Aufstellung der Truppen, deren Waffen im hellen Sonnenschein blitzten. Das alte Schloss der Tuilerien und alle diese Uniformen nach den Mustern des ersten Kaiserreichs riefen lebhaft die Bilder der Vergangenheit in's Gedaechtniss. Und als nun das Gitterthor an dem innern Hof der Tuilerien sich oeffnete, die zwei davor haltenden Kuerassierposten sich militairisch empor richteten,--als die Suite der Adjutanten und Ordonnanzofficiere vor dem Haupteingang des Palastes sich rangirten, die Reitknechte die Pferde heranfuehrten und der Marschall Canrobert, der in der goldglaenzenden Uniform mit den weissen wallenden Federn auf dem goldbordirten Hut, den Marschallstab in der Hand, von seiner Suite umgeben, in der Mitte der Truppnenaufstellung hielt, sich in dem Sattel aufrichtete und noch einen letzten Blick ueber die in musterhafter Haltung dastehenden Truppen warf, da haette man fast erwarten koennen, aus dem grossen Portal der Tuilerien heraus die kleine Gestalt des welterobernden Caesars mit dem ehernen Gesicht und dem leuchtenden Feldherrnblick hervortreten zu sehen, um wie an dem Tage der grossen Vergangenheit seine Soldaten zu mustern, welche die Adler Frankreichs siegreich nach allen Hauptstaedten Europa's getragen hatten.-- Die Stallknechte fuehrten das schoene weisse Leibpferd des Kaisers vor das Portal. Etwas unsichern Ganges erschien Napoleon III. in der Generallieutenants-Uniform, das grosse rothe Band der Ehrenlegion ueber der Brust. Die Hinfaelligkeit seiner Gestalt, die krankhafte Schlaffheit seiner Gesichtszuege waren in der militairischen Kleidung noch sichtbarer und auffaelliger, als im Civilanzug. Er setzte den Fuss in den Buegel und langsam, mit einer gewissen Anstrengung hob er sich in den Sattel hinauf. Ein Augenblick zuckte es wie stechender Schmerz durch sein Gesicht, dann nahm er wie mit lebhafter Willensanstrengung eine feste Haltung an; und selbst jetzt, trotz seiner von Alter und Krankheit gebrochenen Kraft konnte man doch noch eine Spur jener Leichtigkeit und Sicherheit erkennen, welche ihn einst zu einem der besten Reiter Europa's gemacht hatten. Die ganze glaenzende militairische Suite des Kaisers, welche ihn zu Fuss erwartet hatte, sass in demselben Augenblick, in welchem der Kaiser in den Sattel gestiegen war, zu Pferde. Hundert Garden mit den goldglaenzenden antiken Helmen und den blauen gold- und scharlachschimmernden Uniformen sprengten vor; und langsam ritt der Kaiser durch das Gitterthor der Truppenaufstellung entgegen. Marschall Canrobert und sein Stab sprengten heran, der Marschall gruesste mit dem Stabe und erhob denselben dann, indem er sich nach den Truppen hinwandte; in demselben Augenblick begannen die saemmtlichen Musikkorps jene einfache Melodie zu spielen, welche die schoene Hortense Beauharnais einst fuer die alte Romanze "partant pour la Syrie" componirt hatte, die man zu jener Zeit nicht auf den jeune et beau Dunois, sondern auf den vom ersten glaenzenden Strahl seines Ruhmes beleuchteten Feldherrn bezog, der spaeter die Krone Karl des Grossen auf sein Haupt zu setzen bestimmt war. Zu gleicher Zeit brauste in donnerndem Ruf das "Vive l'empereur" von allen Truppenabtheilungen herueber. Der Kaiser nahm den Hut ab, und sein Blick flog ueber diese blitzenden Geschuetze, ueber diese kuehn blickenden Maenner, ueber diese schnaubenden Pferde hin--ein Augenblick faerbte ein leichtes Roth seine Zuege, seine Augen leuchteten auf, fester richtete er sich im Sattel empor; da fiel sein Blick auf die Menge, welche sich bis dicht an die Truppen herangedraengt hatte und am Eingang des Gitterthors hoechstens zehn Schritt von ihm entfernt war. In der ersten Reihe der Zuschauer sah er eine lange, hagere Gestalt stehen, in zerrissene Lumpen gehuellt, das Haupt, welches aus diesen Lumpen hervorragte, war unbedeckt, sein dunkles Haar hing ungeordnet um die Schlaefen herab; unter der vorspringenden niedrigen Stirn blickten dunkle tief liegende Augen hervor, eine lange, weit vorspringende Nase, tief eingesunkene Wangen und ein struppiger Bart gaben diesem Gesicht etwas Fanatisches und Krankhaftes. Der Blick des Kaisers wurde unwillkuerlich durch diese Erscheinung gefesselt, denn der Mann, der da unbeweglich stand, sah ihn mit einer Gluth so wilden und unversoehnlichen Hasses an, dass der Kaiser zusammenschauerte. Er wandte sich einen Augenblick um, als wolle er einen Befehl geben, dann blickte er wieder auf jenen Mann hin, dessen beide Haende frei waren und der ohne jede Bewegung starr wie eine Bildsaeule da stand,--noch einmal erhob sich gewaltig und weithin ueber den Platz schallend das "Vive l'empereur" der Truppen. Dann trat eine augenblickliche tiefe Stille ein, der Marschall Canrobert sprengte an die Seite des Kaisers, um ihn beim Heranreiten der Fronte zu begleiten. Napoleon gab seinem Pferde einen leichten Schenkeldruck, indem er noch einmal wie fascinirt nach jenem in Lumpen gehuellten Mann hinsah. Da trat dieser Mann ploetzlich einige Schritte vor, immer die Augen voll grimmigen fanatischen Hasses auf den Kaiser gerichtet. Er erhob die Arme nicht, er machte keine Bewegung, aber mit einer lauten, gellenden Stimme, welche schaurig durch die augenblickliche Stille, die dem lauten Rufen der Truppen gefolgt war, ueber den Hof hinschallte, rief er mehrere Male hinter einander: "Nach Cayenne! Nach Cayenne!" Napoleon parirte sein Pferd, die ganze Suite hielt an, ein Ruf des Entsetzens ertoente aus der naechsten Umgebung des Kaisers. Verschiedene Officiere waren im Augenblick vom Pferde gesprungen und hatten im Verein mit einer grossen Anzahl von Sergeants de Ville und Polizeibeamten in Civil, welche im Nu aus der Menge der Zuschauer hervorbrachen, den Unbekannten umringt und festgenommen. Er machte keine Miene des Widerstands und liess sich, nachdem er noch einmal einen Blick tiefen und unversoehnlichen Hasses auf den Kaiser geworfen, nach dem Erdgeschoss der Tuilerien hinfuehren. Napoleon hatte schnell mit der ihm stets eigenen Selbstbeherrschung seine Ruhe wiedergefunden. "Ein armer Wahnsinniger," sagte er laechelnd zu dem Marschall Canrobert gewendet, und in kurzem Galopp sprengte er, von seiner glaenzenden Suite gefolgt nach dem Fluegel der Truppenaufstellung; langsam ritt er dann die Reihen hinunter, und noch enthusiastischer als vorher wurde er ueberall mit jubelnden Zurufen begruesst. Er schien aus seiner frueheren gleichgueltigen Lethargie erwacht zu sein, und mit stolzem festem Blick sah er diese herrlichen Truppen an, die ihm so laut und freudig ihre Ergebenheit beweisen wollten. Laechelnd machte er dem Marschall seine Complimente ueber die Haltung der Truppen, dann sprengte er zurueck, nahm eine Aufstellung vor dem Gitterthor--seiner Suite weit voran, und indem er einen scharfen, festen, herausfordernden Blick auf die herandraengende Menge warf, gab er das Zeichen zum Beginn des Vorbeimarsches. Waehrend die einzelnen Regimenter vor ihm vorbeidefilirten, nach franzoesischer Sitte als Zeichen ihrer begeisterten Huldigung die Kopfbedeckungen an der Spitze ihrer Waffen schwingend, ertoente von Neuem immer und immer wieder der alte Ruf "Vive l'empereur", welcher schon so oft und in grossen Augenblicken von diesen altersgrauen Mauern wiederhallt war an derselben Stelle, wo die sterbenden Diener des versinkenden Koenigthums zum letzten Male "Vive le roi" gerufen hatten, und wo bereits zwei Mal eine wilde blutige Masse ihr "Vive la Republique" geheult hatte. Die Revue war beendet, der Kaiser dankte dem Marschall und den Officieren, ritt langsam zum Portal zurueck, stieg ab und begab sich, sein Gefolge freundlich mit der Hand gruessend, nach seinem Cabinet zurueck. Hier angekommen warf er sich erschoepft in seinen Lehnstuhl, die stolze und feste Haltung, welche er den Truppen gegenueber beobachtet hatte, verschwand, koerperlicher Schmerz und tiefe Niedergeschlagenheit zeigte sich in seinen schlaffen, zusammensinkenden Gesichtszuegen. "Ist der Polizeipraefect hier?" fragte er den Kammerdiener, welcher ihm Hut und Handschuhe abnahm. "Er befindet sich in einem Zimmer des Erdgeschosses und verhoert den Elenden, welcher es gewagt, Eure Majestaet zu insultiren." "Ich lasse ihn bitten, sogleich zu mir zu kommen." Er sank in sich zusammen und erwartete schweigend die Ankunft des Chefs der Polizei. Nach kurzer Zeit trat Herr Pietri in das Zimmer. Dieser Leiter der weit ausgedehnten Polizei von Paris war eine schmaechtige schlanke Gestalt, geschmeidig und biegsam,--sein Kopf mit der weit vorspringenden, stark gewoelbten Stirn war oberhalb spitz emporspringend, das duenne dunkle Haar lag auf den Schaedel glatt an und bildete zur Seite der tief eingefallenen Schlaefen zwei kleine, etwas abstehende Locken. Die Backenknochen standen stark hervor, die Augen lagen so tief zurueck, dass der scharfe stechende Blick wie aus dunklen Schatten hervorblitzte; die stark gebogene Nase hing weit raubvogelartig gekruemmt ueber den von einem langen schwarzen Schnurrbart verdeckten Mund herab. Der ganze Eindruck dieses eigenthuemlichen, gelb gefaerbten Gesichts war ernst, kalt und finster. "Was fuer ein Mensch ist das?" fragte Napoleon mit leichtem Kopfnicken den Gruss des Polizeichefs erwidernd. "Er heisst Lezurier," erwiderte Pietri. "Trotz der Lumpen, in welche er gehuellt war," fuhr er fort, "fand man bei ihm eine Boerse mit elftausend Francs in Gold, drei Staatsrentenbriefe ueber dreissigtausend Francs jaehrlicher Rente und ein Dolchmesser. Man hat sofort seine Wohnung ermittelt, und soeben berichtet man mir, dass bei der ersten Nachsuchung eine Menge von Waffen dort entdeckt worden ist, Keulen, Saebel, Lanzen, Revolver, Todtschlaeger, Dolche, Bayonette und Stockdegen, ausserdem fand man in einem alten Pult noch sechzigtausend Francs in Gold. Seine ganze Behausung ist hoechst aermlich, er ass bei einem Lumpensammler in der unmittelbaren Nachbarschaft, bezahlte demselben monatlich dreissig Francs." "Raethselhaft," sagte der Kaiser tief nachdenkend. "Und was hat er bezweckt? Was war der Grund seiner Handlung?" "Er setzt allen Fragen ein hartnaeckiges Schweigen entgegen," erwiderte Pietri. Ein rascher Entschluss blitzte im Auge des Kaisers auf. "Fuehren Sie ihn her, ich will ihn sehen," sprach er,--"ich will ihn selber fragen." "Sire," sagte Pietri fast erschrocken, "Eure Majestaet wollen--" "Er konnte mir doch in der That," sagte der Kaiser, "draussen auf dem Tuilerienhof gefaehrlicher werden, als hier in meinem Zimmer, nachdem man ihm alle Mittel zu schaden abgenommen hat. Fuehren Sie ihn mir hierher, aber kommen Sie allein mit ihm, lassen Sie keinen untergeordneten Beamten mit eintreten. Wir werden uns ja wohl gegen ihn verteidigen koennen," fuegte er laechelnd hinzu. Pietri verneigte sich und ging hinaus. Nach einigen Augenblicken kehrte er zurueck--ihm folgte, von zwei Polizeibeamten bis zur Thuer gefuehrt, der raethselhafte Unbekannte. Derselbe trat ruhigen und festen Schrittes ein und blieb in einiger Entfernung von der Thuer stehen. Sein Anblick war erschreckend, die ohnehin schon zerfetzten Lumpen, die ihn einhuellten, waren bei seiner Arretirung noch mehr zerrissen und hingen in fast formlosen Stuecken um seinen Koerper her, von einem Schlage, den er erhalten, hatte seine Nase geblutet, auch hatte er eine nicht unbedeutende Wunde an der Stirn erhalten, sein Gesicht war mit Blut befleckt und seine Haare klebten an den Schlaefen mit Blut und Staub fest, er war noch bleicher als vorher und seine unheimlich gluehenden Augen blickten mit demselben tiefen und unversoehnlichen Hass zu dem Kaiser hinueber. Napoleon sah diesen Mann lange schweigend an, die Schleier, welche fast immer seine Augen verhuellten, waren verschwunden, voll und frei ruhte sein forschender Blick auf der Gestalt des Gefangenen, doch fand der grimmige Ausdruck des Hasses, welcher dessen Zuege erfuellte, in den Augen des Kaisers keine Erwiderung. Er sah diesen Mann mit einer Mischung von Verwunderung und wehmuethiger Trauer an. "Sie haben," fragte Napoleon endlich mit sanfter Stimme, "so eben in dem Hof der Tuilerien einen Ruf ausgestossen, den man als eine feindliche Demonstration gegen mich deutet. Ich wuensche von Ihnen selbst zu erfahren, was Sie dabei bezweckt haben, ob es wirklich Ihre Absicht war, den Souverain Ihres Landes, welchen die grosse Majoritaet der Buerger Frankreichs auf den Thron berufen, zu beleidigen? Warum haben Sie den Ruf ausgestossen "nach Cayenne?" Lezurier machte keine Bewegung, nur wurde die zornige Gluth seines auf den Kaiser gerichteten Blickes noch wilder und intensiver, und mit einer heisern, aber scharf und deutlich die Worte betonenden Stimme sprach er: "Ich habe das Geschrei der Soldaten gehoert, welche vive l'empereur riefen, da erfasste mich ein unbezaehmbarer Zorn, und mein ganzes Wesen loderte auf in wilder Wuth, als ich Denjenigen jubelnd begruessen hoerte, dessen Verbrechen gegen Frankreich und seine Freiheit ihn zu jenem todtbringenden Exil haetten verurtheilen muessen, in welches er so viele Maertyrer der heiligen Sache des Volkes geschickt hat--nach Cayenne!" Der Kaiser sah den Mann gross an und schuettelte langsam mit einem fast mitleidigen Laecheln den Kopf. "Man hat ein Messer bei Ihnen gefunden," sagte er, "und ein kleines Waffenarsenal in Ihrer Wohnung. Hatten Sie die Absicht, mich zu toedten?" "Nein," erwiderte Lezurier, "diese Absicht hatte ich nicht. Ich war nur auf den Tuilerienhof gekommen, um meinen heiligen Hass durch den Anblick des Tyrannen zu kraeftigen. Die Sache des Volkes bedarf des Meuchelmordes nicht, welcher wohl den Tyrannen toedten, aber nicht die Tyrannei vernichten wuerde." "Wozu also diese Waffen?" fragte der Kaiser--"ausserdem," fuegte er hinzu, "hat man viel Geld bei Ihnen gefunden, und doch sind Sie in Lumpen gekleidet." "Ich habe mein Vermoegen und mich," erwiderte Lezurier immer in demselben Ton, "der Sache des Volkes gewidmet, fuer mich will ich nur uebrig behalten, was zur nothduerftigsten Ernaehrung und Bekleidung meines Koerpers unerlaesslich ist. Alles Uebrige war bestimmt, bei der grossen Erhebung des Volkes verwendet zu werden, welche sich vorbereitet, welche kommen wird und welche Sie herabschleudern wird in den Abgrund, aus welchem Sie heraufgestiegen." "Warum haben Sie denn," fragte der Kaiser weiter, "den Ruf ausgestossen, der Sie den Gesetzen ueberliefert und alle Ihre Vorbereitungen erfolglos macht?" "Ich habe es gethan," erwiderte Lezurier, "weil die augenblickliche Entruestung mich uebermannte, weil eine blutige Wolke meinen Blick verdunkelte, weil ich nicht mehr Herr meiner selbst war. Ich bereue es, dass ich es gethan, weil ich meine Kraft und meine Mittel dadurch fuer den grossen heiligen Kampf gehemmt habe, der aber," fuhr er fort, "dessen ungeachtet begonnen und siegreich durchgefuehrt werden wird. Ein Einzelner mehr oder weniger in der Phalanx des Volkes kann auf den Erfolg keinen Einfluss haben." "Sie sind nicht, was Sie scheinen," erwiderte der Kaiser, "Ihre Worte sprechen von hoeherer Bildung, als Ihre Kleidung vermuthen laesst." "Je hoeher mein Geist gebildet ist," erwiderte Lezurier, "um so mehr muss ich das Elend Frankreichs erkennen und die Mittel zu seiner Beseitigung suchen. Je reiner meine Gesinnungen sind und je fester mein Charakter sich entwickelt hat, mit um so hoeherer Begeisterung muss ich meine ganze Existenz fuer die Freiheit Frankreichs einsetzen,--um so gluehender muss ich Denjenigen hassen, welcher diese Freiheit verraetherisch geknechtet hat." "Wenn Sie mich hassen," sagte der Kaiser mit einer sanften, fast weichen Stimme, "so koennen Sie mich doch nicht fuer klein halten, Sie wuerden mir sonst nicht sagen, was Sie so eben ausgesprochen." "Mein unbesonnener Ruf," erwiderte Lezurier, "hat mich ohnehin in Ihre Haende geliefert und meine Theilnahme am Kampf der Zukunft beinahe unmoeglich gemacht, ich kann mir also die Genugthuung gewaehren, dem Tyrannen in's Gesicht zu sagen, was ich von ihm denke. Er hat ja doch nur die Macht," fuegte er mit veraechtlichem Achselzucken hinzu, "diesen Koerper zu vernichten, diese Form zu zerbrechen, in welcher ein kleiner Theil jenes Geistes eingeschlossen ist, der im gewaltigen unwiderstehlichen Flug die Truemmer seines Thrones fortreissen wird in die Abgruende der ewigen Vernichtung!" "Und was wollten Sie mit jenen Waffen machen," fragte der Kaiser, "welche Sie in Ihrer Wohnung aufgesammelt haben, mit jenem Gelde, welches Sie dort aufbewahrten?" "Die Waffen wollte ich am Tage der grossen Erhebung allen Denen in die Hand druecken," erwiderte Lezurier, "welchen ich begegnen wuerde, deren Arm noch nicht bewehrt waere, um dem Zorn und dem Hass ihres Herzens Nachdruck zu geben. Mit dem Gelde wollte ich die Kaempfer ernaehren und die Verwundeten pflegen." "Stehen Sie mit Andern in Verbindung?" fragte der Kaiser weiter. Ein finsterer Hohn zuckte um die Lippen Lezurier's. "Sie sind gewoehnt," erwiderte er, "den Verrath zu erkaufen. Aber," fuhr er fort, "ich habe Nichts zu verrathen, und was ich weiss, kann ich laut aussprechen, ohne irgend Jemanden in die Haende Ihrer Haescher zu liefern. Mein Verbuendeter ist das Volk von Frankreich in seiner grossen Mehrheit, das denkt und fuehlt wie ich, das aber vielleicht nicht immer und nicht ueberall dieselbe Energie und Thatkraft hat, welche ich angewandt haben wuerde zur Erreichung des grossen Ziels--zur Befreiung des Vaterlandes!" "Sie haben mich beleidigt," sagte der Kaiser, "dafuer sind Sie dem Gesetz verfallen, doch liegt in meinen Haenden das schoene Recht der Gnade, und ich mache Gebrauch davon, indem ich Ihnen die Beleidigung verzeihe, welche Sie gegen mich ausgestossen. Derjenige," sprach er stolz den Kopf erhebend, "den die grosse Mehrzahl seiner Nation vertrauensvoll auf den Thron berufen, kann die Beleidigung eines Einzelnen leicht vergeben. Aber Sie haben Vorbereitungen getroffen," fuhr er fort, "um nicht mir allein zu schaden, sondern um die Staatsordnung, welche die franzoesische Nation sich in freier Entschliessung gegeben, zu zerstoeren. Wollen Sie sich verpflichten, in Paris unter den Augen der Sicherheitsbehoerde ruhig zu leben, so will ich Ihnen Ihre Freiheit schenken und Ihnen auch das verzeihen, was Sie gegen den Staat und gegen die oeffentliche Ordnung gethan und beabsichtigt haben. Wollen Sie mir das versprechen?" fuegte er fast in bittendem Ton hinzu. "Nein," erwiderte Lezurier kalt und starr, "ich will Sie nicht betruegen,--ich will nicht," fuegte er mit bitterem Hohn hinzu, "in Ihre kaiserliche Praerogative der Luege eingreifen, ich wuerde vom ersten Augenblick an meine ganze Kraft, mein ganzes Denken wiederum darauf richten, die grosse Revolution zu foerdern und herbei zu fuehren, welche bestimmt ist, Ihre Herrschaft zu zertruemmern." "Dann," erwiderte der Kaiser, "kann ich Nichts fuer Sie thun, und der Ruf, den Sie ausgestossen, wird Ihr Urtheil sein." Lezurier schwieg, ohne eine Bewegung zu machen, ohne eine Miene seines Gesichts zu veraendern. "Ich wuensche nicht," sagte der Kaiser nach einigen Augenblicken, "dass irgend Jemand anders durch Sie leidet. Das Vermoegen, welches Sie in wahnsinniger Verblendung zum Kampf gegen den Staat und die Gesellschaft bestimmten, soll Ihrer Familie zurueckgegeben werden. Haben Sie Angehoerige?" Die Zuege des Gefangenen verzerrten sich im daemonischen Hass. "Ich hatte ein Weib," sagte er, "sie ist lange todt und hinterliess mir einen Sohn. Dieser Sohn und ein Bruder, juenger als ich, bildeten meine ganze Familie. Beide sind gefallen auf den Barrikaden unter den Kartaetschenkugeln, welche die Bahn oeffneten fuer den blutigen Triumphzug Ihrer kaiserlichen Herrlichkeit." Die Zuege des Kaisers nahmen einen Ausdruck unendlicher Weichheit und Milde an, seine gross geoeffneten Augen schimmerten im feuchten Glanz, er stuetzte einen Augenblick den Kopf in die Hand und seufzte tief auf, dann blickte er noch einmal voll mitleidiger Theilnahme auf diese in Lumpen gehuellte Gestalt, auf dieses blutbefleckte bleiche Gesicht und sagte. "Ich habe versucht, was ich versuchen konnte, um Boeses mit Gutem zu vergelten, Sie haben Alles zurueckgewiesen und fuer das Schicksal, das Ihnen bevorsteht, werden Sie mir keinen Vorwurf zu machen haben." Er winkte mit der Hand. Pietri oeffnete die Thuer und uebergab den Gefangenen den beiden Polizeibeamten, zwischen denen derselbe hoch aufgerichtet mit festem Schritt das Cabinet verliess. "Welches Urtheil erwartet ihn?" fragte der Kaiser. "Die Deportation," erwiderte Pietri. "Man soll ihn mit Milde behandeln," sagte Napoleon, "und auch sein Exil, wenn er zu demselben verurtheilt wird, so schonend als moeglich einrichten,--er ist krank,--er _muss_ krank sein,--ein gesunder Geist kann einen solchen Hass nicht entwickeln. Besorgen Sie, dass er aerztlich untersucht wird." Er winkte entlassend mit der Hand, mit tiefer Verbeugung zog sich der Polizeipraefect zurueck. Der Kaiser sass lange in tiefem, finsterm Schweigen versunken. "Ist es wahr," sagte er endlich mit dumpfem Ton, "ist wirklich die Masse des Volks von Frankreich der Verbuendete dieses Rasenden,--muesste ich wirklich um dieses aus der Tiefe herauf gaehrenden Hasses Herr zu werden, von Neuem meinen kaiserlichen Purpur in Blut tauchen? Waere es da nicht besser, wie jener alte Roemer sich selbst in den Abgrund zu stuerzen zur Versoehnung des Schicksals, als diesen Abgrund mit Hekatomben von Menschenopfern zu fuellen,--ist die Gestalt dieses Mannes der mahnende Geist, den das Verhaengniss vor mir ansteigen liess, wie es einst bei Philippi dem traeumenden Brutus jene drohende Erscheinung sandte? Oh," rief er, die Haende faltend und den Blick nach oben richtend, "gieb mir Licht in diesem Dunkel, Du grosse Vorsehung, welche mich auf so wunderbaren Wegen bis hierher gefuehrt hat,--gieb mir Kraft," fuegte er mit tief schmerzlichem Ausdruck hinzu,--"denn wo die Kraft ist, da ist das Licht,--meine Kraft aber versiegt und zerbricht,--und hoeher und hoeher steigt die Dunkelheit herauf, welche meinem Geist das klare Erkennen raubt." Er sank in sich zusammen und blieb wie gebrochen in seinem Lehnstuhl sitzen. Achtes Capitel. Einige Meilen unterhalb Hannovers fast hart an dem Ufer der Leine liegt das Dorf Bodenfeld. Der Ort im flachen Lande inmitten reicher Wiesen und ueppigen Fruchtfeldern gelegen, bietet nur wenig Naturschoenheiten und besteht aus geschlossenen Gehoeften, welche, in einiger Entfernung von einander bestehend, unregelmaessige, aber gut und sauber gehaltene Strassen bilden, die von der Wohlhabenheit und dem Ordnungssinn der Bevoelkerung zeugen. Trotz der verhaeltnissmaessig geringen Einwohnerzahl bietet Bodenfeld sowohl wegen seiner Lage, als wegen des Reichthums und des ausgedehnten Grundbesitzes seiner Bewohner den Mittelpunkt der Gegend. Es hatte eine grosse und schoene Kirche mit einem stattlichen, von einem freundlichen Garten umgebenen Pfarrhause; daneben in einiger Entfernung von der Kirche lag das weite und geraeumige Amthaus; denn man hatte auch den Amtssitz bei der neuen Verwaltungsorganisation hierher gelegt, um den Eingesessenen bequemere Gelegenheit zu geben, den Mittelpunkt der Localverwaltung zu erreichen. Die Haeuser der Bauerngehoefte zeugten alle von Wohlhabenheit, grosse Viehstaelle umgaben sie, und ihre Eigenthuemer, obwohl in die eigenthuemliche Tracht des Landes gekleidet und nach alter einfacher Sitte lebend, wuerden doch nach der Ausdehnung ihrer Laendereien, nach der Zahl ihrer Gespanne und ihres Viehstandes, nach der Menge der von ihnen beschaeftigten Knechte und Arbeiter in andern Gegenden kaum noch fuer Bauern gegolten haben. Ein kleiner Hof am Ende des Dorfes stach ein wenig gegen die uebrigen reichen Besitzungen ab. In der Mitte einer fast im regelmaessigen Viereck sich ausdehnenden Feldmark lag ein kleines, einfaches Haus, daneben ein sauber gehaltener Obstgarten, eine Allee von Obstbaeumen fuehrte von dem Hause durch das Feld hin zu der in einiger Entfernung vorueberziehenden Landstrasse. Auf der andern Seite des Wohngebaeudes lag ein kleiner Hof, von Staellen umgeben, ein Taubenschlag in der Mitte; in den Staellen standen drei sauber gepflegte Kuehe, zwei Zug Ochsen und zwei jener starken kraeftigen Pferde, an welchen das hannoeversche Land so reich ist; den reinlichen, mit gelbem Sand bestreuten Hof belebte zahlreiches und vortrefflich gehaltenes Federvieh; hinter den glaenzenden, blank geputzten Scheiben der kleinen Fenster sah man einfache, aber blendend weisse Gardinen, bluehender Geranium leuchtete im dunklen Roth durch die Scheiben; kurz Alles trug den Stempel von Wohlhabenheit, Ordnung und Behaglichkeit; und wenn auch dieser kleine Hof an Ausdehnung hinter den uebrigen Besitzungen des Dorfes erheblich zurueckstand, so zeichnete er sich doch vor allen Uebrigen durch eine beinahe bis zur Eleganz gehende Zierlichkeit und Sauberkeit aus. An einem schoenen Aprilabend sassen in den Wohnzimmern des kleinen Hauses, dessen einfache Einrichtung aus einem grossen eichenen Tisch, einigen Stuehlen mit starkem Rohrgeflecht und zwei jener alten maechtigen, mit braunem Leder ueberzogenen Lehnstuehlen bestand und dessen Waende ebenfalls mit schwarz gewordenem Eichenholz bekleidet waren, ein alter Mann und eine alte Frau neben einander. Jede von Ihnen hatte einen der grossen Lehnstuehle eingenommen, und sie schienen sich nach der Arbeit des Tages jener tiefen, anmuthenden Ruhe zu erfreuen, welche auf dem Lande mit der Feierabendstunde das haeusliche Leben mit einem fast sonntaeglichen Frieden umgiebt. Der Mann war ein hoher Sechziger, kraeftig und markig gebaut, das weisse dichte Haar hing lang an den Schlaefen herunter, sein scharf markirtes, von fester Willenskraft zeugendes Gesicht war glatt rasirt, und aus seinen grossen klaren Augen blickte neben dem klugen, beinahe listigen Verstand, der den Bauern jener Gegenden eigenthuemlich ist, auch eine tiefe Weiche und Milde heraus. Er trug einen Faltenrock von dunkler Farbe, den Hemdkragen ueber dem Halstuch von schwerer schwarzer Seide hervorgezogen und hohe Stiefel bis zu den Knieen und war beschaeftigt, durch eine silberne Brille mit grossen, runden Glaesern die Zeitung zu lesen, welche der Landpostbote vor Kurzem gebracht hatte. Die alte Frau, welche in dem andern Lehnstuhl neben ihm sass, schien aelter zu sein, als er. Ihre Haltung war etwas zusammengesunken und gebrechlich, ihr blasses Gesicht mit den sanft und weich, beinahe traurig blickenden Augen war mager und kraenklich, ihr fast weisses, glatt gescheiteltes Haar war unter einer grossen weissen Haube mit breitem Strich und unter dem Kinn zusammengebundenen Baendern fast ganz verborgen. Sie trug einen glatt anliegenden, schwarzen Rock und ein grosses, schwarzes Seidentuch um Brust und Schultern und war beschaeftigt, nachdem sie das Federvieh, dem sie ihre besondere Sorgfalt widmete, besorgt hatte, mit langen starken Nadeln einen grossen Strumpf zu stricken, wobei sie leise zaehlend die Lippen bewegte. Der Mann war der Eigenthuemer des Hofes, der alte Bauer Niemeyer, welcher ohne Kinder in seiner schoenen, kleinen Besitzung lebte; die Frau neben ihm war seine Schwester, die Wittwe des lang verstorbenen Unterofficiers Cappei, welche nach dem Tode ihres Mannes mit einer kleinen Wittwenpension aus der englischen Legionskasse und mit ihrem einzigen Sohn ein Asyl bei ihrem Bruder gefunden hatte und bei demselben die Stelle der Hausfrau vertrat. Das Jahr 1866 hatte in den kleinen Familienkreis tief und schneidend eingegriffen. Der junge Cappei, welcher den Feldzug jenes Jahres in der hannoeverschen Armee mitgemacht hatte und dann zu seinem Oheim und zu seiner Mutter zurueckgekehrt war, um seinem Oheim in der Bewirtschaftung des Hofes, der zu seinem einstigen Erbtheil bestimmt war, Beistand zu leisten, hatte sich voll Begeisterung fuer die Sache des Koenigs Georg und fortgerissen von der Bewegung, welche beim Beginn des Jahres 1867 unter den jungen Leuten jener Gegend herrschte, der Emigration angeschlossen, und seit jener Zeit lebten die beiden Alten wieder einsam in dem kleinen Hause, eifrig und sorgfaeltig die Wirthschaftsgeschaefte besorgend, aber traurig, des fernen Sohnes und Neffen gedenkend, dessen Abwesenheit alle ihre Hoffnungen fuer die Zukunft in Frage stellte. Sie hatten nur seltene und wenig ausfuehrliche Nachrichten von ihm erhalten, denn die Emigranten scheuten sich eingehend nach ihrer Heimath zu schreiben aus Furcht, ihre Angehoerigen in Verwickelung mit den Behoerden zu bringen, und so waren die beiden alten Leute darauf angewiesen, die Zeitung, welche sie seit jener Zeit hielten, zu durchforschen, um irgend etwas ueber die Legion zu erfahren. Aber auch diese Nachrichten waren nur sehr spaerlich und unklar gewesen und hatten sie oft recht traurig gestimmt, wenn sie von den ungluecklichen Verhaeltnissen lasen, in welchen nach einzelnen Mittheilungen aus Frankreich die Emigranten dort leben sollten. Die alte Mutter Cappei glaubte fest an die Versicherung, welche ihr Sohn ihr beim Abschied gegeben, dass er siegreich mit allen seinen Kameraden den Koenig in der Mitte wieder in die Heimath zurueckkehren werde. Ihr Bruder hatte tiefes Misstrauen in diese Hoffnungen, er hing zwar mit zaeher und liebevoller Anhaenglichkeit an den alten Verhaeltnissen, aber sein scharfer und practischer Verstand liess ihn wenig an eine Moeglichkeit der Wiederkehr derselben glauben. Es war dies ein Punkt, ueber welchen die beiden alten Leute, welche sonst in so inniger und liebevoller Einigkeit miteinander lebten, haeufig in lebhaften Wortwechsel geriethen. Der alte Niemeyer war sehr unzufrieden mit der Emigration seines Neffen und wurde nicht muede, in seine Schwester zu dringen, dass sie mit ihm gemeinsam dem jungen Menschen den kategorischen Befehl schicken moege, wieder in die Heimath zurueckzukehren. Doch dazu konnte sich die alte Frau, so tiefen Schmerz sie ueber die Abwesenheit ihres einzigen Kindes empfand, nicht entschliessen. Es erfuellte sie mit hohem Stolz, dass ihr Sohn "in des Koenigs Legion diente", wie es ja auch ihr verstorbener Mann einst gethan zur Zeit der Occupation Hannovers im Anfang dieses Jahrhunderts, und trotz aller Muehe, die sich ihr Bruder gab, gelang es ihm nicht, sie zu ueberzeugen, dass die damaligen Verhaeltnisse und die damalige Legion, welche der maechtige Koenig von England aus seinen hannoeverschen Unterthanen gebildet, etwas ganz anderes sei, als die Emigration, welche heute ihrem verbannten, machtlosen Koenig in das Exil gefolgt war; sie war ueberzeugt, dass es wieder anders werden muesse, wie es damals anders geworden war, und dass ihr Sohn einst siegreich wiederkehren werde, belohnt und ausgezeichnet von dem Koenig, dem er so treu geblieben--und ihn dieser glaenzenden Zukunft zu entziehen, dazu konnte sie sich nicht entschliessen. So sassen sie denn auch heute wieder da,--sie hatten ihre Arbeit gethan, der Alte las die Zeitung, wie es ihm nun seit laengerer Zeit zur Gewohnheit geworden war, und seine Schwester fuellte die Musse ihres Abends durch die Beschaeftigung mit ihrem Strickstrumpf aus, indem sie mit jeder Masche desselben theils eine wehmuethige Erinnerung an ihren Sohn, theils eine freudige Hoffnung auf dessen glaenzende Zukunft verwebte. Ploetzlich warf der Alte das Blatt vor sich hin und schlug kraeftig mit der Hand auf den Tisch, indem er zugleich die ihm unbequeme Brille hoch auf die Stirn hinausschob. "Das ist eine gute Nachricht," rief er laut, "der Koenig hat die Legion aufgeloest, welche ihm so viel Geld kostete, und welche so viele brave junge Leute ihrer Heimath entfremdete und den Gefahren eines unthaetigen Lebens aussetzte. Das freut mich, das ist ein guter Entschluss, der vernuenftigste, den unser Herr hat fassen koennen. Jetzt haben wir doch Hoffnung, dass der Junge wieder zu uns zurueckkommt, und dass unser altes, liebes Besitzthum nicht noch in fremde Haende uebergehen wird, waehrend sein rechter und richtiger Erbe weit in der Ferne ein unruhiges und abenteuerliches Leben fuehrt." Die alte Frau Cappei liess den Strickstrumpf in ihren Schooss sinken, ein freudiger Ausdruck erschien einen Augenblick auf ihrem Gesicht, dann aber schuettelte sie truebe und traurig den Kopf. "Das wird wieder eine von den Nachrichten sein," sagte sie, "welche schon oft von Zeit zu Zeit in den Zeitungen erschienen sind und immer nicht wahr waren. Wie oft hast Du schon an die Rueckkehr meines Sohnes geglaubt, wie oft hat man gesagt, die Legion waere auseinandergegangen, und immer ist es nicht wahr gewesen. Und es wird auch diesmal nicht wahr sein," sagte sie mit einem gewissen Stolz, "der Koenig kann ja seine Soldaten nicht fortschicken. Er braucht ja seine Legion, wenn er sein Land wieder erobern will, und so sehr ich mich sehne, den Jungen wieder hier zu sehen, so moechte ich doch nicht wuenschen, dass er als Fluechtling hierher wieder zurueckkehrt, ohne fuer seinen Koenig sich geschlagen zu haben, wie es sein Vater seiner Zeit auch gethan hat." "Du bist thoericht," sagte der Alte, "Du moechtest womoeglich Deinen Jungen noch als grossen Feldherrn wiedersehen." "Nun das Zeug dazu hat er schon," fiel seine Schwester etwas gereizt ein, "dass er Officier wird, wenn es zum Schlagen kommt, daran zweifle ich garnicht. Was hat er nicht Alles gelernt, wie huebsch und fein sieht er aus! Und wie viele Beispiele hat man nicht, dass grosse Generale sich ganz von unten herauf gearbeitet haben! Auch in der Legion in Spanien sind damals ganz einfache Soldaten hohe Officiere geworden,--wenn es meinem seligen Mann nicht so gut gegangen ist, so hat es nur den Grund gehabt, dass er keine Gelegenheit fand, sich auszuzeichnen." "Das sind Alles Possen," rief der Alte muerrisch, "und ich hoffe, dass der Junge selbst nicht solche thoerichten Gedanken in seinem Kopf haben wird. Er sollte Gott danken, dass er hier eine feste Heimath und einen wohl geordneten Besitz hat und sollte so schnell als moeglich hierher zurueckkehren, um diesen Hof zu uebernehmen, dessen Bewirthschaftung mir taeglich schwerer zu werden anfaengt. Nun," fuhr er fort, "das wird sich jawohl von selbst machen. Ich habe mit dem preussischen Amtmann, den sie uns hierher geschickt haben, neulich gesprochen und er hat mir versichert, dass er nicht glaube, dass gegen meinen Neffen irgend etwas Unangenehmes unternommen werden moechte, wenn er zurueckkaeme und sich zur Erfuellung seiner Landwehr-Militairpflicht stellte, eine eigentliche Desertion liege ja nicht vor und"-- Er wurde durch ein lautes Anschlagen des Hofhundes unterbrochen. Schnelle, kraeftige Schritte liessen sich vor dem Hause vernehmen, rasch wurde die Thuer geoeffnet, und Derjenige, ueber dessen Schicksal die beiden Alten sich soeben unterhalten hatten, trat in das Zimmer. Der junge Cappei trug einen kleinen Raenzel auf dem Ruecken, sein Gesicht war von dem raschen Gang geroethet und erschien dadurch noch bluehender, als sonst; seine hellen offenen Augen strahlten von Glueck und Freude, als er das alte Haus, die Heimath seiner Kindheit, das alte wohlbekannte Zimmer, in welchem kein Meubel sich veraendert hatte, als er seine Mutter und seinen Oheim, diese beiden einzigen Wesen wiedersah, welche in dem alten Vaterlande ihm nahe standen. Rasch eilte er auf die alte Frau zu, welche ihm zitternd ihre offenen Arme entgegenstreckte; er drueckte ihren Kopf an seine Brust und kuesste zaertlich ihre weissen Haare. Dann wandte er sich zu seinem Oheim, welcher aufgestanden war und mit gluecklichem stolzem Ausdruck auf die kraeftige Gestalt des jungen Mannes blickte, er schlug fest in dessen dargebotene Hand ein und sagte tief aufathmend: "Da bin ich wieder bei Euch--Gott sei Dank, dass ich Euch Beide am Leben und wohl und munter finde. Ich habe lange keinen Brief von Euch erhalten, und als ich von der Eisenbahnstation zu Fuss hierher ging, hat mich eine entsetzliche Angst erfasst, dass ich das Alles hier vielleicht nicht so wiederfinden koennte, wie ich es verlassen habe. Nun Gott sei Dank, es ist ja Alles gut, und meine Angst ist umsonst gewesen." Abermals schloss er seine Mutter in die Arme, und dann setzte er sich an den Tisch und begann in hastigen abgebrochenen Worten zu erzaehlen von seinem Leben in Frankreich, von den Kameraden, welche dort mit ihm gewesen, von den Hoffnungen, die sie gehabt hatten, und wie das nun Alles zu Ende sei, da der Koenig die Legionaire entlassen habe und eine grosse Anzahl von ihnen nach Amerika ausgewandert sei, waehrend Andere in Algier ihr Glueck versuchen wollten. "Sie haben mir viel zugeredet," sagte er, "auch dorthin zu gehen, aber ich habe das nicht gewollt. Ich will nicht mehr als heimathloser Fluechtling in der Welt leben, und auch Euch wollte ich wiedersehen, mein Herz zog mich hierher, und ich muss meine Verhaeltnisse hier in der alten Heimath ordnen, um wieder ein richtiger Mensch zu werden, der seinen Platz klar und fest in der Welt behaupten kann." "Das hast Du brav gemacht, mein Junge," sagte der Alte, indem er ihm kraeftig auf die Schulter schlug, waehrend die Mutter zusammentrug, was im Hause zu finden war, Brod, kaltes Fleisch und einen grossen Bierkrug, damit der lange entbehrte Sohn wieder am heimathlichen Tisch esse und trinke, wodurch nach ihrer Auffassung eigentlich erst das Band zwischen ihm und dem alten Hause wieder fest geknuepft wurde. Eine Zeit lang sahen die beiden Alten schweigend zu, sich des kraeftigen Appetits freuend, den der junge Mensch zeigte. Dann begannen sie wieder zu fragen nach allen Einzelheiten seines Lebens in der Fremde, nach diesem und jenem Bekannten; und er erzaehlte ihnen von Allem, und doch schien es, als ob immer noch etwas im Rueckhalt bliebe, denn oft brach er ploetzlich ab, sah schweigend vor sich nieder, und erst auf erneuerte Fragen nahm er seine Mittheilungen wieder auf. Dem scharfen Blick der alten Frau entging dies nicht,--eine Mutter liest ja so tief in dem Herzen ihres Sohnes und das wunderbare Band, welches sie mit ihrem Kinde verknuepft, wird durch die Zeit und das Alter niemals gelockert. Die Alte schuettelte das Haupt, sie fuehlte, dass da noch Etwas war in dem Herzen ihres Sohnes, wovon er nicht sprach--aber sie sagte nichts darueber, sie behielt sich vor, spaeter ihn danach zu fragen, ueberzeugt, dass es ihr gelingen wuerde, auch die verschlossensten Tiefen seines Innern zu oeffnen. "Jetzt aber," sagte der alte Niemeyer endlich, "obgleich es schon spaet ist, musst Du dennoch gleich mit mir zum Amtmann. Du musst Dich auf der Stelle melden, Deine Rueckkehr darf keine heimliche sein, und was die Behoerden ueber Dich verfuegen, musst Du ruhig ueber Dich ergehen lassen. Schlimm werden sie es mit Dir nicht machen, ich habe es schon vorbereitet, da ich immer ueberzeugt war, Du wuerdest frueher oder spaeter hierher wieder zurueckkehren." Sie gingen bei dem schon hereindunkelnden Abend nach dem grossen Amthaus hin, liessen sich bei dem Amtmann, einem preussischen Assessor, welcher hierher versetzt war, melden und wurden in dessen Wohnzimmer gefuehrt, welches bereits von einer Lampe erleuchtet war. Der Amtsverwalter, ein Mann von etwa fuenfunddreissig Jahren, ernst und ruhig, aber auch zugleich freundlich und wohlwollend in seinem Wesen erhob sich bei dem Eintritt des alten Bauern von seinem Schreibtisch, an welchem er mit Durchsicht von Acten beschaeftigt war und trat demselben entgegen, indem er einen schnellen forschenden Blick auf den hinter seinem Oheim hereintretenden jungen Cappei warf. "Herr Amtmann," sagte der alte Niemeyer, "ich bringe Ihnen hier einen Fluechtling, der nach der alten Heimath zurueckgekehrt ist, und der nun nichts mehr gegen die neue Ordnung der Dinge, welche die Vorsehung ueber uns verhaengt hat, unternehmen wird. Er hofft auf eine nachsichtige Behandlung fuer das, was er etwa nach den geltenden Gesetzen Strafbares begangen haben koennte und stellt sich zu Ihrer Verfuegung." Der junge Cappei trat vor, blieb in militairischer Haltung vor dem Beamten stehen und blickte ihn mit seinen offenen, klaren Augen frei und fest an. "Es freut mich," sagte der Beamte, auf welchen die Erscheinung des jungen Mannes einen wohlthuenden Eindruck zu machen schien, "dass Sie sich entschlossen haben, in die geordneten Verhaeltnisse zurueckzukehren und auf thoerichte und abenteuerliche Unternehmungen zu verzichten. Ich will nicht fragen und untersuchen, welche Plaene Sie bei Ihrer Auswanderung gehegt haben, welchen Unternehmungen Sie sich angeschlossen haben--allein Sie sind nach den preussischen Gesetzen noch landwehrpflichtig gewesen und werden sich ueber Ihre eigenmaechtige Entfernung zu verantworten haben. Ich waere berechtigt, Sie zu arretiren und Sie in Untersuchungshaft zu behalten, da ich jedoch nach Ihrem freiwilligen Wiedererscheinen keinen Verdacht hege, dass Sie sich der Untersuchung und der eventuell zu verhaengenden Strafe entziehen werden, so will ich von einer solchen Massregel Abstand nehmen und Ihnen Ihre Freiheit lassen, allein um der Form zu genuegen, muessen Sie eine Buergschaft leisten."-- "Die Buergschaft uebernehme ich, Herr Amtmann," rief der alte Niemeyer lebhaft. "Ich stelle mein Haus und meinen Hof als Haft dafuer, dass der junge Mann sich nicht von hier entfernt und sich jeder Anforderung stellen wird." "Ich will diese Garantie annehmen," erwiderte der Beamte--er setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm ein kleines Protokoll auf, das der alte Bauer und sein Neffe unterzeichnen mussten und entliess dann die Beiden. Als sie hinausgegangen waren, zog er ein kleines Aktenfascikel aus einem verschlossenen Fach seines Schreibtisches hervor und oeffnete dasselbe. "Die Erscheinung dieses jungen Mannes," sagte er, "ist durchaus Vertrauen erweckend, er hat ein so freies Gesicht und einen so offenen Blick, dass ich ihm kaum geheime und verborgene Absichten zutrauen kann. Auch ist mir der Alte als ein Mann von ruhigem praktischen Sinn, der sich den thatsaechlichen Verhaeltnissen stillschweigend unterordnet und alle Agitationen und Conspirationen missbilligend, bekannt; und doch ist mir hier ein sehr bestimmter Avis zugegangen, nach welchem die Gesandtschaft in Paris gerade diesen jungen Cappei auf Grund ihr zugegangener Mittheilungen als einen fanatischen Feind der preussischen Herrschaft und als einen gefaehrlichen Verschwoerer und Agitator bezeichnet, welcher nur deshalb hierher zurueckgekehrt, um nach Frankreich hin Mittheilungen ueber die hiesigen Verhaeltnisse, Truppendislokationen und so weiter gelangen zu lassen,--mir kommt das ein wenig unwahrscheinlich vor," fuhr er fort, "allein die Mittheilung ist bestimmt, und die Zeitverhaeltnisse gebieten die groesste Vorsicht. Ich werde ihn genau beobachten lassen und eine Ueberwachung seiner Correspondenz bei der Postbehoerde anordnen,--ist jene Mittheilung richtig, so wird sich bald ein greifbares Indicium finden lassen." Er schrieb nach genauer Durchsicht des Aktenfascikels eine Verfuegung, liess seinen Secretair rufen und uebergab ihm dieselbe mit dem Befehl schleuniger und discreter Expedition. Dann verschloss er das geheime Aktenstueck wieder in seinen Secretair und wandte sich seinen regelmaessigen Arbeiten zu. Lange noch sass der alte Bauer Niemeyer mit seiner Schwester und dem jungen Cappei bei der grossen Lampe im Wohnzimmer seines Hauses beisammen. Immer noch forschten und fragten die beiden Alten--immer erzaehlte der junge Mann,--immer deutlicher fuehlte die Mutter, dass in allen diesen Erzaehlungen noch Etwas fehlte und zwar Etwas, was tief und innig mit dem Herzensleben ihres Sohnes zusammenhaengen muesse. Und als sie endlich die Ruhe aufsuchten, als sie den Sohn in seine schnell hergerichtete Schlafkammer mit dem sauberen, hoch aufgeschichteten Federbett gefuehrt, und die Haende segnend auf sein Haupt gelegt hatte, da blieb sie noch lange wach in ihrer Kammer in dem Lehnstuhl am Fussende ihres Bettes sitzend und tief nachdenkend ueber die Fuegungen der Vorsehung, welche zwar die ehrgeizigen Traeume zerstoert hatte, in welchen sie an den fernen Sohn gedacht, welche aber doch diesen Sohn lebendig, frisch und bluehend ihr wieder zugefuehrt hatte und jetzt opferte sie jenen Traum gern der schoenen und lieben Wirklichkeit. Sie fuehlte auch mit dem so feinen weiblichen Instinct, welches der verborgene Punkt sei, der in allen Erzaehlungen ihres Sohnes noch dunkel geblieben; sie fuehlte, dass die Liebe zwischen ihm und dem fernen Land, aus welchem er zurueckgekehrt ein Band geknuepft habe. Aber sie war nicht traurig darueber und wieder regten sich ehrgeizige Hoffnungen in ihrem Herzen. Denn ein so guter, so braver und so huebscher junger Mann wie ja ihr Sohn, konnte nur eine Wahl getroffen haben, die ihm und seiner ganzen Familie ehrenvoll war. Und als sie endlich ihr Lager aufsuchte, schloss sie Diejenige, welche ihr Sohn gewaehlt haben moechte, und welche ihr muetterlicher Stolz in hohen und angesehenen Kreisen suchte voll freudiger Hoffnung und Zuversicht in ihr frommes Abendgebet mit ein. Der junge Cappei aber war in koerperlicher Ermuedung, welche die kraeftige Jugend noch staerker fuehlt, als das Alter, und in jenem suessen Wohlgefuehl, welches das Bewusstsein erzeugt, nach langer Abwesenheit wieder im Schooss des heimathlichen Hauses zu ruhen, bald in einen festen und tiefen Schlaf versunken. Und wunderbar verschmolzen sich in seinen Traeumen die Bilder der Ferne, zu welcher sein Herz ihn hinzog und der Heimath, in welche die Wurzeln seines Lebens geschlagen waren, miteinander. Bald sah er sich im Hause des alten Challier an der Seite seiner Louise und an der Spitze des immer bluehender erwachsenden Handelsgeschaefts--bald wieder zeigte ihm der Traum das theure Bild seiner Geliebten, wie dieselbe gluecklich laechelnd in das Haus seines Oheims eintrat, wie sie seiner Mutter zur Hand ging in haeuslichen Geschaeften und neues froehliches Leben in die alte Heimath brachte. So schwer diese verschiedenen Bilder in der Wirklichkeit zu vereinigen waren, so verband sie doch das wunderbare Spiel des Traumes zu harmonischer Einigkeit, welche ihn mit einem suessen Gefuehl des Gluecks und der Freude erfuellten. Neuntes Capitel. In einem grossen saalartigen Zimmer im Hinterhofe eines duestern Hauses des Faubourg St. Antoine war das democratische Comite versammelt, welches sich gebildet hatte, um auf das Plebiscit einzuwirken und das Volk in Massen dahin zu bestimmen, dass es die Abstimmung entweder ganz verhindere oder wo die Kuehnheit dazu vorhanden sein moechte mit "Nein" stimme. Die Versammlung fand bei bereits ziemlich vorgerueckter Abendstunde statt, der grosse finstere Raum mit den schmutzigen, von Rauch geschwaerzten Waenden war durch einige Petroleumlampen, die auf einem grossen Tisch in der Mitte standen, nur wenig erhellt; um diesen Tisch sassen die Leiter des Comites in scharfer Beleuchtung, waehrend der uebrige Theil des Saales, in welchem sich etwa vierzig bis fuenfzig der hervorragendsten Agenten des Comites befanden, in Dunkelheit gehuellt war. An diesem Tisch sah man in der Mitte Jules Lermina, einen der unermuedlichen Agitatoren der republikanischen Bewegung in Frankreich, einen Mann mit tief blassem, wie aus Erz gegossenem Gesicht, in welchem nur die gluehenden, unheimlich und finster blickenden Augen zu leben schienen und welches, wenn er mit seiner harten jede Modulation ausschliessenden Stimme sprach, durch kein Mienenspiel bewegt wurde. Hier sah man Ulric de Fonvielle, den Begleiter Victor Noirs bei dessen verhaengnissvollem Besuch im Hause des Prinzen Pierre Bonaparte--mit seinem grossen Bart und seinem unruhigen, aufgeregten und wichtig thuenden Wesen. Hier war Varlin, der Buchbinder, in seiner gebueckten Haltung mit dem kalten hoehnischen Laecheln auf den Lippen, mit dem niedergeschlagenen Blick, der nur zuweilen im schnellen Blitz von unten hinauf schoss und dann fast immer Denjenigen, auf welchen er sich richtete, durch seinen stechenden scharfen Ausdruck aus der Fassung brachte. Hier sah man Raoul Rigault, den jungen einundzwanzigjaehrigen Verschwoerer mit seinem blassen, selbstgefaellig laechelnden Gesicht, den mueden, etwas gleichgueltigen Blick hinter dem Monocle verbergend, in seiner stutzerhaften, aber etwas abgeschabten Eleganz, mit der Waesche von zweifelhafter Reinheit, das kleine Stoeckchen mit dem unechten Silberknopf in der Hand. Hier sah man Ancel, Boyer, Delacour, Dembrun, Portalier, Robin, Mangold--theils in Blousen, theils im einfachen buergerlichen Anzug--und auf allen diesen finstern Gesichtern ruhte der Ausdruck starrer duesterer Entschlossenheit und grimmiger Unversoehnlichkeit. Sie waren zum grossen Theil die Fuehrer des Pariser Zweigvereins der internationalen Arbeiterassociation, welche aber jetzt nicht mehr wie frueher sich einer gewissen wohlwollenden Duldung der Regierung zu erfreuen hatte, nachdem sie durch richterliches Erkenntniss aufgeloest worden war. Es war nicht mehr jene Internationale von Tolain und Fribourg, welche durch Belehrung und ruhige gesetzliche Agitationen die Lage des Arbeiterstandes zu verbessern strebte, und welche von idealen Anschauungen geleitet wurde. Jene Fuehrer waren verschwunden, die Internationale von heute war eine proscribirte und geaechtete Gesellschaft, welche sich lange den Nachforschungen der Polizei verbarg, und im Geheimen dafuer aber um so wirksamer ihre Lehren propagirte und ihre Plaene verfolgte. Diese Lehren aber waren heute offen und rueckhaltslos auf die Zertruemmerung der bestehenden Staatsordnung und der bestehenden Gesellschaft gerichtet, und die Plaene, deren eigentliches Geheimniss nur den ausgewaehlten Kreisen, den Leitern, bekannt war, richtete sich auf eine moeglichst schnelle und nachdrueckliche Vernichtung aller Autoritaet und alles Besitzes. Die internationale Association als solche konnte sich mit der Frage des Plebiscits nicht beschaeftigen, sie konnte sich nicht versammeln, ohne sich sogleich polizeilicher Aufloesung auszusetzen, sie hatte deshalb das democratische Comite gebildet, an dessen Spitze wiederum ihre Leiter standen, um in dieser Form ihren Einfluss auf das Plebiscit auszuueben und um wo moeglich diese Gelegenheit zur Herbeifuehrung einer Catastrophe zu benutzen. Auf Baenken und Stuehlen ringsum den Tisch des eigentlich leitenden Comites sassen dessen hervorragende Agenten in den verschiedenen Stadttheilen von Paris fast Alle in der Blouse der Arbeiter, Alle denselben Ausdruck ruhiger und kaltbluetiger Unversoehnlichkeit in den Gesichtern. Lermina erhob sich: "Wir haben, meine Freunde," sprach er, "nunmehr die Berichte aus allen Theilen von Frankreich empfangen, welche uns mittheilen, dass ueberall die Comites constituirt sind, um diesem frevelhaftem Possenspiel entgegenzutreten, durch welches man in einem gefaelschten Ausdruck des Volkswillens fuer den Despotismus und die Tyrannei eine neue Stuetze suchen will. Allgemein ist die democratische Partei organisirt, um auf die unklare und furchtsame Bevoelkerung den Druck ihres Einflusses auszuueben. Nach Allem, was man uns mittheilt, wird es schwer werden, eine grosse Majoritaet dahin zu bringen, dass die an das Volk gestellte Frage mit "Nein" beantwortet wird. Die Furcht vor den Machtmitteln der Gewalt ist zu gross--dagegen muessen wir aber mit aller Kraft dahin streben, dass der groesste Theil der Bevoelkerung sich von jeder Abstimmung zurueckhaelt, um vor der Welt beweisen zu koennen, dass die Majoritaet, welche die Regierung erreichen moechte, im Verhaeltniss zur Gesammtzahl der Bevoelkerung garnichts bedeutet. Ich habe deshalb die Instructionen, welche Sie Alle frueher bereits gebilligt haben, an eine Anzahl von zuverlaessigen Personen vertheilt, die in diesem Augenblick bereits in die Provinzen abgegangen sind, um ueberall die Agitation noch fester zu organisiren und zu beleben. Unser unermuedlicher Freund Cernuschi hat mir von London aus abermals die Summe von hunderttausend Francs uebersendet, um die nothwendigen und unvermeidlichen Kosten unserer Thaetigkeit zu bereiten." Ein Ruf des Beifalls toente durch den Saal. "Ich habe ihm den Dank des Comites ausgesprochen," fuhr Lermina fort, "und schlage nunmehr vor, dass wir hier in Paris selbst unvorzueglich eine demonstrative Versammlung in Scene setzen, welche hier in der Hauptstadt die Bewegung in Fluss bringt und den Provinzen ein Beispiel giebt. Ich schlage zu diesem Zweck den Saal der Folie-Bergere vor, welcher den nothwendigen Raum bietet und zugleich der ganzen Bevoelkerung von Paris bekannt ist. Hat Einer von Euch, meine Freunde, gegen den Vorschlag Etwas einzuwenden?" Die Versammlung schwieg--einzelne Rufe der Zustimmung liessen sich hoeren. "So wollen wir also," fuhr Lermina fort, "die democratische Volksversammlung in der Folie-Bergere auf den vierten Tag, von heute an gerechnet, festsetzen. Und ich bitte alle unsere Freunde," fuhr er sich nach den Zuhoerern im Hinterraum des Saales wendend fort, "in den verschiedenen Stadttheilen von Paris ihre ganze Thaetigkeit aufzubieten, um den Besuch der Versammlung so zahlreich als moeglich zu machen. Zugleich ersuche ich Euch alle, meine Freunde, Euch vorzubereiten und nachzudenken ueber das, was Jeder von Euch der Versammlung sagen will, damit die Worte zuenden und die Massen zu energischem Widerstand entflammen. "Vor Allem," rief Ulric de Fonvielle mit lauter Stimme, "muessen wir diesen verraetherischen Luegner und Heuchler Ollivier dem Volk in seiner wahren Gestalt zeigen. Es giebt immer noch Leute," fuhr er fort, "welche sich durch seine Vergangenheit taeuschen lassen und auf welche sein Name einen gewissen Einfluss uebt,--durch ihn will die kaiserliche Tyrannei das Volk irre fuehren, ihn gilt es zu vernichten und ihn des letzten Restes seiner Popularitaet zu berauben. Ich werde ueber Ollivier sprechen," rief er mit der Hand durch seinen Bart fahrend, "das Volk hat Ollivier in die Gosse geworfen--und das Kaiserthum hat ihn daraus wieder hervorgefischt!"-- Lautes Gelaechter, Beifallsrufen und Haendeklatschen erfuellten den Saal. Dann trat eine augenblickliche Stille ein. Varlin erhob sich, zog ein Papier aus der Tasche und sprach: "Ich bin in Allem mit den Massregeln des Comites und mit seinen Vorschlaegen vollkommen einverstanden. Doch ich habe nunmehr meinerseits einen Vorschlag zu machen, welcher in der Vorsicht begruendet ist und zum Zweck hat, unsere Agitatoren gegen einen Gewaltstreich der Regierung zu schuetzen." Aufmerksam hoerten Alle zu. "Ihr wisst, meine Freunde," fuhr Varlin fort, "dass die Internationale gesetzlich verboten ist, und dass die Polizei das Recht hat, jede Thaetigkeit dieser Association sofort zu verhindern. Nun aber ist unsere ganze Organisation, wenn wir uns auch als democratisches Comite constituirt haben, dennoch die der Internationalen. Wir Alle sind Mitglieder des Bureaus derselben, und in allen Provinzen sind es wieder die Zweigvereine der Internationalen, in deren Haenden die Agitation liegt. Das giebt der Polizei Gelegenheit, sobald sie will, unsere ganze Agitation als eine Thaetigkeit der Internationalen zu bezeichnen und zu verbieten--es waere unklug, ein solches Verbot zu provociren oder moeglich zu machen, und ich halte es demnach fuer nothwendig, dass von Seiten der Internationalen eine oeffentliche Kundgebung stattfindet, welche vollkommen klar stellt, dass die democratische Association gegen das Plebiscit mit der internationalen Arbeiteragitation nichts zu thun hat. Ich halte eine solche Kundthuung practisch fuer nothwendig, ausserdem aber," fuhr er einen raschen Blick im Kreise umherwerfend fort, "deshalb fuer geboten, weil allerdings die jetzt von uns ausgeuebte Thaetigkeit mit den eigentlichen Zielen der Internationalen wie dieselbe in den Statuten derselben ausgestellt sind, nicht identisch ist." "So soll die Internationale die Thaetigkeit des democratischen Comites desavouiren," fragte Lermina, den flammenden Blick auf Varlin richtend. "Das nicht," erwiderte dieser, "doch soll sie erklaeren, dass sie mit dieser rein politischen Sache nichts zu thun hat. Ich wiederhole," fuhr er fort, "dass diese Erklaerung nach meiner Ueberzeugung zunaechst der Polizei gegenueber noethig ist, um ihr die Moeglichkeit zu nehmen, gegen das democratische Comite unter dem Vorwand einzutreten, dass es mit den Internationalen identisch sei, so dann aber auch im Interesse der Macht der Internationalen selbst. Wir Alle, meine Freunde," fuhr er fort, "sind darueber einig, dass nur durch eine politische Revolution, durch welche das jetzt begehende Regiment und die ganze Staatsordnung zertruemmert, die socialen Ziele in der Internationalen erreicht werden koennen, aber--ihr muesst wissen, wie ich, dass unter den Arbeitern, namentlich in den Provinzen, noch sehr viele vorhanden sind, welche vor einer politischen Revolution zurueckschrecken, und welche noch in der Idee befangen sind, von welcher wir in dem leitenden Mittelpunkt uns frei gemacht haben,--von der Idee naemlich, dass auf friedlichem und gesetzlichem Wege eine Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes erreicht werden koenne; um Aller dieser willen ist es ebenfalls noethig, dass wir die Internationale als solche von jeder Thaetigkeit gegen das Plebiscit fern halten." Lermina blickte nachdenklich vor sich hin, die Gruende Varlins schienen ihm einzuleuchten, dennoch mochte es seiner im Grunde ehrlichen und graden Natur widerstreben, aus Ruecksichten der Klugheit solche Doppelwege zu gehen. Einzelne Stimmen der Missbilligung erhoben sich aus dem Zuhoererkreise. "Das wuerde nur Verwirrungen in die Begriffe bringen," rief man--"warum nicht etwas sagen, wovon man ueberzeugt ist,--um so besser, wenn in diesem Augenblick ein Zusammenstoss mit der Gewalt erfolgt,--einmal muss es ja doch dazu kommen." "Halt, meine Freunde," rief Varlin mit seiner durchdringenden Stimme die verschiedenen Rufe uebertoenend, "hoeret zunaechst an, wie ich die Erklaerung der Internationalen entworfen habe, Euch wird dann Alles besser klar werden. Sie soll wahrlich die Thaetigkeit unseres democratischen Comites nicht desavouiren, und sie soll uns nur davor schuetzen, dass wir durch einen rohen Eingriff der Polizeigewalt in unserer Wirksamkeit gehemmt und unterbrochen werden, bevor dieselbe ihre Fruechte getragen hat." Er winkte gebieterisch mit der Hand und waehrend der aufmerksamen Stille, die unmittelbar eintrat, las er, den Blick auf das Papier in seiner Hand geheftet, den von ihm vorgeschlagenen Entwurf der Erklaerung der Internationalen: "Der Bundesrath des internationalen Arbeitervereins giebt den Insinuationen und Anschuldigungen der offiziellen und offizioesen Blaetter ueber seine Theilnahme an der politischen Agitation dieser Tage hiermit ein formelles Dementi. Die Internationale weiss nur zu gut, dass die Leiden aller Art, welche das Proletariat zu dulden hat, bei weitem mehr den oekonomischen Zustaenden der Gegenwart, als den Zufaelligkeiten des Despotismus einiger Staatsmaenner zuzuschreiben sind. Sie wird ihre Zeit nicht mit Nachsinnen ueber die Befestigung des kaiserlichen Despotismus verlieren. Der internationale Arbeiterverein, der eine permanente Verschwoerung aller Unterdrueckten, aller Ausgebeuteten ist, wird den ohnmaechtigen Verfolgungen gegen seine Fuehrer trotzend, so lange fort bestehen, bis alle Ausbeuter der Arbeit, alle Capitalisten, alle Pfaffen und alle politischen Abenteurer verschwunden sein werden." "Ich glaube," sprach er, indem sein Blick ueber die Versammlung hinglitt, "dass nach dieser Erklaerung Niemand wird sagen koennen, es sei die Internationale, welche die gegenwaertige democratische Agitation fuehre,--und doch wird darin gewiss kein abfaelliges Urtheil ueber seine Thaetigkeit gesprochen." "Varlin hat Recht," rief man von allen Seiten--"er ist klug und vorsichtig,--er denkt an Alles, die Proclamation ist gut, sie soll erlassen werden." Niemand widersprach an dem Tisch des Comites, nur Raoul Rigault zuckte leicht die Achseln und schlug mit dem Spazierstoeckchen auf seine Stiefel. Varlin legte das Papier, dessen Inhalt er vorgelesen, Lermina vor, der es mit einem raschen Federzug unterzeichnete. Die Uebrigen folgten Alle. Lermina erklaerte sodann die Sitzung fuer geschlossen, und die Versammelten verliessen in einzelnen Gruppen, um kein Aufsehen zu erregen, langsam und schweigend das Zimmer, indem sie sich, sobald sie aus dem aeussern Theil des Hauses auf die Strasse traten, nach verschiedenen Richtungen hin zerstreuten. Raoul Rigault naeherte sich Lermina. "Bleibt noch einen Augenblick hier," sprach er, "ich habe Euch eine Mittheilung zu machen." "Gut," sagte Lermina. Raoul Rigault trat zu Varlin und dann zu Ulric de Fonvielle, indem er sie ebenfalls aufforderte, noch zu bleiben. Bald war das Zimmer leer, und an dem grossen Tisch befanden sich nur noch Lermina, Varlin, Ulric de Fonvielle und Raoul Rigault. In der Tiefe des Zimmers war ebenfalls eine Gestalt sitzen geblieben, welche man bei der matten Beleuchtung nur in dunkeln Umrissen erkennen konnte. "Meine Freunde," sagte Raoul Rigault indem er das herabgefallene Monocle mit einer etwas gezierten Bewegung wieder in das Auge warf, "ich habe Euch ruhig sprechen und beschliessen lassen, ohne irgend Etwas dabei zu bemerken, weil ich Alles das fuer ein Geschwaetz halte, durch welches Nichts erreicht wird;--dieses Plebiscit," fuhr er mit selbstgefaelligem Laecheln fort, "--wird trotz unserer Agitation ganz nach dem Plan seiner Arrangeurs ausgefuehrt werden,--und" sagte er sich zu Varlin wendend--"trotz des Protestes der Internationale wird man uns alle verhaften, wenn man irgend dazu Lust verspuert." "Das ist Alles was Sie uns zu sagen haben und weshalb Sie uns gebeten haben, hier zu bleiben?" fragte Lermina mit seiner harten klanglosen Stimme. "Der Buerger Rigault ist sehr jung," sagte Varlin mit einem finstern Blick auf den stutzerhaft laechelnden jungen Mann,--"es wuerde ihm vielleicht besser anstehen aus den Erfahrungen aeltere Personen zu lernen, als deren Handlungen zu critisiren." Ulric de Fonvielle sagte Nichts,--er kannte Raoul Rigault und wusste, dass wenn dieser junge Mensch mit dem blasirten gleichgueltigen Gesicht laechelte ein furchtbarer, blutiger Gedanke in seinem Gehirn arbeitete. Er blickte ihn forschend an und wartete. "Handlungen?" fragte Raoul Rigault hoehnisch die Achseln zuckend, ohne die unmuthigen finstern Blicke Lermina's und Varlin's zu beobachten,--"Ihr nennt das Handlungen--diese versteckten Agitationen, diese zweideutigen Erklaerungen und Proteste? Handelt"--fuhr er fort, "handelt, wie man in grossen ernsten Angelegenheiten handeln muss, und meine Critik wird schweigen,--ich werde wahrlich der Erste sein mit Euch zu handeln,--aber ich sehe nicht ein wozu alle diese Geschaeftigkeit fuehren soll." "Wenn man tadeln will was Andere thun, so muss man Etwas Besseres vorzuschlagen haben," sagte Lermina kurz und hart. Varlin machte eine Bewegung, als wollte er ausstehen. "Hoert mich an," sagte Raoul Rigault, indem er ihn mit der Hand zurueckhielt. Er stuetzte die Arme auf den Tisch und bewegte sein Stoeckchen leicht in der Luft hin und her. "Der Augenblick ist guenstig," sprach er weiter in einem Tone als unterhielte er sich ueber irgend ein gleichgueltiges Tagesereigniss,--"der Augenblick ist guenstig um einen grossen Schlag auszufuehren,--einen Schlag der uns mit einem Mal an das Ziel aller unserer Bestrebungen fuehren kann." "Und wie sollte dieser Schlag ausgefuehrt werden," fragte Varlin mit einem fast veraechtlichen Laecheln. "Sehr einfach," erwiderte Raoul Rigault, immer mit seinem Stoeckchen spielend, "unsere Vereine sind in ganz Frankreich vortrefflich organisirt, wir koennen sie von hier aus mit einem Wort in active Bewegung setzen, wir koennen ueberall den Aufstand ausbrechen lassen." "Das koennen wir," erwiderte Lermina, "wenn wir es aber thun, so wird das in diesem Augenblick keine weitere Folgen haben, als dass der Aufstand ueberall durch die rohe Gewalt der Tyrannei niedergeschlagen und fuer die Zukunft alle unsere Hoffnungen zertruemmert werden." "Wenn eben die Tyrannei noch besteht," erwiderte Raoul Rigault, "wenn diese Maschine, welche man die kaiserliche Regierung nennt, ueberhaupt in jenem Augenblick noch arbeitet." "Und wie wollen Sie," fragte Lermina, "indem Augenblick des Aufstandes die so fest gegliederte Regierungsmaschine zerstoeren und unwirksam machen?" "Die Maschine," sagte Raoul Rigault, "wird von selbst unwirksam, wenn sie keinen Mittelpunkt, eine bewegende Triebfeder mehr hat. Ich kuemmere mich nicht um die Maschine, ich zerstoere den Mittelpunkt, und die Arbeit des Ganzen hoert auf--Frankreich gehoert uns." Lermina begann aufmerksam zu werden. "Der Gedanke ist logisch," sagte er. "Wie kann er ausgefuehrt werden?" "Sehr einfach," erwiderte Raoul Rigault, "indem man den Kaiser toedtet und den Sitz der Regierung zerstoert." Ganz erstaunt blickten Lermina und Varlin auf diesen jungen Menschen, welcher im gleichgueltigen und ruhigsten Ton von der Welt einen Satz aussprach, der in seinen wenigen Worten den Umsturz der oeffentlichen Ordnung Frankreichs vielleicht Europas enthielt. "Um den Kaiser zu toedten," fuhr Raoul Rigault fort, "bedarf es nur eines entschlossenen Menschen, welcher sein Leben aufs Spiel setzt, wie dies ja alle Soldaten oft fuer viel unwichtigere und gleichgueltigere Dinge thun, und in dessen Hand man ein Werkzeug legen wuerde, welches den Erfolg seines Unternehmens nicht von dem Zufall abhaengig macht,--zur Zerstoerung des Mittelpunkts der Regierung bedarf es nur," sagte er mit selbstgefaelligem Laecheln, "einiger practischen Anwendungen der Chemie,--und was sonst die Folge der Revolution war, wird gegenwaertig der Revolution vorangehen und ihr den Weg frei machen. Die Mittel, von denen ich so eben gesprochen habe, sind gefunden. Um den Kaiser sicher zu toedten, ohne die Sache von einem falschen Augenmass oder von einem nervoesen Zittern der Hand abhaengig zu machen, ist hier das Mittel." Er zog aus der Tasche seines Rockes einige kleine eirunde Eisenkoerper mit verlaengerter Spitze hervor und legte sie auf den Tisch. "Sie sind," sagte er laechelnd, "allerliebste Sprengbomben von einer gewaltigen Explosionskraft. Man hat garnicht noethig zu zielen. Man wirst sie eine nach der andern in den Wagen des Kaisers, wenn er vorueber faehrt und vor die Fuesse seines Pferdes, wenn er reitet, und bevor die vierte oder fuenfte geworfen ist, wird von Demjenigen, der heute Frankreich zu beherrschen glaubt, nichts mehr uebrig sein, als einige kleine in der Luft zerstreute Atome. Um diese Bomben zu werfen," fuhr er, die Stimme etwas daempfend, fort, "gehoert ein Mann, welcher fanatisch oder gleichgueltig genug ist, um sein Leben an dies Wagniss zu setzen--ein Gleichgueltiger," fuegte er hinzu, "ist mir lieber, als ein Fanatiker,--und dieser Mann ist gefunden." Er erhob sich, wandte sich nach der Tiefe des Zimmers, die dunkle Gestalt, welche von den Uebrigen unbemerkt dort bei der Entfernung der Versammlung geblieben war, trat in den Lichtkreis, und man sah einen jungen Mann von hoechstens zwanzig bis einundzwanzig Jahren, dessen voellig bartloses, gleichgueltiges und etwas stupides Gesicht einen noch fast knabenhaften Ausdruck hatte. Raoul Rigault ergriff diesen jungen Mann, der einen einfachen Anzug von sogenannter Marengofarbe und einen kleinen runden Hut trug, bei der Hand und sagte: "Hier ist der Buerger Beaury, welcher von London kommt und bereit ist, den ersten und gefaehrlichsten Schlag in dem grossem Entscheidungskampf fuer die Rechte der arbeitenden Gesellschaft zu fuehren. Er wird diese Bombe werfen und den fanatischen Imperator, vor welchem sich heute die bloede Menge in den Staub beugt in die Luft sprengen." Tief erstaunt, beinahe bestuerzt und erschrocken blickten die drei Andern auf diesen jungen Menschen, welcher da so ploetzlich wie aus der Erde hervorgezaubert unter ihnen stand und sie mit einem ruhigen gleichgueltigen Laecheln anblickte. "Wer sind Sie," fragte Lermina. "Ich heisse Beaury," erwiderte der junge Mann. "Ich war frueher Corporal in der Armee des Tyrannen, seit einem Jahr bin ich Fluechtling in London, Herr Flourens hat mich hierhergeschickt,--hier ist meine Beglaubigung." Er zog aus der Tasche seines Rockes ein offenes, etwas zerknittertes Papier hervor und ueberreichte es Lermina. "Ein Brief von Flourens," sagte dieser. "An meine Genossen in Frankreich," fuhr er fort, das Papier lesend, "der Ueberbringer dieses, der Buerger Beaury ist bereit und geschickt Alles das auszufuehren, was man ihm austragen wird, man kann sich vollkommen auf ihn verlassen. Gustav Flourens." Er reichte das Papier Varlin, Fonvielle neigte sich herueber und sah ueber dessen Schulter in die Schrift. "Es ist Flourens' Handschrift," sagten Beide. "Sie wissen, was Sie thun sollen," fragte Lermina, immer noch verwundert den knabenhaften jungen Menschen ansehend. "Gewiss" erwiderte dieser, "ich soll diese Bombe da," er deutete auf den Tisch, "nach dem Kaiser werfen, den ich sehr genau kenne, und den ich nicht verfehlen werde. Ich habe auch noch dies zu uebergeben," sagte er dann. Er zog ein anderes Papier aus der Tasche und gab es Lermina. "Eine Anweisung auf vierhundert Francs," sagte dieser, "ebenfalls von Flourens unterzeichnet." Lermina gab die Anweisung an Varlin, welcher einen Schluessel aus der Tasche zog, eine Schublade des Tisches oeffnete und dem jungen Menschen vier Bankbillets von hundert Francs uebergab. "Nun gehen Sie," sagte Raoul Rigault zu Beaury, welcher ganz vergnuegt seine Bankbillets einsteckte, "Sie werden Ihre naeheren Anweisungen erhalten. Ihre Adresse?" "Rue St. Maur Nummer zweiunddreissig," sagte der junge Mensch, indem er sich leicht gegen die Uebrigen verneigte und das Zimmer verliess. "Ihr seht," sagte Raoul Rigault mit zufriedenem Laecheln, "dass ich mich ein wenig auf das verstehe, was Handeln heisst, und dass ich vielleicht ein wenig Recht habe, unpractische Massregeln zu kritisiren." Varlin und Lermina erwiderten nichts. "Doch weiter," sagte Ulric de Fonvielle, "die Ermordung des Kaisers nuetzt uns wenig, wie wir ja langst ueberlegt haben." "Das ist eine Ansicht, die ich stets vertreten habe," sagte Raoul Rigault, "Ihr koennt also nicht erwarten, dass ich glauben sollte, mit diesem ersten Schlage sei Alles gethan. Auch habe ich Euch ja vorhin gesagt, dass meine Plaene zur Handlung zwei Punkte haben. Der Erste war die Ermordung des Kaisers; der Zweite ist die Zerstoerung des Mittelpunkts der Regierung." "Das wird etwas schwerer sein," sagte Varlin, den Kopf schuettelnd. "Allzu umfassendere Vorbereitungen beduerfen wir nicht," sagte Raoul Rigault. "Wir haben von diesen kleinen Maschinen," fuhr er fort auf die auf dem Tische liegenden Bomben deutend, "einen Vorrath von tausend Stueck, welche ein Herr Lepet, ein harmloser Mann, in dem Gedanken gegossen hat, dass es Theile eines neu erfundenen Velocipedes waeren. Sie befinden sich an einem sichern Ort und koennen im Lauf weniger Stunden gefuellt werben. Wir beduerfen dann nur noch einer gewissen Quantitaet Petroleums, einer Quantitaet Pikrinsaeure und eines Haufens alter Weiber und kleiner Kinder, wie wir sie in beliebiger Menge in Belleville und St. Antoine finden koennen." "Und dann," fragte Lermina. "Dann," sagte Raoul Rigault die Achseln zuckend, "nehmen diese alten Weiber und die Kinder die Bomben, werfen je einige hundert Stueck davon durch die Fenster der Tuilerien und der verschiedenen Ministerialgebaeude, giessen zu gleicher Zeit Jeder sein Gefaess voll Petroleum in die Keller und Souterrains und zuenden diese angenehme Fluessigkeit mit einem kleinen Schwefelholz an. In wenigen Augenblicken werden alle diese Centren der Regierungsgewalt in Flammen stehen, alle diese Minister, Bureauchefs und Beamten werden fliehen. Das Ende der Faeden, welche in die Provinzen fuehren und dort die Regierungskraefte in Bewegung setzen, wird zerstoert sein, und das Volk wird sich aus den Vorstaedten heranwaelzen, und bevor noch irgend Jemand weiss, was eigentlich vorgeht, wird Alles gethan sein, Paris wird uns gehoeren, und diese traege, unentschlossene Masse, welche man Volk nennt, wird hier wie im ganzen Lande unsern Befehlen folgen und durch unsere Organisation in Bewegung gesetzt werden. Das Einzige, worauf es ankommt, ist, dass die Sache schnell und auf allen Punkten gleichzeitig ausgefuehrt wird. Das ist mein Vorschlag," sagte er, sich auf seinen Stuhl zuruecklehnend und mit dem Stoeckchen an seine Stiefel klopfend, "er ist einfach, leicht ausfuehrbar und wirksam. Die Vorbereitungen sind getroffen. Wollt Ihr handeln, so handelt, wollt Ihr es nicht, so lasst es bleiben, dann aber werde ich mich zurueckziehen, denn ich habe keine Lust mehr, meine Zeit mit Redensarten und zwecklosen Agitationen zu verschwenden." "Der Plan ist grossartig, vortrefflich! Dieser kleine Raoul Rigault hat wirklich eine Armee in seinem Kopf," rief Ulric de Fonvielle. "Die Sache ist allerdings gut ausgedacht," sagte Lermina, "und sie kann reussiren." Varlin sagte nichts. Er sass tief nachdenkend da, doch zeigte der Ausdruck seines Gesichts, dass er den Plan Raouls billige und ueber dessen Ausfuehrung nachsann. "Natuerlich kann die Sache reussiren," sagte Raoul Rigault, "und sie muss reussiren, wenn sie nicht ueberaus dumm angegriffen wird, und dass dies nicht geschieht, dafuer muesst Ihr sorgen. Ich habe nicht Lust," fuegte er im affectirt hochmuethigen Ton hinzu, "mich um diese petites besognes zu kuemmern. Ich habe Euch die Instrumente geschafft, ich habe Euch einen Menschen gestellt, welcher den ersten Schlag fuehren wird, an Euch ist es, die Stunde fest zu stellen und Eure alten Weiber und Kinder an die richtigen Orte zu fuehren, um aus diesen alten dumpfen Bureaus und Aktenhaufen ein lustiges, froehliches Feuer aussteigen zu lassen. In drei Tagen koennt Ihr damit fertig sein. Jetzt lasst uns gehen, es koennte im Hause Aufsehen erregen, wenn wir noch laenger hier bleiben." Er stand auf, gruesste mit einer stutzerhaften Bewegung mit der Hand und ging hinaus. "Er hat uns in der That ueberfluegelt," sagte Lermina, ihm finster nachblickend,--"ich liebe ihn nicht, diese ganze geckenhafte Art wichtige Dinge zu behandeln, missfaellt mir. Aber seine Ideen sind gut und seine Vorbereitungen vortrefflich. Wenn Ihr einverstanden seid, soll der Plan ausgefuehrt werden, er kann uns Jahre langer Agitationen ueberheben und mit einem Schlage an das Ziel unserer Wuensche fuehren,--und selbst, wenn der Plan misslingen sollte, was ist dabei verloren--ein zerschmetterter Kaiser, einige ausgebrannte Steinhaufen,--weiter nichts," fuegte er mit einem entsetzlichen Laecheln hinzu, welches seine steinernen und unbeweglichen Zuege in furchtbarer Weise verzerrte. "Der Plan wird gelingen," rief Ulric de Fonvielle lebhaft, "die ganze Kraft der Regierung ist zertruemmert, sobald der Mittelpunkt zerstoert ist, Frankreich und die Zukunft gehoert uns." Varlin stand auf. "Der Plan _kann_ gelingen," sagte er, "wenn Niemand ausser uns etwas davon erfaehrt, keines der Werkzeuge, die wir benutzen werden, darf den ganzen Zusammenhang dessen, was geschehen soll, auch nur ahnen." Er streckte seine Hand aus. "Schwoeren wir uns gegenseitig," sagte er, "bei unserm Hasse gegen die Ausbeuter der Arbeit Verschwiegenheit und Tod dem, der den Schwur bricht." Lermina und Fonvielle legten ihre Haende in diejenige Varlins. "Wir schwoeren Verschwiegenheit," sprachen sie, "Tod dem, der diesen Schwur bricht." Dann verschlossen sie sorgfaeltig alle Schubladen des grossen Tisches, in welche sie vorher die von Raoul Rigault mitgebrachten Proben der Sprengbomben legten, verliessen das als ein einfaches Versammlungslocal erscheinende Zimmer, ohne dessen Thuer zu verschliessen und gingen vor dem aeussern Thor des Hauses nach verschiedenen Richtungen auseinander. Einige Augenblicke blieb der grosse dunkle Raum im tiefen Schweigen, dann liess sich ein leises Geraeusch vernehmen;--unter dem Tisch, an welchem die vier Verschwoerer so eben gesessen hatten, drang ein Lichtstrahl hervor, eines der Bretter des Fussbodens erhob sich, aus der Oeffnung stieg ein Mann mit einer kleinen Blendlaterne hervor. Er leuchtete mit dem hellen Strahl seiner Laterne nach allen Seiten in die Tiefe des Zimmers hinein, dann drueckte er das erhobene Brett sorgfaeltig in seine alte Stelle zurueck, scharrte etwas von dem auf dem Boden liegenden Staub in die Spalten, zog dann mehrere sauber gearbeitete Schluesselhaken aus der Tasche und oeffnete die Schublade des Tisches. Er nahm eine der Bomben und steckte sie in seine Tasche, dann zog er ein kleines Notizbuch hervor und schrieb beim Schein seiner Laterne einige Worte in dasselbe, indem er vor sich hinfluesterte. "Lepet, Giesser,--Beaury, Rue St. Maur Nummer zweiunddreissig." Dann ging er zur Thuer, loeschte seine Laterne aus, verliess leisen Schrittes den Hof und das Haus und begab sich ruhig, die damals so beliebte Melodie des Pompier de Nanterre vor sich hin pfeifend nach der Polizeipraefectur, wo er durch den Dienst thuenden Huissier sogleich in das Cabinet des Praefecten gefuehrt wurde. Ende des zweiten Bandes. End of the Project Gutenberg EBook of Der Todesgruss der Legionen, Zweiter Band, by Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TODESGRUss DER LEGIONEN, *** ***** This file should be named 13658.txt or 13658.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.net/1/3/6/5/13658/ Produced by PG Distributed Proofreaders. Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. 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